Eine unscheinbare Frau

Folge: 485 | 11. November 2001 | Sender: RB | Regie: Martin Gies
Bild: Radio Bremen/Jörg Landsberg
So war der Tatort:

Miseryös. 

Die Handlung im Bremer Tatort Eine unscheinbare Frau dürfte nämlich vor allem all jenen bekannt vorkommen, die Rob Reiners großartige Leinwand-Adaption von Stephen Kings Bestseller-Roman Misery mit der oscarprämierten Kathy Bates in der Hauptrolle gesehen haben. 

Eine fanatische, fast wahnsinnige Verehrerin, die einen verletzten Mann – das Objekt ihrer Begierde – in den eigenen vier Wänden gefangen hält und bereit ist, bis zum Äußersten zu gehen: Das sind im 485. Tatort die unscheinbare Margit Brede (Bettina Kupfer, Bienzle und der süße Tod) und der bedauernswerte Alfred Stellmacher (Henry Hübchen, Jetzt und alles), der sich einst in eine Affäre mit der biederen Beamtin stürzte und nun bitter bereuen muss, ihr den Laufpass gegeben zu haben. 

Doch damit nicht genug: Drehbuchautor Jochen Greve (Tote Männer) bedient sich auch fleißig bei Adrian Lynes knisterndem Hollywood-Klassiker Eine verhängnisvolle Affäre, in der Michael Douglas sich der blutigen Rachegelüste seiner ehemaligen Liebhaberin Glenn Close erwehren muss. Nun ist Hübchen, der in einigen Sequenzen ungewohnt lustlos wirkt, kein Douglas, und Kupfer keine Close – und so köchelt die Beziehung zwischen Opfer und Entführtem in Eine unscheinbare Frau auch eher auf Sparflamme. Spannend gestalten sich die Szenen in Bredes Single-Wohnung trotzdem – wenngleich sich der eingesperrte Stellmacher selten dämlich anstellt und gleich mehrfach leichtfertig die Gelegenheit zur Flucht verstreichen lässt. 

Darüber könnte man noch hinwegsehen – nicht aber über die weiteren Drehbuchschwächen und Logiklöcher, die sich nach einer guten Stunde häufen: Mehr als einmal muss Kommissar Zufall helfen, um der Bremer Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) bei ihrem ersten gemeinsamen Einsatz mit dem eigentlich als Vertretung vorgesehen Kommissar Stedefreund (Oliver Mommsen) bei den Ermittlungen auf die Sprünge zu helfen. Der Schlüssel, der wie zufällig genau im Rost vor der Eingangstür landet, die kidnappende Beamtin, die wie zufällig für den Reisepass von Lürsens Tochter Helen Reinders (Camilla Renschke) zuständig ist – man könnte noch mehr Beispiele aufzählen. 

Regisseur Martin Gies (Die apokalyptischen Reiter) versteht es dennoch, die konstruierte Handlung in einen unterhaltsamen und selten langweiligen Krimi zu verpacken - und das ist letztlich das, was zählt. Da kann Helen mit ihrem schlecht geplanten Kanada-Trip noch so penetrant nerven.

Bewertung: 6/10

Im freien Fall

Folge: 484 | 4. November 2001 | Sender: BR | Regie: Jobst Oetzmann
Bild: BR/Bavaria Film GmbH/Klick/Erica Hauri
So war der Tatort:

Leidenschaftlich. 

Im freien Fall ist eine der ungewöhnlichsten – und zugleich besten – Tatort-Folgen aus der bayrischen Landeshauptstadt, weil sie angenehm anders ausfällt und sich intensiv ins Gedächtnis brennt. 

Das liegt in erster Linie an der leidenschaftlichen Affäre, in die sich Hauptkommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) stürzt – und das im wahrsten Sinne des Wortes: Nach einem Sturz vom Dach, der einleitend für Hochspannung sorgt, landet er über Umwege auf dem Fensterbrett der hübschen Studentin Anne Mars (Jeanette Hain, Scheinwelten), die dem Münchner Ermittler nicht nur das Leben rettet, sondern sofort die Sinne raubt. 

