One Way Ticket

Folge: 1114 | 26. Dezember 2019 | Sender: BR | Regie: Rupert Henning
Bild: BR/Hagen Keller
So war der Tatort:

Deutsch-kenianisch.

Denn im Dezember 2019 geht es im Tatort so international zu wie lange nicht mehr: Ein Ausflug nach Dänemark im Kieler Tatort Borowski und das Haus am Meer, ein russischer Kidnapper und ein südafrikanischer Killer im Münster-Tatort Väterchen Frost – und nun ein global agierendes Schmugglerkartell, das auch in Kibera aktiv ist, dem größten Slum in Nairobi.

Anders als ihre Kölner Kollegen Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär), die in Blutdiamanten nach Belgien reisten oder in Manila auf die Phillipinen jetteten, ermitteln die Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) in One Way Ticket aber ausschließlich in ihrer Heimat: Timo Harbig (Jakob Spieler), der für eine NGO verschiedene Hilfsprojekte in Afrika organisiert hat, wird einleitend vergiftet am Steuer seines Wagens aufgefunden. Die Kripo schaltet sich ein und stößt auf die Afrikanerin Numa Imani (Cynthia Micas, seit Das Leben nach dem Tod als Gerichtmedizinerin Jamila Marques im Berliner Tatort zu sehen), die kurz nach Harbigs Tod von einer Überwachungskamera am Tatort gefilmt wurde und offenbar wie er für das Kartell tätig war.

Was diese Verstrickungen mit angolanischen Wolfsmilchgewächsen zu tun haben, welche Rolle dabei in Armut lebende Rentner spielen und warum sogar die Stasi ihre Finger im Spiel hat, gilt es für Batic und Leitmayr herauszufinden – tatkräftig unterstützt werden sie von den Kommissaren Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) und Ritschy Semmler (Stefan Betz) sowie Gerichtsmediziner Dr. Matthias Steinbrecher (Robert Joseph Bartl), der genau weiß, was er kann und was er eben nicht kann (oder will).


BATIC:
Was bitte macht die Stasi in München? Fast 30 Jahre nach ihrer Auflösung?

STEINBRECHER:
Ich bin der Forensiker. Ihr seid's die Rätselnussknacker.


Regisseur und Drehbuchautor Rupert Henning, der bisher die Wiener Tatort Folgen Grenzfall, Schock und Virus inszeniert hat, wirft den Zuschauer einleitend mitten in die Geschichte hinein und springt gleich zwischen drei verschiedenen Handlungsebenen hin und her.

Während Batic, Leitmayr und der diesmal auffallend forsche Hammermann einleitend den Fundort der Leiche begutachten, landet der als Drogen- und Geldkurier tätige deutsche Rentner Martin Endler (Siemen Rühaak, Feierstunde) nach einer Kontrolle am Flughafen von Nairobi in einem afrikanischen Knast und muss schnell ums nackte Überleben fürchten. Seine Schmugglerkollegin Uschi Drechsl (Ulrike Willenbacher) läuft derweil NGO-Mitarbeiterin Amelie Seitz (Theresa Hanich, Das Recht, sich zu sorgen) in die Arme, die die Machenschaften der vermeintlich unbescholtenen Rentner ans Licht zu bringen droht.

Schon zu diesem frühen Zeitpunkt des Krimis zeigt sich: Für die üblichen 90 Tatort-Minuten ist die komplex arrangierte Geschichte eine Nummer zu groß. Der bemühte Brückenschlag in die Stasi-Zeit, dessen Hintergründe sich erst spät offenbaren, wirkt überkonstruiert und raubt im Drehbuch wertvolle Zeit für ein deutlich spannenderes Thema, aus dem man so viel mehr hätte herausholen können: die Altersarmut, die die Rentner erst in die Fänge des Kartells getrieben hat.

Wie frustrierend es sein muss, sein Leben lang gearbeitet zu haben, um sich dann mit Blick auf den Münchner Mietspiegel bei der "Tafel" anstellen und seine schmale Rente illegal aufbessern zu müssen, wird zwar bei einem Verhör kurz umrissen – angemessen ausführlich beleuchtet wird aber nur Endlers Schicksal. Die beängstigenden Sequenzen im afrikanischen Knast sind zugleich das Aufregendste an der dialoglastigen und nach klassischer Tatort-Dramaturgie ablaufenden Geschichte: Die obligatorische zweite Leiche wird nach einer knappen Stunde gefunden und am Ende bekommt jeder Bösewicht das, was er verdient.

In einem Aspekt hebt sich die überzeugend besetzte und routiniert inszenierte Film aber von ähnlich gelagerten Politkrimis ab: Statt sich in den im Tatort häufig zu beobachtenden 08/15-Grabenkämpfen mit übergeordneten Behörden zu verlieren (wie zuletzt in Wo ist nur mein Schatz geblieben?), arbeitet die Kripo in der 1114. Ausgabe der Krimireihe einfach konstruktiv und geräuschlos mit dem in Nairobi stationierten BKA-Verbindungsbeamten Rolf Hardt (Moritz von Treuenfels) zusammen.

Ist doch auch mal ganz schön.

Bewertung: 5/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Väterchen Frost"

Väterchen Frost

Folge: 1113 | 22. Dezember 2019 | Sender: WDR | Regie: Torsten C. Fischer
Bild: WDR/Martin Valentin Menke
So war der Tatort:

Winterlich-russisch.

Denn in Väterchen Frost, dem bereits dritten Münster-Tatort im Jahr 2019, erfahren wir erstmalig viel über die familiären Wurzeln von Kommissarin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter), die die Feiertage bei ihrer Familie in Russland verbringen möchte – und auch sonst ist der stimmungsvolle Weihnachtstatort so russisch angehaucht wie bis dato kaum eine zweite Folge der Krimireihe.

Während Krusenstern gen Wolga fliegen möchte, freut sich Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) auf den gemeinsamen Heiligabend mit seinem in Neuseeland lebenden Sohn und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) auf einen gemeinsamen Ski-Urlaub mit früheren Studienkollegen. Die weihnachtliche Vorfreude der Ermittler wird allerdings jäh durchkreuzt: Wenige Stunden nachdem Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) ihr Schlussplädoyer im Falle des wegen Totschlags angeklagten Kirill Gromow (Oleg Tikhomirov) gehalten hat, wird Krusenstern vor Boernes Haustür vom als Weihnachtsmann maskierten Russen Artjom Gregorowitsch (Sascha Alexander Geršak, Bombengeschäft)gekidnappt.

Der Entführer will Thiel und Boerne dazu zwingen, den Fall neu aufzurollen – hat die aufmüpfige Krusenstern aber unterschätzt und muss trotz Rauschebart und Weihnachtskostüm schon bald seine Identität preisgeben.


KRUSENSTERN:
Ich bin Polizistin, wissen Sie das überhaupt!?


GREGOROWITSCH:
Der Weihnachtsmann weiß alles.


Das eingespielte Autorenduo Jan Hinter und Stephan Cantz, das seit 2002 eine ganze Reihe an humorvollen Drehbüchern realisiert hat (zuletzt zu Schlangengrube und Fangschuss), hat eine harmlose Krimikomödie mit allen wichtigen Zutaten für entspannte Adventsberieselung geschaffen: den passenden Soundtrack (incl. Let It Snow und Jingle Bell Rock), einen gemütlichen Glühwein-Umtrunk auf dem Weihnachtsmarkt, hübsch dekorierte Kulissen und natürlich jede Menge Weihnachtsmänner.

Als Krimi funktioniert die 1113. Tatort-Folge aber deutlich schlechter als als Komödie: In der winterlichen Kreuzung aus klassischem Whodunit und dünner Entführungsnummer will kaum Spannung aufkommen und auch die Täterfrage im Totschlagsfall wird nur pro forma gestellt. Krusensterns Entführung ändert auch nichts am seichten Erzählton, bei dem sich pfiffiger Dialogwitz und ausgelutschte Lars Krismes-Gags weitestgehend die Waage halten, denn so richtig Sorgen macht sich hier niemand: Weder Thiel und Boerne, deren Nachforschungen sich auf den Fall Gromow konzentrieren, noch Krusenstern selbst – und der Zuschauer, der live im Unterschlupf der Entführten dabei sein darf, erst recht nicht.

Während die Ermittlerin mit ihrem überraschend sanftmütigen und ebenfalls aus Russland stammenden Kidnapper schnell zum "Du" übergeht und reichlich Plätzchen vertilgt, will dessen Manöver ohnehin nicht einleuchten: Wenn dem Entführer doch so daran gelegen ist, Gromows Unschuld ans Licht zu bringen – ist es dann nicht eher kontraproduktiv, eine mit dem Fall betraute Kommissarin vom Spielfeld zu nehmen und ihren dezimierten Kollegen zusätzliche Arbeit zu bescheren?

