Hardcore

Folge: 1030 | 8. Oktober 2017 | Sender: BR | Regie: Philip Koch
Bild: BR/Hagen Keller
So war der Tatort:

Pornös.

Denn Regisseur Philip Koch, der nach dem Meilenstein Der Tod ist unser ganzes Leben zum zweiten Mal für einen Tatort aus München am Ruder sitzt und das Drehbuch zu Hardcore gemeinsam mit Bartosz Grudziecki schrieb, entführt seine Zuschauer in eine Welt, die nur den wenigsten bekannt sein dürfte: in die Welt der deutschen Pornoindustrie. Deren Herz schlug schon in den 70er Jahren – man denke an Sexfilmchen wie Liebesgrüße aus der Lederhos'n – in München und hat sich durch das Internet extrem gewandelt: Wer vor Jahren dank geringer Produktionskosten und hoher Nachfrage noch den großen Reibach gemacht hat, kann sich heute kaum noch über Wasser halten.

Diese Erfahrung müssen in dieser Tatort-Folge auch der von Markus Hering (Am Ende geht man nackt) gespielte Produzent Sam Jordan ("Ich bin der Cumshot-König!") und sein von Frederic Linkemann gespielter Rivale Olli Hauer ("Nee, sorry, ich mach keine MILFs!") machen, die in beruflicher Beziehung zum Opfer standen: In den leeren Studioräumen über einem Kaufhaus finden die Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) die erdrosselte Marie Wagner (Helen Barke) – und neben ihr ein Planschbecken mit einer übel riechenden Brühe aus Körperflüssigkeiten wie Sperma und Urin. Unter dem Künstlernamen Luna Pink war Wagner ein Star der Amateurporno-Szene – und weil bei ihrem letzten Bukkake-Dreh zwei Dutzend Männer in ihrem Mund abgespritzt haben, reduziert sich der Kreis der männlichen Verdächtigen zunächst auf eben jene.

Zum Leidwesen der mit der Sichtung des Drehmaterials beauftragten Assistenten Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) und Ritschy Semmler (Stefan Betz) trugen sie aber allesamt Masken – was die Auflösung der Täterfrage erheblich erschwert.


LEITMAYR:
Wir suchen jetzt einen Mann mit zwei Armen, zwei Beinen und einem eher... joa... unterdurchschnittlich großen... Glied.

BATIC:
Das trifft auf halb München zu.


Wer Berührungsängste mit den Themen Sex und Pornografie mitbringt, dürfte schnell die Lust an diesem tabulosen Krimi verlieren, doch alle anderen Zuschauer dürften auf ihre Kosten kommen: Vor allem der trockene und meist nicht jugendfreie Dialogwitz macht den hohen Unterhaltungswert der 1030. Tatort-Folge aus.

Die Ermittlungen konzentrieren sich auf die Protagonisten vor und hinter der Kamera, was zu köstlicher Situationskomik führt: Bei einem Besuch am Set beispielsweise diskutiert Leitmayr wie selbstverständlich mit zwei Darstellern über geldwerte Steuervorteile, während die beiden am Catering ihre Erektion am Leben erhalten und eine intimrasierte Creampie-Expertin den verdutzten Batic über lukrative Porno-Praktiken aufklärt.

In einem Tatort aus Köln oder einem Tatort aus Luzern wären Szenen wie diese wohl ziemlich verkrampft ausgefallen, doch an der Isar wirkt alles wunderbar natürlich: Nie gerät das Geschehen zu albern, und auch die Moralkeule und der Erklärbär bleiben in der Regel außen vor. Wer mit Begriffen wie Cumshot und Abkürzungen wie ATM oder DP nichts anfangen kann, wird nicht alle Dialoge verstehen – ist damit aber nicht allein, weil auch die Kommissare trotz ihres soliden Grundwissens nicht jeden Terminus kennen.

Explizites Material sendet die ARD selbstredend nicht: Obwohl blanke Brüste und schlaffe Penisse durchs Bild wippen und die Pornografie omnipräsent ist, wird das titelgebende Hardcore-Material nie im Detail eingefangen. Stattdessen gerät schon der Auftakt zur kunstvollen Ouvertüre: Zu den Klängen von Henry Purcells What Power Art Thou stolziert die mit einem Bikini bekleidete Wagner in Zeitlupe gen Planschbecken, um plötzlich vor dem Zuschauer in die Knie zu gehen und ihm direkt in die Augen zu blicken.

Dieses gekonnte Spiel mit dem Voyeurismus des Zuschauers bleibt nicht die einzige visuelle Fingerübung, doch im Hinblick auf die Figuren offenbart der Krimi Schwächen: Dass die Ermordete die Tochter des Oberstaatsanwalt Rudolf Kysela (Götz Schulte) ist, sorgt kaum für zusätzliche Brisanz – ein anderer in der Öffentlichkeit stehender Bürger hätte für die Geschichte kaum schlechter funktioniert.

Bei der Charakterzeichnung zu kurz kommen Schlüsselfigur und Ex-Pornodarstellerin Stella Harms (Luise Heyer, Taxi nach Leipzig) und vor allem ihr Mann Markus (Golo Euler, Im Schmerz geboren), während im Hinblick auf die Porno-Produzenten fleißig Klischees bedient werden. Das Ganze wird aber mit entwaffnendem Humor und tollen One-Linern aufgefangen – und so ist Hardcore nicht nur ein freizügiger, sondern auch ein amüsanter und origineller Krimi, der bei erzkonservativen Zuschauern natürlich für Empörung sorgt.

Bewertung: 7/10

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