Ein Sommernachtstraum

Folge: 278 | 25. Juli 1993 | Sender: BR | Regie: Walter Bannert
Bild: BR/Balance Film GmbH/Georg Grieshaber
So war der Tatort:

Augenkrebserregend. 

Für die modischen Ausrufezeichen im Münchner Tatort der 90er Jahre ist zwar meist Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) zuständig (vgl. Animals) – in Ein Sommernachtstraum sind es jedoch Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Assistent Carlo Menzinger (Michael Fitz), die beim Griff in den Kleiderschrank wohl weniger an den anstehenden Arbeitstag, sondern eher an die nächste Kostümparty gedacht haben. 

Während Batic in einem ausgewaschenen roten Sakko am Fundort einer Leiche aufkreuzt, hat sich Menzinger für die vielleicht hässlichste Krawatte der Tatort-Geschichte entschieden und denkt gar nicht daran, dieses augenkrebserregende Modell im Laufe der 90 Minuten gegen ein stilsichereres einzutauschen. Sein Fehlgriff steht sinnbildlich für diesen bunten, aber ziemlich verkorksten Tatort: Allein Gary Lux' Titelsong Frozen Hearts – eine durchaus stimmungsvolle, aber sehr kitschige Ballade – konterkariert die Geschichte spätestens auf der Zielgeraden. 

Regisseur Walter Bannert, der auch beim Batic-und-Leitmayr-Debüt Animals Regie führte, und das Autorenduo Hans Dräxler und Franz Geiger, die beide zum ersten und letzten Mal ein Tatort-Drehbuch verantworten, erzählen nämlich nicht etwa eine unglückliche Liebesgeschichte: Der 278. Tatort ist ein zu keinem Zeitpunkt glaubwürdiger Mix aus oberflächlichem Drogendrama und müdem Satanisten-Thriller, der trotz der bierernsten Thematik eher gemütlich-sommerliche Biergarten-Atmosphäre versprüht. 

Den Brennpunkt des Geschehens bildet der Monopteros im Englischen Garten: Dort proben die Amateur-Schauspieler Answald (George Lenz, Lohn der Arbeit), Eva (Inka Calvi, Der Finger), Hubert (Detlef Bothe, Spiel auf Zeit), Margot (Luci Langenwalter) und Michael (Eric Gira) in einem wackeligen Theaterzelt Shakespeares Ein Sommernachtstraum – und geben in den Pausen seltsame Ansichten zur Polizei-Arbeit zum Besten.


HUBERT:
Warum macht die Polizei keine Razzia und fischt diese Typen ab?

ANSWALD:
Damit die im Knast weiterdealen? Das kannste doch vergessen.


Ziemlich einleuchtend: Wer hinter Gittern eh mit kriminellen Machenschaften weitermacht, den kann man eigentlich gleich auf freiem Fuß lassen. 

Ähnlich daneben ist die Skizzierung der "Jünger Luzifers" um den einbeinigen Sektenführer Hinky (Max Tidof, Kalte Herzen), von denen im zitierten Dialog die Rede ist: Woher die Faszination der dealenden Anhänger für ihren skrupellosen Boss stammt, bleibt im Nebel. Man haust einfach gemeinsam in einer leerstehenden Fabrik, verehrt dort unbehelligt von den Behörden Luzifer und gibt und sich auf schäbigen Matratzen dem nächsten Heroinrausch hin. 

Auch Batic und Leitmayr statten der "Satanstruppe" (Batic) regelmäßige Besuche ab - scheinen aber nicht interessiert daran, die Bude mal zu durchsuchen oder ihren Kollegen von der Drogenfahndung einen Tipp zu geben. Dass die beiden den Mord an einem der Satansjünger aufklären müssen, spielt angesichts der unfreiwillig komischen Dauerfehde zwischen den Satanisten und der peinlichen Shakespeare-Truppe ebenfalls nur eine untergeordnete Rolle: Wer der Mörder ist, steht von Beginn an fest, und auch der Grund für die obligatorische zweite Tatort-Leiche nach einer Stunde wird von Kameramann Kurt Lorenz (Schimanskis Waffe) in aller Ausführlichkeit eingefangen. 