Mit der Logik war es in Münster noch nie weit her; frühere Fälle wie der packende Tatort Wolfsstunde haben aber bewiesen, dass eine hohe Pointendichte nicht zwingend auf Kosten des Thrills gehen muss. Sieht man vom toll inszenierten Showdown in einer nächtlichen Mehlstaubwolke einmal ab, ist der 36. Fall von Thiel und Boerne aber besonders im dialoglastigen Mittelteil, in dem sich die gelungenen Gags zunehmend ausdünnen, eine reichlich zähe Angelegenheit. Einziges Highlight ist hier die bildgewaltige Parallelmontage zu den dramatischen Klängen von Fyodor Shalyapins Otschi Tschornije, mit der Regisseur Torsten C. Fischer (Nachbarn) so manchen Zuschauer aus seinem Adventsnickerchen reißen dürfte.

Zu Russland selbst fällt den Filmemachern auch nichts ein, was über Klischees hinausginge: Die slawische Märchenfigur Väterchen Frost begegnet Thiel in trashigen Alptraumsequenzen, während Krusenstern und Gregorowitsch – natürlich – eine Flasche Wodka leeren. Die Repressalien gegen den homosexuellen Gromow ("Schwul sein in Russland? Alle behandeln dich wie eine Krankheit!") böten zwar Gelegenheit, mal klare Kante gegen Homophobie zu zeigen, doch ein solches Statement kommt im Film niemandem über die Lippen. Stattdessen hängt lediglich eine Stop-Homophobia-Postkarte mit einem geschminkten Wladimir Putin in der Wohnung des Opfers.

Münster liefert nun mal Krimis zum Wohlfühlen – da werden ernste Themen lieber umschifft, statt sie mal anzupacken.

Bewertung: 4/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Borowski und das Haus am Meer"

Borowski und das Haus am Meer

Folge: 1112 | 15. Dezember 2019 | Sender: NDR | Regie: Niki Stein
Bild: NDR/Sandra Hoever
So war der Tatort:

Deutsch-dänisch.

Denn nicht zum ersten Mal wird in der nördlichsten Tatort-Stadt grenzüberschreitend ermittelt und bisweilen auch mit Untertiteln gearbeitet: Nach seinem Finnland-Ausflug in Tango für Borowski, der Stippvisite in Schweden in Borowski und der coole Hund oder dem Ausflug ins Grenzgebiet Südschleswig in Borowski und der brennende Mann reist Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) diesmal mit Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik) nach Dänemark.

Wie bei seinen vorherigen Exkursionen nimmt die Geschichte in Borowski und das Haus am Meer aber zunächst in Kiel ihren Anfang: Den Kommissaren läuft bei einer nächtlichen Autofahrt der achtjährige Simon (Anton Peltier) vors Auto und behauptet, sein Großvater läge tot im Wald, während er selbst von einem Hund angefallen und von einem Indianer beschützt worden sei. Weil Borowski und Sahin im Wald nichts finden, liefern sie den verängstigten Jungen bei seinen Eltern – dem Pfarrer Johann Flemming (Martin Lindow, Atlantis) und seiner Frau Nadja (Tatiana Nekrasov, Tiere der Großstadt) – ab. Sie bestätigen, dass Simons an Alzheimer erkrankter Großvater Heinrich (Reiner Schöne, Eine todsichere Sache) verschwunden ist.

Als dessen Leiche am nächsten Morgen am Strand gefunden wird, führt die Spur nach Dänemark: Heinrich wollte wohl zu Inga Andersen (Jannie Faurschou) fliehen, mit der er in den 70er Jahren die anti-autoritäre Bildungseinrichtung "Arken" betrieben hat, in der die Lehrer ihre Schülerinnen und Schüler höchstpersönlich bei der Entdeckung ihrer Sexualität unterstützt haben.


SAHIN:
Das ist doch ekelhaft.

BOROWSKI:
Ja gut, das war aber eine ganz andere Zeit. Wir haben damals ständig mit unseren Lehrern darüber diskutiert...

SAHIN:
Ja, diskutiert vielleicht. Aber Sie haben ja nicht mit Ihrer Lehrerin geschlafen.

BOROWSKI:
Wenn Sie mich so direkt fragen...


Regisseur und Drehbuchautor Niki Stein (Dunkle Zeit) hat sich ein bisschen viel für seinen fünfzehnten Tatort vorgenommen: Die Geschichte wird unnötig umständlich erzählt und wirkt überladen, einigen Figuren fehlt die Tiefe und selbst Borowski und Sahin scheinen mit ihrem dritten gemeinsamen Fall nicht so recht warm zu werden.

Schon in den unübersichtlichen Anfangsminuten verlangt der Filmemacher den Zuschauern einiges an Aufmerksamkeit ab: Die Eröffnungssequenz in Dänemark greift auf ein Ereignis vor, das drei Tage später spielt und auf der Zielgeraden des Krimis wieder aufgegriffen wird. Der Mehrwert dieser erzählerischen Fingerübung erschließt sich allerdings nicht und geht in der missglückten Einleitung unter: Das Geschehen springt anfangs pausenlos zwischen verschiedenen Schauplätzen, noch unbekannten Figuren und unterschiedlichen Zeitebenen. Erst mit dem Auftauchen des kleinen Simon findet der 1112. Tatort in die Spur und arbeitet die üblichen Standardsituationen der Krimireihe ab – Einschätzungen von Rechtsmedizinerin Kroll (Anja Antonowicz) inklusive.

Besonders reizvoll erscheint das Duell zwischen dem bemerkenswert unsympathischen Pfarrer Flemming und Borowski, der in bester Columbo-Manier mehr zu wissen scheint, als der Tatverdächtige ahnt – und dem Zuschauer dies mit entsprechenden Blicken auch zwischen den Zeilen zu verstehen gibt. Ehe es richtig interessant wird, brechen die Ermittler aber nach Dänemark auf und verfolgen eine andere Fährte – prompt stürzt der Film in ein Spannungsloch, aus dem er sich bis zum Showdown nicht mehr zu befreien vermag.

Weil Borowski und Sahin vorübergehend getrennte Wege gehen, ergeben sich auch kaum noch Reibungspunkte: Von früheren Glanzzeiten, in denen Borowski mit seiner toughen Ex-Kollegin Sarah Brandt (Sibel Kekilli) aneinandergeriet oder bei der introvertierten Polizeipsychologin Frieda Jung (Maren Eggert) auf Tuchfühlung ging, ist der Kieler Tatort hier meilenweit entfernt. Auch für Kripochef Roland Schladitz (Thomas Kügel) scheint es in Borowski und das Haus am Meer keine sinnvolle Verwendung zu geben.

Das wäre kein Beinbruch, wenn der Mordfall wenigstens überzeugend ausfiele – doch der wirkt spätestens bei einem dünnen Brückenschlag in die NS-Zeit überfrachtet, weil die Filmemacher zwei Vater-Sohn-Dramen noch ein drittes hinzufügen und viele Themen anreißen, ohne sie angemessen weiterzuverarbeiten.

Und dann ist da noch der irgendwo zwischen Realität und Fiktion verortete Indianer Erik Larsen (Thomas Chaanhing), der wohl etwas Mystery-Atmosphäre in den Krimi bringen soll – bei seinen theatralischen Kurzauftritten aber eher unfreiwillig komisch wirkt.

Bewertung: 4/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Querschläger"

Querschläger

Folge: 1111 | 1. Dezember 2019 | Sender: NDR | Regie: Stephan Rick
Bild: NDR/Christine Schroeder
So war der Tatort:

Nicht ganz so gelungen wie der grandiose Frankfurter Meilenstein Weil sie böse sind, die schräge Münsteraner Komödie Der Hammer oder der emotionale Dortmunder Rockerkrimi Zahltag.

Doch liegt das nicht am groß aufspielenden Milan Peschel, der nach den genannten drei Folgen auch in der 1111. Tatort-Ausgabe in seiner Rolle als mordender Zollbeamter Steffen Thewes wieder allen die Schau stiehlt. Nein. Es liegt vielmehr am enttäuschenden Drehbuch, das es mit der Logik nicht sehr genau nimmt, den Tiefgang an entscheidenden Stellen vermissen lässt und bisweilen sogar in den Betroffenheitskitsch abdriftet.

Dabei hätte aus Querschläger ein packender Wettlauf gegen die Uhr werden können: Autor Oke Stielow hat sich bei seinem Tatort-Debüt für einen geradlinigen Sniper-Thriller entschieden, bei dem er die Täterfrage nicht stellt und auch die Motive des Mörders für den Zuschauer frühzeitig offenlegt.

