Tiere der Großstadt

Folge: 1066 | 16. September 2018 | Sender: rbb | Regie: Roland Suso Richter
Bild: rbb/Conny Klein
So war der Tatort:

Transhumanistisch.

Denn im winterlichen Berlin übernehmen die Maschinen – und zwischen den Ermittlern wird es frostig. Programmierte Roboter kochen Kaffee, schmeißen den Haushalt, trösten bei Einsamkeit – und sie töten.

Dieses altbekannte Horrorthema beschäftigt die Hauptkommissare Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) bei der Aufklärung eines Todesfalls am Ku'damm: Tom Menke (Martin Baden) wird erstochen in seinem "Robista"-Coffeshop aufgefunden. Dass das komplett selbstständig arbeitende und kaffeevertreibende Gerät den Unfall selbst verursacht haben könnte: natürlich ausgeschlossen!

Parallel dazu kehrt Carolina (Tatiana Nekrasov, Dunkle Zeit), die Frau des Bäckers Reno Gröning (Kai Scheve, Tödliche Häppchen) nicht vom morgendlichen Waldlauf zurück: Sie scheint kurz vor ihrem Tod Bekanntschaft mit einem Wildschwein gemacht zu haben. Der Berliner Grunewald beherbergt neben Joggern schließlich längst wieder allerlei Getier – und in Tiere der Großstadt auch die für die Handlung seltsam überflüssige Naturbloggerin Charlie (Stefanie Stappenbeck, bis 2016 dreimal im Tatort aus Hamburg zu sehen), die mit der Leiche im Schnee schließlich ein "besonderes Geschenk der Natur" beim Live-Streamen aufstöbert.

Was hingegen die Kameras am Ku'damm nicht sehen, sieht möglicherweise der Rentner Albert (Horst Westphal) von seinem Fenster aus. Ein freundschaftliches Band entspinnt sich zwischen ihm und Karow. Aber kann er der Erinnerung des alten Mannes trauen? Crazy Cat Lady Kathrin Menke (Valery Tscheplanowa), die den Coffeshop gemeinsam mit ihrem ermordeten Mann betrieben hatte, zieht sich jedenfalls zurück in ihren Alltag, in dem Menschen nur noch die zweite Geige spielen.


KAROW:
Sie haben sich um den Automaten gekümmert wie Eltern, oder? Dieser Roboter, das war sowas wie’n Baby für Sie.

MENKE:
Auf jeden Fall muss man ihm alles nur einmal zeigen. Ich hab’ gehört, bei Kindern ist das nicht so.


Für Berliner Verhältnisse leider schwach ist das Drehbuch von Beate Langmaack (Das Recht, sich zu sorgen): Das Zusammenführen der beiden Handlungsstränge gelingt ihr kaum, die Vorhersehbarkeit bei der Täterfrage und ein spät eingestreuter Hinweis sind Spannungskiller.

Als Zuschauer könnte man sich aufgrund des ausgelutschten Digi-Themas (vgl. HAL, Mord Ex Machina oder Echolot) ohnehin sehr früh mit der Auflösung "Es war der Roboter!" zufrieden geben, aber auch Wildschweine und Füchse gehören mittlerweile ebenso zu Berlin wie der Fernsehturm und Automatenkaffee. Possierliche Tierchen wuseln, flattern und streunen als Leitmotiv durch den 1066. Tatort, während ein Totentanz mit der Maschine schließlich die Message offenbart: Die Menschen hängen zu viel mit Siri und Co. ab und kriegen ihre sozialen Beziehungen nicht mehr auf die Reihe. Keine besonders überraschende Erkenntnis.

Küchenphilosophie hat schon so manchen Sonntagskrimi versaut und lässt die Hoffnung auf den nächsten Berlin-Knaller nach dem grandiosen Berlinale-Tatort Meta platzen, doch anders als in München oder Köln kommt man an der Spree ohne Moralapostel aus: Im Angesicht der Endzeitstimmung bringen die beiden Ermittler jede Line mit soviel ironischer Überhöhung rüber, dass der Film trotzdem Spaß macht.

Und wie üblich in der Hauptstadt war auch bei Tiere der Großstadt wieder Qualität am Werk: Regisseur Roland Suso Richter (Kopper) schafft eine skurrile Naturlyrik des Berliner Dschungels und inszeniert mit vielen metaphorischen Details die Mensch-Maschine-Interaktion. Schon der Vorspann zeigt sich als aufwändig produzierter Videoclip im Stile erfolgreicher Web- und Pay-TV-Serien. Die Musik von Nils Frahm (Deutscher Filmpreis für die Musik in Victoria) macht aus dem Tatort mit leicht dissonantem Clubsound auch künstlerisch eine runde Sache und in Sachen Schauspielkunst sind Meret Becker und Mark Waschke sowieso eine sichere Bank.

Wenngleich Karows Wutausbrüche und Rubins ewiger Mutter-Sohn-Konflikt diesmal sehr konstruiert wirken, wissen die beiden Großstadtpflanzen mit all dem menschlichen Gefühlsballast erstaunlich souverän umzugehen. Nüchtern überbringen sie Todesnachrichten und blicken stets etwas blasiert auf den Großstadtzoo, der sich heimlich den Lebensraum von den menschlichen Bewohnern zurückerobert.

Im Vergleich dazu beißt sich der (durchaus spannende) Nachwuchs Mark Steinke (letzter Auftritt: Tim Kalkhof) und Anna Feil (Carolyn Genzkow) noch öfter auf die Lippe, als es sein müsste. Rubin und Karow hingegen merkt man an, wie sehr sie in diesem Film und in dieser Stadt zu Hause sind: Sie lieben und weinen, sie schreien und schwitzen, sie frotzeln und küssen.

