Schwarzer Advent

Folge: 400 | 8. November 1998 | Sender: BR | Regie: Jobst Oetzmann
Bild: BR/MTM cineteve GmbH/Laurent Trümper
So war der Tatort:

Weit weniger adventlich, als es der Krimititel nahelegt: Außer einem sprechenden Weihnachtsbaum, der den Münchner Hauptkommissaren Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) offenbar zur Abwechslung im tristen Ermittlungsalltag dient und bei Assistent Carlo Menzinger (Michael Fitz) auf wenig Gegenliebe stößt, ist von vorweihnachtlicher Besinnlichkeit wenig zu spüren. 

Ganz im Gegenteil: Schwarzer Advent ist ein packendes und zugleich hochemotionales Familiendrama, das vom groß aufspielenden Christian Berkel (Leerstand) – dem heutigen Ehemann der späteren Frankfurter Tatort-Kommissarin Andrea Sawatzki – fast im Alleingang getragen wird. 

Berkel mimt den handgreiflichen Familienvater Rainer Wenisch, der von seiner Frau verlassen und dem das Sorgerecht für seine beiden Kinder Leo (André Kaminski) und Natascha (Nina Szeterlak, Das Glockenbachgeheimnis) entzogen wurde. Als dann auch noch der Job weg ist, dreht Wenisch durch: Erst tötet er seine Ex-Frau im Affekt, anschließend entführt er seine beiden Kinder. 

Eine prickelnde Ausgangslage: Der 400. Tatort, in den sich die Münchner Firmen Dallmayr Prodomo und Hacker-Pschorr mit wenig subtilem Product Placement eingekauft haben, ist ein hochspannender Wettlauf gegen die Zeit, bei dem die Kommissare lange nur hinterherhecheln: Erst verpassen sie Wenisch knapp im Kindergarten, dann lässt sich Batic vor dem Tor der leerstehenden Villa narren, in die der Vater wenige Minuten zuvor mit seinen Kindern geflüchtet ist. Doch nicht nur von außerhalb des Hauses droht dem aufbrausenden Kriminellen Gefahr.

Drehbuchautor Christian Limmer (Liebeswirren) bedient sich beim Hollywood-Hit Pretty Woman und schleust mit der Prostituierten Yvette (Julia Richter, Todesstrafe), die gegen Barzahlung von 4.000 Mark für das Wochenende im Kreise der einst glücklichen Familie als Ersatzmutter herhalten soll, eine Fremde in die Villa ein, die bald merkt, dass irgendwas nicht stimmt. 

Ein cleverer Schachzug: Es sind auch die hitzigen Gespräche zwischen ihr und dem zunehmend labilen Wenisch, die Schwarzer Advent zu einem vielschichtigen und sorgfältig ausgearbeiteten Psychothriller machen, in dem der aus Chile eingeflogene Großvater Rudolf Wenisch (Hans-Michael Rehberg, Häschen in der Grube) eine späte Schlüsselrolle einnimmt. Die Wurzeln allen Übels, das sich in der Verzweiflungstat Bahn bricht, liegen schon in der Kindheit des Täters. 

Die Kommissare spielen oft nur die zweite Geige, weil es im Haus einfach viel spannender zugeht – und als sie der tickenden Zeitbombe schließlich auf die Spur kommen, endet die Aktion im Desaster: Der bis zur Unkenntlichkeit geschminkte Wenisch besucht mit seinem Sohn ein Eishockeyspiel des EC Bad Tölz – und als das Spiel vorbei, das Drama perfekt und die Lage endgültig ausweglos ist, erreicht Schwarzer Advent seinen emotionalen Höhepunkt. Der Blick des wahnsinnigen Vaters, dessen groteske schwarzgelbe Schminkschicht langsam abblättert, als er seine schlafende Tochter anblickt, hätte auch jedem Horrorfilm gut zu Gesicht gestanden. 