Wir werden einleitend – ebenso wie die Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weisz) – auf einem Rastplatz hautnah Zeuge, wie Thewes auf den LKW von Efe Aksoy (Deniz Arora) schießt und ein unbeteiligter Trucker durch den titelgebenden Querschläger ums Leben kommt, und dürfen später im Gegensatz zu Falke und Grosz auch noch dabei sein, wenn Thewes seiner schwerkranken Tochter Sara (Charlotte Lorenzen) zu Hause aufmunternde Worte zukommen lässt.

Der finanziell nicht auf Rosen gebettete Zollbeamte will 300.000 Euro vom Bruder des LKW-Fahrers, Spediteur Cem "Jimmy" Aksoy (Eray Egilmez, Tschiller: Off Duty) erpressen, um die überlebensnotwendige OP seiner Tochter zu bezahlen, und ist in seiner Verzweiflung zu allem bereit – schenkt seiner Gattin Marie (Oana Solomon, Klingelingeling) dabei aber keinen reinen Wein ein.


STEFFEN THEWES:
Ich bin da an was dran.

MARIE THEWES:
Was soll das sein? Bitcoins?


Während Milan Peschel als verzweifelter Familienvater sein ganzes Können in die Waagschale wirft und wacker gegen die Eindimensionalität seiner Figur ankämpft, offenbaren sich beim Blick auf die zweifellos kurzweilige, aber oft konstruiert wirkende Geschichte Schwächen.

Die Ermittler leisten sich so manchen Lapsus (Grosz bringt sich einleitend unnötig in Lebensgefahr, Falke lässt den Täter gleich mehrfach entkommen) und ausgerechnet Thewes' Handeln – emotionale Ausnahmesituation hin oder her – ist in diesem Krimi nicht immer nachvollziehbar. Eine Kurzschlussreaktion bei einer Begegnung mit einem Jäger im Wald will nicht recht einleuchten, und anstatt Thewes einfach von Beginn an auf Aksoys Familie loszulassen, um an dessen Geld zu kommen, wählen die Filmemacher einen seltsamen Umweg über dessen berufliches Umfeld. Nähere Ausführungen über Aksoys krumme Geschäfte und das schwierige Verhältnis zu seinem ebenfalls in der Speditionsbranche tätigen Schwiegervater Roland "Rolle" Rober (Rudolf Danielewicz, Liebeshunger) werden dabei nur in wenigen Sätzen angerissen.

Das wirkt alles ziemlich blutleer und ist unter der routinierten Regiearbeit von Stephan Rick auch erst auf der Zielgeraden spannend: All das, was der Zuschauer längst weiß, müssen Falke und Grosz sich mit der Unterstützung von Polizistin Tine Geissler (Marie Rosa Tietjen), die sich aus nicht näher erörterten Gründen auf den ersten Blick in Grosz verguckt und auf eben diese Schwärmerei reduziert wird, mühsam zusammenreimen. Frage A führt zu Aussage B, Person C führt zu Akte D und schließlich zu Hinweis E. Wirklich mitzureißen vermögen diese Ermittlungen nach Schema F ebenso wenig wie das Schicksal von Thewes' Tochter Sara, weil sich die Filmemacher weder nennenswert mit ihr als Person, noch mit ihrer Krankheit oder ihren möglichen Ängsten vorm Sterben auseinandersetzen ("Spätestens Weihnachten bin ich tot.").

Stattdessen gipfelt das Ganze in einer bemerkenswert kitschigen Begegnung mit Falke, der sich bei einem Besuch an ihrem Krankenbett Saras Kopfhörer aufsetzt und in ein paar Takte der Giant Rooks reinhört, die gleich drei Songs zu diesem Tatort beigesteuert haben und die Promo für ihre Popmusik sicher gern mitnehmen.

Da hat man den Tatort aus Norddeutschland schon überzeugender gesehen – und es bleibt zu hoffen, dass er nach tollen Folgen wie Feuerteufel oder Alles was Sie sagen schnell wieder zu alter Stärke zurückfindet.

Bewertung: 5/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Baum fällt"

Baum fällt

Folge: 1110 | 24. November 2019 | Sender: ORF | Regie: Nikolaus Leytner
Bild: ARD Degeto/ORF/Graf Film/Helga Rader
So war der Tatort:

Gedreht vor prächtiger Naturkulisse.

Denn nach den jüngsten Ausflügen ins tschechische Grenzgebiet (in Grenzfall), an den malerischen Wolfgangsee (in Wahre Lügen) oder in die beschauliche Steiermark (in Virus) verschlägt es Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) im Tatort Baum fällt ein weiteres Mal in die Provinz fernab ihrer österreichischen Wahlheimat. "500 Kilometer fahren für 'nen Vermissten – auch nicht schlecht", hält Fellner auf der einleitenden Autofahrt fest, und Eisner murrt zurück: "Wenn er wenigstens tot wäre."

Dass die Wiener Ermittler an den Fuße des Großglockners in Kärnten geschickt werden, haben sie ihrem Chef Ernst Rauter (Hubert Kramar), diesmal nur am Telefon zugeschaltet, und dem Wiener Polizeipräsidenten zu verdanken: Der pflegt einen guten Kontakt zum Vater (Johannes Seilern, Telefongeld) des vermissten Hubert Tribusser (Christoph von Friedl, Baum der Erlösung), der als Juniorchef in einem großen Holzunternehmen gearbeitet hat – und von dem nur noch ein künstliches Schultergelenk in der Asche des firmeneigenen Brennofens gefunden wird. Also doch kein Vermisstenfall, sondern Mord – und angesichts der zahlreichen Affären und sonstigen Eskapaden, die sich Tribusser vor seinem Ableben geleistet hat, geben sich die Tatverdächtigen im Mölltal die Klinke in die Hand.

Viel Arbeit für Eisner und Fellner, die wohl oder übel Quartier beim mürrischen Gastwirt Drobnig (Wolf Bachofner, Eulenburg) beziehen und vor Ort erstmal ihren knurrenden Magen in den Griff kriegen müssen.


EISNER:
Bibi, das ist ein Arschloch.

FELLNER:
Ja, aber sicher kocht das Arschloch gut und ich hab Hunger!


Regisseur Nikolaus Leytner (Operation Hiob) und Drehbuchautorin Agnes Pluch haben einen klassischen Whodunit arrangiert, an dem die prachtvollen Gebirgslandschaften und die spektakuläre Naturkulisse aber fast schon das Aufregendste sind.

In der 1110. Tatort-Folge geschieht ansonsten fast nichts, was man in der Krimireihe nicht schon gesehen hätte: ein rätselhafter Mordfall, ein gutes Dutzend Tatverdächtige, Ermittlungen im privaten und beruflichen Umfeld des Toten – und zwei perfekt aufeinander eingespielte Kommissare, die trotz ihrer Verschiedenheiten als Pärchen harmonieren und den Täter am Ende überführen.

Mit Eisners früherem Weggefährten Alois Feining (Karl Fischer), der als Polizeichef im Mölltal eine neue Heimat gefunden hat und fleißig mit buddhistischen Sprichwörtern um sich wirft, gibt es zudem eine altbekannte Nebenfigur der Kategorie "alter Freund", der den Großstadtbullen in Erinnerungen schwelgen lässt – gleichzeitig lässt sich in diesem formelhaften Provinzkrimi die Uhr danach stellen, dass Fellner dem älteren Kollegen nicht über den Weg traut und sich irgendwann offenbart, dass dieser nicht mit offenen Karten spielt.

Auch der Spannungskurve sind die nostalgischen Szenen mit Eisner und Feining weniger dienlich als der Charakterzeichnung – da nützt auch der stimmungsvolle Rolling-Stones-Soundtrack wenig, zu dem fleißig gekickert und Bier getrunken wird. Der starke Dialekt der Dialoge wird zudem nicht jedem Zuschauer schmecken, während Tatort-Puristen ansonsten voll auf ihre Kosten kommen: Die Auflösung der Täterfrage ist nicht leicht zu erraten und klärt sich erst in den Schlussminuten. Wer vielschichtige Figuren, überraschende Entwicklungen und eine mitreißende Story erwartet, schaut aber über weite Strecken in die Röhre.

Auch auf drei Figuren, die in den letzten Jahren fest zum Ensemble zählten und den Wiener Tatort dabei stets bereichert haben, müssen wir in Baum fällt verzichten: Neben dem einleitend erwähnten Kripochef Rauter fehlen auch Assistent "Fredo" Schimpf (Thomas Stipsits) und Kult-Kiezgröße Inkasso-Heinzi (Simon Schwarz). Dafür gibt es ein Wiedersehen mit Schauspielerin Verena Altenberger (Hundstage), die wenige Wochen zuvor ihr umstrittenes Debüt als Münchner Polizeiruf 110-Ermittlerin feierte und hier als tatverdächtige Angestellte des Sägewerks zu sehen ist: Altenberger reiht sich nahtlos in einen soliden Cast ein, in dem niemand enttäuscht und niemand heraussticht.