Sie sind Berlin.

Bewertung: 6/10

Borowski und das Haus der Geister

Folge: 1065 | 2. September 2018 | Sender: NDR | Regie: Elmar Fischer
Bild: NDR/Christine Schroeder
So war der Tatort:

Übersinnlich, übertrieben und überraschend schwach - zumindest für Kieler Verhältnisse.

Denn Regisseur Elmar Fischer (Letzte Tage) und Drehbuchautor Marco Wiersch (Zeit der Frösche) schicken den Tatort knapp elf Monate nach dem allenfalls zum Fürchten schlechten Frankfurter Krimi-Experiment Fürchte dich erneut auf einen Ausflug ins Horror-Genre: Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) reist vier Jahre nach dem Verschwinden seines heimlichen Schwarms Heike Voigt (Sandrine Mittelstädt, Todesbrücke), der Ehefrau seines früheren Freundes Frank Voigt (Thomas Loibl, Wofür es sich zu leben lohnt), in dessen Villa – Borowskis Patenkind Grete (Emma Mathilde Floßmann), das gemeinsam mit ihrem Vater Frank, dessen neuer Frau Anna (Karoline Schuch, Kalter Engel) und ihrer Schwester Sinja (Mercedes Müller, Mia san jetz da wo's weh tut) in dem abgelegenen Haus wohnt, hatte ihn per Brief darum gebeten. Nachts geschehen dort unheimliche Dinge, die aber nur Anna wahrnimmt. Fauler Zauber oder tatsächlich übersinnliche Phänomene?

Borowski geht auf Geisterjagd und rollt den zurückliegenden Todesfall neu auf, doch weil er befangen ist, stellt ihm sein Chef Roland Schladitz (Thomas Kügel) eine Partnerin zur Seite: Die 28-jährige Mila Sahin (Almila Bagriacik, Wer das Schweigen bricht) ist die Neue im Kieler Polizeipräsidium und tritt die indirekte Nachfolge von Sarah Brandt (Sibel Kekilli) an, nachdem der Kommissar in Borowski und das Land zwischen den Meeren einmalig allein ermittelt hatte. Und Sahin ist wahrlich nicht auf den Mund gefallen.


VOIGT:
Mir gefällt ihr Ton nicht.

SAHIN:
Ich könnte Gesangsstunden nehmen.


Der NDR setzt auf ein vor Selbstbewusstsein nur so strotzendes Energiebündel: Sahin unterzieht ihre Boxbirne "Walter" im neuen Büro schon zum Einstieg einer Belastungsprobe und drückt in der Folge ordentlich aufs Tempo. Ihre dynamische Gangart und das unerschütterliche Selbstvertrauen, mit dem sie vor allem der Generation Y als Identifikationsfigur dienen dürfte, wirken allerdings überzeichnet und werden erst im Schlussdrittel des Krimis auf ein weniger anstrengendes Maß zurückgeschraubt. Ansonsten ist Sahin Brandt durchaus ähnlich, so dass sich an der Ermittlerkonstellation auf den ersten Blick nicht viel ändert.

Auch der Mut zu ausgefallenen Geschichten ist für den Fadenkreuzkrimi von der Förde typisch, doch birgt Borowski und das Haus der Geister – und das ist im Kieler Tatort eher die Ausnahme – im Hinblick aufs Drehbuch einige Schwächen: Die Auflösung fällt ziemlich vorhersehbar aus und beim Blick auf die Figuren scheint manches nicht stimmig.

Dass Borowski vom Jähzorn seines einstigen Schwarms nicht das Geringste geahnt haben will, wirkt sehr unglaubwürdig, sein blindes Vertrauen zu Neuling Sahin gerade bei einem solch persönlichen Fall überhastet – und über sein verschlossenes Patenkind, das die Filmemacher als anfängliche Schlüsselfigur schnell wieder fallen lassen, erfahren wir viel zu wenig. Vielmehr müssen Gretes blaue Haare, ihre Wollmütze und ihre Punk-Klamotten reichen, um sie auch im Geiste von ihrer sexy gekleideten Schwester Sinja zu trennen.

Zumindest im Hinblick auf Stiefmutter Anna, die von den schrecklichen Horror-Visionen gepeinigt wird, legen die Filmemacher mit einem gemeinsamen Ausflug in den Wald ein deutlich solideres Fundament für die weitere Charakterzeichnung und auch ästhetisch weiß der 1065. Tatort zu überzeugen. Dem solide inszenierten nächtlichen Grusel fehlt aber die Durchschlagskraft, denn für elektrisierende Schockmomente ist der Sendeplatz der falsche und für eine Geistergeschichte, bei der man die vermeintliche Übersinnlichkeit als gegeben hinnehmen könnte, ist die Handlung tagsüber viel zu sehr in der Realität geerdet.

Als Borowski die Damen des Hauses irgendwann sogar zum Gläserrücken bittet ("Wir rufen dich, großer Geist!"), driftet die Handlung für einen Moment ins Lächerliche ab, ehe sich die Filmemacher wieder auf das konzentrieren, was ihren unrunden Genre-Mix überhaupt sehenswert macht: das Offenlegen der innerfamiliären Spannungen und die Aufklärung des tragischen Vorfalls von einst.

Auch im Hinblick auf die Figurenentwicklung ist Borowski und das Haus der Geister interessant: Nach fast fünfzehn Dienstjahren dürfen wir endlich Borowskis Ex-Frau Gabrielle (Heike Trinker, Der rote Schatten) kennenlernen – ein netter Handlungsschlenker, der die Geschichte aber kaum voranbringt.

Bewertung: 5/10