Dass die Hobby-Malerin ein beeindruckendes künstlerisches Talent mitbringt, scheint ihr auf merkwürdige Art und Weise unangenehm zu sein – aber warum nur? Leitmayr ist das erst einmal egal – von den Ärzten für zwei Monate krankgeschrieben, verbringt er jede freie Minute mit der männermordenden Blondine und degradiert seine Kollegen Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Carlo Menzinger (Michael Fitz), die im Präsidium die Stellung halten müssen, im 484. Tatort glatt zu Statisten. 

Drehbuchautor Alexander Adolph, der auch das Skript zu den Hochkarätern Der Weg ins Paradies, Nie wieder frei sein und Der oide Depp schrieb, behält das tatorttypische Whodunit-Prinzip zwar bei, macht aber nicht die Suche nach dem Mörder, sondern Leitmayrs Techtelmechtel zum zentralen Handlungsknoten. Er entfaltet Leitmayrs Affäre in ihrer ganzen emotionalen Wucht und steuert zielstrebig auf einen dramatischen und unausweichlichen Höhepunkt zu. 

Unterstützt wird der steile Spannungsbogen nicht nur von einem tollen Soundtrack, sondern auch von einer brillianten Inszenierung: Regisseur Jobst Oetzmann (Der traurige König) fährt schweres Geschütz auf und lässt den hoffnungslos verliebten Hauptkommissar immer wieder Flashbacks und Halluzinationen durchleben. 

Star des Films ist aber zweifellos die fantastisch aufspielende, enorm facettenreiche Jeanette Hain, die ihre labile und zugleich extrem wankelmütige Figur mit einer beeindruckenden Authentizität auf die Mattscheibe bringt. Dass Andreas Hoppe, eigentlich bekannt als Lena Odenthals Kollege Mario Kopper aus Ludwigshafen, in einer köstlichen Nebenrolle als cholerischer Handwerker zu sehen ist, geht angesichts dieser großartigen Performance fast ein wenig unter. 

Im freien Fall schrammt aber vor allem aufgrund eines kleinen Hängers im Mittelteil und dem fast peinlich offensichtlichen Product Placement für den Almighurt von Ehrmann haarscharf am Prädikat Meilenstein vorbei und lässt nicht nur Leitmayr, sondern auch das Publikum nach dem Abspann erschüttert zurück.


BATIC:
Wie geht's deinem Herz?

LEITMAYR:
Ich spür's überhaupt net. Ich spür's nimmer.


Bewertung: 9/10

Kalte Wut

Folge: 482 | 21. Oktober 2001 | Sender: Radio Bremen | Regie: Thorsten Näter
Bild: Radio Bremen/Jörg Landsberg
So war der Tatort:

Aufgeplustert. 

Die Bremer Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) nimmt in ihrer ersten Szene nämlich in einem voluminösen, aber leider vollkommen witzlosen Hahnen-Karnevalskostüm eine nächtliche  Unfallort-Inspektion vor – und rückt sich bei der Lagebesprechung mit dem Polizeikollegen Jan Hellwig (Henning Peker, Väter) erstmal fachmännisch den überdimensionalen Kamm zurecht. 

Wie lustig. 

Doch nicht nur Lürsen, die zum zweiten und zugleich letzten Mal von Kommissar und Sportskanone Tobias von Sachsen (Heinrich Schmieder) bei den Ermittlungen unterstützt wird, wirkt angesichts des müden Verkleidungsgags künstlich aufgeplustert: Die adrenalinschwangere Verpackung und das bisweilen auffällig hohe Schnitt-Tempo können über die großen Mängel des Drehbuchs kaum hinwegtäuschen. Die ersten zwanzig Minuten wird in Kalte Wut, für dessen Regie und Skript Thorsten Näter (Königskinder) verantwortlich zeichnet, eigentlich nur wild herumgebrüllt – von Lürsens kurzem Hahnen-Auftritt einmal abgesehen. 