Auch ihrem Bildungsauftrag wird die ARD in dieser fast in jeder Hinsicht durchschnittlichen Tatort-Folge gerecht: Dank Umweltaktivist Gerhard Holzer (David Oberkogler, Kein Entkommen) erfahren wir einiges über die Mechanismen der Kärtner Forstwirtschaft, die ihr Holz nicht etwa aus heimischen Wäldern, sondern zu Dumpingpreisen aus Osteuropa bezieht.

Bewertung: 5/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Die Pfalz von oben"

Die Pfalz von oben

Folge: 1109 | 17. November 2019 | Sender: SWR | Regie: Brigitte Maria Bertele
Bild: SWR/Jacqueline Krause-Burberg
So war der Tatort:

Weit weniger skandalträchtig als sein vieldiskutierter Vorgänger.

Tod im Häcksler hatte 1991 den damaligen rheinland-pfälzischen Wirtschaftsminister Rainer Brüderle auf die Palme gebracht, weil der Politiker in dem soliden Provinzkrimi Land und Leute als hinterwäldlerischen Mob verunglimpft sah.

28 Jahre später knüpfen Regisseurin Brigitte Maria Bertele und Drehbuchautor Christoph Darnstädt (Der gute Weg), der auch Tod im Häcksler schrieb, anlässlich des 30-jährigen Dienstjubiläums der Ludwigshafener Hauptkommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) an diese vieldiskutierte Tatort-Folge an, ohne dabei Vorwissen beim Zuschauer vorauszusetzen: Odenthal begibt sich nach dem Tod des jungen Streifenpolizisten Benny Hilpert (Max Schimmelpfennig, Der Maulwurf) erneut ins westpfälzische Zarten, aus dem der damalige Dorfpolizist und heutige Dienststellenleiter Stefan Tries (Ben Becker, Der Fall Reinhardt) nach Abschluss des Falls und einer gemeinsamen Nacht mit der Kommissarin nie weggekommen ist.

Allzu große Wiedersehensfreude herrscht allerdings nicht: Über die Jahre hat man sich aus den Augen verloren, Odenthals Nachforschungen auf seiner kleinen Dienststelle schmecken Tries gar nicht und in seinem Haus an der Bullenweide will sich die mittlerweile dienstälteste Tatort-Kommissarin – zumindest vorerst – auch nicht einquartieren.


TRIES:
Fährst du zurück nach Ludwigshafen? Ich hab ein Gästezimmer.


ODENTHAL:
Mein Büro hat mir was im Nachbarort gebucht.


Dass man Tries nicht über den Weg trauen kann, wird schon in den Anfangsminuten der 1109. Tatort-Folge deutlich: Einen alkoholisierten Landwirt lässt er bei der nächtlichen Streife davonfahren, statt ihm den Führerschein abzuknöpfen – und auch bei der folgenreichen Kontrolle eines LKW, bei der Hilpert erschossen wird, scheint etwas nicht mit rechten Dingen zuzugehen.

Wenngleich die Filmemacher den genauen Tathergang in der Schlüsselszene des Films gekonnt mit Schnitten und wechselnden Perspektiven verschleiern, werden sich erfahrene Krimifans von diesen Nebelkerzen nicht aufs Glatteis führen lassen – was aber genau geschieht, bleibt bis in die Schlussminuten offen und mündet dann in eine überraschende, wenn auch nicht ganz glaubwürdige Auflösung.

Antriebsmotor der routiniert inszenierten Kreuzung aus Whodunit und Howcatchem ist neben der Täterfrage vor allem das Treiben von Tries und seinen korrupten Kollegen Trump (Thomas Loibl, Borowski und das Haus der Geister), Fies (Maria Dragus) und Nicolay (Till Wonka, Am Ende geht man nackt) – die Rahmenhandlung um das gezielte Wegsehen der Polizei beim Drogenschmuggel und die Bauprojekte französischer Investoren fällt allerdings recht oberflächlich aus.

Zudem hat der Film im Mittelteil mit einem erheblichen Hänger zu kämpfen: Während Fallanalytikerin Johanna Stern (Lisa Bitter) und Rechtsmediziner Peter Becker (Peter Espeloer) sich auf den Fall konzentrieren, gehen Odenthal und Tries bei einem Glas Rotwein und einer Line Koks ausführlich auf Tuchfühlung. Für zusätzliche Brisanz sorgt dieses Techtelmechtel mit dem Tatverdächtigen allerdings kaum und wirklich knistern will es zwischen den beiden auch nicht – die aufkeimenden Gefühle bleiben blanke Behauptung.

Ähnlich dünn gerät der einfallslos konstruierte Konflikt mit dem herbeizitierten internen Ermittler Charly Metzger (David Bredin, Tollwut), der in der zur Einsatzzentrale umfunktionierten Kegelbahn (!) keine Sympathiepunkte sammelt, und auch sonst wirkt manches aufgesetzt oder gar unfreiwillig komisch: Die am wenigsten glaubwürdige Figur ist die verwitwete Zoe Hilpert (Jana McKinnon), die wenige Tage nach dem Verlust ihres Mannes schneller wieder Anschluss findet, als Hobbyfußballtrainer Tries seinen mäßig talentierten Kreisklassenkickern "Tiki-Taka!" zubrüllen kann.

Besonders unbeholfen arrangiert ist dann ausgerechnet die Sequenz, in der die Filmemacher den Bogen in die Vergangenheit schlagen und nach 28 Jahren erneut einen Häcksler auf Odenthal loslassen – das Duell Maschine vs. Kommissarin gerät förmlich zur Lachnummer.

Der Jubiläumskrimi ist das Einschalten trotzdem wert, denn neben der charismatischen Performance von Ben Becker bietet Die Pfalz von oben auch einige nostalgische Momente – zum Beispiel dann, wenn Tries Bob Dylans Lay Lady Lay auflegt und stimmungsvolle Bilder von 1991 eingeflochten werden.

Bewertung: 5/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Das Leben nach dem Tod"

Das Leben nach dem Tod

Folge: 1108 | 10. November 2019 | Sender: RBB | Regie: Florian Baxmeyer
Bild: rbb/Marcus Glahn
So war der Tatort:

Nicht von ungefähr auf den 10. November 2019 terminiert.

Denn fast auf den Tag genau 30 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer widmet sich Das Leben nach dem Tod einem bisher nur wenig beleuchteten Kapitel der DDR-Geschichte: der Todesstrafe, die zwischen 1949 und 1981 in insgesamt 166 Fällen vollstreckt wurde – und erst 1987 von der DDR-Führung in ihrem Bemühen um mehr internationale Anerkennung offiziell abgeschafft wurde.

Drehbuchautorin Sarah Schnier und der vielfach tatorterprobte Regisseur Florian Baxmeyer (Wo ist nur mein Schatz geblieben?) haben aus diesem eher unbekannten Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte ein atmosphärisch dichtes Krimidrama konstruiert, das ausgerechnet in der Nachbarwohnung des Berliner Hauptkommissars Robert Karow (Mark Waschke) seinen Anfang nimmt: Der alleinstehende Rentner Fritz Irrgang lag wochenlang tot auf seinem Wohnzimmerteppich, ohne dass Karow oder dessen profitgierige Vermieterin Petra Olschweski (Karin Neuhäuser) etwas davon bemerkt hätten – was auch daran liegt, dass kein Verwesungsgeruch in den Hausflur gezogen ist, weil in der Wohnung die Türritzen versiegelt wurden und die Fenster gekippt waren.

Das hält seine toughe Kollegin Nina Rubin (Meret Becker), vor allem aber seinen SpuSi-Kollegen Jansen (Daniel Krauss) nicht davon ab, den Kommissar bei der eingehenden Untersuchung des Tatorts gehörig auf die Schippe zu nehmen.


JANSEN:
Ach hier, übrigens, Sherlock! Eine Frage hätte ich ja noch, wa. Sie wohnen doch hier direkt nebenan, oder? Da hab ich mich jefracht: Wie kann dit sein, dass ausgerechnet Sie, ja, nich jemerkt ham, dass direkt nebenan 'n Mord passiert. Dit hab ich mich jefracht. Tja, sacht er nischt mehr, wa. Mastermind!


Während der Kreis der Tatverdächtigen in der klassischen Whodunit-Konstruktion sehr überschaubar ausfällt und krimierprobten Zuschauer auf der Suche nach der Auflösung keine nennenswerten Probleme bereiten dürfte, gibt es auf Seiten der Ermittler gleich doppelten Zuwachs.

Rechtsmedizinerin Nasrin Reza (Maryam Zaree) hat sich verabschiedet und räumt ihren Platz in Das Leben nach dem Tod für Jamila Marques (Cynthia Micas) – und die wird von Rubin, die nach ihrer traumatischen Erfahrung im Vorgänger Der gute Weg gerade als neue Präventionsbeauftragte für interkulturelle Zusammenarbeit im Gespräch ist, prompt als erstes auf ihre dunkle Hautfarbe angesprochen.

