Kollaps

Folge: 958 | 18. Oktober 2015 | Sender: WDR | Regie: Dror Zahavi
Bild: WDR/Thomas Kost
So war der Tatort:

Déjà-vu-esk – und das gleich doppelt.

Denn gleich zwei Gesichter dürften dem Stammpublikum bei der TV-Premiere von Kollaps im Oktober 2015 bekannt vorkommen: Zum einen das von Werner Wölbern (Er wird töten), der eine Woche zuvor in Verbrannt den rassistischen Leiter einer Polizeiwache in Salzgitter mimte und diesmal als ausländerfeindlicher Modelleisenbahn-Fan zu sehen ist.

Zum anderen aber auch das von Adrian Can (Wem Ehre gebührt), dem die Dortmunder Ermittler Peter Faber (Jörg Hartmann), Martina Bönisch (Anna Schudt), Nora Dalay (Aylin Tezel) und Daniel Kossik (Stefan Konarske) nach 2012 bereits zum zweiten Mal begegnen: Wie einst in Mein Revier mimt Can den einflussreichen Unterweltkönig Tarim Abakay, der von muskelbepackten Bodyguards bewacht wird und Faber stets auf ein Gläschen Tee einlädt.

Für die horizontale Erzählweise, eines der Markenzeichen der Krimis aus dem Ruhrpott, ist Tabakay diesmal der Dreh- und Angelpunkt: Faber erhofft sich von ihm Hinweise auf die untergetauchten senegalesischen Dealer Jamal (Warsama Guled) und Niara Gomis (Victoire Laly) und setzt sich bei seinem Alleingang über alle Vorschriften hinweg. Anders als in so vielen anderen Tatort-Folgen bleibt das nicht folgenlos: Es kommt zum lautstarken Bruch zwischen Faber und Kossik, der im nächsten Dortmunder Tatort Hundstage wieder aufgegriffen wird.

Auch das Treiben der Dealer hat Folgen: Ihre versteckten Kokaintütchen auf einem Spielplatz in der Nordstadt kosten die kleine Emma (Sophie Schwierske) das Leben, weil sie die bunten Pillen im Sand für Bonbons hält. Und da ihre Mutter Claudia Siebert (Alexandra Finder, Todesspiel) zu spät hinsieht, sind die Rettungsversuche der Sanitäter Oliver Lahnstein (Axel Schreiber, Franziska) und Kai Lubitz (Stefan Haschke, Macht der Angst) vergeblich.

Die Tonalität des Films wird bereits bei diesem beklemmenden Auftakt deutlich: In Kollaps, der auf dem Krimifestival Tatort Eifel seine Vorpremiere feierte, zieht sich der Filmtitel wie ein roter Faden durchs Geschehen. Er spielt nicht nur auf den grausamen Tod des kleinen Mädchens, sondern auch auf das Seelenleben ihres geschockten Vaters Roland Siebert (Sönke Möhring, Bruder von Tatort-Kommissar Wotan Wilke Möhring) und das Privatleben von Bönisch an.

Letztere betäubt ihren Frust darüber, dass ihr Mann das alleinige Sorgerecht für die Kinder erwirkt hat, mit One-Night-Stands und zeigt sich so unausgeglichen wie nie. Anna Schudt gibt dies Gelegenheit, ihr schauspielerisches Können in die Waagschale zu werfen: Während sonst meist Kollege Jörg Hartmann als exzentrischer Borderline-Kommissar für die Eskapaden zuständig ist, bildet Faber diesmal den ruhenden, fast besorgten Gegenpol zur schlecht gelaunten und zunehmend aggressiven Kollegin.

Die Stadt Dortmund wird dabei wieder von ihrer tristesten Seite gezeigt: Drehbuchautor Jürgen Werner, der bis auf Schwerelos alle bisherigen Faber-Folgen konzipierte, lässt die Ermittler vor kalten Betonkulissen, in verwahrlosten Wohnungen und vor graffitiverschmierten Wänden ermitteln. Wie schon in Hydra oder Eine andere Welt durchsetzen die Filmemacher das Krimidrama mit viel Lokalkolorit und greifen dabei gesellschaftliche Reizthemen auf: Diesmal sind es die sozialen Probleme in der Nordstadt und die konkreten Auswirkungen der Flüchtlingsbewegung. Stellung beziehen sie allerdings nicht: Politische Patentlösungen sucht man ebenso vergebens wie polizeiliche Moralpredigten, wie sie so oft im Kölner Tatort zu beobachten sind.

Etwas enttäuschend fällt die Auflösung aus: Die Antwort auf die Frage, wer den Tod der kleinen Emma gerächt hat, dürfte für Krimi-Kenner spätestens nach einem Feierabendbier von Kossik und einem Verdächtigen Routine sein. Doch Stammautor Werner hat noch ein Ass in der Hinterhand: Er lässt dem Showdown auf dem Spielplatz eine heftige Schlusspointe folgen, die die Perspektivlosigkeit der Flüchtlinge brutal auf den Punkt bringt und ein zutiefst beunruhigendes Gefühl hinterlässt.

Heile Welt ist im Dortmunder Tatort nicht drin – dafür steht Kollaps exemplarisch.

Bewertung: 7/10

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