Trotz dieser Dramatik liegt im Ausflug zum Eishockey die einzige Schwäche des ansonsten meisterhaft arrangierten Krimis: Der Vorfall im Fanblock wirkt extrem unrealistisch, weil keiner der umstehenden Fans auch nur am Rande mitbekommt, was dort auf den Steinstufen des Blocks passiert. Regisseur Jobst Oetzmann (Wir sind die Guten) bringt dennoch einen herausragenden Münchner Tatort auf die Mattscheibe und punktet mit inszenatorischer Finesse – so spiegelt sich der Täter einleitend im Auge des Opfers. Alfred Hitchcock und Der Fremde im Zug wären begeistert gewesen.

Bewertung: 9/10

Gefallene Engel

Folge: 397 | 20. September 1998 | Sender: BR | Regie: Thomas Freundner
Bild: Bavaria Film GmbH/BR/klick/Rolf von der Heydt

So war der Tatort:

Religiös.

Denn geflüsterte Bibelverse und katholische Symbole durchziehen den 20. Fall der Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) bis ins kleinste Detail. Heiligengeschichten und Ermittlungen im Kirchenumfeld dienen sowohl dem Münchner Ermittlerduo als auch den Zuschauenden zur Erweiterung ihres (religiösen) Horizonts.

Doch zunächst tauchen im 397. Tatort Schlag auf Schlag mehrere Leichen auf, zwischen denen die Ermittler zu Beginn keinen Zusammenhang herstellen können: ein nicht identifizierter Leichnam in der Kanalisation, ein sterbender Pharmaunternehmer auf der Müllkippe und ein toter Journalist in einer Fabrikhalle. Nicht nur erahnt das Publikum schnell eine Verbindung zwischen den drei Funden, sondern Regisseur Thomas Freundner (Herzversagen) lässt uns von Beginn an ganz offen wissen, dass es sich um eine Mordserie handelt.

Auch aus dem Täter macht der Filmemacher, der noch viele weitere Male für die Krimireihe am Ruder sitzt, kein großes Geheimnis: Während die Kommissare noch im Dunkeln tappen und hinter den Kulissen einer korrupten Wohltätigkeitsorganisation unter Leitung des windigen Klaus Aigner (Jürgen Tonkel, Die letzte Wiesn) ermitteln, erhalten wir immer wieder Einblicke in die wahnhafte Gedankenwelt des zutiefst christlichen Mörders. Da er sich bei seinem Morden am katholischen Heiligenkalender zu orientieren scheint, werden die Ermittlungen zu einem temporeichen Wettlauf gegen die Zeit.

Die Verbindung zwischen den drei Opfern stellt der ehemalige Messdiener Leitmayr her, den Drehbuchautor Peter Probst (Der Traum von der Au) zur religiösen Höchstform auflaufen lässt. Der selbsternannte "Heide" Batic steht den Bibelrecherchen seines Kollegen eher kritisch gegenüber, während Assistent Carlo Menzinger (Michael Fitz) nicht nur die beiden Kriminalhauptkommissare, sondern auch die Zuschauenden mit seinen Ausführungen über Kraft-Buddhismus irritiert.

Die Kommissare können nicht nur bei allen Leichen Bibelverse sicherstellen, sondern finden darüber hinaus heraus, dass die drei ermordeten Männer Besucher eines Münchner Bordells waren. Bei den Ermittlungen dort macht Leitmayr Bekanntschaft mit der attraktiven Prostituierten Frances (Eva Hassmann, Falsches Alibi), die entscheidende Hinweise für die Suche nach dem Täter und zugleich die Erklärung für den Titel dieses Krimis liefern kann.


FRANCES:
Wie seid ihr denn auf DEN Spinner gekommen?

LEITMAYR:
Du kennst den?

FRANCES:
Der war 'ne Zeit lang die Lachnummer im Milieu. Der ist immer mit seinen Heiligenbildchen rumgerannt und hat erzählt, wir wären gefallene Engel. Und die Freier waren für ihn die Satansknechte.