Unterfüttert wird der adrenalinschwangere Auftakt, der die obligatorische Tatort-Verfolgungsjagd im Schlussdrittel früh vorweg nimmt, durch einen peitschenden Soundtrack, der mit seinen temporeichen Rhythmen für zusätzlichen Drive sorgen soll. Echte Hochspannung will sich dabei selten einstellen – dafür fallen die panischen Streitgespräche der verfolgten Jugendlichen und die erhitzten Diskussionen bei einer Bürgerwehrversammlung unter Leitung von Autohändler Lothar Seiler (Udo Schenk, Die Anwältin) einfach viel zu anstrengend aus.

Größter Kritikpunkt an Kalte Wut ist neben den bisweilen viel zu dick auftragenden Schauspielern die persönliche Betroffenheit der ermittelnden Kommissarin, mit der einmal mehr auf simple Art und Weise künstliche Krimispannung geschürt werden soll. Es bietet sich an, Lürsens Tochter Helen (Camilla Renschke) mit dem jugendlichen Hauptverdächtigen um die Häuser ziehen und das Bett teilen zu lassen – allen Warnungen der besorgten, weinenden Mutter zum Trotz. 

Der junge Marco Groszek (Oliver Bröcker, Keine Polizei) wird von den Filmemachern zumindest halbwegs glaubwürdig skizziert, während die – keineswegs gertenschlanke – Katrin Pollitt (Lastrumer Mischung) in ihrer Rolle als mitwissende Polizistin und Kampfsportlehrerin nicht nur in schwarzer Unterwäsche, sondern auch schauspielerisch eine gute Figur macht. 

Und wäre da nicht der müde Showdown samt drohender Gebäudesprengung, die zum Abschluss offenbar die gewohnte Verfolgungsjagd ersetzen soll, wäre aus Kalte Wut vielleicht zumindest noch ein mittelmäßiger Krimi geworden – so aber ist der 482. Tatort letztlich einer von vielen schwachen Lürsen-Fällen, der wie Kommissar von Sachsen keinerlei bleibenden Eindruck hinterlässt.

Bewertung: 3/10

Fette Krieger

Folge: 474 | 15.07.2001 | Sender: SWR | Regie: Dominik Reding
Bild: SWR
So war der Tatort:

Um direkt im Jargon zu bleiben: unglaublich wack.

Fette Krieger ist nicht nur der Titel des 23. Einsatzes von Hauptkommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts), sondern auch das gleichnamige Rap-Duo, bestehend aus MC Fett (Bernd Gnann, Im Abseits) und DJ Krieger (Harris), um das sich in der Ludwigshafener Hip Hop-Szene (es gibt sie offenbar wirklich) alles dreht.

Der SWR, spürbar um hohe Authentizität bemüht, lässt sich im Sinne der Annäherung an die Jugend sogar darauf ein, penetrant das Logo des früheren Musiksenders VIVA einzublenden und dessen ehemaliges Rap-Magazin Mixery Raw Deluxe beim Namen zu nennen.

Ansonsten hat der Sender für diesen brutal schwachen Krimi so ziemlich alles zusammengetrommelt, was den Deutschrap-Karren nach dem Boom Ende der 90er Jahre nach der Jahrtausendwende vor die Wand gefahren hat: Neben MC Rene und dem späte noch halbwegs erfolgreichen Party-Rapper Harris sind unter anderem der später wegen eines Hitlergrußes aus dem Dschungelcamp geflogene DJ Tomekk in Nebenrollen zu sehen.

Die drei teilen nicht nur die gemeinsamen Rap-Wurzeln, sondern auch das Fehlen von jeglichem schauspielerischen Talent, das sich vor allem beim mit reichlich Kamerapräsenz gesegneten Harris a.k.a. DJ Krieger offenbart. MC Rene hingegen rappt gemeinsam mit Harris Na wie geht's euch, den vor allem textlich dünnen Song zum Film – der begnadete MC Fett, angeblich schnellster Freestyler aller Zeiten, war wohl gerade vor dem Spiegel mit sich selbst beschäftigt.

