Granit

Folge: 715 | 21. Dezember 2008 | Sender: ORF | Regie: Fabian Eder
Bild: ORF/Satel-Film/Andreas Fischer
So war der Tatort:

Verschneit.

Traktoren fahren über vereiste Straßen mit Milchkannen auf der Ladefläche durch die Berge, es wird nicht viel geredet. "Brutaler Mord im Wipptal", titelt die einheimische Boulevardzeitung. Ähnlich wie in den anderen Tirol-Folgen des ORF spielen die Filmemacher in Granit mit dem Klischee der österreichischen Idylle.

Glücklicherweise ist der Dorfpolizist bei der Suche nach dem Mörder von Steinmetz Helmut Pechtl (Ludwig Dornauer, Tödliche Souvenirs) nicht auf sich allein gestellt: Inspektor Franz Pfurtscheller (Alexander Mitterer) wird bei seinem siebten Tatort-Einsatz erneut vom Wiener Sonderermittler Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) unterstützt.

Der plante eben noch die Feiertage mit seiner Tochter Claudia (Sarah Tkotsch), da landet er schon mit dem Flugzeug in Tirol - und wen trifft er am Gepäckband? Talkshow-Moderatorin Agnes Aichinger (mit elegantem Bob: Muriel Baumeister, Weihnachtsgeld), die die nächste Sendung ihrer erfolgreichen Show "Akut Agnes" vorbereiten möchte.

Es ist nicht das erste Mal, dass sie vor Ort mit verstrickten Familientraditionen in Berührung kommt: Schon einmal wurde das Wipptal von einem Skandal erschüttert, schon einmal wandte sich ein Mitglied der Familie Gufler an Aichinger. Daraufhin wechselte der Familienhof seinen Eigentümer, von einem Bruder zum nächsten. Zögerlich hält die Moderne Einzug in die Dorfgemeinschaft: Welten prallen aufeinander.

Der eine Bruder, Erich Gufler (Simon Schwarz, Einmal wirklich sterben), lebt ordentlich mit seiner Frau Frieda (Maria Hofstätter) und drei Kindern auf dem Hof. Der zweite, Heinz Gufler (Andreas Lust, Mia san jetz da wo's weh tut), hat einen Sohn, ist aber mit dessen Mutter nicht verheiratet. Und der dritte, Walter Gufler (Cornelius Obonya), ist nicht nur Lehrer, sondern auch kinderlos und schwul – noch ein Skandal.

Bleibt noch der Hof: Seit 300 Jahren in Familienbesitz, Streitigkeiten werden hier seit jeher ausgetragen, indem die Milch über den alten Holztisch gescheppert wird, Worte brauchen die Bewohner dafür nicht. Der Hof muss in der Familie bleiben. So fortschrittlich die Österreicher sind: Sie wissen, was zählt.


PFURTSCHELLER:
Es hat geschneit, Moritz.

EISNER:
Und? Was habt's ihr gefunden?

PFURTSCHELLER:
Ja, nichts.


Auch wenn die wichtigste Nebenfigur als Talkshow-Moderatorin ihre Brötchen verdient, lässt Drehbuchautor Felix Mitterer (Der Teufel vom Berg), der auch alle anderen Tirol-Folgen konzipiert hat, seine Figuren nur wenig Worte wechseln. Eindrucksvollste Szene ist ein Verhör, in dem alle Antworten mit nur einer Silbe auskommen.

Spannung entsteht unter Regie von Fabian Eder (inszeniert später den Wiener Meilenstein Kein Entkommen) vor allem durch die Kontraste: Die Menschen vom Land sind von Gestern, ihre Ideale völlig überholt. Hier verbinden sich Selbstgerechtigkeit und Engstirnigkeit.

Aber die aus der Stadt sind auch nicht besser: fesch geschminkt, aber verlogen. Die Idylle verbirgt die menschlichen Abgründe. Da prallt aufeinander, was zusammengehört, im Staat Österreich – Land der Berge, Land am Strome.

Immer wieder wird Agnes angerufen, auf ihrem Großstädter-Handy (die anderen haben keins, der Tatort ist von 2008), aber nie sagt sie die Wahrheit – noch nicht einmal zu Eisner ("Ich war nicht ganz ehrlich zu dir, aber das ist ein Teil meines Jobs.") Die beiden tauschen an der Hotelbar schmachtende Blicke und ihre Vorstellungen von einem glücklichen Familienleben aus. Es ist ja auch Weihnachten.

Polizei und Tränendrüsen-Boulevard ermitteln um die Wette, beide auf der Suche nach der Wahrheit, Eisner für die Gerechtigkeit, Agnes und ihr Kamerateam aus völlig falschen Gründen. Sie bewegt sich damit auf dünnem Eis – irgendwann auch im wörtlichen Sinn. "G'schneit hat's. Und still war's. All's weiß", erzählt der Mörder am Ende von seiner Tat.

Richtig ist das, g'schneit hat's, still war's, Weihnachten hat's auch gehabt, und am Ende muss im 715. Tatort noch ein Akt der Selbstjustiz verhindert werden: So ist das, wenn der Mörder gefunden ist, aber noch sieben Minuten Krimidrama übrig sind.

Ein besonderes Schmankerl für Liebhaber der Tatort-Folgen aus Wien ist Granit aus zweierlei Gründen: Neben Simon Schwarz, der im Wiener Tatort ab 2011 den Inkasso-Heinzi mimt, ist auch Adele Neuhauser, die ab Vergeltung Major Bibi Fellner spielt, als ehemalige Profitänzerin und Witwe des Opfers zu sehen.

Bewertung: 6/10

Unbestechlich

Folge: 713 | 7. Dezember 2008 | Sender: MDR | Regie: Nils Willbrandt
Bild: MDR/Junghans
So war der Tatort:

Deutlich stärker geprägt von Korruption, als es der Krimititel nahelegt.

Denn in Unbestechlich ist fast jeder direkt oder indirekt in den gewaltsamen Tod der jungen Kellnerin Ellen Krüger (Lisa Ivana Brühlmann) verstrickt: Die Leipziger Hauptkommissare Eva Saalfeld (Simone Thomalla) und Andreas Keppler (Martin Wuttke) stehen bei ihrem dritten Einsatz scheinbar allein auf der Seite des Gesetzes, weil sie – vom fleißigen Kriminalassistenten Wolfgang Menzel (Maxim Mehmet) einmal abgesehen –  sogar gegen die eigenen Kollegen ermitteln müssen.

Saalfeld und Keppler, allein gegen den Rest der korrupten Welt!

Da ist es gleich doppelt verwunderlich, dass die diesmal ungewohnt harmonisch auftretenden Ermittler nicht wegen persönlicher Befangenheit von dem Fall abgezogen werden: Ausgerechnet ihr guter Freund und Kollege Matthias Krupp (Thorsten Nindel, Brüder) gerät in den Fokus der Ermittlungen.

Ein herber Schlag für die Leipziger Kommissare: Nur wenige Stunden vor dem Fund der Leiche hatten sie noch in einem schicken Restaurant mit Krupps Ehefrau Berit (Jule Ronstedt) darauf angestoßen, die beiden vor achtzehn Jahren zusammengebracht zu haben. Sicher nicht die spannendste Szene dieses Krimis, aber dafür ein netter Einstieg – denn bei der kleinen Feier unter Freunden wird nicht nur die Beziehung der Krupps diskutiert, sondern auch die eine oder andere Anekdote aus der Ehe-Vergangenheit von Keppler und Saalfeld ausgepackt.


KEPPLER:
Ihr könnt euch ja noch ein paar traurige Geschichten aus den 80ern erzählen.


SAALFELD:
Na, Bombe!


Nach diesem eher gemütlichen Auftakt dreht sich im 713. Tatort bald alles um die Frage, welcher Charakter sich am verdächtigsten verhält. Drehbuchautor Andreas Pflüger (Türkischer Honig), der bereits zum fünfzehnten Mal für die Krimireihe am Ruder sitzt, arrangiert einen klassischen Whodunit und widmet sich einem sehr beliebten Tatort-Thema: Rauschgiftmissbrauch und Drogenhandel – man denke an Borowski und der Himmel über Kiel, Das Muli oder Dinge, die noch zu tun sind – ziehen sich wie ein roter Faden durch die Krimireihe und sind auch in Unbestechlich der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte.

Pflüger beschäftigt sich aber nur am Rande mit den schlimmen Folgen von Heroinkonsum: Er rückt die Korruption und die Machtspielchen innerhalb des Leipziger Polizeiapparats in den Fokus – und damit vor allem den unsympathischen Kollegen Stefan Dirks (Harald Schrott, Vergeltung), der sich mit Keppler ("Meine Stammkneipe ist das Büro.") am Billardtisch duelliert und ansonsten so ziemlich alles tut, was man als aufrichtiger Polizist möglichst nicht tun sollte.

Dass der auf großem Fuß lebende Beamte Dreck am Stecken haben muss, ist ebenso früh ersichtlich wie einige andere Aspekte des Falls, und so ist auch die Auflösung der Täterfrage(n) am Ende keine große Überraschung.