Mit Gefallene Engel hat Peter Probst einen sehr logischen Tatort konstruiert, in dem die beiden Münchner Kommissare aber auch sehr viel Glück bei ihrer Suche nach dem Mörder haben: Einige erstaunlich hilfsbereite Mitarbeiter der katholischen Kirche, eine Künstlerin mit ausgezeichnetem Gedächtnis (Johanna Bittenbinder, Kehraus) oder glückliche Zufälle wie eine versehentlich eingeschaltete Radiosendung über Heiligengeschichten tragen ganz entscheidend zur Auflösung des Falls bei. Und am Ende sind es nicht Batic und Leitmayr, die den Täter finden, sondern eher umgekehrt.

Obwohl man den Ermittlern auch durch Freundners stimmungsvolle, bisweilen etwas dick aufgetragene Inszenierung immer mindestens einen Schritt voraus ist, bleibt deren Suche nach dem christlich motivierten Serienmörder bis zum Schluss spannend. Ab der Hälfte des Films erahnen wir zwar, worauf das Ganze hinausläuft, aber wir fiebern trotzdem mit den Kommissaren mit, während sie das Puzzle Stück für Stück zusammensetzen.

Der übliche trockene Humor und die gewohnt religionskritische Einstellung des Münchner Duos machen Gefallene Engel unterm Strich zu einem unterhaltsamen und differenzierten Tatort. Schade ist allerdings, dass der so talentierte Schauspieler Edgar Selge, der später als Transsexuelle im Kölner Tatort Altes Eisen oder als Kidnapper im Berliner Tatort Machtlos brilliert, in seiner Rolle als Taxifahrer Bruno Ellner zwar häufig zu hören, aber kaum auf der Bildfläche zu sehen ist. Andererseits ist es genau das, was die unheimliche Aura des von allen kaum beachteten Fanatikers ausmacht.

Bewertung: 7/10

Ein Hauch von Hollywood

Folge 390 | Sender: SFB | 13. Juli 1998 | Regie: Urs Odermatt
Bild: rbb
So war der Tatort:

Parodistisch gemeint – aber bis heute unerreicht schlecht. 

Eigentlich soll Ein Hauch von Hollywood eine Krimi-Satire sein, doch schon der Sendetermin erweist sich als schlechtes Omen: Der Tatort wird nicht wie gewohnt am Sonntagabend ausgestrahlt, sondern an einem Montag um 23 Uhr. Die Folge: Mit gerade einmal 1,1 Millionen Zuschauern fahren die Berliner Hauptkommissare Ernst Roiter (Winfried Glatzeder) und Michael "Zorro" Zorowski (Robinson Reichel) die bis heute niedrigste Einschaltquote einer Tatort-Erstausstrahlung ein. 

Die Ursachen für diese beispiellose Katastrophe liegen aber nicht nur am Sendetermin oder der erneut schlechten Bildqualität, die wie alle Berliner Tatort-Folgen der Roiter-Ära der Betacam geschuldet sind: Wer sich auf einen spannenden Krimi oder eine bissige Satire gefreut hat, wird bei diesem peinlichen Machwerk bitter enttäuscht. 

Dabei klingen Besetzung und Inhalt vielversprechend: Hollywood-Schauspieler Roland Haas (Johannes Brandrup, Racheengel) kehrt anlässlich der Internationalen Berliner Filmfestspiele in seine Heimatstadt zurück und wird bei einer Pressekonferenz von dem geistig verwirrten Hugo Kowalski (Michael Gwisdek, Schiffe versenken) bedroht. Kurze Zeit später verschwindet er. Kowalski gibt an, Haas getötet und im Teltow-Kanal versenkt zu haben – doch Roiter zweifelt. 

Drehbuchautor Jiri Polák, dessen zweites TV-Skript bis heute sein letztes geblieben ist, macht seine augenzwinkernd gemeinte Geschichte zum 90-minütigen Krampf: Die missratene Persiflage ist allenfalls bei einem Dialog zwischen Roiter und dem verdächtigen Dr. Jansen (Dieter Mann, Falsches Leben) originell, wenngleich das Gespräch stark an eine ähnliche Szene in der Odenthal-Folge Tod im All erinnert.


ROITER:
Wo waren Sie zur Tatzeit?

JANSEN:
Wie soll ich diese Frage verstehen? Die Patienten haben bereits geschlafen, das Personal hat ferngesehen. Tatort.


