Ätzend

Folge: 962 | 15. November 2015 | Sender: rbb | Regie: Dror Zahavi
Bild: rbb/Volker Roloff
So war der Tatort:

Horizontal erzählt.

Denn der rbb setzt ähnlich wie der WDR in den Tatort-Folgen aus Dortmund, in denen das Privatleben von Peter Faber (Jörg Hartmann) & Co. einen wesentlichen Teil der Rahmenhandlung ausmacht, in seinem Krimi aus der Hauptstadt auf eine parallel zum eigentlichen Mordfall laufende, folgenübergreifende Geschichte.

Schon der Berliner Vorgänger, in dem die Hauptkommissare Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) erstmalig auf Täterfang gingen, ließ diese für Tatort-Verhältnisse ungewohnte Erzähltechnik erahnen: Das Muli endete mit einem offenen Ende, weil Rubin im Spreepark eine Kugel entdeckte und den Tod von Karows Ex-Kollegen Maihack damit in ein völlig neues Licht rückte.

Wer aus dieser Schlusspointe nicht so recht schlau wurde, erlebt in Ätzend einen Aha-Effekt: Die 962. Tatort-Ausgabe ist eine direkte Fortsetzung des Berliner Vorgängers. Wer diesen verpasst oder verdrängt hat, wird von den Drehbuchautoren Mark Monheim und Stephan Wagner, der bei Das Muli Regie führte, einleitend an die Hand genommen: In der Auftaktminute platzieren die Filmemacher einen kurzen Rückblick, der dem Zuschauer den Mord an Drogenmogul Mehmet Erdem (Kida Khodr Ramadan, Melinda) noch einmal ins Gedächtnis ruft.

Nicht jedem Tatort-Fan schmeckt dieser horizontale Erzählansatz – und wer schon das letzte Finale unbefriedigend fand, wird an diesem noch weniger Gefallen finden. Wieder endet der Film mit einem knackigen Cliffhanger. Das Problem bei der Sache: Der nächste Fall von Rubin und Karow lässt noch Monate auf sich warten – Ätzend ist aber in erster Linie ein Übergangsfall zur Verbindung des Debüts mit dem, was in den nächsten Folgen noch kommen mag.

Für sich allein genommen wirkt das Krimidrama inhaltlich überfrachtet: Dass die Kommissare eine stark zersetzte Leiche in einem Säurefass und eine zweite auf einer nahegelegenen Baustelle finden, rückt immer wieder in den Hintergrund.

Filmemacher Dror Zahavi, der neben dem starken Kölner Tatort Franziska zuletzt Auf ewig Dein und Kollaps aus Dortmund inszenierte, beleuchtet neben der Gefühlswelt seiner Figuren auch ein iranisches Familiendrama: Über einem im Fass gefundenen Herzschrittmacher führt die Spur führt zu Saed Merizadi (Husam Chadat, Die Feigheit des Löwen), der in Neukölln ein Dentallabor betreibt und die Identität seines legal in Deutschland lebenden Bruders angenommen hat. Seine hochschwangere Frau Layla (Elmira Rafizadeh) und sein Sohn Arash (Julius Ipekkaya), die wie er keine Aufenthaltsgenehmigung besitzen, sind in Berlin untergetaucht.

"Ist doch absurd, oder? Der eine Mensch ist illegal und der andere nicht", bringt Rubin das Dilemma der Familie auf den Punkt – geht danach aber direkt wieder zur Tagesordnung über. Tiefenbohrung wird hier nicht betrieben. Dafür bleibt auch keine Zeit: Die Filmemacher illustrieren die Suche nach dem Mörder, Karows Nachforschungen über Maihacks Tod, das Schicksal der Merizadis und die Odyssee der jungen Ira (Stephanie Amarell) mit Hobby-Boxer Arash, der ausgerechnet bei Rubins Vater Kalle Ratke (Tilo Prückner, spielte von 2001 bis 2008 den Hamburger Hauptkommissar Eduard Holicek) trainiert. Nebenbei kommt Rubin auch noch ihrem getrennt lebenden Mann Victor (Aleksandar Tesla) wieder näher.

Diese zahlreichen Nebenkriegsschauplätze erdrücken den Mordfall, dessen Hintergründe in wenigen Minuten abgefrühstückt werden. Vor allem die Auflösung wird überhastet und uninspiriert vorgetragen. Der horizontale Ansatz zahlt sich zwar in den nächsten Fällen aus der Hauptstadt aus, wenn die verschiedenen Handlungsfäden wieder aufgegriffen werden – für sich allein genommen aber ist der zweite Einsatz des Berliner Teams nur ein mäßig spannendes, unvollendetes Krimidrama. Dass Robert Karow, der spontan eine Nacht mit einem Mann verbringt, der erste bisexuelle Kommissar der Tatort-Geschichte ist, gerät dabei fast zur Randnotiz.

Bewertung: 5/10

3 Kommentare:

  1. Ich kenne wesentlich bessere Tatorte. Dieser war wirklich "ätzend". Da hätte ich lieber Rosamunde Pilcher schauen sollen, das wäre besser gewesen. Was nicht geklärt wurde: Wer hat den Jungen hingerichtet? Warum war es die selbe Pistole? Was war mit dem Handy-Video? Welchen Zusammenhang hatte es? Ganz am Anfang wurde geseigt, wie der Kollege per Kopfschuss getötet wurde. Warum? Dieser Tatort war verwirrend und hat zu viele Fragen offen gelassen. Das war kein guter Tatort.

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  2. Aber später macht Karow sich doch noch die Pathologin klar? Schwul?

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    1. Der Kuss, der wohl mit "klar machen" gemeint ist, folgt ja erst in einer der nächsten Folgen. Die Formulierung "mit hoher Wahrscheinlichkeit" impliziert die Möglichkeit, dass er auch bisexuell sein könnte. Das ist in "Ätzend" aber noch nicht klar.

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