Dieser Twist zählt allerdings noch zu den besseren Momenten des Films, in dem eine Auseinandersetzung mit dem Satanskult – man denke an den herausragenden Bremer Tatort Abschaum von 2004 – zu keinem Zeitpunkt stattfindet. Satanisten sind einfach fanatische Spinner, und dementsprechend überzeichnet wirken auch Hinky, der sich bei einem Verhör minutenlang ziellos im Rollstuhl durch die Gegend schieben lässt, und sein grobschlächtiger Handlanger "Ratte" (der spätere Siska-Darsteller Wolfgang Maria Bauer, Die fette Hoppe), dem die heroinsüchtige Margot hörig ist. 

Während Bauer zumindest einen charismatischen Auftritt abliefert, zeigen Luci Langenwalter und Eric Gira, warum ihr erster TV-Auftritt zugleich ihr letzter bleibt: In der Theater-AG wären die beiden talentfreien Jungschauspieler deutlich besser aufgehoben. Es muss ja nicht gleich Shakespeare sein.

Bewertung: 3/10

Bienzle und die schöne Lau

Folge: 273 | 28. März 1993 | Sender: SDR | Regie: Hartmut Griesmayr
Bild: SWR/Schroeder
So war der Tatort:

Gespickt mit Anleihen aus Eduard Mörikes Stuttgarter Hutzelmännlein – denn dem zumindest auf der Schwäbischen Alb sehr berühmten Kapitel Das Märchen von der schönen Lau, die in Form einer Wassernixe bis heute am Ufer des Blautopfes als Steinskulptur von Touristen bestaunt wird, verdankt der zweite Tatort mit Ernst Bienzle (Dietz-Werner Steck) seinen geheimnisvollen Titel.

Im schwäbischen Blaubeuren schlägt das Herz des Krimis, denn der Stuttgarter Hauptkommissar ermittelt nach seiner Feuertaufe in Bienzle und der Biedermann erneut fernab der Heimat und ist gedanklich eigentlich schon im Urlaub: "Ärnschd" will mit seiner Lebensgefährtin Hannelore Schmiedinger (Rita Russek) nach Korsika aufbrechen, als ihn kurz vor der Abfahrt die Nachricht erreicht, dass der einst von ihm überführte Schwerverbrecher Helmut Selneck (Gerd David) aus dem Gefängnis ausgebrochen ist.

Es folgt ein Szenario, wie es einige Jahre später vor allem für die Tatort-Folgen mit Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) typisch ist: Zwar ist bis dato noch kein Mord geschehen, doch fährt Bienzle aus der Landeshauptstadt in die Provinz, quartiert sich in einer Gastwirtschaft ein und nimmt Kontakt zur Dorfbevölkerung auf. Und während sich die Hannoveraner LKA-Kommissarin bei ihren zahlreichen Dienstreisen stets sicher sein kann, dass früher oder später Mitbewohner Martin Felser (Ingo Naujoks) nachreist, lässt auch die Anreise von Hannelore nicht lange auf sich warten.

Zuvor gilt es für diese (und die Zuschauer) aber einen Gänsehautmoment zu überstehen: Als Bienzle abgereist ist, um Selneck in dessen Heimat Blaubeuren aufzuspüren, überfällt der Gesuchte seine Lebensgefährtin – und lässt erst von Hannelore ab, als die ihm verängstigt Bienzles Aufenthaltsort mitgeteilt hat. Später kommt es zur blutigen Konfrontation von Kommissar und verurteiltem Totschläger – doch erreicht dieser Handlungsstrang nie den Tiefgang, der für ein wirklich spannendes Katz-und-Maus-Spiel nötig gewesen wäre.

