Das Muli

Folge: 940 | 22. März 2015 | Sender: rbb | Regie: Stephan Wagner
Bild: rbb/Frédéric Batier
So war der Tatort:

Echt berlinerisch, wa – zumindest deutlich berlinerischer als die Tatort-Folgen mit Till Ritter (Dominic Raacke) und Felix Stark (Boris Aljinovic).

Dem 2013 vom rbb geschassten, beim Publikum aber durchaus beliebten Ermittlerteam aus der Hauptstadt konnte man in den letzten Jahren wenig vorwerfen: Der Sender bescherte Raacke und Aljinovic unter anderem Publikumshits wie Gegen den Kopf, die wunderbare Suspense-Hommage Hitchcock und Frau Wernicke und zumindest einem der beiden Schauspieler in Vielleicht einen originellen und würdigen Abschied. Eines ließen die Fadenkreuzkrimis mit Ritter und Stark aber meist vermissen: Lokalkolorit. Berlinbezogene Folgen wie Mauerpark blieben die Ausnahme.

Nun steuert der Sender mit einem neuen Team dagegen: In Das Muli entführen die neuen Haupt(stadt)kommissare Nina Rubin (Meret Becker, Aus der Tiefe der Zeit) und Robert Karow (Mark Waschke, Familienbande) die Zuschauer gleich zum Auftakt an die hässlichsten Ecken Berlins. Der dreifache Grimme-Preisträger Stephan Wagner, der auch bei Gegen den Kopf und dem herausragenden Kieler Tatort Borowski und die Frau am Fenster Regie führte, dreht seinen Krimi vor graffittiverschmierten Betonkulissen, zeigt dem Publikum die Schnorrer-Szene der S-Bahnhöfe, die Armenspeisung am Zoo, die Spreepark-Ruinen und sogar die BER-Baustelle.

Mit der im Wedding geborenen Rubin darf neben der Wiener Kollegin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) auch endlich ein zweite Tatort-Kommissarin Dialekt sprechen: Wenngleich Becker nicht jedes "ich" zum "icke" macht, verpasst ihre Berliner Schnauze dem Krimi doch jenes Hauptstadtfeeling, das der Tatort mit Raacke und Aljinovic oft vermissen ließ. Karow hingegen erinnert mit seiner überheblichen Arschloch-Attitüde an den Dortmunder Kollegen Peter Faber (Jörg Hartmann) und gerät schon nach der ersten Tatort-Besichtigung mit Rubin aneinander.


RUBIN:
Ick arbeite jetz' seit sechs Jahren bei der Mordkommission. Wie lange Sie?

KAROW:
Zwei Stunden und 16 Minuten. Kaffee?


Es ist ein grausiges Bild, das sich dem neuen Berliner Team beim Debüt bietet: Die Spurensicherung untersucht ein blutverschmiertes Bad in einer leerstehenden Wohnung, in der Drogenmogul Mehmet Erdem (Kida Khodr Ramadan, Melinda) Johanna "Jo" Michels (stark: Newcomerin Emma Bading) und eine Freundin einquartiert hatte. Beide wurden zum Drogenschmuggel von Mexiko nach Deutschland missbraucht – und während Erdem die Päckchen aus Jos Freundin herausschneidet und dabei einen der brutalsten Tatort-Morde aller Zeiten verübt, taucht das Mädchen mit ihrem Bruder Ronny (Theo Trebs, Fette Hunde) in der Hauptstadt ab.

Das Muli wird damit zur tickenden Zeitbombe: Platzt ein Päckchen im Magen, ist Jo so gut wie tot. Für zusätzliche Spannung sorgt Karows Vergangenheit als Drogenfahnder: Drehbuchautor Stefan Kolditz (Außer Kontrolle) eröffnet eine vielversprechende Nebenhandlung, die in den nächsten Folgen weitergeführt wird.

Auch dieses Serienmotiv erinnert an die Krimis aus Dortmund, während ansonsten – trotz etwas weniger Action - Erinnerungen an den Hamburger Tatort mit Nick Tschiller (Til Schweiger) wach werden: Mark Waschke mimte in Willkommen in Hamburg den Bösewicht, anstelle des Astan-Clans ziehen die Drogenhändler Erdem und Andi Berger (Robert Gallinowski, Freddy tanzt) die Fäden, und auch die brutale Gangart ist der an der Waterkant ganz ähnlich. Und während Schweiger der Klatschpresse mit seinem nackten Hintern in Kopfgeld eine Steilvorlage lieferte, schiebt Rubin im Hinterhof der Friedrichshainer Disco Cassiopeia einen Quickie mit ihrem Kollegen Jahn (Timo Jacobs, Hochzeitsnacht) und lässt den BH am Morgen danach im Schrank.

Ein wenig mehr Eigenständigkeit stünde dem neuen Berliner Team also noch gut zu Gesicht – doch unter dem Strich ist Das Muli ein gelungenes Debüt, dessen offenes Ende die Neugier auf die nächsten Folgen weckt. Auch die Familienszenen mit Rubins jüdischem Ehemann Viktor (Aleksandar Tesla, Borowski und das Meer) und den Söhnen Tolja (Jonas Hämmerle) und Kaleb (Louie Betton) bergen für die Zukunft privaten Sprengstoff.

Über kleinere Schönheitsfehler (die kalkweiße Jo wird beispielsweise aufgrund ihrer angeblichen Urlaubsbräune identifiziert) kann man angesichts der vielen starken Dialoge hinwegsehen – und allein die köstliche Szene, in der Karow die eifrige Hospitantin Anna Feil (Carolyn Genzkow, Unbestechlich) zur Schnecke macht, ist das Einschalten wert.

Bewertung: 7/10

3 Kommentare:

  1. ich bin über eine Entwicklung im Tatort generell erschrocken. An die zu ausführlichen Szenen in der Pathologie mit aufgeschnittenen,wieder zugenähten,kopflosen ,verbrannten Körpern in längeren Sequenzen musste man sich gewöhnen , scheint aber alles auch zu ausführlich dargestellt.Die Ermordung des Mädchens im letzten Tatort ist nochmals eine Eskalation einer Abscheulichlichkeit -das Abschlachten eines Menschen mit auf dem Fußboden liegenden Innereien ist nicht zu akzeptieren.
    Die Autoren sollten bedenken, dass trotz der Altersbeschränkungen auch Jüngere die Filme sehen und auch die Würde eines toten Menschen achten

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  2. Warum gibt es nur 7/10? Es wird zwar mangelnde Eigenständigkeit kritisiert, aber dennoch viele positive und kaum negative Aspekte genannt?

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    1. Dann passt die Bewertung doch. Für eine 9/10 müsste der Film herausragend gut sein, für eine 10/10 gar ein Meilenstein der Krimireihe. Da reichen "positive Aspekte" allein nicht aus. Ein sehr guter Tatort erhält 8/10 Punkten, ein guter Tatort, dem etwas die Eigenständigkeit fehlt, erhält 7/10 Punkten. Auch hier nachzulesen: www.wiewardertatort.de/bewertungsskala

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