Deutlich positiver ins Gewicht fällt da die Leistung zweier Nebendarstellerinnen: Carolyn Genzkow (später regelmäßig als Kommissarsanwärterin Anna Feil im Berliner Tatort zu sehen) und Margarita Breitkreiz (Das Mädchen Galina) liefern als drogensüchtige Krupp-Tochter Amelie und Einwandererin Roza Arweladse starke Leistungen ab. Trotz weniger Dialogzeilen schafft es Genzkow, allein mit ihrer Körpersprache und einigen gequälten Lauten die Entzugserscheinungen ihrer Figur auf den Punkt zu bringen. Ihr Zusammenspiel mit Simone Thomalla ist zwar kurz, aber intensiv.

Angesichts dieser starken Darbietungen ist zu verschmerzen, dass die Ermittlungsarbeit bisweilen recht unprofessionell wirkt: Es ist eigentlich nur schwer vorstellbar, dass die Spurensicherung in der Wohnung der Toten den Blick in den Mülleimer vergisst oder niemand die Personalien eines Verdächtigen überprüft, um etwas über dessen Herkunft zu erfahren.

Welchen "Mist" der unter Tatverdacht stehende Krupp für Keppler in der Vergangenheit auf sich genommen hat, lässt der Krimi von Regisseur Nils Willbrandt (Mord in der ersten Liga) im Übrigen unbeantwortet.

Bewertung: 6/10

Häschen in der Grube

Folge: 712 | 23. November 2008 | Sender: BR | Regie: Dagmar Knöpfel
Bild: BR/Tellux-Film GmbH/Barbara Bauriedl
So war der Tatort:

Pflegefamiliär.

Denn Drehbuchautorin Ingeborg Bellmann hat sich in ihrem bis heute einzigen verfilmten Drehbuch ein Thema besonders groß auf die Fahnen geschrieben: Sie widmet sich in Häschen in der Grube hilfsbedürftigen Kindern aus Kriegsgebieten, die in deutschen Pflegefamilien aufwachsen, sowie den organisatorischen Hintergründen des entsprechenden Vermittlungssystems.

Die Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) staunen einleitend nicht schlecht: Stolze 3.000 Euro bekommen Werner Hübner (Martin Rapold, Freitod) und seine Ehefrau Anne (Stephanie Japp, Ohnmacht) monatlich von der "Stiftung Kinderhilfe" überwiesen, weil sie neben ihren leiblichen Kindern René (Janos Körtge) und Julia (Dido Knöpfel) auch das aus Turkmenistan eingeflogene Waisenmädchen Salima Khalil (Eslem Gür) groß ziehen.

Nicht nur für einen arbeitslosen Grafiker, der seinen Schwiegervater Andreas Greindl (Hans-Michael Rehberg, Schwarzer Advent) regelmäßig um Geld anpumpen muss, eine ganze Menge Geld. Dann aber liegt Werner Hübner tot am Ufer der Isar – und die bedauernswerte Salima muss in ihren jungen Jahren bereits zum zweiten Mal den Verlust ihres geliebten Vaters verkraften.

Überhaupt ist das Mädchen nicht zu beneiden, denn es leidet an Leukämie – wie auch einige andere turkmenische Kinder, die die Stiftung in die Obhut verschiedener Münchner Pflegefamilien vermittelt hat. Ob da alles mit rechten Dingen zu geht?

Krimierprobte Zuschauer dürften schon nach der Helikopter-Landung in der windigen Eröffnungssequenz erahnen, dass ein schmutziges Geschäft dahinter steckt und die Auflösung der klassischen Whodunit-Konstruktion fast zwangsläufig über dessen Offenlegung führt.

Häschen in der Grube ist ein klassischer, für Münchner Verhältnisse (vgl. Nie wieder frei sein, Der oide Depp, Am Ende des Flurs) aber etwas enttäuschender Tatort. Das liegt weniger an der angenehm kniffligen Täterfrage als vielmehr an der flachen Spannungskurve und der überfrachteten Geschichte.

Batic und Leitmayr begegnen bei ihrem 51. Einsatz mindestens drei bis vier Personen zu viel – unter anderem dem schnöseligen Teenager-Kotzbrocken Justus von Ahlen (Jonathan Beck) und seiner Freundin Caroline Puck (Sarah Beck), die ihren kampfsportinteressierten, aber alles andere als selbstsicheren Mitschüler René im Schulalltag quälen und das Ganze mit ihrem Handy filmen, bevor wenige Jahre später soziale Netzwerke wie Facebook und Instagram dem Cyber-Mobbing Tür und Tor öffnen.

Diese dünne Nebenhandlung wirkt nicht ganz ausgereift – noch bedauernswerter ist aber, dass wir über die Vorgeschichte der turkmenischen Kinder und deren leibliche Familien fast nichts erfahren. Die Kinder sind einfach da und sollen uns leid tun.

Drehbuchautorin Bellmann und Regisseurin Dagmar Knöpfel – der 712. Tatort markiert das Schaffensende beider Filmemacherinnen – widmen sich stattdessen neben dem Pflegefamiliensystem einem weiteren Schwerpunkt, der im Schlussdrittel die Oberhand gewinnt: dem prestigeträchtigen Kampf der Forschung gegen den Blutkrebs.

Wirklich Neues erfährt der Zuschauer nicht, vielmehr muss er den großartigen Schauspielern Joachim Król und Hanns Zischler dabei zusehen, wie sie in ihren eindimensionalen Nebenrollen als Dr. Dr. Martin Jahnn und Professor Ansgar Frey kaum gefordert werden und in Häschen in der Grube allenfalls Dienst nach Vorschrift verrichten.

Während Król und Zischler sich erst auf der Zielgeraden in den Vordergrund spielen dürfen, schwächelt die Besetzung an anderer Stelle: Die Nachwuchsdarsteller Janos Körtge, Dido Knöpfel und Eslem Gür sind schauspielerisch nicht immer auf der Höhe und verschwinden kurz nach diesem Tatort auch abseits der Krimireihe schnell wieder von der Bildfläche.

Und dann sind da noch zwei humorvolle Nebenschauplätze, die dem im Ansatz durchaus vielversprechenden Tatort zusätzlich Durchschlagskraft nehmen: Während sich die Kommissare im Präsidium mit der anstrengenden Polizeiakademie-Kollegin Dr. Jung (Gundi Ellert, Der schwarze Skorpion) herumschlagen, versorgt Batic nach Feierabend die Katze Sissi seiner ergrauten Nachbarin – ein mehr als seichter Bremsklotz am Bein der Kriminalhandlung, der im Vorabendprogramm deutlich besser aufgehoben gewesen wäre.

Bewertung: 5/10

Salzleiche

Folge: 711 | 16. November 2008 | Sender: NDR | Regie: Christiane Balthasar
Bild: NDR/Nik Konietzny/Carles Carabi Negueruela
So war der Tatort:

Radioaktiv.

Denn in Salzleiche verschlägt es LKA-Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) in die Nähe des atomaren Zwischenlagers in Gorleben, in dessen Richtung seit 1996 die Castor-Transporte aus dem französischen La Hague rollen: Wenige Meter entfernt liegen die Salzhalden eines Erkundungsbergwerks, das in diesem Tatort von Leiter Sören Kasper (Stephan Grossmann, Die fette Hoppe) als Endlager für Atommüll ins Spiel gebracht wird – und das als solches auch in der Realität seit den späten 70er Jahren zur Diskussion steht.

Die Drehbuchautoren Johannes W. Betz (Häuserkampf) und Max Eipp (Mord auf Langeoog) skizzieren diese Debatte in angemessener Ausführlichkeit und setzen ansonsten auf einen klassischen Whodunit: In den Salzhalden gräbt ein Hund den Arm einer Leiche aus, der der salzhaltige Boden fast das gesamte Wasser entzogen hat und die so zum "Ötzi von Gorleben" geworden ist ("Der Mann wurde gewissermaßen gepökelt!").

Ein origineller Einstieg und ein alles andere als alltäglicher Fall für Charlotte Lindholm, die bei ihrem dreizehnten Einsatz von Polizist Jakob Halder (Matthias Bundschuh, Ätzend) unterstützt wird, aber eigentlich andere Sorgen hat: Die Suche nach einem Krippenplatz für Sohn David (Tarik Can Bas) gestaltet sich schwierig und ihrem treuen Mitbewohner Martin Felser (Ingo Naujoks), der – passend zum Tatort – Kaninchen im Salzmantel kocht und für das Kind alles stehen und liegen lassen würde, möchte sie den Kleinen nicht überlassen.

Auch der junge Gerichtsmediziner Edgar Strelow (David Rott, Erntedank e.V.) holt sich bei Lindholm zum wiederholten Male einen Korb – wenngleich er nicht ihr Kind hüten, sondern sie zum Essen ausführen möchte.


LINDHOLM:
Sie bewundern mich, stimmt's?

EDGAR:
Ja, Sie sind ja auch bewundernswert.