Hätten sich auch die Filmemacher im Vorfeld intensiver mit der Tatort-Reihe auseinandergesetzt, wäre dem Zuschauer vielleicht einiges erspart geblieben: In Ein Hauch von Hollywood gibt es kaum eine glaubwürdige Szene. Da verschluckt ein Hund ein Handy, das in seinem Magen weiterklingelt, ein Journalist (Falk Rockstroh, Schmuggler) fällt unbeholfen in das einzige Loch im Eis eines zugefrorenen Kanals, und ein Verdächtiger fragt mitten im Geständnis, ob er etwas Schokolade haben könne. 

Auch die Nebendarsteller – unter ihnen klangvolle Namen wie Götz Schubert (Kaltblütig), Marie-Lou Sellem (Vergissmeinnicht) oder Gustav-Peter Wöhler (Heimspiel) – können den 390. Tatort nicht retten, im Gegenteil: Sie sprechen derart monoton, dass unweigerlich die Frage aufkommt, ob Regisseur Urs Odermatt sie diesen unnatürlichen Sprachstil ganz absichtlich einsetzen lässt. Leid tun kann einem vor allem Martin Wuttke, der später als Hauptkommissar Andreas Keppler in Leipzig ermittelt und dem hier nur wenig Kamerapräsenz vergönnt ist: Er brilliert in seiner Rolle als Ex-Schauspieler Georg, der nach einem Unfall an den Rollstuhl gefesselt ist. 

Abgegriffene Kalendersprüche ("Gedanken sind frei." – "Die Zeit heilt Wunden.") wechseln sich ab mit steifen und emotionslos vorgetragenen Standardzeilen ("Ich brauche Zeit." – "Ich werde warten.") und wirken hier wie ein trauriger Versuch, den öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag zu erfüllen. Skurril auch die unpassende Filmmusik: Norbert Jürgen Schneider (Waidmanns Heil) setzt die komplette Spielzeit auf die immergleiche Akkordeon-Klänge, Jahrmarkt-Dudeleien und etwas, das entfernt an Sirenen-Gesang erinnert. 

Am Ende häufen sich dann auch noch plumpe Slapstick-Szenen: Eine junge Frau tritt auf ein Skateboard und rauscht kreischend die Straße entlang – Roiter will ihr helfen, läuft allerdings einen Akkordeonspieler über den Haufen und stürzt über eine Balustrade, die ihn kläglich auf dem Boden der Tatsachen landen lässt. Dort landen 1998 nach vernichtender Kritik auch die Filmemacher, denn Ein Hauch von Hollywood wirkt unter dem Strich wie ein Puzzle mit hohem Trash-Faktor – nur, dass die einzelnen Teile überhaupt nicht zusammenpassen und am Ende vor allem eines zurückbleibt: Chaos.

Bewertung: 1/10

Bildersturm

Folge: 388 | 21. Juni 1998 | Sender: WDR | Regie: Niki Stein
Bild: WDR/Kerpenisan
So war der Tatort:

Meta. 

Denn der 388. Tatort nimmt Bezug auf historische Ereignisse, vor allem aber auch auf die Rolle der Medien selbst: Es ist 1998, und Köln erlebt einen Aufruhr. Die Ausstellung "Verbrannte Erde", das Tatort-Pendant zur Ende der 90er Jahre kontrovers diskutierten Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht, zeigt dort Bilder von Kriegsverbrechen deutscher Soldaten an Zivilisten aus dem Zweiten Weltkrieg. 

Natürlich kommen die üblichen Reflexe von rechts-außen und heimattreuen Politikern, die die Fotos gerne zurück in den Giftschrank der Geschichte verbannen würden. In Bildersturm wird das Szenario bis zum Ende durchgespielt: Was ist, wenn die Wutbürger Taten folgen lassen? 

Kuratorin Anna Klee (Sabine Vitua, Frauenmorde) wird offen angefeindet und erhält Morddrohungen, was die zu dem Zeitpunkt noch recht unbedarften Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) auf den Plan ruft. Schon bald gibt es zwei Tote: Hinrichtungen mit Genickschuss, umgeben von verbranntem Geld. 