Eine glaubwürdige Skizzierung des Rap-Milieus findet im 474. Tatort zu keinem Zeitpunkt statt, denn das Autorenduo um Peter Lennartz und Dominik Reding, der auch Regie führt, beschränkt sich auf das Abarbeiten müdester Klischees. Rapper nehmen Drogen, Rapper tragen Waffen, Rappern geht es immer um die Liebe zur Musik – es sei denn, der schmierige Vorzeige-Plattenproduzent Thilo (Klaus Schreiber, Die Frau im Zug) hat ein Wörtchen mitzureden.

Wie erschreckend hanebüchen und konstruiert die Geschichte ausfällt, in der die von der sich öffentlich zu ihrer Homosexualität bekennenden Ulrike Folkerts verkörperte Odenthal mit einer Nacktszene und einem harmlosen Frauenkuss für Aufsehen sorgte, zeigt sich spätestens bei der jederzeit vorhersehbaren Auflösung: Die führt den ohnehin schon vollkommen überzeichneten, einleitenden Auftritt von MC Fett in einem vollbesetzten Club endgültig ad absurdum.

Da passt es ins Bild, dass "Background-Sängerin" Mona (Sandra Borgmann, Odins Rache) beim Singen selten den Ton und beim Rappen nie den Takt trifft, der hochinteressiert lauschenden Odenthal ("Hip Hop hör ich ganz gerne, so zum Abspülen, oder Aufräumen.") aber fachmännisch die Hip-Hop-Kultur erklärt. Noch Fragen?


MONA:
Hip Hop ist schön – also man kann richtig darauf tanzen und so. Das macht echt Spaß.


Bewertung: 1/10

"Ich hab 'nen Kater, der heißt Psycho!"


Der lange Arm des Zufalls

Folge: 473 | 8. Juli 2001 | Sender: SFB | Regie: Ralph Bohn
Bild: Pressebilderdienst Kindermann/ARD
So war der Tatort:

Zufällig. Oder vielleicht doch nicht? 

Der arbeitslose Nico Durow (Rainer Strecker, Brandwunden) überfällt in der hochspannenden Auftaktsequenz ausgerechnet an dem Tag einen Geldtransporter, an dem der amerikanische Pelzhändler Peter Forster (Jochen Horst) 3,1 Millionen Mark in bar zu einer Bankfiliale liefern lässt, in der seine Ehefrau Jennifer (Claudia Michelsen, Das Dorf) gerade am Geldautomaten steht. Vor der Tür wartet zudem Foster-Töchterchen Maike (Leoni Benice Baeßler) im Wagen, der Zündschlüssel steckt. Der Überfall geht schief, Durow erschießt den Sicherheitsmann und flieht ausgerechnet im Auto der Frau, deren Mann er gerade um einen siebenstelligen Betrag erleichtern wollte. Auf dem Rücksitz: die Tochter. 

Alles nur Zufall? 

Man könnte fast meinen, Drehbuchautor Lienhard Wawrzyn (Der Duft des Geldes) hätte am ebenfalls sehr auf dem Zufallsprinzip basierenden Skript zur Vorgängerfolge Berliner Bärchen, in der Hauptkommissar Felix Stark (Boris Aljinovic) sein Debüt an der Seite von Till Ritter (Dominic Raacke) feierte, Gefallen gefunden und diesmal die Flucht nach vorn angetreten: Wenn das Drehbuch schon konstruiert ist, dann machen wir das ganze einfach zum Motto. 

Leider sind es aber vor allem die weniger mit dem Mord zusammenhängenden Zufälle, die die Geschichte über weite Strecken ziemlich hanebüchen wirken lassen: Allein die Tatsache, dass Jennifer Foster mit Tochter Maike zu einem Kindergeburtstag fährt und das aufgeweckte Mädchen dabei zufällig ihren seelenruhig durch Berlin spazierenden Spontan-Entführer am Straßenrand wiederentdeckt, kommt in der Millionen-Metropole der Wahrscheinlichkeit eines Sechsers im Lotto gleich.