Die selbstherrliche Inszenierung der Figur Charlotte Lindholm ist hinlänglich bekannt, doch der dreizehnte Auftritt der ach so toughen Beamtin, die selbst frühmorgens beim Räkeln in den Bettlaken aussieht wie aus dem Ei gepellt, sucht beim Blick auf die bisherigen Folgen seinesgleichen. Der zweite Tatort unter Regie von Christiane Balthasar (Vergessene Erinnerung) ist einer dieser Beiträge, in denen das Seelenleben der alleinerziehenden Mutter wichtiger scheint als alles andere: Alle paar Minuten darf der Zuschauer an Lindholms Privatleben teilhaben – das erstickt jede Spannung im Keim, so dass die Geschichte erst im Schlussdrittel auf Touren kommt.

Wirkt Lindholm bei einer einleitenden Stippvisite im Bergwerk noch so interessiert wie eine Pauschaltouristin beim Besuch einer Tropfsteinhöhle, flaniert sie später gemütlich im Sonnenschein durch Barcelona und Sitges, um den spanischen Vater ihres Kindes zu suchen und radebrechend die Ermittlungen voranzutreiben ("Could you please help me with my koffer, por favor?").

Irgendwann hält sie gar eine radioaktive Kapsel in den Händen und es schaltet sich plötzlich der Bundesnachrichtendienst ein – natürlich nicht, ohne seinem Lockvogel wider Willen überschwänglich zu danken ("Sie haben Ihrem Land einen Dienst erwiesen, Frau Lindholm!"). Wahnsinn. Da staunt selbst Kollegin Belinda Utzmann (Catrin Striebeck) Bauklötze, die zum vierten Mal im Tatort aus Niedersachsen zu sehen ist und Lindholm bei einer entscheidenden Recherche unter die Arme greift.

Peinlicher Höhepunkt dieses figurverliebten Ego-Trips ist aber der Besuch beim überzeichneten Hacker Elvis (Josef Heynert, Brandmal): Lindholm gönnt sich einen Zug an dessen Joint, hat plötzlich Visionen und muss die Nacht auf seiner Couch verbringen.

Nur gut, dass sich die Suche nach dem Täter dank überdeutlich gestreuter Hinweise simpel gestaltet und Zeit für solchen Firlefanz bleibt: Neben dem verbitterten Ex-Geologen Manfred Sandmann (Rainer Sellien), dem Bergwerksangestellten Erwin Augenthaler (Rainer Bock, Nie wieder frei sein) und der Anti-Atomkraft-Aktivistin Welany (Eva Weißenborn) gibt es schließlich nur noch eine weitere Figur, die auffällig viel von ihrem Leben nach Feierabend preisgibt und nicht nach einer halben Stunde das Zeitliche segnet.

Das Motiv? Eines der ältesten in der Geschichte der Menschheit. Die Atomkraft hätte es dafür nicht gebraucht – aber zumindest die tollen Schauwerte und schicken Wendland-Panoramen sind das Einschalten wert.

Bewertung: 4/10

Wolfsstunde

Folge: 710 | 9. November 2008 | Sender: WDR | Regie: Kilian Riedhof
Bild: WDR/Uwe Stratmann
So war der Tatort:

Feindselig.

Und das vor allem auf dem Polizeipräsidium: In Wolfsstunde herrscht dort schlechte Stimmung wie selten in Münster.

Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) gegen Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers), Thiel gegen Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann), Thiel gegen Assistentin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter), Thiel gegen die geladene Presse (inkl. Cameo-Auftritt von Jörg Pilawa) und irgendwann sogar Thiel gegen Thiel: Selbst "Vaddern" Herbert (Claus-Dieter Clausnitzer) hat neunmalkluge Ratschläge für seinen entnervten Sohn parat, als er ihn bei einer Stippvisite durch Hamburg kutschiert.

Er muss ordentlich einstecken, der Hauptkommissar – und anders als bei den bisherigen amüsanten Neckereien Boernes, die seit jeher fest zum Erfolgsrezept des Krimis aus Münster zählen, schlägt ihm die Feindseligkeit in dieser Tatort-Folge mit bitterem Ernst entgegen.

Und das alles nur, weil Thiel der Einzige ist, der an die zunächst ziemlich abwegig erscheinende Unschuld des psychisch labilen André Pütz (Thomas Dannemann, Im Sog des Bösen) glaubt: Dem Kriegsfotografen wird ein grausamer Sexualmord zur Last gelegt, alle Indizien sprechen gegen ihn – und außer dem Kommissar scheint die Theorie von einem Serientäter, der sein ehemaliges Opfer Anna Schäfer (Katharina Lorenz, Familienbande) ein zweites Mal aufsuchen könnte, niemand zu teilen.

Zu allem Überfluss lässt sich Thiel, der sich im 710. Tatort nach einem Anruf unter der Dusche mit entblößtem Penis zeigt, bei einer knackigen Verfolgungsjagd über die Dächer der Studentenstadt auch noch vorführen. Au weia.

Wer am Ende Recht behält, ist zwar leicht vorherzusehen – doch als Whodunit funktioniert der Krimi ohnehin nur bedingt, weil die Auflösung eine halbe Stunde vor dem Abspann aus dem Hut gezaubert wird und der Täter vorher gar nicht auf der Bildfläche erscheint.

Regisseur Kilian Riedhof, der gemeinsam mit Marc Blöbaum (Borowski und die heile Welt) auch das Drehbuch zum Film schrieb, inszeniert vielmehr ein fesselndes Katz-und-Maus-Spiel, bei dem der Täter sein Opfer genüsslich vor sich hertreibt.

Schauspielerin Katharina Lorenz zeigt als bedauernswertes Ziel der Begierde bei einem stark gespielten Zusammenbruch, was sie auf dem Kasten hat, während Arnd Klawitter (Der illegale Tod) als stalkender Sascha Kröger schon durch sein braves Aussehen den Teufel im Eichhörnchenkostüm allgegenwärtig erscheinen lässt.

Dass es schließlich Boerne ist, der nach einem plötzlichen Sinneswandel den entscheidenden Beitrag zur Überführung des Täters leistet, wirkt zwar nicht ganz glaubwürdig – es bleibt aber eine von wenigen Schwächen in einem ansonsten hervorragend arrangierten und stellenweise hochspannenden Krimi, der zudem mit vielen gelungenen Gags punktet.

Für den in den Jahren danach fast nur noch auf Humor ausgerichteten Tatort aus Westfalen ist der hohe Thrill-Faktor bemerkenswert: Selbst der köstlich-peinliche Online-Date-Fauxpas des ewig frotzelnden Boerne ("Wenn ich eine Kleinfamilie gründen möchte, wende ich mich an Sie.") mit Silke "Alberich" Haller (Christine Urspruch) verändert den Erzählton nicht nachhaltig.

Dass man so stark mit den Figuren des Krimis fiebert, liegt im Übrigen auch daran, dass deren Anzahl überschaubar bleibt: Im Schlussdrittel dreht sich alles nur noch um Schäfer, deren Vertrauensgespräche mit Thiel nicht immer so enden, wie es sich der alleinstehende FC St. Pauli-Fan wohl gewünscht hätte.


SCHÄFER:
Spielen die international?

THIEL:
Nee, die spielen bei Nieselregen.


Bewertung: 8/10

Auf der Sonnenseite

Folge: 709 | 26. Oktober 2008 | Sender: NDR | Regie: Richard Huber
Bild: NDR/Georges Pauly
So war der Tatort:

Revolutionär.

Denn der federführende NDR präsentiert dem verdutzten Tatort-Stammpublikum 2008 einen Ermittler, der der Gesamtreihe gleich in mehrerer Hinsicht den ausgestreckten Mittelfinger zeigt: Cenk Batu, verkörpert vom leinwanderprobten Mehmet Kurtulus (Wem Ehre gebührt), ist nicht nur der erste Undercover-Mann in der Geschichte der Reihe, sondern zugleich der erste Ermittler mit türkischem Migrationshintergrund.

Und damit nicht genug: Der NDR pfeift auf das für den Tatort existenzielle Whodunit-Prinzip, schickt den charismatischen Batu, der von seinem Vorgesetzten Kohnau (Martin Jordan) nomadenhaft in komplett eingerichteten Mietwohnungen einquartiert wird, bei seinem ersten Einsatz ohne Auftaktmord ins Rennen und orientiert sich eher am Spionagefilm als an den eingefahrenen Sonntagabend-Prinzipien.

Das wurde zu Recht belohnt: Auf der Sonnenseite wurde 2009 nicht nur für die Goldene Kamera in der Kategorie "Bester Fernsehfilm" nominiert, sondern auch mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet. Kameramann Martin Langer erhielt den Deutschen Fernsehpreis. Von den Kritikern gefeiert, hat Cenk Batu dennoch von Anfang an ein Problem – er fällt bei den Zuschauern durch und stürzt die ARD am Sonntagabend regelmäßig ins Quotentief.

An der Qualität seines Debüt-Tatorts liegt das freilich nicht: Regisseur Richard Huber (Vergissmeinnicht) arrangiert Auf der Sonnenseite clever und vor allem auf der Zielgeraden hochspannend.

Batus erster Einsatz ist kultverdächtig: Allein die regelmäßigen Treffen mit Kohnau, der wahlweise in der Barmbeker U-Bahn, der Umkleidekabine eines Schwimmbads oder zwischen Hafencontainern von seinem Undercover-Schützling auf den neuesten Stand gebracht wird, mutieren in Rekordzeit zum Running Gag.

