Die Faust

Folge: 1043 | 14. Januar 2018 | Sender: ORF | Regie: Christopher Schier
Bild: ARD Degeto/ORF/E&A Film/Hubert Mican
So war der Tatort:

Trügerisch.

Denn der 1043. Tatort ist nur vordergründig ein Serienkiller-Thriller im Stile von Der kalte Tod oder Nachtsicht: Drehbuchautor Mischa Zickler und Regisseur Christopher Schier, der nach dem soliden Tatort Wehrlos das zweite Mal binnen neun Monaten für den ORF am Ruder sitzt, arrangieren in Die Faust eine eigenwillige Kreuzung aus einer packenden Jagd auf einen vermeintlichen Psychopathen und einem ambitionierten Polit-Krimi, die im Gesamtergebnis aber nicht ganz überzeugend ausfällt.

Dabei geht es so vielversprechend los: Die Filmemacher ziehen die Spannungsschraube bei einer brutalen Mordserie von Leiche zu Leiche konsequent an und zeigen den Täter schon bei dessen zweiter Tat in voller Montur – ein Jump Scare mit Gänsehautgarantie, bei dem wir dem Killer direkt in sein maskiertes Gesicht blicken. Beim dritten Mord befindet sich das Spannungsbarometer dann am Anschlag: Quälend lange Minuten werden wir – ähnlich wie in Borowski und das dunkle Netz – in Ego-Shooter-Perspektive Zeuge dessen, wie der Killer sein weibliches Opfers brutal abschlachtet, während dessen verängstigte Mitbewohnerin wenige Meter weiter in einem Versteck um ihr Leben zittert.

Doch die Identität des Serienmörders bleibt auch hier im Dunkeln: Der Unbekannte hat sich mit einem weißen Overall der Spurensicherung getarnt und gibt den Wiener Ermittlern Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) ein kniffliges Rätsel auf, weil er seine drei Opfer gezielt an Orten zur Schau stellt, an denen sich kaum verwertbare Spuren finden lassen. Wie gut, dass die beiden bei ihrem 18. gemeinsamen Einsatz an einem Strang ziehen – wenngleich sich Fellner bei ihrem Chef Ernst Rauter (Hubert Kramar) heimlich für eine leitende Position in einer anderen Abteilung beworben hat und dabei mit ihrem Streberkollegen Clemens Steinwendtner (Dominik Maringer) um den Posten konkurriert.


FELLNER:
Er ist fröhlicher als du.

EISNER:
Ich bin auch fröhlich!

FELLNER:
Jetzt auch?

EISNER:
Ja, sicher!


Die Faust kann das hohe Niveau aber nur eine gute Dreiviertelstunde lang halten, denn anders als in Gott ist auch nur ein Mensch, in dem Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) wenige Wochen zuvor in Münsters Künstlerszene nach einem Serientäter mit ähnlichem Faible für spektakuläre Inszenierungen fahndeten, können sich ihre Wiener Kollegen Eisner und Fellner ("Da hat jemand Sinn für Theatralik!") ihrer Sache bald nicht mehr sicher sein: Sind das Zurschaustellen der Leichen und ihr postmortales Penetrieren womöglich nur aufwändige Ablenkungsmanöver von einem ganz anderen Mordmotiv?

Spätestens, als Eisner seine alte Profiler-Freundin Henriette Cerwenka (Erika Mottl) in die Ermittlungen einbezieht und diese seine Theorie bestätigt, lichtet sich der Nebel. Ab diesem Moment ist die Suche nach der Auflösung der Täterfrage aber nur noch Routine – und der Film durchlebt eine seltsame Metamorphose hin zu einem ziemlich dünnen Polit-Krimi, dessen Rahmenhandlung bei weitem nicht so überzeugend ausgearbeitet wird wie der erste Abschnitt der Geschichte.

Als die österreichischen Ermittler, die bei ihren Recherchen von ihrem eifrigen Assistenten "Fredo" Schimpf (Thomas Stipsits) und Gerichtsmediziner Prof. Kreindl (Günter Franzmeier) unterstützt werden, auf geheime Manöver des russischen Geheimdienstes stoßen und mit dem undurchsichtigen Universitätsprofessor Nenad Ljubic (Misel Maticevic, Borowski und das Fest des Nordens) über osteuropäische Bürgerrechtsbewegungen fachsimpeln, verliert der Film seine anfängliche Bodenhaftung: Selbst für den in der Vergangenheit häufig auf internationale Verbrechen ausgerichteten Fadenkreuzkrimi aus Wien (vgl. Deckname Kidon, Zwischen den Fronten) wirkt die Geschichte ab diesem Zeitpunkt eine Nummer zu groß.

Für eine standesgemäße Ausarbeitung der Hintergründe bleibt am Ende auch wenig Zeit – schließlich will noch erzählt werden, wie Rauters Personalentscheidung ausfällt und ob sich Eisner womöglich eine neue Tatort-Partnerin suchen muss. Trotz dieses regelmäßig auflodernden Konflikts harmonieren die beiden Ermittler aber einmal mehr prächtig: Anders als im Vorgänger Virus oder ihrem schwachen Auftritt in Sternschnuppe sind Humor und Wiener Schmäh diesmal angenehm dosiert und wirken weitaus natürlicher, als es im Tatort aus Österreich in den Jahren davor ab und an der Fall war.

Bewertung: 5/10

5 Kommentare:

  1. 5/10 ?

    Mal wieder viel zu wenig. Der beste Tatort seit Monaten. Ja, etwas zu viel Story, aber rechtfertigt das einen Abzug von 5 Punkten? Sicher nicht. Diese Seite lässt leider nach.

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  2. Nun, erste Hälfte stark, zweite Hälfte schwach - das macht auf unserer Skala 5 Punkte. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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  3. Neben den meisten anderen Tatortserien- mal wieder ein Tatort ohne Erziehungs- bzw. Propagandaanspruch. Alleine schon deswegen- 10 Punkte!!

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  4. Der Kommentar ist genau wie die Tatort Episode. Starker Beginn und zum Ende kommt nix mehr.
    Warum wird im Kommentar nicht auf das völlig verunglückte Ende eingegangen. Die Szene zwischen dem Mörder(?) [war's er wirklich? Das ist nämlich gar nicht klar] und der Trulla, die unbehelligt von den Ermittlern ihr Dasein in einem seltsamen Haus am Rande der Stadt fristet.
    Er schlägt sie nieder, da labern sie, sie bedroht ihn mit der Waffe, dann labern sie wieder, dann schlägt er sie wieder nieder. Sie schießt. DANN kommen die Kommissare. DIESE Szene war ja wohl das allerletzte. Warum wird die Frau nicht verhaftet(?). Ob das Notwehr war ist doch wohl strittig. Das Ende dieses Tatorts muss(!) mindestens noch einen (1) Punkt Abzug geben.....

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    1. Das schwache Ende ist Teil der schwachen zweiten Hälfte, die in der Kritik stark ins Gewicht gefallen ist. Wir gehen aber in der Regel nicht explizit auf jede Szene ein, weil wir nur sehr ungern spoilern. Nicht jeder Leser kennt den Film bereits.

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