Anders als Marques, die sich harmonisch ins Ensemble einfügt, wirkt die sensible Staatsanwältin Jennifer Wieland (Lisa Hrdina) bei ihrem seltsamen Debüt wie ein Fremdkörper, dürfte mit ihrem empfindlichen Magen aber zumindest vielen Zuschauern aus der Seele sprechen: Selten hat es sich so empfohlen, sein Abendessen rechtzeitig vorm Einschalten dieser Tatort-Folge zu beenden – die einleitenden Bilder mit Hunderten von Maden und allerlei brummendem Getier in Irrgangs Wohnung sind alles andere als appetitanregend.

Die harte Gangart der Anfangsminuten täuscht aber: Der 1108. schleppt sich in einer melancholisch-düsteren Grundstimmung lange Zeit zäh dahin, weil Spannungsmomente rar gesät sind und der rote Faden im etwas überfrachteten Krimidrama lange Zeit nicht ersichtlich ist. Neben dem eiskalten Geschäftsgebaren von Karows Vermieterin wollen schließlich auch noch der Raubzug der gewaltbereiten Teenager Magda (Elina Vildanova) und Ana (Amira Demirkiran), die es auf hilflose Pensionäre wie den Richter a. D. Gerd Böhnke (Otto Mellies, Im Schmerz geboren) abgesehen haben, das rätselhafte Schicksal des psychisch labilen Gebäudereinigers Hajo Holzkamp (Christian Kuchenbuch, Damian) und seiner Frau Liz (Britta Hammelstein, Nemesis) sowie Rubins Bewerbung in der Zentralstelle im Plot untergebracht werden – das ist ein bisschen viel des Guten und gestaltet sich selten wirklich aufregend.

Gerade über die Vorgeschichte der Holzkamps, eigentlich mit ausreichend Kamerazeit bedacht, hätte man angesichts ihrer Schlüsselrolle gern mehr erfahren – hier bleibt es allerdings bei Andeutungen und einer knappen Recherche der Kommissare, die dann all das rechtfertigen soll, was früher oder später im Drama enden muss. Der Schlussakkord des Films entfaltet dadurch bei weitem nicht die Wucht, die bei engerer Bindung des Zuschauers an die Figuren durch sorgfältigere Charakterzeichnung möglich gewesen wäre.

So ist trotz der starken Schauspieler vor allem das bisher wenig beleuchtete Kapitel der DDR-Zeit der interessanteste Aspekt dieser soliden Tatort-Folge, die zugleich die Abschiedstournee der 2022 aussteigenden Hauptdarstellerin Meret Becker einläutet.

Bewertung: 6/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Lakritz"

Lakritz

Folge: 1107 | 3. November 2019 | Sender: WDR | Regie: Randa Chahoud
Bild: WDR/Willi Weber
So war der Tatort:

Weit weniger künstlich als die zwei neuen Wachsfiguren von Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers), die es seit Herbst 2019 bei Madame Tussauds in Berlin zu bestaunen gibt.

Und das ist mit Blick auf die Jahre davor durchaus bemerkenswert: Schließlich war das Münsteraner Figurenensemble, das von den Filmemachern meist nur noch mit platten Pointen durch die üblichen Standardsituationen gejagt wird, so ziemlich das Künstlichste, was man sonntags im Ersten zu sehen bekam.

In Lakritz widmen sich Regisseurin Randa Chahoud, die zum ersten Mal für einen Tatort am Ruder sitzt, und Drehbuchautor Thorsten Wettcke (Gott ist auch nur ein Mensch), der zum zehnten Mal ein Skript beisteuert, erfreulicherweise mal wieder der Charakterzeichnung: Sie beleuchten Boernes Vergangenheit, der als schüchterner Teenager eine Vorliebe für Lakritz entwickelte und in der mittlerweile von seiner früheren Jugendliebe Monika Maltritz (Annika Kuhl, Damian) geführten Lakritzmanufaktur treuer Stammgast war.

Mit eben jenen Köstlichkeiten aus dem Hause Maltritz wurde nun Hannes Wagner (Pierre Siegenthaler), der Marktmeister des Münsteraner Wochenmarkts, ermordet, indem der Mörder Zyankali unter sein Lieblingslakritz gemischt hat. Ehe Thiel und Boerne gemeinsam mit Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) die Ermittlungen aufnehmen können, muss der Professor aber erstmal einen ordentlichen Kater loswerden: Er stolpert für ein paar billige Lacher betrunken in den 1107. Tatort und artikuliert sich in den Anfangsminuten lallend.


BOERNE:
Thiel, möglicherweise ist Gefahr im Verzug!

THIEL:
Wieso, sitzen Sie mit Ihrem Restalkohol am Steuer?


Bemühte Kalauer wie diese bleiben im 35. Tatort aus Münster zum Glück die Ausnahme: Zwar dichten die Filmemacher Thiel – natürlich in Kontrast zu den leckeren Süßigkeiten, auf die der Kommissar im Gegensatz zu Boerne verzichten muss – noch einen müden Running Gag um eine Smoothie- und Gemüsediät an, doch zählt Lakritz mit Blick auf enttäuschende Folgen wie Fangschuss oder Schlangengrube klar zu den originelleren, weil bodenständigen und nicht zu überzeichneten Beiträgen aus Westfalen.

Die Figuren verbuchen menschliche Momente für sich, statt als Abziehbilder ihrer selbst nur auf Autopilot zu laufen: Während Boernes Assistentin Silke "Alberich" Haller (Christine Urspruch) nach einem spontanen Geschenk ihres eitlen Chefs fast zu Tränen gerührt ist, stellt sich Boerne im eigenen Keller seinem Teenie-Trauma, das er bis heute nicht überwunden hat.

Die charmante Aufarbeitung seiner unerfüllten Jugendliebe Monika Maltritz (Jamie Bick) gerät dabei weniger albern als manch frühere Folge, in denen der Professor ebenfalls alte Weggefährten aufsuchte, die in Verbindung zum Fall standen – und wenn Boerne seinem jüngeren Ich (Vincent Hahnen) auf einem Dachboden sogar in Fleisch und Blut gegenübersteht, ist das für Münsteraner Verhältnisse geradezu innovativ erzählt.

Der Ausflug in die Vergangenheit sorgt außerdem für einen hohen Nostalgiefaktor – ältere Zuschauer dürften sich in Zeiten versetzt fühlen, in denen sie selbst noch mit ein paar Groschen zum Tante-Emma-Laden gelaufen sind oder mit großen Augen vor der Süßigkeitenauslage standen, die versierte Bonbonmacher wie Harald Maltritz (Walter Hess) in liebevoller Handarbeit mit leckeren Kreationen gefüllt haben.

Mit dem radebrechenden holländischen Marktverkäufer Cornelius Bellekom (Ronald Top), den Thiel in die Mangel nimmt, gibt es zudem eine witzige Nebenfigur und auch Fans klassischer Whodunit-Konstruktionen kommen bei diesem vergnüglichen Tatort auf ihre Kosten: Wenngleich die Spannung gegen den Nullpunkt tendiert, gestaltet sich die die Auflösung der Täterfrage knifflig.

Nur einer wirkt in dieser über weite Strecken gelungenen Krimikomödie einmal mehr wie überflüssiges Beiwerk: Die substanzlosen Machenschaften von Herbert "Vaddern" Thiel (diesmal: der Handel mit Drogen und Wundermittelchen) sind schon seit Jahren nicht mehr witzig, werden für die Fans der westfälischen Schmunzelkrimis aber ebenso in den Plot gequetscht wie die qualmende Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann), die diesmal wenigstens was zum Fall beisteuert.

Und am Ende ist es wieder wie so oft in Münster: Fast alles hängt irgendwie mit fast allem zusammen.

Bewertung: 6/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Der Elefant im Raum"

Der Elefant im Raum

Folge: 1106 | 27. Oktober 2019 | Sender: SRF | Regie: Tom Gerber
Bild: ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler
So war der Tatort:

Genauso miserabel wie der erste Tatort aus Luzern.

Und damit schließt sich für Hauptkommissar Reto Flückiger (Stefan Gubser) acht Jahre nach dem völlig missglückten Erstling Wunschdenken und weiteren Tiefpunkten wie Hanglage mit Aussicht oder Zwischen zwei Welten der Kreis: Anfangs noch einmalig unterstützt von Co-Ermittlerin Abby Lanning (Sofia Milos), stellte das SRF dem Kommissar und Hobbysegler ab seinem zweiten Fall Skalpell die lesbische Kommissarin Liz Ritschard (Delia Mayer) zur Seite – und wenn man ehrlich ist, hat man über Flückiger und Ritschard in den folgenden Jahren auch nicht viel mehr erfahren, als dass er eben auf Boote und sie eben auf Frauen steht.