Wie sehr die beiden Kollegen, die zwischendurch auch noch fleißig mit Vorurteilen aufräumen, voneinander abhängig sind, offenbart sich spätestens beim geschickt angelegten Showdown: Kohnau ist in seinem Überwachungswagen zwar über alles informiert, aber machtlos zum Zuschauen verurteilt.

Und wird wie das Fernsehpublikum Zeuge dessen, dass der Tatort auch 2008 noch zu überraschen vermag.


KOHNAU:
Ich dachte immer, ihr Türken haltet zusammen? 

BATU:
Bei Fußball und Eurovision vielleicht.


Bewertung: 10/10

Borowski und die einsamen Herzen

Folge: 707 | 12. Oktober 2008 | Sender: NDR | Regie: Lars Jessen
Bild: NDR/Marion von der Mehden
So war der Tatort:

Jung-gesellig.

Der Auftakt dieses Krimis aus dem hohen Norden ist nämlich Programm, schmettert uns doch nach dem obligatorischen Tatort-Intro direkt Dean Martins "You're nobody till somebody loves you" entgegen. Passend dazu sehen wir ein sich küssendes Paar vor strahlend blauem Himmel, einen Luftballon in Herzform, unbekümmert fröhliche Menschen in Straßencafés – und fragen uns: Ist das wirklich ein Tatort aus Kiel?

Es ist tatsächlich einer. Und doch bieten Regisseur Lars Jessen (Die chinesische Prinzessin) und Drehbuchautor Thomas Schwank, die beide ihr Debüt in der Krimireihe geben, diesmal ohne Frage ein ziemliches Kontrastprogramm. Ruft man sich frühere Beiträge mit dem kauzigen und oft wortkargen Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) in Erinnerung – etwa den Vorgänger und Meilenstein Borowski und das Mädchen im Moor, der beispielhaft für die oft düster und makaber arrangierten Krimis von der Förde steht – ist die seicht inszenierte und beschwingt-heiter daherkommende erste Filmhälfte von Borowski und die einsamen Herzen gewöhnungsbedürftig.

Dabei geht in Kiel ein/e Serientäter/in um: Zwei alleinstehende Männer mittleren Alters wurden auf nahezu identische Weise mit einem Faustmesser getötet, wie Kriminaltechniker Ernst Klee (Jan Peter Heyne) schnell erkennt. Und noch eine Gemeinsamkeit lässt sich ausmachen: Beide suchten per Chiffre-Anzeige im "Kieler Boten" eine Partnerin. Die Befragungen des Möchtegern-Frauenhelden Küster (Mathias Herrmann, Der schwarze Troll) führen allerdings ebenso wenig weiter wie ein Besuch beim jugendlichen Messerverkäufer Marcel Günter (Dennis Prinz). Und so wird der seit Jahren von seiner Frau geschiedene Junggeselle Borowski vom besorgten Kriminalrat Roland Schladitz (Thomas Kügel) kurzerhand mit einer neuen Identität ausgestattet und undercover in die Kieler Single-Szene geschickt. Nach Meinung von Polizeipsychologin Frieda Jung (Maren Eggert) passt er als "Durchschnittsmann" perfekt ins Opferprofil.

Das ist Ermittlungsarbeit – und auch Borowski selbst – mal ganz anders. Unter dem Decknamen "Peter Berger" darf (oder muss) der etwas steife Kommissar in einem Hafencafé nicht nur seinen Charme spielen lassen, sondern auch seine Wirkung auf das weibliche Geschlecht testen. Das klappt mal mehr, mal weniger gut, ist aber dank Milbergs nuanciertem Spiel ungemein unterhaltsam und sorgt gerade in Verbindung mit der sachlich-analytischen und stets etwas zugeknöpften Frieda Jung für zahlreiche pointierte Wortwechsel.


BOROWSKI:
Ich habe keine Lust, immer nur als Lustobjekt zu dienen.

JUNG:
Sie bekommen jetzt Wasser statt Kaffee. Sonst hält ihr Herz das nicht aus.

BOROWSKI:
Mein Herz muss noch mit ganz anderen Dingen fertig werden.


Die ironisch-doppeldeutigen Dialoge treffen wie gewohnt ins Schwarze und zählen ohne Frage zu den Highlights dieser Folge. Für die Figurenentwicklung sind diese Momente Gold wert, es menschelt und knistert zwischen zwischen Borowski und Jung wie selten zuvor, auch wenn sich die Psychologin die eine oder andere Spitze nicht verkneifen kann. Da hätte es die seltsam kitschigen Tagträume des Kommissars nicht gebraucht: Sie lassen den Film auf einem schmalen Grat zur Parodie wandeln.

Doch so gerne man den beiden zusieht und so vergnüglich sich das Ganze gestaltet, ein Wermutstropfen bleibt: Der Kriminalfall gerät aus dem Fokus und kommt erst nach einer knappen Stunde in Bewegung. Unter den weiblichen Singles erregt besonders die selbstbewusste und mit allen Wassern gewaschene Gundula Beck (Gabriela Maria Schmeide, Die Wiederkehr) Borowskis Interesse. Sie kommt im Vergleich zu ihrer schüchternen Freundin Anne Schilling (Astrid Meyerfeldt, Krumme Hunde) bei den Männern deutlich besser an. Das ist besonders ihrem Ex-Mann Jan Petersen (Wolfram Koch, ab 2015 als Hauptkommissar Paul Brix im Frankfurter Tatort im Einsatz) ein Dorn im Auge.

Spannung will sich erst in der zweiten Filmhälfte einstellen, wenn sich der 707. Tatort in gewohnte Fahrwasser begibt und Borowski wieder in seiner eigentlichen Berufung agieren darf. Die Täterfrage stellt geübte Tatort-Fans zu diesem Zeitpunkt allerdings vor kein allzu großes Rätsel mehr und auch der finale Showdown wirkt eher ungewollt komisch als wirklich fesselnd.

So geht Borowski und die einsamen Herzen als sehenswerter, aber angesichts der eher flachen Spannungskurve und schlichten Handlung nicht ganz überzeugender Fall in die Tatort-Annalen ein. Daran ändert auch die Mitwirkung von Tatort-Stammgast Peter Jordan, der von 2008 bis 2012 im Hamburger Tatort Cenk Batus Vorgesetzten Uwe Krohnau mimte, nichts: Jordan mimt den Anzeigenleiter des Kieler Boten und hat sein Herzblatt im realen Leben schon Ende der 90er Jahre gefunden. Es ist Maren Eggert.

Bewertung: 6/10

Der glückliche Tod

Folge: 706 | 5. Oktober 2008 | Sender: SWR | Regie: Aelrun Goette
Bild: SWR/Krause-Burberg
So war der Tatort:

Todtraurig.

Damit steht Der glückliche Tod inhaltlich ganz bewusst im krassen Gegensatz zu seinem vermeintlich harmonischen Titel, der in typischer Ludwigshafen-Manier eine gesellschaftliche Problematik aufgreift, die seit Jahrzehnten emotional diskutiert und in europäischen Nachbarländern anders praktiziert wird als in der Bundesrepublik: die Sterbehilfe.

In der Schweiz und in den Niederlanden sei sie legal, wird der Zuschauer gleich zum Einstieg von den Hauptkommissaren Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Mario Kopper (Andreas Hoppe) mit dem nötigen Basiswissen versorgt, um in der Folge zu verstehen, wie das für eine Sterbehilfe-Organisation arbeitende Mordopfer überhaupt in den Besitz der tödlichen Medikamente gelangen konnte, die man in den Taschen der Wasserleiche am Rheinufer findet.

Fast zwangsläufig passiert in der Folge dann das, was schon vielen sozial- und gesellschaftskritischen Tatort-Folgen das Genick gebrochen hat: Kriminalhandlung und Täterfrage kommen zu kurz.

Verdächtige gibt es zwar ein halbes Dutzend, doch wenn mit der einmal mehr überragend aufspielenden Susanne Lothar (Der Teufel vom Berg) und dem kaum weniger begeisternden Frank Giering (Blick in den Abgrund) zwei Top-Schauspieler der deutschen TV-Landschaft zum Cast zählen, kann wieder mal die Uhr danach gestellt werden, dass einer der beiden am Ende den Mörder mimt. Dass die beiden nur wenige Jahre nach der Erstausstrahlung des Tatorts viel zu früh verstarben, verleiht dem Sterbehilfe-Krimi im Nachhinein fast einen grotesken Charakter.

Regisseurin Aelrun Goette und Drehbuchautor André Georgi (Fette Hunde) erzählen eine Geschichte, die eigentlich alles mitbringt, um zumindest als berührendes Drama zu punkten – dass dies trotz erzählerischem Tatort-Gerüst möglich ist, haben herausragende Münchener Folgen wie Kleine Herzen oder Im freien Fall schließlich längst bewiesen.

Im 706. Tatort, der die Sterbehilfefrage am zweifellos ergreifenden Schicksal der todkranken Julia Frege (Stella Kunkat, Altlasten) abarbeitet, bleibt am Ende aber zu viel Stückwerk, als dass sich unter dem Strich eine wirklich tragische Wucht entfalten würde. "Ein Sterbehilfe-Medikament für ein 17-jähriges Mädchen - wer macht sowas?", fragt die zu Tränen gerührte Kommissarin in einem anderen Moment des Films, blickt bedeutungsschwanger an der Kamera vorbei ins Nichts und spricht damit aus, was sich der Zuschauer längst gedacht hat.