Das zweite Opfer soll mit einem Foto aus der Ausstellung erpresst worden sein. Anscheinend hat die Ausstellung schlafende Hunde geweckt: Was wäre, wenn jemand angesichts der Fotos Rache fordert, während sich das Land in Erinnerungskultur zurückzieht? Längst haben es sich die Frontsoldaten von damals in ihrem beschaulichen Nachkriegsleben heimelig gemacht und werden zwischen Kittelschürzen und Kaffeeservice allmählich unempfindlich gegenüber den unbequemen Fragen der jungen Ermittler. 

Auch Freddys Onkel Richard (Traugott Buhre, spielt zehn Jahre später in Krumme Hunde auch Professor Karl-Friedrich Boernes Onkel Rudolf), der heutzutage nur noch harmlos in seinem Kiosk sitzt, gerät plötzlich in Gefahr, weil man ihn auf den Fotos zu erkennen glaubt.


SCHENK:
Damals im Krieg, das war doch nicht anders. Ich meine, da kann doch irgendwas nicht in Ordnung sein bei einem, der 'ne Familie abschlachtet. Frauen und Kinder. Das sind doch keine normalen Menschen wie du und ich, die sowas machen. Oder wie er. Du glaubst auch, dass er es war?

BALLAUF:
Das spielt jetzt überhaupt keine Rolle.


Freddy - "Alfred!" - Schenk muss seinen Onkel schützen, sich mit der Vergangenheit seiner Familie auseinandersetzen und auch noch die Provokationen des Jungrechten Robert Hattay (Luc Feit, Wie einst Lilly) ertragen, der Klee terrorisiert und unter Mordverdacht gerät. Die Story hat Sprengkraft: Proliferierende Bilder sind längst selbst zu Waffen geworden, wenn es um politischen Einfluss geht. 

Historiker Professor Koning (Hark Bohm), eigentlich der Elfenbeinturm in Person, pocht auf die Notwendigkeit, die Bilder zu zeigen, und den Tätern von damals ein Gesicht zu geben. Die TV-Debatte zwischen ihm und einem erzkonservativen CSU-Politiker wirkt im False-Facts-Zeitalter erschreckend realistisch: Bilder werden mittels bewusster Ausschnitte aus dem Kontext gerissen und benutzt, und trotzdem bleibt der in Frontfotos festgehaltene Vernichtungskrieg unangenehme Realität, anhand derer die Kölner Kommissare schließlich ein lange zurückliegendes Verbrechen an Zivilisten rekonstruieren müssen. 

Leider fällt die Zeichnung der Hauptfiguren etwas lieblos aus: Ballauf und Klee sind mit ihrer aufdringlichen Betroffenheit und ihrem nervigen Dauergeflirte gerade noch zu ertragen, während Freddy Schenk und seine Tochter Melanie (Birthe Wolter, spielt zehn Jahre später im Stuttgarter Tatort In eigener Sache erstmalig Thorsten Lannerts Nachbarin Lona) leider nur wenig Gelegenheit erhalten, die eigene Zerrissenheit zum Ausdruck zu bringen. 

Regisseur Niki Stein, der bereits den direkten Vorgänger Manila inszenierte, bleibt beim klassischen Whodunit und lässt damit das Innenleben der Figuren ein wenig zu kurz kommen. Damit wird er der hochambivalenten Beziehung zwischen der Kriegsgeneration und ihren Nachkommen, dem eigentlich spannendsten Element im vierten Kölner Tatort mit Ballauf und Schenk, unterm Strich nicht ganz gerecht. Retorten-Nazi Hattay wäre später vielleicht Pegida-Anführer geworden, und der 2009 verstorbene Traugott Buhre gibt eindrucksvoll den starrsinnigen Alten, bei dem Vergessen und Verdrängen längst ineinander übergegangen sind. 

Die Hass-Graffitis auf einem der Fotos werden schließlich selbst zum Ausstellungsgegenstand: Bildersturm ist ein Film mit interessanten Referenzen, der auch heute noch das schwierige Verhältnis von Medien und Gesellschaft treffend erfasst.

