Macht und Ohnmacht

Folge: 868 | 1. April 2013 | Sender: BR | Regie: Thomas Stiller
Bild: BR/Hagen Keller
So war der Tatort:

Wiedersehensfreudig – und das trotz Abstinenz von Sidekick Gisbert Engelhardt (Fabian Hinrichs).

Viele Fans des Münchner Tatorts hatten nach der herausragenden Folge Der tiefe Schlaf zwar auf ein Comeback des Publikumslieblings gehofft, doch der Bayerische Rundfunk erteilte allen Hoffnungen auf eine wundersame Wiederauferstehung frühzeitig eine Absage. Der sympathische Technikfreak, dem sogar eine eigene Facebook-Seite gewidmet wurde, ist in Macht und Ohnmacht Geschichte.

Dafür feiert im Nachfolger ein anderer Co-Ermittler sein Comeback: Über drei Dutzend Mal ermittelte Carlo Menzinger (Michael Fitz) an der Seite der Münchener Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), bevor er sich 2007 in Der Traum von der Au verabschiedete und den Kommissaren in Kleine Herzen wenige Monate später eine Ansichtskarte aus Thailand schickte.

Auch der Ex-Oberkommissar kehrt jedoch nicht dauerhaft ins Münchener Ensemble zurück: Fernab der bayerischen Heimat hat sich Carlo eine neue Existenz als Hotelier aufgebaut und düst nach neunzig handlungsdichten Tatort-Minuten wieder ab nach Ostasien. Bis dahin leistet der Rückkehrer wertvolle Helferdienste, weil er ein enges Verhältnis zum Hauptverdächtigen Matteo Lechner (stark: Emilio de Marchi, Gefährliche Zeugin) pflegt und Batic und Leitmayr in der ersten Filmhälfte meist eine Nasenlänge voraus ist.

Das bringt frischen Wind ins Polizeipräsidium und funktioniert über weite Strecken gut: Erst auf der Zielgeraden schießt Drehbuchautorin Dinah Marte Golch, die für ihr außergewöhnliches Skript zum Münchner Meilenstein Nie wieder frei sein den Grimme-Preis erhielt, ein wenig über das Ziel hinaus, als Carlo mit nur einem Anruf das Passwort für einen Email-Account in Erfahrung bringt und damit bei der Täterfrage Licht ins Dunkel bringt.

Ansonsten integriert Golch den Rückkehrer clever in den Plot und eröffnet dem Publikum dadurch eine spannende Zusatzperspektive: Statt einen bedeutungslosen Cameo-Auftritt abzuliefern, reibt sich Carlo in vorderster Front auf und muss schon bald einsehen, dass sein Wunschtrauzeuge Lechner weder ein Vorzeigebeamter, noch der alte Freund ist, den er einst im kalten Deutschland zurückließ.

TV-Regisseur Thomas Stiller (Die Blume des Bösen), der zuletzt den emotionalen Münchner Tatort Der traurige König realisierte, setzt das Geschehen atmosphärisch dicht in Szene und stellt der Auftaktleiche zudem eine fünfzehnminütige Einleitung voran, in der gleich mehrere männliche Geschlechtsteile nackt durch die Gegend baumeln.

Dieser Aufbruch der gewohnten Tatort-Strukturen  erweist sich als Antriebsfeder für die späteren Spannungen, bei denen kritisch die Fragen von Schuld, Gerechtigkeit und Selbstjustiz beleuchtet werden – und diesmal auch die psychische Belastungen, der die oft zwischen Macht und Ohnmacht pendelnden Polizeibeamten im Berufsalltag ausgesetzt sind. Dass die Auflösung am Ende nicht wirklich überrascht, liegt auch daran, dass einer der beiden Hauptverdächtigen pünktlich zur vollen Tatort-Stunde das Zeitliche segnet.

Dennoch überzeugt der 868. Tatort als stimmiges und gut besetztes Krimidrama mit Tiefgang, in dem einzig der ansonsten eigentlich immer überzeugende Sascha Alexander Gersak (Die Heilige) schauspielerisch ein wenig abfällt.

Bewertung: 7/10

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