Koppers Dauerschimpfen auf die Sterbehilfe gerät viel zu undifferenziert, die peitschende, oft völlig übertriebene Filmmusik passt erst auf der Zielgeraden zum Geschehen, und selbst Odenthals Tränen kommen mindestens zwanzig Minuten zu früh.

Da passt es ins Bild, dass Georgi mit der Brechstange einen halbgaren Urlaubsflirt von Assistentin Edith Keller (Annalena Schmidt) in den Plot hämmert, dessen seichter Telenovela-Ton angesichts der todernsten Grundstimmung das größte Ärgernis eines Tatorts darstellt, der sein Potenzial am Ende zu selten ausschöpft.

Sehenswert ist Der glückliche Tod trotzdem: Allein der überragende Cast um Lothar und Giering, die die übrige Besetzung im letzten Filmdrittel mühelos an die Wand spielen, ist das Einschalten wert.

Bewertung: 7/10

In eigener Sache

Folge: 702 | 17. August 2008 | Sender: SWR | Regie: Elmar Fischer
Bild: SWR/Krause-Burberg
So war der Tatort:

Noch förmlich.

Auch bei ihrem zweiten gemeinsamen Einsatz in Stuttgart reden sich die neuen Stuttgarter Hauptkommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) nämlich noch höflich mit "Sie" an.

Nach dem ersten Beschnuppern in der mäßig unterhaltsamen Auftaktepisode Hart an der Grenze schaltet Regisseur Elmar Fischer (Ein neues Leben), der bereits den wenig schwäbischen Erstling inszenierte, diesmal einen Gang hoch: Zwei Leichen und einen Schwerverletzten finden die beiden Ermittler in einem Hotelzimmer des Stuttgarter Nobelhotels Maritim. Das Besondere daran: Bei der einen Leiche handelt es sich um einen Polizisten, beim Schwerverletzten um einen verdeckten Ermittler der Drogenfahndung.

Schnell dämmert Lannert und Bootz, dass die beiden Überlebenden der Schießerei, die Rauschgiftfahnder Sven Wippermann (Charly Hübner, Kaltes Herz) und Jürgen Wolf (Bernd Gnann, Im Abseits), ihre ganze eigene Version des blutigen Zugriffs zu Protokoll geben.

Hierbei lässt sich ein auffälliger Qualitätsunterschied beobachten: Während die Verhöre von Wolf authentisch sind und dem Zuschauer einige Rätsel aufgeben, wirken die Dialoge mit Wippermann, den Lannert und Bootz getrennt voneinander befragen, oft hölzern und unnötig gekünstelt. Exemplarisch dafür sei dieser seltsame Wortwechsel an der Seitenlinie eines Fußballfeldes genannt, als Wippermanns Sohn auf Torejagd geht:


BOOTZ:
Mann, der ist ja echt schnell, dein Junge.

WIPPERMANN:
Ja, der hat'n gutes Ballgefühl.


Was Schnelligkeit und Ballgefühl miteinander zu tun haben, bleibt wohl das Geheimnis von Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt (Tödliche Tarnung), der bereits das Skript zu Hart an der Grenze beisteuerte.

Dass Wippermann ein Nachbar von Bootz und die Ehefrauen Julia Bootz (Maja Schöne) und Martina Wippermann (Tatort-Debütantin Fanny Staffa) beste Freundinnen sind, macht die Sache für den Kommissar nicht leichter: Schon bald muss Bootz seinem Nachbarn die unbequeme Frage nach Recht und Gerechtigkeit stellen, die im packenden und stark inszenierten Finale – inkl. SEK-Einsatz, versteht sich – zum Schlüsselmoment des Films wird.

Ob hingegen Hauptkommissar Lannert seiner neuen Nachbarin Lona (Birthe Wolter), die er bei einem Stromausfall und Kerzenschein näher kennenlernt, seinen Wohnungsschlüssel aushändigt, lässt der 702. Tatort im Unklaren – sicher ist aber, dass die romantischen Begegnungen mit der deutlich jüngeren Germanistik-Studentin erstmalig Gelegenheit bieten, ein wenig mehr über den aus Hamburg zugezogenen Ermittler zu erzählen. Der Tod seiner Schwester (oder vielleicht doch seiner Frau?) nimmt den Kommissar noch immer sehr mit, rührt ihn gar zu Tränen.

Seine hübsche Nachbarin, auf deren Einweihungsparty sich alle Gäste zeitgleich ohne Abschiedsumarmung verdrücken, lässt er hingegen eiskalt abblitzen: zu jung. "Ich hab schon ein Leben hinter mir", verrät der Kommissar – und duzt seinen Kollegen, dem er das Leben retten darf, am Ende schließlich doch noch.

Bewertung: 7/10

Ausweglos

Folge: 701 | 6. Juli 2008 | Sender: MDR | Regie: Hajo Gies
Bild: MDR/Saxonia/Steffen Junghans
So war der Tatort:

Kollegialer – zumindest ein bisschen.

Nicht einmal gegrüßt hatte Hauptkommissar Andreas Keppler (Martin Wuttke) seinen neuen Kollegen von der Spurensicherung, Wolfgang Menzel (Maxim Mehmet), beim Debüt des neuen Leipziger Ermittlerteams in Todesstrafe.

Diesmal gibt sich Keppler zwar nicht minder mürrisch, bringt aber immerhin ein frostiges "Guten Morgen" über die Lippen. Und lässt sich beim Fund der zweiten Leiche, die von einer Brücke gestürzt wurde, sogar ein Lob entlocken, als ihn Kollegin Eva Saalfeld (Simone Thomalla) wimpernklimpernd darum bittet. Keine Frage: Keppler, der auch im zweiten gemeinsamen Einsatz mit Saalfeld, der die Sommerpause 2008 beendet, ein Pensionszimmer bewohnt, ist bisher eindeutig die interessantere Ermittlerfigur.

Das liegt nicht zuletzt an Wuttkes schauspielerischen Qualitäten, mit denen Thomalla selten mithalten kann: Die Hauptdarstellerin schauspielert sich auch in Ausweglos mit einem fast immergleichen Gesichtsausdruck durch den kompletten Tatort. Eindrucksvoller Beleg dessen ist die Szene, in dem sie dem tatverdächtigen Peter Marquardt (Oliver Stokowski, Königskinder) mit stoischer Miene eine Drohung an den Kopf wirft:


SAALFELD:
Wenn Sie das getan haben, das schwöre ich Ihnen – dann sorge ich persönlich dafür, dass Sie in die Hölle kommen.


Zornesfalten auf ihrer Stirn? Zusammengekniffene Augen? Ein Blick, der töten könnte?

Mitnichten. Die Miene der Schauspielerin unterscheidet sich nicht im Geringsten von jener erstaunten, die sie aufsetzt, als Keppler ihr im Präsidium stolz seine neuesten Ermittlungsergebnisse präsentiert, und gießt damit reichlich Wasser auf die Mühlen ihrer Kritiker.

Doch auch unabhängig von diesen Steilvorlagen fürs Thomalla-Bashing ist der 701. Tatort nicht so stimmig, wie man ihn sich wünschen würde: Das clever ausgearbeitete Drehbuch von Andreas Pflüger (Falsches Leben), das lediglich den Schwangerschaftstwist ein wenig zu früh platziert, ist klasse – die Inszenierung von Hajo Gies (inszenierte einst den ersten Schimanski-Tatort Duisburg-Ruhrort) ist es leider nicht.

Selten will echte Spannung aufkommen – nicht einmal, als Keppler und Saalfeld auf der Suche nach einem vermissten Säugling eine Wohnung stürmen oder Julia Marquardt (Inka Friedrich, Schwarze Tiger, weiße Löwen) auf Schreiner Manuel Körting (Hinnerk Schönemann, Seenot) losgeht. Vor allem das Finale in der Schreinerwerkstatt gerät eher unfreiwillig komisch – reckt Marquardt doch eine gefühlte Ewigkeit lang ein riesiges Messer gen Himmel, um natürlich in letzter Sekunde am tödlichen Stoß gehindert zu werden.

Es sind unfreiwillig komische Schwachstellen wie diese, die Ausweglos deutlich weniger sehenswert machen, als es das starke Drehbuch verdient hätte. So versandet auch der zweite Einsatz von Keppler und Saalfeld, die dieses Mal deutlich mehr von ihrer gemeinsamen Vergangenheit preisgeben, trotz der guten Ansätze letzlich nur im grauen Mittelmaß.

Bewertung: 5/10

Todesstrafe

Folge: 700 | 25. Mai 2008 | Sender: MDR | Regie: Tobias Ineichen
Bild: MDR/Junghans
So war der Tatort:

Mürrisch.

Beim Debüt des neuen Leipziger Ermittlerduos drängt sich die frühere Lebensgefährtin des 2019 verstorbenen Ex-Schalke-04-Managers Rudi Assauer – Simone Thomalla (Berliner Weiße) – in ihrer neuen TV-Rolle als Hauptkommissarin Eva Saalfeld nämlich nicht etwa in den Mittelpunkt. Dafür steht das ausgewählte Titelbild zu dieser Kritik exemplarisch.