Tief hinunter geht es stattdessen im zweiten Erzählstrang, der sich auf die titelgebende schöne Lau bezieht: Der Kern der Geschichte dreht sich um Landwirt und Taucher Fritz Laible (Bernd Tauber, Haie vor Helgoland), der sich bei seinen Ausflügen in die unterirdische Blautopfhöhle so weit vorwagt wie sonst niemand im Ort. Wie gefährlich das Unterwasser-Unterfangen ist, schildert Gastwirt Pomerenke (Jürgen Holtz, Die Neue), während die Kamera Bilder von einem seiner Tauchgänge in der Finsternis zeigt – eine wahnsinnig atmosphärische und stimmungsvoll vertonte Sequenz, die mit den Urängsten des Publikums spielt.


GASTWIRT:
Der Weg verzweigt sich. Man folgt einem Gang, fühlt sich sicher. Und plötzlich kommen Zweifel auf. Man will zurück, kommt wieder an eine Verzweigung und weiß nicht: rechts oder links? Man wendet sich in eine Richtung, aber die Zweifel werden stärker. Die Panik wächst. Der Taucher will auftauchen und stößt an die Höhlendecke. Und jetzt hat er plötzlich die Orientierung total verloren. Er weiß nicht mehr vorwärts, rückwärts, unten, oben. Und plötzlich ist die Angst da. Was sage ich, Angst? Todesangst.


Die schöne Lau – das ist im 273. Tatort Laibles umtriebige Gattin Vera (Despina Pajanou, Tödliche Tarnung), die im Ort so genannt wird, einleitend zu Dr. Albans 90er-Jahre-Hit It's My Life und Nirvanas Grunge-Hymne Smells Like Teen Spirit abfeiert und nicht nur ihrem Ehemann den Kopf verdreht: Die selbstbewusste junge Frau, die der fast identisch frisierten Ludwigshafener Tatort-Kommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) zum Verwechseln ähnlich sieht, ekelt sich vor ihrem launischen Gatten und würde am liebsten nach München durchbrennen.

Weil andere Männer im Dorf ein Auge auf die Femme fatale geworfen haben, ist der Verlauf der Geschichte zwar früh vorherzusehen – kurzweilig erzählt ist das Ganze dennoch, wenngleich die erste Leiche in Bienzle und die schöne Lau erst nach einer knappen Stunde auf der Mattscheibe zu sehen ist. Rein strukturell ist das für einen Tatort ungewöhnlich und vor allem der Tatsache geschuldet, dass sich die Drehbuchautoren Felix Huby (Salü Palu) und Werner Zeindler bei ihrer freien Adaption von Hubys gleichnamigem Roman (zu) lange mit der Jagd auf den entflohenen Selneck aufhalten.

Unter routinierter Regie von Hartmut Griesmayr (Haie vor Helgoland) entwickelt sich ein reizvoller Krimi, bei dem sich Hannelore nicht nur als frecher (und nach ihrem Trauma überraschend schnell genesener) Sidekick, sondern auch als Hobby-Analytikerin profilieren kann. Während die Filmemacher hier nie über ihr Ziel hinausschießen und die Balance zwischen Lockerheit und Suspense meistern, wirkt der offensive Flirt von Bienzles Kollegen Günter Gächter (Rüdiger Wandel) mit der kecken Bedienung Graziella (Antonietta Bonomi) ziemlich drüber – hier wäre weniger mehr gewesen.

Mit Blick auf die Besetzung gibt sich der zweite Bienzle-Tatort hingegen keine Blöße: Aus dem soliden Cast sticht neben Jürgen Holtz, der den aufbrausenden Laible fast hörig gegenüber der umworbenen Vera anlegt, vor allem Richard Beek in seiner einzigen Tatort-Rolle als erzkonservativer Almbauer hervor. Ein starker und charismatischer Auftritt in einem nicht ganz so starken, aber sehr ordentlichen Tatort.

Bewertung: 6/10