Der Elefant im Raum ist der letzte Fall der beiden und brennt nochmal ein ordentliches Feuerwerk ab: Bei einem einleitenden Pyro-Anschlag auf ein Dinner der oberen Zehntausend der Stadt – zu denen offenbar auch Flückigers Freundin Eveline Gasser (Brigitte Beyeler) zählt, die den Kommissar dort hingeschleppt hat – kommt Schiffskapitän Iten (Christoph Künzler) mit einer Rauchvergiftung ums Leben. Außerdem verschwindet Kantonsrat Bernhard Ineichen (Martin Hug), um kurze Zeit später als Wasserleiche wiederaufzutauchen – und wo es was zu sehen gibt, ist auch der sensationslüsterne Betreiber der alternativen News-Plattform Veritas News nicht weit.

Der gewiefte Fake-News-Verfasser Frédéric Roux (Fabian Krüger) hat in Luzerns Elite und der Polizei sein Feindbild ausgemacht – und macht es sich fortan zur Aufgabe, die Kripo auf seiner Online-Plattform nach allen Regeln der Kunst vorzuführen.


FLÜCKIGER:
Das ist ein arroganter Klugscheißer – ein typischer Journalist!


Allein dieser Wutausbruch Flückigers macht deutlich, in welchen Sphären die Filmemacher im 1106. Tatort unterwegs sind.

Denn die Drehbuchautoren Felix Benesch und Mats Frey, die schon die Geschichte zum verkorksten Schweizer Tatort Zwei Leben schrieben, werfen Journalisten (die in der Krimireihe ohnehin meist in ein schlechtes Licht gerückt werden, vgl. Durchgedreht oder Lohn der Arbeit) in denselben Topf wie Hetzer und Verschwörungstheoretiker: Wer einseitige Stimmungsmache oder Videos aus dubiosen Quellen im Netz verbreitet, ist für Benesch und Frey ein Journalist. Umgekehrt haben bei einer Pressekonferenz alle Medienvertreter bimmelnde Push-Nachrichten von Veritas News abonniert, um über neue Pseudo-Leaks auch ja auf dem Laufenden zu bleiben.

Was die Filmemacher die Figuren für billige Kapitalismuskritik und Halbwissen über die Pressefreiheit in die Welt posaunen lassen, ist abenteuerlich – so scheint die Kripo auch überhaupt kein Problem damit zu haben, dass der nervtötend überzeichnete Roux eine Hausdurchsuchung ins Netz streamt und seine Assistentin (Linda Gunst) den Beamten dabei mitten ins Gesicht filmt.

Mit ihren eindimensionalen Figuren erweisen die Filmemacher dem Zuschauer ebenfalls einen Bärendienst: Nicht jeder Fake-News-Verbreiter ist schließlich ein so arrogantes und manipulatives Arschloch wie Roux – das ist Charakterzeichnung mit dem Vorschlaghammer. Für die übrigen Verdächtigen gilt das Gleiche: Die aalglatten Unternehmer Planker Senior (Andrea Zogg, Schmutziger Donnerstag) und Junior (Manuel Löwensberg) sind seelenlose Klischees auf zwei Beinen und machen natürlich mit irgendwelchen Schmiergeldern irgendwelche miesen Waffengeschäfte.

All das wird nur kurz angerissen, spielt für die Geschichte aber im Grunde auch überhaupt keine Rolle. Viel interessanter ist doch, mit welchem Trick es der pfiffigen KTU-Chefin Corinna Haas (Fabienne Hadorn) wohl gelingt, Zugriff auf die Veritas-Server zu erhalten – nur eine von unzähligen unfreiwillig komischen Szenen, die so unbeholfen arrangiert sind, dass man den letzten Luzerner Tatort häufig kaum ernst nehmen kann.

Daran ändern auch die schwache Synchronisation des Schwyzerdütschen, die platten Dialoge und die fest im Ensemble verankerten Figuren nichts, an die man sich über die Jahre ja fast schon gewöhnt hat: Der ans Karikatureske grenzende Regierungsrat Eugen Mattmann (Jean-Pierre Cornu) nervt zum x-ten Male mit cholerischen Standpauken und einem aberwitzigen Verteidigungsreflex gegenüber jedem, der leise Kritik an Politik und Wirtschaft übt.

So ist Der Elefant im Raum unterm Strich ein Krimi zum Fremdschämen, der den Abschied der Luzerner Ermittler wie eine Erlösung erscheinen lässt – und es bleibt zu hoffen, dass ihre Nachfolger Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zürcher) und Tessa Ott (Carol Schuler) es 2020 in Zürich besser machen.

Bewertung: 1/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Angriff auf Wache 08"

Angriff auf Wache 08

Folge: 1105 | 20. Oktober 2019 | Sender: HR | Regie: Thomas Stuber
Bild: HR/Bettina Müller
So war der Tatort:

Stark angelehnt an John Carpenters Assault - Anschlag bei Nacht – doch dabei weit mehr als eine reine Neuauflage des US-Thrillers von 1976, der bereits 2005 mehr schlecht als recht neu verfilmt wurde.

Angriff auf Wache 08 ist vielmehr eine mit vielen filmischen Querverweisen gespickte Kreuzung aus originellem Retro-Remake und philosophisch angehauchter Neuinterpretation – ein typischer Tatort mit LKA-Kommissar Felix Murot (Ulrich Tukur) eben, mit dem der für seine TV-Experimente berühmt-berüchtigte Hessische Rundfunk bereits im überragenden Vorgänger Murot und das Murmeltier einem populären Hollywood-Film die Ehre erwies.

Die Handlung im Nachfolger ist schnell umrissen, erfordert aber kein Vorwissen: Murot besucht wenige Stunden vor einer totalen Sonnenfinsternis ein Polizeimuseum an einer einsamen Landstraße bei Offenbach – die titelgebende Wache 08 dient heute vor allem dazu, desinteressierten Schulklassen zu demonstrieren, wie vor drei Jahrzehnten bei der Polizei gearbeitet wurde. Murots alter BKA-Kumpel Walter Brenner (Peter Kurth, Der höllische Heinz) schiebt dort Dienst mit seiner Kollegin Cynthia Roth (Christina Große, Das Monster von Kassel) und staunt nicht schlecht, als neben Murot auch noch die minderjährige Jenny Sibelius (Paula Hartmann) und die JVA-Schließer Jörg (Jörn Hentschel, Die robuste Roswita), Frank (Andreas Schröders, Der wüste Gobi) und Manfred (Sascha Nathan) mit sechs Gefangenen im Schlepptau Zuflucht suchen.

Binnen Minuten wird die einsame Wache von bis an die Zähne bewaffneten Gangstern umstellt, die es auf Jenny und ihre Beschützer abgesehen haben. Fertig ist der Mikrokosmos, aus dem es kein Entrinnen gibt.


MUROT:
Mein Handy ist draußen im Auto, da kommen wir nicht ran.

ROTH:
Und was ist mit euch?

FRANK:
Fehlanzeige.

JÖRG:
Wir müssen die Handys bei Dienstbeginn abgeben.

BRENNER:
Ich hab nicht 'mal E-Mail.


Regisseur und Drehbuchautor Thomas Stuber (Verbrannt), der das Skript zusammen mit Clemens Meyer geschrieben hat, orientiert sich vor allem in der ersten Filmhälfte eng am Vorbild von John Carpenter. Der Filmemacher taucht bereits seine Opening Credits in blutrote Schrift, während ein düsterer Score erklingt – das weckt sofort Erinnerungen ans Original.

Doch Stuber wärmt den Film aus den 70ern nicht nur auf – er spielt genüsslich mit den Erwartungen des Zuschauers und stellt entscheidende Weichen der Geschichte anders. So wird zwar (wie bei Carpenter) anfangs ein unschuldiger Eisverkäufer erschossen, doch darf seine junge Kundin im 1105. Tatort überleben – stattdessen stirbt ihr Vater, der das Unheil in Assault - Anschlag bei Nacht mit seiner Flucht auf die Wache heraufbeschwört und die köstlichste Szene des Films hier gar nicht mehr miterlebt.

Auch sonst finden sich in diesem mit vielen Split-Screens durchsetzten Tatort viele variierte Parallelen: Während das Einschwören der Gang auf den Feldzug oder der Blick der Kamera durchs Zielfernrohr fast 1:1 übernommen werden, ist es statt der Krankheit eines Gefangenen hier eine Reifenpanne, die den Transport zum Halt zwingt.

Das Pendant zum smarten Napoleon (Darwin Joston) aus Carpenters Film ist Hannibal Lecter-Verschnitt Rüdiger Kermann (Thomas Schmauser, Teufelskreis), der als "Kannibale von Peine" allerdings nicht mit hessischen Tatort-Bösewichten wie Richard Harloff (Ulrich Matthes, Im Schmerz geboren) oder Arthur Steinmetz (Jens Harzer, Es lebe der Tod) mithalten kann.