Nein, es ist Saalfelds neuer beruflicher – und alter privater – Partner Andreas Keppler (Martin Wuttke, Pauline), den niemand beim Vornamen nennen und schon nach wenigen Stunden Ermittlungsarbeit kaum jemand mehr leiden mag, der den 700. Tatort als Figur von Beginn an dominiert.

Saalfelds unterschwellige Faszination für den Mann, mit dem sie drei Jahre verheiratet war, und der ihn nach zehn Jahren plötzlich im Polizeipräsidium gegenüber sitzt, lässt sich eigentlich kaum nachvollziehen: Keppler ist ein mürrischer Kotzbrocken, ein wortkarger Eigenbrötler, ein nie lächelnder, nie grüßender Alleingänger, kurz: ein Arschloch. Aber eben auch ein Profi.

Für eine/n Tatort-Kommissar/in sind Ecken und Kanten naturgemäß prächtige Voraussetzungen, um beim Zuschauer nachhaltig im Kopf zu bleiben, doch letztere lässt Saalfeld im Gegensatz zu Keppler leider gänzlich vermissen.

Die Drehbuchautoren Mario Giordano (Altes Eisen) und Andreas Schlüter, die bereits die Folge Racheengel mit den Leipziger Vorgängern Kain und Ehrlicher zusammen schrieben, scheinen in Todesstrafe keinen großen Wert darauf zu legen, der weiblichen Hauptfigur bei ihrem Debüt charakterliche Tiefe zu verleihen. Eva Saalfeld definiert sich ausschließlich über ihren Ex-Mann – selbst als sie ihren Neffen abholt und fix bei der Verwandtschaft vorbeibringt, ist es Keppler, dem die Szene gehört.

Minimalmimin Thomalla, trotz vieler kleiner Rollen im TV bis 2008 in erster Linie durch den Kult-Werbespot "Nur gucken, nicht anfassen!" und die zahlreichen öffentlichen Auftritte mit dem später an Alzheimer erkrankten Assauer bekannt geworden, braucht im 700. Tatort nicht viel mehr zu tun, als ihre tiefroten Lippen zu schürzen und sich mit ihren dunklen Wimpern durch den Krimi zu klimpern.

Dass ihr inflationär zum Einsatz kommender Schlafzimmerblick für die Rolle ausreicht, mag man ihr nicht einmal vorwerfen – Thomalla, die sich 90 Minuten lang in knallenge Lederoutfits presst, ist zwar Hauptdarstellerin, wirkt aber oft wie schmückendes Beiwerk.

Die Rahmenhandlung um den Kindesmissbrauch und die im Raum stehende Selbstjustiz und Todesstrafe ist im Übrigen kaum der Rede wert – Regisseur Patrick Winczewski (Im Netz der Lügen) knüpft bei seiner mühsamen und selten spannenden Inszenierung nahtlos an das einfallsarme Drehbuch an.

Unfreiwilligen Unterhaltungswert bieten aber mal wieder die unterirdisch schauspielernden Statisten: Allein die Chorprobensequenz, in der die engagierten Laiendarsteller im Hintergrund ihren ganz eigenen Film spielen, ist das Einschalten wert.

Bewertung: 4/10

Krumme Hunde

Folge: 699 | 18. Mai 2008 | Sender: WDR | Regie: Manfred Stelzer
Bild: WDR/Guido Engels
So war der Tatort:

Heimlichtuerisch.

Denn seine schwarze Mütze trägt Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) bei seinem 13. Einsatz in Münster nur aus einem einzigen Grund: Prahl hatte im Video zum Wir-sind-Helden-Song Wenn es passiert einen Auftritt mit Irokesenschnitt – und blöderweise vergessen, dass kurz darauf die Tatort-Dreharbeiten anstanden.

Immerhin: Gedreht wurde Krumme Hunde bei mützenkompatiblen Temperaturen im Herbst, und so wird auch erst in den Schlussminuten das Geheimnis gelüftet, was unter der Mütze steckt – ein ziemlich skurriler Anblick, der ohne Kenntnis der Entstehungsgeschichte allerdings in der Luft hängt und nicht der einzige Holzhammer-Gag ist, der in diesem Tatort nicht so recht zünden will.

Das eingespielte Drehbuchautorenduo Stefan Cantz und Jan Hinter liefert nämlich einen wenig originellen Münster-Tatort vom Reißbrett: Die wild konstruierte Geschichte, bei der am Ende alles irgendwie mit allem verknüpft ist, wird mit den üblichen Frotzeleien und vielen müden Witzchen angereichert – Spannung ist dabei kaum vorhanden.

Dass sich Krumme Hunde eher wie ein seichter Vorabendkrimi fühlt, liegt aber auch am tierischen Faktor: Der 699. Tatort schwimmt im Fahrwasser von Vorabendserien wie Da kommt Kalle oder Unser Charly, denn die riesige Dogge, der Assistentin Silke "Alberich" Haller (Christine Urspruch) fast auf Augenhöhe begegnet, ist zweifellos das Erinnerungswürdigste an dieser enttäuschenden Tatort-Folge.

27 Jahre nach dem letzten Auftritt des Münchner Oberkommissars Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer), der regelmäßig seinen Dackel Oswald mit ins Büro nahm, hält der Hund nach dem einleitenden Tod seines Herrchens, eines Privatdetektivs, vor allem den beeindruckten Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) auf Trab und darf die Ermittlungen in bester Kommissar Rex-Manier entscheidend beeinflussen.

Es ist einer der seltenen Momente, in denen Boerne mal eine Schwäche einräumt – ansonsten ist der eitle Gerichtsmediziner wieder voll in seinem Element.


THIEL:
Herr Professor, dürfte ich Sie bitten, ganz kurz draußen Platz zu nehmen?

BOERNE:
Nein. Das ist eine Unverschämtheit, ich bleibe hier!

THIEL (GEHT):
Der Klügere gibt nach.
BOERNE:
Ich geb ja gar nicht nach?


Zu selten trifft der Dialogwitz wie hier ins Schwarze, zu selten wirkt die Situationskomik nicht platt und kalkuliert, und zu selten brechen die Figuren unter Regie von Manfred Stelzer (Ruhe sanft) aus den Mustern aus, die wir im Tatort aus Münster seit 2002 schon viele Male zu sehen bekommen haben.

So darf sich Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) diesmal in Sachen Nikotinsucht, auf die sie erneut reduziert wird, von Herbert "Vaddern" Thiel (Claus-Dieter Clausnitzer) – besser gesagt von dessen weit angereister Freundin Asha (Ute Lubosch, Kindstod) - beraten lassen. Die emsige Assistentin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) bringt die Ermittlungsarbeit da schon deutlich mehr voran, doch wer den ermordeten Privatdetektiv auf dem Gewissen hat, gerät in diesem Tatort ohnehin oft zur Nebensache.

Viel wichtiger als die Auflösung scheint den Filmemachern zu sein, dass der mit einem auffälligen, syltförmigen Muttermal ausgestattete Tote mit Boerne verwandt ist und sich das auf den Streit mit seiner Cousine Henriette (Astrid Meyerfeld, Ein Hauch von Hollywood) auswirkt, die es wie er auf das Erbe seines wohlhabenden Onkels Rudolf (Traugott Buhre, Sterben für die Erben) abgesehen hat – eine auffällige Parallele zur späteren Tatort-Folge Erkläre Chimäre.

Die Rahmenhandlung um den Unternehmer und Hobby-Piloten Markus Rummel (Alexander Beyer, Schlaraffenland), seine getrennt lebende Ehefrau Sabine (Henriette Heinze, Das namenlose Mädchen) und seine neue Flamme Christine Schauer (stets an der Grenze zum Over-Acting: Nadeshda Brennicke, Die Blume des Bösen) wird dadurch immer wieder aus dem Blickfeld gedrängt, ist aber ohnehin recht schwach auf der Brust – ganz anders als Thiel, der bei einer Verfolgungsjagd per pedes all jene Zuschauer eines Besseren belehrt, die dem moppeligen Kommissar eine solche sportliche Einlage gar nicht zugetraut hätten.

Auch Kommissar Zufall läuft in dieser Krimikomödie zu Hochform auf – zum Beispiel bei Thiels Besuch in einem Altenheim, bei dem die Zimmernachbarin einer gesuchten Rentnerin just in dem Moment hereinschneit, in dem Thiel mit seiner Spurensuche nicht vorankommt und ihm natürlich gleich den entscheidenden Tipp für die Antwort auf die Täterfrage geben kann.

Ansonsten ist Thiel in Krumme Hunde selten um eine Antwort verlegen – auch nicht bei der wunderbaren Hommage an die vielzitierte Flugplatz-Szene aus Casablanca, die zugleich der deutlich bessere Abschlussgag in diesem Tatort gewesen wäre als jener, für den sich die Filmemacher entschieden haben.


BOERNE:
Ich glaube, das ist der Beginn...
THIEL:
Nein.

BOERNE:
Was?

THIEL:
Ich glaube, das ist das Ende.