Überhaupt scheint der flüchtige Übeltäter keinen nennenswerten Gedanken daran zu verschwenden, von der Polizei aufgegriffen zu werden: Durow, der bei der Tat einen ledernen Boxhelm trägt, geht im Anschluss wie selbstverständlich in der Boxhalle von Axel Schulz (s. Bild) trainieren und setzt sich tagsüber unbehelligt in seine Stammkneipe. 

Ritter und Stark, die diesmal fast im Zehn-Minuten-Takt von Assistent Lutz Weber (Ernst-Georg Schwill) Kaffee gereicht bekommen, scheinen sich in Der lange Arm des Zufalls aber ohnehin nur am Rande für die Ergreifung des Täters zu interessieren: Ritter versucht, in funkelnden Las Vegas-Hemden bei der illegal in Deutschland arbeitenden Marina Kouptsowa (Valentina Sauca) zu landen, während der alleinerziehende Stark seinen Sohn bei einer Freundin einquartiert und geduldig mit der fantatrinkenden Maike Phantombilder puzzlet. 

Die durchlebt in ihrem Elternhaus zwar nächtliche Todesängste und steht im Brennpunkt eines transatlantischen Familiendramas, versteckt sich aber abgebrüht in Mülltonnen, statt einfach mal ein Tränchen zu verdrücken. Das schont zumindest das Nervenkostüm des Zuschauers. 

Anders verhält es sich mit Pelzhändler Foster: Jochen Horst permanent zu Ami-Akzent und englischen Phrasen zu nötigen, nervt schon bei dessen erstem Auftritt und macht den 473. Tatort zur unnötig bilingualen Angelegenheit. Hier wäre weniger eindeutig mehr gewesen. 

So bleibt außer der von Regisseur Ralph Bohn (Eine ehrliche Haut) hervorragend in Szene gesetzten Auftaktsequenz, den mehr als eigenwilligen Till-Ritter-Outfits und einem granatenschlecht schauspielernden Axel Schulz am Ende wenig Sehenswertes in Erinnerung.


SCHULZ:
Was wollt ihr beede denn? Probetraining sicherlich nich, oder?


Bewertung: 4/10

Berliner Bärchen

Folge: 466 | 25. März 2001 | Sender: SFB | Regie: Detlef Rönfeldt
Bild: MDR/RBB
So war der Tatort:


Nicht ganz so bärenstark, wie es der Krimititel Berliner Bärchen, das knuffige Maskottchen und der Nachname des neuen Berliner Ermittlers Felix Stark (Boris Aljinovic) nahelegen mögen. 

Beim ersten Einsatz des alleinerziehenden Vaters an der Seite von Hauptkommissar Till Ritter (Dominic Raacke), der zuvor sechsmal mit Robert Hellmann (Stefan Jürgens, Der Trippler) in der Hauptstadt auf Verbrecherjagd ging, bringt nämlich vor allem einer den 466. Tatort voran: Kommissar Zufall. 

Zufällig fährt Stark an seinem ersten Tag seinem neuen Kollegen die Stoßstange kaputt, zufällig muss der schusselige Ritter sich das nötige Kleingeld für einen Lottoschein beim anfangs noch ungeliebten Kollegen borgen, zufällig knackt er mit diesem Lottoschein dann auch noch den Jackpot, und zufällig ist ausgerechnet dieser Millionenschein nach einem Einbruch wie vom Erdboden verschluckt. 

Als wäre das nicht schon genug, verknüpfen die Drehbuchautoren Andreas Pflüger (Waidmanns Heil) und Pim Richter (Gestern war kein Tag) diesen humorvollen Nebenstrang der Handlung, der bei den Münsteraner Kollegen Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) vermutlich zum Abbrennen eines stattlichen Gag-Feuerwerks geführt hätte, auch noch mit dem Raubmord in einer Grunewalder Villa, den Ritter und Stark gemeinsam aufklären müssen – das wirkt doch arg konstruiert. 

Immerhin: Ritters plötzliche Erkenntnis und vor allem Starks barsche Reaktion bei der finalen Verfolgungsjagd sorgt für einen späten Lacher.


RITTER:
Die hat unseren Lottoschein! Ja, klar! Zugriff! Zugriff!