An andere TV-Meisterwerke aus Wiesbaden – man denke auch an Das Dorf oder Wer bin ich? – reicht Murots achter Einsatz trotz der erstklassigen Inszenierung damit nicht ganz heran: Während der dialoglastigen Belagerung schleichen sich Längen ein und bei den Figuren fehlt mitunter die Schärfe. Der tolle Cast um Ulrich Tukur, Peter Kurth und Christina Große kann das nicht immer auffangen. Die Abstinenz von Murots Assistentin Magda Wächter (Barbara Philipp) wird erzählerisch hingegen elegant gelöst und verhilft dem früheren Erfurter Tatort-Kommissar Benjamin Kramme zu einem sympathischen Cameo-Auftritt.

Für Cineasten ist Angriff auf Wache 08 so oder so ein Vergnügen – tolle Anspielungen gibt es auf den Zombie-Klassiker Die Nacht der lebenden Toten, die Sci-Fi-Komödie Nr. 5 lebt! oder den Box-Office-Hit Good Morning, Vietnam. Der mit einem stimmungsvollen Soundtrack verstärkte Retro-Look hingegen erinnert stark an Falscher Hase, der sieben Wochen zuvor ausgestrahlt und ebenfalls vom HR produziert wurde.

Dazu passend streckt der Wiesbadener Dauergast Sascha Nathan (im Frankfurter Tatort oft als KTU Uhlich zu sehen) in seiner Rolle als Schließer das vielleicht schönste Maurerdekolleté in die Kamera, das es je im Tatort zu sehen gab.

Bewertung: 8/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Hüter der Schwelle"

Hüter der Schwelle

Folge: 1104 | 29. September 2019 | Sender: SWR | Regie: Piotr J. Lewandowski
Bild: SWR/Benoît Lindner
So war der Tatort:

Magisch.

Denn bei ihrem 24. gemeinsamen Einsatz treffen die Stuttgarter Hauptkommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) bei ihren Recherchen auf einen selbsternannten Hexer und Magier: Auf einem malerisch gelegenen Bergplateau vor den Toren der Landeshauptstadt wird einleitend die Leiche des Studenten Marcel Richter (Max Bretschneider) gefunden – und weil man dem Opfer prämortal rätselhafte Zeichen in den nackten Oberkörper geritzt hat und okkultistische Requisiten bei der Leiche gefunden werden, führt der Weg der Ermittler direkt in die gute Stube des Privatgelehrten Emil Luxinger (André M. Hennicke, Ich töte niemand), der den Ermordeten gut kannte und allerlei rätselhaften Hokuspokus in seinen vier Wänden betreibt.

Richters Mutter Heide (Victoria Trauttmansdorff, Frühstück für immer) weist mögliche Verbindungen ihres Sohnes in okkultistische Kreise aber ebenso zurück wie die junge Studentin Diana Jäger (Saskia Rosendahl), die viel Zeit mit dem Toten verbracht hat – Luxinger hingegen behauptet steif und fest, das Opfer habe ihm zu Lebzeiten ein wertvolles magisches Buch gestohlen. Das macht ihn von Beginn an zum Hauptverdächtigen und wichtigsten Gegenspieler der Kommissare – zumal er behauptet, Richter vor dessen Ableben mit einem Schadenszauber belegt zu haben.

Anders als im humorvollen Weimarer Tatort Die harte Kern, der eine Woche zuvor ausgestrahlt wurde und in dem eine exotische Statue ebenfalls mit einem düsteren Fluch belegt war, ist das in Hüter der Schwelle aber alles ziemlich ernst gemeint.


LANNERT:
Also kann ich ins Protokoll aufnehmen, dass Sie in besagter Nacht Marcel Richter verflucht haben?

LUXINGER:
Schreiben Sie "Fluchversuch". Wir wissen nicht sicher, ob's geklappt hat.


Aus dem 1104. Tatort hätte trotz der ausgefallenen (und zweifellos mutigen) Geschichte ein toller Mysterykrimi werden können – denn nur, weil Luxinger an Wiedergeburten in anderen Körpern, ekstatische Gruppenrituale und das direkte Fortschreiben seines Schicksals im 17. Jahrhundert im Hier und Jetzt glaubt, müssen die Kommissare das ja noch lange nicht tun.

Es liegt auch nicht an der düsteren Inszenierung von Regisseur Piotr J. Lewandowski oder den stimmungsvollen Bildern von Kameramann Jürgen Carle, dass der SWR das hohe Niveau der vorherigen Stuttgarter Tatort-Jahre (wir denken zurück an großartige Krimis wie Stau, Der Mann, der lügt oder Anne und der Tod) hier nicht mehr halten kann. Es ist vielmehr das überambitionierte Drehbuch von Michael Glasauer, das im Mittelteil des Films die Bodenhaftung verliert und auch darüber hinaus einige Mängel birgt.

Während Lannert gedankenverloren in alten Schinken aus Luxingers Privatbibliothek blättert, mithilfe eines schwäbischen Pfarrers auf den berüchtigten Hexenjäger Justinus Pfaff aus der früheren Stauferstadt Esslingen stößt und sich plötzlich wider Erwarten selbst in der mittelalterlichen Vorgeschichte wiederfindet, verirrt sich Bootz bei einem auffallend konstruierten Undercover-Einsatz in eine Stuttgarter Bar, in deren kaltem Betonkeller sich der Kommissar in bester Fight Club-Manier mit einem kampfeslustigen Dealer (Gerdy Zint, Alles was Sie sagen) die Nase blutig kloppt.

Wenngleich sich vor allem der weibliche Teil des TV-Publikums über etwas Eyecandy freuen darf, wird dieser actionreiche Handlungsschlenker ziemlich unbeholfen ins Geschehen eingeflochten – und auch das subtile Knistern zwischen Wieder-Single Bootz (wurde in Spiel auf Zeit von seiner Frau Maja verlassen) und der undurchsichtigen Studentin Diana bringt kaum zusätzliche Brisanz in diesen enttäuschenden Tatort.

Was Hüter der Schwelle endgültig das Genick bricht, ist die schwache Auflösung der klassischen Whodunit-Konstruktion, die nur durch einen dramaturgischen Taschenspielertrick zustande kommt: Hätte der eifrige Gerichtsmediziner Dr. Daniel Vogt (Jürgen Hartmann) bei seinen einleitenden Untersuchungen mehr Sorgfalt an den Tag gelegt und bei der Leiche genauer hingeschaut, wäre Lannert und Bootz viel Ärger erspart geblieben. Stattdessen wird seine wichtige Erkenntnis künstlich zurückgehalten, um dem Zuschauer die Auflösung der Täterfrage nicht zu früh preiszugeben.

Da ist man aus Stuttgart deutlich Originelleres und Eleganteres gewöhnt.

Bewertung: 4/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Die harte Kern"

Die harte Kern

Folge: 1103 | 22. September 2019 | Sender: MDR | Regie: Helena Hufnagel
Bild: MDR/Wiedemann&Berg/Stephanie Kulbach
So war der Tatort:

Nicht ganz so albern wie die bisherigen Folgen aus Weimar – denn Hauptkommissar Lessing (Christian Ulmen) ist bei seinem neunten Einsatz schon nach kurzer Zeit überhaupt nicht mehr zum Lachen zumute.

Der Ermittler aus Thüringen gerät in Die harte Kern unter Mordverdacht, weil der vor Gericht überraschend freigesprochene Schrottplatzbesitzer Harald Knopp (Heiko Pinkowski, Waldlust) mit Lessings Waffe erschossen wurde – und so dauert es nicht lange, bis die titelgebende interne Sonderermittlerin Eva Kern (Nina Proll, Ein neues Leben) im Kommissariat aufschlägt und Lessing zum Ärger von dessen Partnerin Kira Dorn (Nora Tschirner) in die Mangel nimmt.

Mit diesem Schicksal ist der Weimarer Kommissar nicht allein: In den vergangenen Jahren waren es unter anderem seine Tatort-Kollegen Franz Leitmayr (Udo Wachtveil) in Der traurige König, Peter Faber (Jörg Hartmann) in Zahltag oder Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) in Alles was Sie sagen, die sich bohrende Fragen der internen Ermittler gefallen lassen mussten – und so kommt die erste Stunde der Krimikomödie eine ganze Ecke ernster daher als beispielsweise der turbulente Kirmesausflug Der irre Iwan oder das wilde Westernabenteuer Der höllische Heinz, in denen Spannung und Logik meist hinter Wortwitz und Situationskomik hintenanstehen mussten.