Bewertung: 4/10

Exitus

Folge: 697 | 4. Mai 2008 | Sender: ORF | Regie: Thomas Roth
Bild: rbb/ORF/Cult-Film/G. Bodenstein
So war der Tatort:

Todlangweilig – vor allem in den ersten 57 Minuten.

Fast eine Stunde lang passiert in Exitus eigentlich überhaupt nichts – nicht einmal einen Mord gibt es, und somit auch keinen Mörder, auf den der Wiener Sonderermittler Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) einleitend angesetzt wird.

Leichen hagelt es trotzdem, sogar gleich fünf auf einen Schlag: Zwei Studenten werden nach einem schweren Verkehrsunfall tot am Steuer eines Transporters gefunden, in dem sie drei Leichen von A nach B fahren wollten. Wo A liegt, findet Eisner schnell heraus – wo aber liegt B?

Fehlende Mordopfer sind im Tatort zwar un-, aber nicht außergewöhnlich (man denke zum Beispiel an überzeugende Folgen wie Machtlos), doch sollte das Drehbuch dann andere Stärken mitbringen, um den Zuschauer trotz fehlender Täterfrage bei der Stange und die Spannung auf kurzweiliger Mindesthöhe zu halten.

In Exitus tendiert die Spannungskurve aber gegen Null: Der schon mehrfach für den österreichischen Tatort tätige Regisseur und Drehbuchautor Thomas Roth (Der Teufel vom Berg) inszeniert einen furchtbar langweiligen Krimi und nimmt sich vor allem in der ersten Stunde ausgiebig Zeit für Nebenkriegsschauplätze. Sie scheinen ihm stets wichtiger zu sein als die Kriminalhandlung, bei der Verstorbene ohne Angehörige aus Leichenhallen entwendet und als Crash-Test-Dummies missbraucht werden.

Roth illustriert Eisners Techtelmechtel mit der hübschen Pathologin Dr. Paula Weisz (Feo Aladag, Mutterliebe) in aller Gemütlichkeit, gönnt dem Kommissar romantische Nachtspaziergänge und Rotweinabende, und gibt dem Zuschauer damit reichlich Gelegenheit, sich selbst neue Snacks und Getränke aus Küche und Kühlschrank zu holen.

Seine Tochter Claudia (Sarah Tkotsch) hat zur neuen Frau an Eisners Seite, vor allem aber zur wissenschaftlichen Weiterverwendung und öffentlichen Zurschaustellung von Leichen reichlich eigenen Senf abzugeben, was diesmal aber kaum negativ ins Gewicht fällt, weil sich das Gefühl, sich mit Exitus in eine seichte, öffentlich-rechtliche Vorabendkrimiserie verirrt zu haben, ohnehin von Minute zu Minute verstärkt.

Dass nach einer knappen Stunde dann doch noch das erste Mordopfer zu beklagen ist, rettet wenig: Roths Versuch, beim Zuschauer gezielte Betroffenheit über den plötzlichen Tod einer Eisner-Vertrauten zu schüren, fällt viel zu plump aus und ist schon eine halbe Ewigkeit vorher zu erahnen.

Und als wäre das nicht genug, hämmert Roth auch noch eine reichlich unglaubwürdige Geschichte um eine vereinsamt lebende Rentnerin in den Plot, die Eisner nach einem Bürgersteigsturz verarztet und fortan als neues Sozialprojekt betrachtet.

Im 697. Tatort, bei dessen Showdown in bester Horror-Manier ein abgetrennter Kopf mit hässlicher Fratze durchs Bild rollt, stimmt nur wenig – immerhin nervt er aber auch nicht, und so bleibt ihm zumindest das Prädikat Totalausfall aus unserer Bewertungsskala erspart.

Bewertung: 3/10

Der oide Depp

Folge: 696 | 27. April 2008 | Sender: BR | Regie: Michael Gutmann
Bild: BR/TV60/Julia von Vietinghoff
So war der Tatort:

Schwarz-weiß – und das sogar ein gefühltes Krimidrittel lang.

Regisseur Michael Gutmann montiert die Ermittlungen von Hauptkommissar Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) parallel zur Vorgeschichte eines in bester Zur Sache, Schätzchen-Manier konsequent in Schwarz-Weiß-Bildern erzählten, ungeklärten Mordfalls im hippen München den 60er Jahre, der den wenig begeisterten Kommissaren nun von ihrem Vorgesetzten aufs Auge gedrückt wird.

Nicht von ungefähr erinnert das Opfer, die Animierdame Gertrude "Gina" Exner (Muriel Roth), entfernt an die junge Uschi Glas, die sich in dem in München-Schwabing spielenden Kultfilm ungewohnt freizügig gab und damit am Vorabend der 68er-Bewegung für einen bundesweiten Aufschrei sorgte.

In Der oide Depp ist aber nicht etwa eine dunkelhaarige Schönheit, sondern ein ergrauter Kriminaloberkommissar der Star: Batic und Leitmayr werden beim Aufrollen des Mordfalls, in den durch den Fund eines Messers im Auto des Hawaii-Hemden tragenden USA-Rückkehrers und Puffbetreibers Robert 'Roy' Esslinger (Jörg Hube, Das Mädchen auf der Treppe) neues Leben kommt, nämlich vom tatterigen Bernhard "Opa" Sirsch (Fred Stillkrauth, Um jeden Preis) unterstützt – und der drückt dem Krimi eindrucksvoll seinen Stempel auf.

Sirsch, der oft unverständlich vor sich hinbrummelt und das ungeübte Ohr mit seinem bayrischen Dialekt auf eine harte Probe stellt, verfügt über keinerlei EDV-Kenntnisse, leert eine Halbliterflasche Bier nach der nächsten und verursacht für die genervten Ermittler im Präsidium mehr Arbeit als er bewältigt. Doch spätestens nach einer Stunde wird aber klar, dass es keineswegs Sirsch ist, dem es im 696. Tatort an Durchblick mangelt: Es sind die Kommissare Batic und Leitmayr, die von dem cleveren Routinier nach allen Regeln der Kunst vorgeführt werden.

Und mit ihnen der Zuschauer: In der letzten halben Stunde, die vorwiegend in der sündhaft teuren Esslinger-Villa spielen, überschlagen sich die Ereignisse, jagt eine verblüffende Wendung die nächste, wird der formidable Schlussakkord geschickt vorbereitet und mit schonungsloser Konsequenz zu Ende gebracht.

Spätestens hier veredelt Filmemacher Michael Gutmann, der nach dem Osnabrück-Tatort Das namenlose Mädchen und der Hamburger Folge Der König kehrt zurück zum dritten Mal für die Krimireihe auf dem Regiestuhl Platz nimmt, das hochklassige Skript von Alexander Adolph, der auch die Drehbücher zur herausragenden Münchner Episode Im freien Fall und zum Batu-Meilenstein Der Weg ins Paradies schrieb, mit einer brillanten, formvollendeten Inszenierung, die die Ereignisse im München der 60er Jahre geschickt mit dem dramatischen Showdown im Hier und Jetzt verknüpfen.

Auch Der oide Depp, der mit Kein Entkommen-Darsteller Christoph Bach und Thomas Jung bis in die Nebenrollen stark besetzt ist, verdient sich damit das Prädikat Meilenstein und ragt sogar aus den zahlreichen hochkarätigen Tatorten aus der bayrischen Landeshauptstadt noch heraus. Denn er ist alles andere als ein gewöhnlicher Tatort und kommt nicht nur ästhetisch, sondern auch dramaturgisch angenehm ausgefallen daher.

Bewertung: 10/10

Müll

Folge: 695 | 20. April 2008 | Sender: WDR | Regie: Kaspar Heidelbach
Bild: WDR/Michael Böhme
So war der Tatort:

Müllfixiert.

Denn der Krimititel deutet es bereits unmissverständlich an: In diesem Kölner Tatort dreht sich alles um Müll. Da gibt es verarmte Müllsammler, die auf der Suche nach weggeworfenen Schätzchen in Deponien einsteigen, die böse Müllmafia und gierige Müllkonzerne, die mit dem Entsorgten den großen Reibach machen, und sogar radioaktiven Giftmüll, der auf der Müllkippe von Peter Esser (Matthias Redlhammer, Trautes Heim) gefunden wird und dessen Angestellte in Gefahr bringt.

Radioaktiver Giftmüll aus Osteuropa, getarnt als Bio-Schlamm, mitten in der Domstadt? Schwer vorstellbar, aber man findet ja zum Glück noch etwas Realistischeres auf Essers Deponie: den verbrannten Torso einer bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten Frau, die zunächst nicht identifiziert werden kann.

Wie praktisch, dass Hauptkommissar Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) einleitend auf dem Gehweg fast von Müllsammler und Mopedfahrer Willy (Hans Diehl, Dornröschens Rache) über den Haufen gefahren wird: So lernen er und Kollege Freddy Schenk (Dietmar Bär), der diesmal eine schmucke schwarze Corvette als Dienstwagen nutzt und einem Verdächtigen auf Willys restaurierter NSU Quickly nachjagt, einmal mehr jemanden aus der Szene kennen, der ihnen bei den anschließenden Ermittlungen beratend zur Seite steht. Eine ähnliche Ausgangslage kennzeichnet zum Beispiel den ebenfalls von Kaspar Heidelbach inszenierten Obdachlosen-Krimi Platt gemacht.