STARK:
Bist du völlig durchgeknallt? Wer soll denn hier zugreifen, du Arsch?


Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass weder Ritter, noch sein neuer Kollege Stark am Ende als frischgebackene Millionäre den Dienst im Berliner Polizeipräsidium quittieren – allen Pöbeleien gegenüber dem peniblen Vorgesetzten Wiegand (Veit Stübner, Ausgespielt) zum Trotz. 

Weil der von Detlef Rönfeldt (Brandwunden) inszenierte Tatort zudem als klassischer Whodunit angelegt ist, fällt auch die Identifizierung des Täters leicht: Der gewohnt glänzende Alexander Radszun (Der Fall Schimanski), der schon in so gut wie jedem deutschen Krimiformat mal einen Mörder spielen durfte, mimt mit dem eiskalten Killer Marco Köhler einmal mehr den Vorzeige-Bösewicht. 

Anders als der Zuschauer, der von Beginn an über die Begleitumstände der Tat im Bilde ist, haben Ritter und Stark hier vor allem das Wie und das Warum zu klären. Natürlich prallen dabei die verschiedenen Welten des aufbrausenden Junggesellen und Casanova Ritter und des besonneneren Familienmenschen Stark aufeinander.

Erinnert ein wenig an die Kölner Kollegen Ballauf und Schenk – spielt aber nicht am Rhein, sondern an der Spree.

Bewertung: 6/10

Ein mörderisches Märchen

Folge: 464 | 4. März 2001 | Sender: BR | Regie: Manuel Siebenmann
Bild: BR/Von Vietinghoff Filmproduktion GmbH/Walter Wehner
So war der Tatort:

Märchenhaft.

Im treffend betitelten Tatort Ein mörderisches Märchen vergehen gerade einmal fünfzehn Minuten, bis die Handschellen klicken: Die Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) stecken den schrulligen Schreiner Ludwig Gruber (Hilmar Thate) in Untersuchungshaft – denn der hat nicht nur kleinen Kindern in Batic' Nachbarschaft regelmäßig Märchen vorgelesen, sondern vor allem einen sturen Postbeamten im Affekt getötet und auf einer Waldlichtung vergraben.

Für die Ermittler beginnt das Spiel um Leben und Tod damit allerdings erst: Vor seiner Festnahme hat Gruber die kleine Anna Santiago (Pamela Marquardt) entführt und an einem geheimen Ort in einen Brunnen gesperrt – und er ist nicht dazu bereit, die genaue Lage des Verstecks einfach so preiszugeben.

Wer wie Leitmayr sein staubiges Märchenbuch vom Dachboden holt, genießt in der Folge einen entscheidenden Wissensvorsprung gegenüber anderen Zuschauern: Gruber nutzt die berühmten Zitate aus den Geschichten der Gebrüder Grimm, die er immer wieder wie ein Mantra aufsagt und sogar an die Wände seiner Zelle schreibt, als versteckte Botschaften für den Aufenthaltsort des kleinen Mädchens.

Statt des üblichen Auswertens der Ergebnisse der Spurensicherung oder mühsamen Befragungen verschiedener Verdächtiger konzentriert sich die Ermittlungsarbeit der routinierten Kommissare, die wie gewohnt von ihrem fleißigen Assistenten Carlo Menzinger (Michael Fitz) unterstützt werden, daher auf Buchstabenrätsel und Hinweis-Interpretationen in bester Benjamin-Gates-Manier. Das hört sich dann etwa so an:


LEITMAYR:
Ich hab' da so ein komisches Zorro-Zeichen gefunden - eingeritzt an einem Baumstamm. Und dann hat mich 'ne Eule angegriffen.


Im 28. Fall von Batic und Leitmayr bewahrheitet sich einmal mehr ein ungeschriebenes Tatort-Gesetz: Wenn die Zuschauer den Mörder von Anfang an kennen und dieser richtig schön böse und durchtrieben ist (vgl. Der kalte TodHerz aus Eis), kommt am Ende oft ein richtig guter Krimi dabei heraus.