Besonders offensichtlich ist das im Hinblick auf den Weimarer Kripochef Kurt Stich (Thorsten Merten), der bisher als Polizistenkarikatur auf zwei Beinen daherkam und diesmal viel geerdeter wirkt. Zeit für den einen oder anderen Kalauer bleibt natürlich trotzdem, denn da gibt es ja auch noch den einfältigen Schutzpolizisten "Lupo" (Arndt Schwering-Sohnrey), der diesmal bis über beide Ohren verliebt ist und Lessing zugleich als Sparringspartner für Dorn ersetzt.


STICH:
Lupo, ich glaub' deine Freundin hat vorhin angerufen. Auf der 110.

LUPO:
Und ich sag ihr immer: die 110 nur im Notfall!


Die Weimarer Stammautoren Murmel Clausen und Andreas Pflüger schrauben den Humor im 1103. Tatort etwas zurück, doch ein stimmiges Bild ergibt sich unterm Strich nicht: Für eine spritzige und über 90 Minuten unterhaltsame Komödie ist die Pointendichte lange Zeit zu niedrig, für einen kniffligen Whodunit zum Miträtseln mangelt es an einer glaubwürdigen und originellen Geschichte und für ein mitreißendes Krimidrama sind die Charaktere zu überzeichnet. Denn auch Die harte Kern, die bei ihren Ermittlungen nicht die Spur von Erbarmen kennt, ist letztlich nur eine ebenso unsympathische wie einfallslose Figur aus dem Standardrepertoire der Krimireihe, die wir in den oben genannten und vielen weiteren Tatort-Folgen schon dutzende Male zu Gesicht bekommen haben.

Dass hier mehr drin gewesen wäre, zeigt ein köstliches Wortduell im Verhörzimmer, bei dem Lessing bewusst auf einen Anwalt verzichtet und sein Gegenüber mit ironischen Überspitzungen abblitzen lässt – diese amüsante Sequenz ist einer der wenigen Höhepunkte in einem Genremix, dem die klare erzählerische Linie bis zum Schluss fehlt.

Denn nach etwa einer Stunde vollziehen die Filmemacher einen abrupten Wechsel des Erzähltons: Inszeniert Regisseurin und Tatort-Debütantin Helena Hufnagel die erste Stunde noch relativ düster, folgt nach ein paar Krokodilstränen der gebeutelten Kommissarin Dorn plötzlich eine hanebüchene Wendung, bei der der schauspielerisch diesmal weniger geforderten Nebendarstellerin Katharina Marie Schubert (brillierte in Anne und der Tod und Falscher Hase) bereits zum dritten Mal binnen vier Monaten die Schlüsselrolle in einem Sonntagskrimi zukommt.

In der letzten halben Stunde des Films wird dann noch schnell all der Klamauk nachgeholt, ohne den die Krimikomödie bis dato ganz gut ausgekommen ist – ein solcher Stimmungsschwenk kann kaum funktionieren. Und auch der mit klangvollen Namen wie Celine Dion, Cigarettes After Sex oder David Bowie gespickte Soundtrack ändert wenig daran, dass in diesem Tatort trotz vieler guter Ansätze und manchem tollen Spruch am Ende vieles Stückwerk bleibt.

Bewertung: 5/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Maleficius"

Maleficius

Folge: 1102 | 8. September 2019 | Sender: SWR | Regie: Tom Bohn
Bild: SWR/Sabine Hackenberg
So war der Tatort:

Vielleicht gar nicht so futuristisch, wie es zunächst den Anschein hat.

Regisseur und Drehbuchautor Tom Bohn (Kalter Engel) nimmt uns in Maleficius mit in das sterile Forschungslabor von Professor Bordauer (Sebastian Bezzel, spielte bis 2016 Hauptkommissar Kai Perlmann im Tatort aus Konstanz) – und was der Mediziner dort mit seinen hilfsbedürftigen Patienten anstellt, könnte wohl schon in ein paar Jahren tatsächlich Realität werden. In Bordauers Abteilung wird nämlich mithilfe von Gehirnstimulation Demenz bekämpft oder die Bewegungsfähigkeit zurückgewonnen.

So weit, so lobenswert, doch der Tatort wäre nicht der Tatort, würde er nicht auch ausführlich die ethische Fragwürdigkeit und die möglichen Schattenseiten dieser Experimente illustrieren. Im 1102. Tatort wird diese Debatte – auch das ist typisch für die Krimireihe – zulasten der Spannung zwischen den Ludwigshafener Hauptkommissarinnen ausgetragen: Während Nobelpreisanwärter Bordauer für seine Forschungen brennt und Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) Vorbehalte gegen die medizinische Entwicklung hegt, tritt ihre jüngere Kollegin Johanna Stern (Lisa Bitter) dem Ganzen etwas aufgeschlossener gegenüber.

Auch die Kirche hat in Maleficius ein Wörtchen mitzusprechen – in Person von Pfarrer Ellig (Heinz Hoenig, Rendezvous), der in der Klinik, unter deren Dach sich Bordauers prestigeträchtige Forschungsabteilung befindet, als Seelsorger arbeitet und sich den Eingriff des Menschen in Gottes Schöpfung naturgemäß verbittet.


ELLIG:
Frau Kommissarin, wissen Sie, was der größte Erfolg des Teufels ist? Dass er uns Menschen glauben gemacht hat, dass es ihn nicht gibt.


Der beeindruckte Gesichtsausdruck der Kommissarin nach diesem altbekannten Usual-Suspects-Zitat ist bezeichnend für das, was auch den Rest dieser missglückten Tatort-Folge kennzeichnet: Die Dialoge der klassischen Whodunit-Konstruktion mit Frankenstein-Anleihen zählen zum Einfallslosesten, was man im Jahr 2019 noch in der Krimireihe zu sehen bekommt, Kleindarsteller werden mit aufgesetzten One-Linern gestraft und die Inszenierung und die Komparsen-Einsätze wirken trotz des modernen Settings auffallend steif und mechanisch.

Aus dem erzählerischen Erfolgsprinzip Show, don't tell wird im Tatort aus der Pfalz wieder das deutlich weniger originelle "Show and tell" – das wirkt vor allem beim Blick auf andere Tatort-Städte wie Berlin oder Stuttgart, in denen viel moderner und variabler erzählt wird, wie aus der Zeit gefallen.

Hinzu gesellen sich klischeebeladene Figuren: Während Tatort-Rückkehrer Bezzel als Cola-Junkie im Schlabberlook zumindest optisch den Gegenentwurf zu eitlen Vorzeigemedizinern wie Professor Boerne aus dem Münster-Tatort verkörpert, ist Oberstaatsanwalt Fritz Marquardt (Max Tidof), der im ebenfalls von Tom Bohn inszenierten Vorgänger Vom Himmel hoch sein Debüt gab, der Prototyp des arroganten Juristen, den es in Sonntagskrimis viel zu oft zu sehen gibt.

Und dann sind da noch die Jungs, die in der Werkstatt des (natürlich: schmierigen) Autohändlers Ali Kaymaz (Gregor Bloéb, Weihnachtsgeld) und seines hünenhaften Handlangers "Wolfi" (Tim Ricke) schicke Sportwagen restaurieren und illegale Rennen veranstalten: Der halbgare Ausflug in die Fast & Furious-Welt ist für die Kerngeschichte um den verschwundenen Rollstuhlfahrer Lukas Pirchner (Igor Tjumenzev) und die ermordete Assistenzärztin Dr. Marie Anzell (Jana Voosen, Der sanfte Tod) zwar ziemlich nebensächlich, bekommt aber dermaßen viel Platz im Drehbuch eingeräumt, dass man meinen könnte, zu komplexen Themen wie Transhumanismus und Künstlicher Intelligenz sei den Filmemachern für 90 Minuten nicht genug eingefallen.

Das wiederum könnte daran liegen, dass die SWR-Redaktion das nervtötende Dauergezicke der weiblichen Alphatiere im Präsidium aus den Drehbüchern hat verbannen lassen – ansonsten muss man aber lange suchen, um Maleficius etwas wirklich Positives abzugewinnen. Die Auflösung ist vorhersehbarer als ein Busfahrplan und in der Hotellobby, in der bereits der Showdown von Vom Himmel hoch spielte, hat der SWR das Set einfach nochmal aufgebaut (s. Bilder unten).

Zumindest Odenthals unbefugtes Eindringen in Bordauers heilige Hallen ist aber spannend arrangiert – schon einen Augenblick später wird dieser Lichtblick aber durch ein hanebüchenes Manöver ruiniert, bei dem sich Stern spontan mit muskelbepackten Autoschraubern verbrüdert.

So gilt dann wieder das, was in den letzten Jahren so häufig für den Tatort aus Ludwigshafen galt: Gut gemeint, aber weniger gut gemacht.

Bewertung: 3/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Falscher Hase"

Nanu? Diese Hotellobby aus dem Tatort Maleficius...

... kennen wir doch schon aus dem Tatort Vom Himmel hoch!