Bewertung: 7/10

Manila

Folge: 383 | 19. April 1998 | Sender: WDR | Regie: Nikolaus Stein von Kamienski
Foto: WDR/Kerpenisan
So war der Tatort:

Spendenförderlich. 

Manila ist nämlich kein normaler Tatort, sondern vielmehr Teil eines groß angelegten Medienpakets, das 1998 für großen Wirbel in der Öffentlichkeit sorgt. Es widmet sich einer ehrenvollen Aufgabe: der Bekämpfung von Sextourismus und Menschenhandel. 

Direkt nach der Erstausstrahlung des Krimis diskutiert Talkmasterin Sabine Christiansen die Problematik unter anderem mit den beiden Hauptdarstellern Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär, die zugleich den sogenannten Tatort-Verein ins Leben rufen, der sich für benachteiligte Kinder und deren Belange einsetzt. Dabei wird eine Kontonummer eingeblendet, und am Ende kommt eine sechsstellige Summe für den guten Zweck zusammen. 

In Manila, der erfreulicherweise nicht zum peinlichen PR-Streifen á la Im Abseits verkommt, ist das benachteiligte Kind der in Ostasien entführte Philippino March (Tom Taus), dem in Deutschland ein finsteres Schicksal blüht. Doch der Kleine hat Glück im Unglück: Er flieht vom Rücksitz des zwielichtigen Staatsanwalts Johannes Wehling (eiskalt: Mathieu Carrière, Bei Auftritt Mord), der in den Menschenhandel verstrickt zu sein scheint, und landet direkt vor Ballaufs Motorhaube. 

Anders als Schenk ist Ballauf von Beginn an gewillt, dem Jungen zu helfen, wirkt in der ersten halben Tatort-Stunde aber oft wie ein Brüllaffe, der sich nicht in normaler Lautstärke zu artikulieren weiß: Ballaufs übertriebene Emotionalität ist eines von mehreren Beispielen dafür, dass Regisseur und Drehbuchautor Niki Stein (Willkommen in Köln) ein wenig zu dick aufträgt und das wichtige Thema, das 1995 bereits der Münchner Tatort Frau Bu lacht angerissen wurde, oft ziemlich plakativ aufarbeitet.   

Manila ist dennoch extrem unterhaltsam – die Thematik ist fesselnd, die Drehorte für Tatort-Verhältnisse exotisch wie selten und es geht nicht nur im schwülen Ostasien, sondern auch im dezemberlichen Köln mitunter heiß her: Ballauf und Schenk, zum dritten Mal gemeinsam im Einsatz, zeigen sich zerstritten wie nie, weil sich plötzlich eine Frau zwischen die beiden drängt. Nein, nicht Assistentin Lissi Pütz (Anna Loos), sondern Kriminalrätin Franziska Berger (Antje Schmidt, Waidmanns Heil), die den beiden als Leiterin einer Sonderkommission vor die Nase gesetzt wird. 

Dass diese nicht etwa auf den Kinderprostitutionsfall, sondern auf eine Überfallserie zweier als Weihnachtsmänner maskierter Unbekannter angesetzt wird, ist ein weiterer Schwachpunkt im 383. Tatort: Statt die wertvollen Minuten in diesen recht sparsam ausgearbeiteten Nebenstrang der Handlung zu stecken, hätte Filmemacher Niki Stein sie besser in den Philippinen-Trip investieren sollen. Gerade der Showdown in einer Dschungel-Oase für pädophile Sextouristen wirkt ziemlich konstruiert, was aber zu verschmerzen ist, denn für den hohen Unterhaltungswert dieses Kölner Tatorts ist er äußerst dienlich. 

Manila bleibt bis zur letzten Sekunde spannend, stürzt die Hauptkommissare von einer verzwickten Lage in die nächste und verdient sich nicht zuletzt aufgrund seiner wichtigen Botschaft das Prädikat "stark". Gelacht werden darf nämlich auch: Allein Schenks köstliches Touri-Outfit mit knallgelbem Freizeithemd, beiger Stoffhose und Sonnenbrille ist das Einschalten wert.

Bewertung: 8/10