Regisseur Manuel Siebenmann (Nur ein Spiel) und Drehbuchautor Daniel Martin Eckhart (Große Liebe) haben mit Ein mörderisches Märchen einen solchen geschaffen: Zwar fällt die Mördersuche vor dem heimischen Fernseher im 464. Tatort anders als in den meisten anderen Folgen der Krimireihe aus, aber Grubers rätselhafte Hinweise sind eine sehr willkommene Abwechslung zum gewohnten "Wo waren Sie gestern Abend zwischen 20 und 22 Uhr?"-Prinzip.

Hier liegt zugleich eine der wenigen Schwachstellen des Films: Einige Rätsel gestalten sich derart ausgefallen, dass Batic und Leitmayr gleich mehrfach Kommissar Zufall zu Hilfe eilen muss – und eine halbe Stunde mehr Laufzeit hätte der im Eiltempo erzählten Geschichte durchaus gut getan. Auch Grubers Charakterisierung als Mastermind, das scheinbar jeden noch so spezifischen Schritt der Polizei vorausahnt, wirkt nicht immer glaubwürdig.

Dennoch: Allein der großartige Auftritt des stets an der Grenze zum Overacting wandelnden Hilmar Thate ("Ich bin der böse Wolf..."), der mit seinem grauen Bart tatsächlich ein wenig an Rotkäppchens Widersacher erinnert, ist das Einschalten wert. Er spielt Gruber sehr facettenreich: Mal gibt er den netten Märchenonkel, dann wieder den wahnsinnigen Psychopathen und schließlich wieder einen vom Leben gezeichneten alten Mann, der ein schlimmes Trauma aus seiner Kindheit nicht überwunden hat. Am stärksten fallen die Verhörsequenzen mit Batic und Leitmayr aus: Wenn Gruber beim Gedanken an das eingesperrte Mädchen und die Ohnmacht der Kommissare selbstgefällig grinst, schürt das nicht nur bei den Kommissaren, sondern auch beim Publikum gezielt Aggressionen.

Und dann ist da noch der ungewöhnliche Showdown, in dem der Mörder und Kindesentführer trotz seiner Gräueltaten ein wenig Menschlichkeit zurückgewinnt und Batic und Leitmayr ein letztes großes Rätsel aufgibt.

Bewertung: 8/10

Mördergrube

Folge: 463 | 25. Februar 2001 | Sender: WDR | Regie: Christiane Balthasar
Bild: WDR/Michael Böhme
So war der Tatort:

Offenherzig.

Denn in diesem Krimi macht weder Hauptkommissar Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) noch sein Vater Walter (Peter Franke, Eine unscheinbare Frau), der zum ersten und letzten Mal in einem Kölner Tatort zu sehen ist, aus seinem Herzen eine Mördergrube: Ballauf Senior landet im Präsidium, nachdem er wegen Diebstahl verhaftet worden ist – und Ballauf Junior quartiert seinen Erzeuger, der seine Mutter und ihn vor 30 Jahren ohne Abschiedsworte hat sitzen lassen, kurzerhand in seinem Pensionszimmer ein.

Es ist spannend zu beobachten, wie sich das Verhältnis zwischen den beiden im Laufe des Films wandelt: Ist Ballauf anfangs noch ablehnend, traurig und verärgert darüber, dass sich sein Vater aus dem Staub gemacht hat und in die Obdachlosigkeit abgerutscht ist, scheint er später sehr gewillt, ihm zurück in die Spur zu verhelfen. Gleichzeitig wird das Vertrauen in seinen Vater enttäuscht und er weiß nie mit voller Gewissheit, ob er ihm über den Weg trauen kann.

Für die Charakterzeichnung der langjährigen Hauptfigur ist dieser ausführlich illustrierte Nebenschauplatz pures Gold. Doch er führt auch dazu, dass Kollege Freddy Schenk (Dietmar Bär) und Assistentin Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt) gelegentlich auf Ballaufs Dienste verzichten oder seine Stimmungsschwankungen ertragen müssen. Das Klima auf dem Revier ist gereizt – was auch daran liegt, dass sich Oberstaatsanwalt von Prinz (Christian Tasche) diesmal nicht auf die Seite der Kommissare schlägt.

