KI

Folge: 1069 | 21. Oktober 2018 | Sender: BR | Regie: Sebastian Marka
Bild: BR/Bavaria Fiction GmbH/Hendrik Heiden
So war der Tatort:

Seelenlos.

Denn in diesem Tatort von Sebastian Marka (Der scheidende Schupo) mangelt es zwar weniger der ambitionierten Geschichte, dafür aber der wichtigsten Augenzeugin im Fall der verschwundenen Melanie Degner (Katharina Stark) an einer Seele und Herzblut: Die 14-jährige Schülerin hatte eine komplexe künstliche Intelligenz namens MARIA auf ihrem Laptop installiert. Die wurde offenbar aus dem Leibniz-Rechenzentrum in München-Garching gestohlen und weiß mehr über die Hintergründe von Melanies Verschwinden.

Bei der Aufklärung des Falls sind die Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) – nicht gerade die Digital Natives der Krimireihe – wohl oder übel auf die Unterstützung der titelgebenden KI angewiesen: Die Idee der Drehbuchautoren Stefan Holtz und Florian Iwersen, die bereits die sehenswerte Oktoberfest-Folge Die letzte Wiesn gemeinsam schrieben, eine künstliche Intelligenz zur wertvollsten Zeugin zu machen, hat es im Tatort so noch nicht gegeben und schafft eine vielversprechende Ausgangslage für einen spannenden Cyberkrimi.

Wenngleich der warnende Zeigefinger nicht ausbleibt, rückt die KI zu Beginn sogar in ein ungewohnt positives Licht – und wenn Leitmayr im LRZ bei der ersten Befragung von MARIA schon nach wenigen Fragen die Geduld verliert, weil sich Batic mit neunmalklugen Ratschlägen einmischt, darf natürlich auch geschmunzelt werden.


LEITMAYR:
Jetzt halt doch mal die Klappe, Mensch!

MARIA:
Redest du mit mir?

LEITMAYR:
Nein.

MARIA:
Aber ich höre noch eine Stimme?

LEITMAYR:
Ja, leider. Einfach ignorieren, das mach ich auch so.


Sympathisch-humorvolle und zugleich sorgfältig dosierte Szenen wie diese sind typisch für den Tatort aus München, gehen diesmal aber auf Kosten der Logik: MARIA scheint beim Verhör stets die Antworten zu geben (oder eben nicht zu geben), die dramaturgisch ins Konzept passen.

Auch technisch klafft das eine oder andere Logikloch: Betont Projektleiter Bernd Fehling (Florian Panzner, Nachbarn) einleitend noch, dass allein der Supercomputer im Rechenzentrum dazu in der Lage sei, die riesigen Datenmengen bei der Interaktion mit der KI störungsfrei zu verarbeiten, lässt sich mit ihrer weiterentwickelten Raubkopie problemlos per Laptop bei wackeliger Internetverbindung in der Pampa interagieren.

Solche Ungereimtheiten schmälern den Unterhaltungswert zwar nur gering, dafür offenbaren sich im Hinblick auf die Nebenfiguren erhebliche Schwächen bei der Charakterzeichnung: Den nicht von ungefähr mit Sonnenbrille, Cap und Vollbart maskierten IT-Techniker Christian Wilmots (Schauspieler Thorsten Merten spielt schließlich auch Kommissariatsleiter Kurt Stich im Tatort aus Weimar) skizzieren die Filmemacher viel zu oberflächlich als paranoiden Einzelgänger und Freak ("Wer schickt euch? NSA? BND?"), während die ehrgeizige Überfliegerin Anna Velot (Janina Fautz, Sonnenwende) kaum mehr als ein anstrengendes Klischee auf zwei Beinen ist.

Die Kollegen der Kommissare bestätigen hingegen ein ungeschriebenes Tatort-Gesetz: Die auszubügelnden Ermittlungsfehler gehen oft aufs Konto der unteren Dienstränge – diesmal auf das von Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer), der sich von Anna mit einem simplen Trick aufs Kreuz legen lässt, und Ritschy Semmler (Stefan Betz), der bei einer Observation im entscheidenden Moment nicht richtig hinsieht.

Trotz der vielen Szenen im futuristisch eingerichteten LRZ ist KI aber kein reiner Cyberkrimi, sondern auch ein – leider sehr vorhersehbares – Familiendrama: Wieviel durch die Scheidung von Melanies Eltern ins Rollen gekommen ist, lassen schon die Antidepressiva erahnen, die ihre Mutter in ihrer ersten Szene in einer Schublade verschwinden lässt. Während wir am Seelenleben ihres Ex-Mannes Robert (Dirk Borchardt, Hundstage) ausführlich teilhaben dürfen, bleibt Brigitte Degner (Lisa Martinek, Blutgeld) die Unbekannte in diesem Tatort – erfahrene Zuschauer ziehen daraus schon früh die entsprechenden Schlüsse.

Auch über die Gründe für Melanies Einsamkeit und ihre Flucht in die Pseudo-Freundschaft zu einer künstlichen Intelligenz erfahren wir zu wenig, als das uns ihr Schicksal berühren würde – und so wirft das tragische Ende fast mehr Fragen auf, als es beantwortet.

Bewertung: 5/10

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