Borowski und das dunkle Netz

Folge: 1015 | 19. März 2017 | Sender: NDR | Regie: David Wnendt
Bild: NDR/Christine Schroeder
So war der Tatort:

Düster.

Und das nicht nur, weil die Kieler Hauptkommissare Klaus Borowski (Axel Milberg) und Sarah Brandt (Sibel Kekilli) bei ihrem zwölften gemeinsamen Einsatz im Darknet ermitteln: Viele Schlüsselszenen des Films spielen nachts oder bei spärlicher Beleuchtung.

So auch der Auftaktmord an Jürgen Sternow (Pjotr Olev, Undercover), dem Leiter der Cybercrime-Abteilung im LKA: Gemeinsam mit einem schwarz gekleideten Mann – schon bald erfahren wir, dass es sich um Auftragskiller Hagen Melzer (Maximilian Brauer) handelt – blicken wir durch die Augen einer monströsen Wolfsmaske und werden in wackeliger Ego-Shooter-Perspektive Zeuge dessen, wie Sternow kaltblütig erschossen wird. Was für ein Auftakt!

Später ist es der Fund einer von Maden zerfressenen Leiche oder der elektrisierende Showdown in einem finsteren Keller, der viele Zuschauer bis in den Schlaf verfolgen dürfte: Regisseur David Wnendt, der das Drehbuch zu Borowski und das dunkle Netz gemeinsam mit Thomas Wendrich (Fünf Minuten Himmel) schrieb, hat eine der packendsten Kieler Tatort-Folgen überhaupt konzipiert und geizt in seinem überragend inszenierten TV-Debüt nicht mit Suspense und schaurigen Horror-Momenten.

Die furchterregende Maske des Mörders, der von einem unbekannten Auftraggeber über das Darknet angeheuert wurde, erinnert an James Wans Folterorgie SAW oder M. Night Shyamalans Mysterythriller The Village – und gruselige Kinderzeichnungen, die den entscheidenden Hinweis zur Auflösung liefern, kennen wir aus der Dürrenmatt-Verfilmung Es geschah am hellichten Tag oder moderneren Schockern wie Ring und Sinister. Doch es darf auch gelacht werden – zum Beispiel dann, wenn LKA-Leiter Wolfgang Eisenberg (Michael Rastl, Duisburg-Ruhrort) von den Ermittlern nach seinem Alibi gefragt wird und spontan Details aus seinem Privatleben preisgibt.


BOROWSKI:
Wo waren Sie am Abend von Sternows Tod?

EISENBERG:
In meiner Frau.


Die Filmemacher wagen einen wilden Parforceritt durch die Filmgenres und kombinieren Nervenkitzel und Action gekonnt mit pfiffigem Dialogwitz und grotesker Situationskomik: Wenn der verletzte Killer in seinem Hostelzimmer unverhofft Besuch von der nackten Empfangsdame Rosi (mutig: Svenja Hermuth) erhält, ist das eine für Tatort-Verhältnisse ziemlich verstörende Sequenz.

Im 1015. Tatort (zu dem uns Hauptdarsteller Axel Milberg vorab ein tolles Interview gab) trifft der Thriller auf die Komödie, der Krimi auf den Horror – und es spricht für David Wnendts erzählerisches Geschick, dass er die humorvollen Zwischentöne gekonnt mit den vielen Gänsehautmomenten in Einklang bringt.

Wer diesen blutigen Tatort bis zum brutalen Höhepunkt durchsteht, erlebt ein ständiges Wechselbad der Gefühle – und das zu den Klängen eines bärenstarken Soundtracks, der stets den richtigen Ton trifft. Aber auch optisch wird eine Menge geboten: Eine spektakuläre Verfolgungsjagd führt durch ein laufendes Handballspiel des THW Kiel und mündet in eine dramatische Sequenz in der Umkleidekabine, bei der Erinnerungen an die ersten Auftritte von Epileptikerin Brandt wach werden.

Hinzukommen wird nur noch einer: Borowski und das dunkle Netz ist der vorletzte, wenn auch als letzter abgedrehte Tatort mit Sibel Kekilli, die wenige Wochen vor der TV-Premiere ihren Ausstieg aus der Krimireihe bekannt gab. Diesmal steht sie im Mittelpunkt: Trotz der Unterstützung der zwei karikaturesken Bilderbuch-Nerds Cao (Yung Ngo) und Dennis (Mirco Kreibich, Côte d'Azur) ist es vor allem Brandt, die die Suche im Darknet vorantreibt.

Anders als im schwachen Bremer Beitrag Echolot, in dem Lürsen und Stedefreund 2016 in einer überzeichneten IT-Klitsche ermittelten, spielen die Filmemacher hier mit den Klischees, statt sie uninspiriert zu bedienen: Die Zusammenarbeit des lernwilligen Borowski und der genervten Brandt mit den beiden Computerfreaks, deren programmierter Buzzer auf dem Schreibtisch automatisch eine Pizza-Bestellung auslöst, generiert einen Lacher nach dem nächsten.

Auch Borowski setzt auf digitalen Support und freundet sich mit der Sprachassistentin seines Smartphones an, die er "Sabine" tauft und deren rote Lampe verdächtig an den HAL 9000 aus Stanley Kubricks Sci-Fi-Meisterwerk 2001 - Odyssee im Weltraum erinnert (eine interessante Parallele zum Stuttgarter Tatort HAL). Grandioses i-Tüpfelchen auf diesem vor allem handwerklich herausragenden Kieler Tatort ist allerdings die augenzwinkernde Schlusspointe, die Borowskis mangelnde Web-Affinität gekonnt auf den Punkt bringt.

Bewertung: 9/10

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