Kaltstart

Folge: 909 | 27. April 2014 | Sender: NDR | Regie: Marvin Kren
Bild: NDR/Boris Laewen
So war der Tatort:

Eine Nummer größer.

Es ist zu spüren, dass die Ex-LKA-Kommissare Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) neuerdings größere Brötchen backen sollen: Nach einem Einsatz in Hamburg (Feuerteufel) und auf Langeoog (Mord auf Langeoog) wurden die Ermittler kurzerhand zur Bundespolizei befördert und gehen ab sofort in ganz Deutschland auf Mördersuche. Ermittlungen im Allgäu oder im Erzgebirge sind dabei freilich nicht zu erwarten: Am Ruder sitzt der NDR, und der schickt Falke und Lorenz in Kaltstart zunächst mal ins nahegelegene Wilhelmshaven.

Dort sind bei einer Gasexplosion nicht nur ein Menschenhändler, sondern auch zwei Polizisten ums Leben gekommen – unter ihnen Falkes Ex-Freundin, die der Zuschauer leider nie hat kennenlernen dürfen, und deren Tod ihn daher ziemlich kalt lässt.

Der Todesknall spielt als unverzichtbares Element der klassischen Whodunit-Konstruktion aber ohnehin nur eine untergeordnete Rolle: Die Explosion ist der Startschuss für einen ziemlich überfrachteten Kriminalfall, bei dem von doppeltem Polizistenmord über die Schleusung afrikanischer Flüchtlinge bis hin zu lukrativen Waffengeschäften so ziemlich alles dabei ist, was noch global organisiertem Verbrechen klingt – eine Nummer größer eben, wie es sich für anständige Bundespolizisten gehört.

Weniger wäre allerdings mehr gewesen, denn auf Betriebstemperatur – um im Bild zu bleiben – kommt Kaltstart unter Regie von Marvin Kren nur selten. Der erste Einsatz von Falke und Lorenz für den ehemaligen Bundesgrenzschutz bleibt nach starkem Auftakt vielmehr in den Startlöchern stecken und lässt die Spannung, den Witz und das Tempo, das vor allem Feuerteufel auszeichnete, über weite Strecken vermissen.

Wie schon in Mord auf Langeoog ist auch diesmal die hübsche Verpackung ansprechender als der Inhalt: Vor der imposanten und zugleich tristen Kulisse des größtenteils leerstehenden Tiefwasserhafens (dem von Investoren verschmähten und von Umweltschützern kritisierten JadeWeserPort) gehen die Kommissare auf Verbrecherjagd und wissen schon bald nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht.

Ähnlich dürfte es vielen Zuschauern gehen: Sieht anfangs alles nach einem Schleuserdrama aus, verstricken sich die Drehbuchautoren Volker Krappen und Raimund Maessen bald in zahlreichen Handlungsfäden, von denen aber keiner angemessen ausgearbeitet wird. Heimliche Blicke durch Ferngläser, futuristische High-Tech-Bilder aus der Vogelperspektive und omnipräsente Totalüberwachung: Die Polizisten stehen bei ihrer zähen Ermittlungsarbeit unter Beobachtung einer unbekannten Macht, die aus der Ferne zu operieren und alles im Griff zu haben scheint. Um wen es sich handelt, bleibt unklar.

"Die Geschichte glaubt uns kein Mensch", resümiert Lorenz desillusioniert, und genau da liegt der Hase im Pfeffer: Am Ende wirkt der Tatort auch deshalb ziemlich unrund, weil sich die Filmemacher mit einem dünnen offenen Ende aus der Affäre stehlen. Statt den Krimi konsequent auf das reizvolle Versteckspiel im Containerhafen zuzuspitzen und angemessen aufzulösen, bleibt in Kaltstart vieles Stück- und unnötiges Beiwerk. Exemplarisch dafür steht nicht nur Falkes Trauer um seine Ex-Freundin, sondern auch die halbherzige Aufarbeitung der Schleuserproblematik, die von Minute zu Minute stärker aus dem Blickfeld gerät und nebenbei die Freundschaft zwischen Lorenz und einem Flüchtlingskind erzählt.

So ist der dritte Auftritt von Falke und Lorenz trotz prickelnder Ausgangslage der zweite enttäuschende – und einige amüsante Dialogzeilen von Falke ("Mit Milch?" - "Nee, nur Milch!") und seinem Oldenburger Kripo-Kumpel Jan Katz (Sebastian Schipper) sind fast noch das Beste am 909. Tatort.

Bewertung: 5/10

1 Kommentar:

  1. Cool, einen BKA-Tatort hatte ich mir doch gewünscht. Allerdings stimme ich zu, was die angesprochene Überfrachtung angeht. Dazu fand ich, dieser Falke hatte ne etwas zu kurze Lunte. Will sagen, er war mir etwas zu leicht reizbar. Und man hatte den Eindruck, dass er alles, was irgendwie mit Lesen und Buchstaben zu tun hat, seine Kollegin machen lässt. Das finde ich schade, denn ansonsten fänd ich den Falke schon ganz annehmbar. Wenigstens hatte der Tatort diesmal nichts, was mich schier in den Wahnsinn getrieben hätte, so wie neulich "Der traurige König", bei dem mir die Konflikte viel zu "gewollt" waren und die Kommissare bei dem Fall doch viel zu passiv und hilflos erschienen. Ich will keine hilflosen Kommissare, ich will Moritz Eisner, der seinen Golf GTI ins Bild fährt und dann Informationen aus einer angeblichen Klavierprofessorin erpresst ("Notwehr auf Österreichisch"). So will ich das. Mit der quantitativen Bewertung gehe ich diesmal jedenfalls d'accord.

    AntwortenLöschen