Rein zufällig läuft Willy den Beamten auch mehrfach an ihrer Stamm-Wurstbraterei über den Weg, die diesmal auffallend häufig Schauplatz des Geschehens ist – und während sich Ballauf und Schenk noch in Spekulationen über die skrupellose Müllmafia verlieren und die Längen mit halbherzigen Witzchen überbrücken, werden geübte Krimi-Zuschauer den wahren Täter längst erahnen.


BALLAUF:
Die meisten Blondinen sind gefärbt, Freddy. Haste das nicht gewusst?

SCHENK:
Ich achte eben mehr auf die inneren Werte.


Drehbuchautor Achim Scholz möchte ein bisschen viel in seinem ersten und bisher letzten Tatort unterbringen: Neben den Ermittlungen gegen die Mafia und der oberflächlichen Studie des von Armut und Einsamkeit geprägten Sammlermilieus erzählt Scholz auch von den liierten Landschaftsgärtnern Frank Weber (Wotan Wilke Möhring, Pauline) und Katja Krumme (Elena Uhlig, Liebe macht blind) sowie Webers pubertierendem Sohn Dennis (Frederick Lau, Eine bessere Welt). L

eider bietet dieses Familiendrama den unterforderten Schauspielern nur wenig Möglichkeiten, sich zu entfalten: Die meisten Figuren bleiben eindimensional und geben nur müde Lebensweisheiten zum Besten ("In dem Alter sind sie so.").

Der 695. Tatort kommt erst gegen Ende in Fahrt, weil sich eine Befragung an die nächste reiht und kleinere Nebenhandlungen in den Vordergrund rücken. Während sich Müllsammler Willy mit Putzfrau Jutta (Ein Herz und eine Seele-Star Hildegard Krekel, Eine todsichere Sache) verlobt, muss Ballauf aus seinem Hotelzimmer ausziehen und schwelgt beim Anblick alter Fotos in Erinnerungen.

Mit den Machenschaften der Müllmafia, die 2014 auch die Bremer Kollegen in Alle meine Jungs beschäftigt, hat das alles nicht viel zu tun – was schade ist, denn Entsorgungskriminalität ist als Thema zwar nicht unbedingt neu (vgl. den Berliner Tatort Buntes Wasser von 1996), hätte aber bei intensiverer Aufarbeitung durchaus Potenzial geboten.

Völlig fehl am Platz wirkt zudem die eingestreute Wohlfühlmusik, die man so auch in einer Seifenoper finden könnte: Beispielhaft dafür steht eine eigentlich traurige Szene am Ende, die mit seichtem Gedudel unterlegt wird. Scheinbar kann ein nachdenklich stimmender Kölner Tatort einfach nicht ohne versöhnliches Happy End auskommen – auch die Dialoge fallen hier viel zu harmonisch aus.

Die starken und witzigen Momente lassen sich somit an einer Hand abzählen: Schenk fragt Willy nach der Herkunft eines angeboten Getränks ("Auch vom Müll?" - "Ja."), und Wotan Wilke Möhring spielt in seiner Nebenrolle als Frank Weber – unbeabsichtigt, versteht sich – sogar auf sein späteres Debüt als LKA-Ermittler Thorsten Falke in Hamburg an.


WEBER:
Geht bei Esser wieder der Feuerteufel um?


Bewertung: 3/10

Erntedank e.V.

Folge: 693 | 30. März 2008 | Sender: NDR | Regie: Angelina Maccarone
Bild: NDR/Christine Schroeder
So war der Tatort:

Bunt.

Denn die Farbigkeit des Spätherbsts spiegelt wider, was das Leben in einer Kleingartenkolonie ausmacht – zumindest für die Macherinnen dieser Tatort-Folge. Strahlende Blumen, knallige Farben für Gartenlauben und eine harmlos-heitere Grundatmosphäre kennzeichnen das Zusammenleben derer, die ihre Freizeit mit Gemüseanbau, Komposthaufen und Grillabenden verbringen.

Erfolgsautor, Mitbewohner und Babysitter Martin Felser (Ingo Naujoks) hat hier einen Schrebergarten gepachtet, in den LKA-Ermittlerin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) sich mit ihrem fünf Monate alten Sohn zurückzieht oder besser: zurückziehen muss. Der Mutterschutz und die Sorge um ihren kleinen David füllt ihre Tage nicht aus – sie sehnt sich danach, wieder in ihre Arbeitsstelle zurückzukommen.

Als in der Kolonie der Vereinsvorstand an einem Herzinfarkt stirbt, mag die Kommissarin nicht an ein natürliches Ableben glauben; dafür erscheint ihr das Auftreten der anderen Schrebergärtner zu merkwürdig. Und nachdem eine weitere Bewohnerin der Kolonie ermordet aufgefunden wird, ermittelt Lindholm dann auch offiziell.

Tief taucht sie in die besondere Welt der titelgebenden Kleingartenkolonie Erntedank e.V. ein, beteiligt sich am Vereinsleben und findet die Spuren eines weit zurückliegenden Verbrechens. Das, was sich in späteren Drehbüchern für die alleinerziehende Kommissarin als dramaturgisches Problem erweisen wird, fügt sich hier noch wunderbar zusammen. Zusammen mit dem leicht hypochondrischen Felser, der beim Wickeln noch überfordert ist, kümmert sich Lindholm um ihr Kind.


FELSER:
Hier läuft irgendwas über: Alarmstufe braun!


Der Film zeichnet eine heile, freundliche Welt und kontrastiert sie – sehr gelungen – mit dem düsteren Geheimnis, das in der Erde der Kleingärten bestattet ist.

Angelina Maccarone, die nach dem – thematisch völlig verunglückten – Giftschrank-Tatort Wem Ehre gebührt erneut für Buch und Regie verantwortlich zeichnet, nimmt den idyllischen, dramaturgischen Stil des Hitchcock-Klassikers Immer Ärger mit Harry auf. Ihm folgt auch die optische Auflösung der 693. Tatort-Folge. War es beim Master of Suspense das Laub im amerikanischen Vermont, ist es in Hannover eine ganze Kleingartenkolonie, die Kameramann Hans Fromm (Borowski und die Sterne) im herbstlichen Licht inszeniert.

Intensive Farben prägen nicht nur die Parzellen; auch das Präsidium, die Kleidung der Darsteller, alles ist so gesteigert, wie es gerade noch geht. Um so stärker wird der Gegensatz deutlich zu den dunklen Krabbeltieren, die das Erdreich bevölkern und hier und dort durchs Bild kriechen. Sie geben einen feinen Hinweis auf das, was die Gemeinschaft verborgen hat.

Ein ganzer Kosmos von skurrilen Personen lässt rätseln, was denn nun überhaupt passiert ist. Sonderlich spannend ist das nicht, aber den schrägen Gestalten zuzuschauen, entfaltet einen ganz eigenen Reiz. Andrea Klose-Sanders (Maren Kroymann, Schweinegeld) richtet etwa in ihrer Parzelle Skulpturen auf, die so gar nicht in das gutbürgerliche Milieu der Kolonie passen. Ihr Tod ist so makaber inszeniert, dass das Augenzwinkern der Filmacherin deutlich zu erkennen ist.

Hinter der freundlichen Fassade von Helga Reimann (Renate Becker, Sag nichts) verbirgt sich eine Gärtnerin, die keine Probleme damit hat, einen Maulwurf zu töten, Schnecken zu zertreten und den Nachbarn Würmer für den Kompost abzugeben.

Es sind im Wesentlichen die Frauen, die die Szenerie bestimmen. Sowohl die Männer der Gärtnerinnen als auch Kriminalrat Stefan Bitomsky (Torsten Michaelis) und Rechtsmediziner Edgar Strelow (David Rott, Mietsache) spielen in diesem kurzweiligen Krimi keine entscheidende Rolle. Regelrecht ärgerlich, dass Strelow in seiner eindimensionalen Rolle vor allem damit zu hat, die Kommissarin anzuschmachten.

Auch Eva Löbau (ab 2017 als Hauptkommissarin Franziska Tobler im Schwarwald-Tatort zu sehen), die als Kommissarin Schmidt-Rohrbach mit ihrer Undercover-Kollegin zusammenarbeiten soll (Bitomsky: "Dreamteam" - Lindholm: "Alptraum"), reduziert das Drehbuch – wenn auch ganz unterhaltsam – auf Stutenbissigkeit.

In Erinnerung bleiben die starken Bilder (köstlich: Maria Furtwängler beim Erntedankfest als Kürbis verkleidet) und auch die gewisse Leichtigkeit, die noch den ersten Auftritt der Ermittlerin (Lastrumer Mischung) bestimmt hatte.

Hildegard Knefs Für mich soll's rote Rosen regnen schließlich untermalt die Auflösung des Krimis, die in der Form eines klassischen englischen Agatha-Christie-Romans präsentiert wird: Als alle Verdächtigen versammelt sind, erinnern sie sich – angeleitet von der Kommissarin – an jahrelang Verdrängtes.

Bewertung: 6/10