Freies Land

Folge: 1061 | 3. Juni 2018 | Sender: BR | Regie: Andreas Kleinert
Tatort: Freies Land
Bild: BR/Claussen+Putz Filmproduktion GmbH/Hendrik Heiden
So war der Tatort:

Reichsbürgerlich.

Denn die Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) geraten bei ihrem 78. Fall an Mitbürger, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als rechtmäßiger Staat leugnen und zwischen 2015 und 2017 über 10.000 Straftaten begingen: Reichsbürger sorgten in den Jahren vor der TV-Premiere von Freies Land bundesweit und wiederholt für Schlagzeilen.

Im Film nennen sie sich "Freiländer" und haben sich in der Nähe des niederbayrischen Traitach niedergelassen – und weil der mutmaßliche Selbstmord von Florian Berg (Niels Osthorst), den seine Mutter Johanna (Doris Buchrucker, Klingelingeling) einleitend tot in der Badewanne findet, womöglich ein gezielt vertuschter Anschlag der Reichsbürger ist, verschlägt es auch Batic und Leitmayr in den Ort, in dem sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen und in dem die Freiländer unter Leitung des auf Krawall gebürsteten Anführers Ludwig Schneider (stark: Andreas Döhler, Der kalte Fritte) einen großen Hof und mehrere Hektar Land bewohnen.

In bester The Village-Manier haben sie sich mit Stacheldrahtzaun von der Außenwelt abgekoppelt –behelligt werden sie von den Behörden aber ohnehin nicht, denn der ortsansässige Dorfpolizist Mooser (Sigi Zimmerschied, Häschen in der Grube) und sein schweigsamer Kollege (Konstantin Moreth, Ein Sommernachtstraum) haben resigniert und schieben fernab von Großstadttrubel und Staatsanwaltschaft eine ruhige Kugel.

Das bekommen auch Batic und Leitmayr zu spüren, die mit der köstlichen Antriebslosigkeit ihrer Kollegen zu kämpfen haben und vor Ort nicht immer die Unterstützung bekommen, die sie sich erhofft hätten.


MOOSER:
Es gibt natürlich noch so unermüdliche Helden wie euch. Und wir anderen machen jetzt Mittag.


Wer die mediale Berichterstattung nicht verfolgt und in den sozialen Netzwerken weggesehen hat, wird in angemessener Länge über die Ideologie der Reichsbürger aufgeklärt: Regisseur Andreas Kleinert (Freddy tanzt) und Drehbuchautor Holger Joos (Der Tod ist unser ganzes Leben) wagen sich an ein politisch heißes Eisen und lassen die Kommissare vor Ort in eine Versammlung stolpern, bei der Schneider für eine Brandrede viel Zuspruch erntet.

Keine Frage, der 1061. Tatort legt den Finger auf den Puls der Zeit und mitten in die Wunde der deutschen Exekutive, die der Missachtung ihrer Autorität bisweilen machtlos gegenüber steht: Eine vergleichbare Geschichte erzählte 2014 der herausragende Bremer Tatort Brüder, in dem Inga Lürsen (Sabine Postel) und Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) einen kriminellen Clan gewähren lassen mussten – und auch Schneider, sein Handlanger Klaus (Simon Zagermann) und der gewievte Anwalt Roland (Thorsten Krohn) wissen genau, wie weit sie gehen dürfen.

Die Kommissare wiederum lassen sich provozieren: Die kurze Eskalation der Gewalt markiert einen Wendepunkt, ist der Spannungskurve in Freies Land aber nicht ganz so dienlich, wie man zunächst meinen sollte, denn Batic und Leitmayr zoffen sich anschließend so sehr, dass sie vorübergehend getrennte Wege gehen. Leitmayr nutzt diese Zeit für einen ausgedehnten Ausflug mit dem schrulligen Dorfältesten Alois (Peter Mitterrutzner, Unvergessen) –dieses toll fotografierte Intermezzo ist dank der sommerlichen See- und Wiesenpanoramen hübsch anzuschauen, gestaltet sich aber weniger reizvoll als Batic' Annäherung an das blinde Mädchen Maria (Vreni Bock), das die Worte seiner alleinerziehenden Mutter Lene (Anja Schneider, Ätzend) durchaus hinterfragt.

Ansonsten spielen Batic und Leitmayr, die einmal mehr prächtig harmonieren, oft nur die zweite Geige: Neben ihren Ermittlungen beleuchten die Filmemacher auch das Innenleben der Freilandgemeinschaft, die ihr Weltbild gegen alle Widerstände in die Tat umsetzen möchte. Vielschichtige Charaktere findet man hinter den Zäunen aber nur wenige, weil die Figurenkonstellation sehr klassisch ausfällt: Während Schneider die Rolle eines Sektengurus einnimmt und viele geistig limitierte Mitläufer unter seinen Fittichen weiß, darf sich die energische Lene erst spät von ihrer eindimensionalen Rolle emanzipieren.

Etwas zu kurz kommt auch Assistent Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer): Während Batic und Leitmayr an der Front für die wunderbar unaufdringlichen, humorvollen Zwischentöne sorgen (Stichwort: Automaten-Currywurst), hält Kalli in München die Stellung – und steuert zumindest noch den entscheidenden Hinweis zur Auflösung bei.

Bewertung: 7/10