Das hat einen Grund: Ballauf und Schenk ermitteln nach dem Tod der Studentin Martha Dreher (Miranda Leonhardt) in der Welt der Juristen – und die haben es in der Krimireihe traditionell schwer. So auch hier: Fakultätsleiter Professor Hüttner (Peter Rühring, Abschaum), Marthas Tutor Dr. Kögel (Martin Umbach, Das Glockenbachgeheimnis) und der pensionierte Richter Grau (Jürgen Hentsch, Perfect Mind: Im Labyrinth) überbieten sich gegenseitig mit ihrer übertriebenen Arroganz und ihrem hochnäsigen Auftreten.

Mit dieser klischeehaften Skizzierung eines ganzen Berufsstands sind sie in guter Gesellschaft: Auch die Journalisten bekommen in Mördergrube wieder ihr Fett weg – und wer seine Brötchen als Bautaucher verdient, kann sich eine Ehe mit einer Juristin in der Vorstellung der Filmemacher direkt abschminken. Ach so? Diese Erfahrung macht zumindest Michael Linder (Patrick Joswig, Ihr Kinderlein kommet), der jähzornige Ex-Freund des Opfers, der schnell unter dringenden Tatverdacht gerät und damit – erfahrene Zuschauer wissen das zu deuten – als wahrer Mörder praktisch ausscheidet.


SCHENK:
Marthas neuer Freund, was wissen Sie über den?

LINDER:
Nur, dass es einer von der Uni war.

SCHENK:
Hat Martha Ihnen das gesagt?

LINDER:
Ja, das war doch aber eh klar. Musste ja so kommen, früher oder später. Oder haben Sie schon mal von einer Richterin mit einem Bautaucher gehört?


Drehbuchautor Robert Schwentke (Bildersturm) teilt den 463. Tatort gewissermaßen in zwei Hälften: Werden anfangs noch mehrere Tatverdächtige ins Visier genommen und als Täter wieder ausgeschlossen, konzentrieren sich die Ermittlungen später auf den – ebenfalls übertrieben arroganten – Jurastudenten Alexander Grau (Florian Lukas, Im Namen des Vaters), der für den tödlichen Anschlag auf seine Kommilitonin kein Motiv und für einen zweiten Mord ein wasserdichtes Albi mitbringt.

Unter solider Regie von Christiane Balthasar (Märchenwald) wandelt sich der Whodunit dann zum Howcatchem: Wird es Ballauf und Schenk gelingen, Graus These vom perfekten Verbrechen, die 2020 ein gleichnamig betitelter Berliner Tatort erneut aufgreift, zu widerlegen? Beide Ansätze haben ihren Reiz und lassen die Spannungskurve selten in den Keller fallen. Der jahrgangsbeste Jurastudent manövriert sich aus jeder schwierigen Lage heraus und lässt Schenk seine Überlegenheit spüren. Und wird es doch einmal eng, ist da noch sein Vater, dessen hohen Ansprüchen er – auch das ist ein Klischee – natürlich nie gerecht werden konnte.

Neben dem Tourbus der Kelly Family und der jungen Miranda Leonhardt (die 2008 als Assistentin Nika Banovic in Hart an der Grenze im Stuttgarter Tatort debütiert) gibt es in Mördergrube auch den jungen Denis Moschitto zu entdecken – er mimt einen Dieb, der Fachliteratur stiehlt und von Schenk auf frischer Tat ertappt (und irritierenderweise laufen gelassen) wird. Dem späteren Good Bye, Lenin!-Star Florian Lukas, der mit deutlich mehr Kamerazeit gesegnet ist, hätte das Finale zwar viel Chancen zur Entfaltung bieten können – doch leider ist es schon wieder vorbei, bevor es richtig begonnen hat.

Gleiches gilt unterm Strich für diesen Tatort: Alles nett anzuschauen, souverän arrangiert und selten langweilig – aber auf den zweiten Blick auch etwas mutlos und vorhersehbar.

Bewertung: 6/10