Der Pakt

Folge: 1082 | 27. Januar 2019 | Sender: SR | Regie: Zoltan Spirandelli
Bild: SR/Manuela Meyer
So war der Tatort:

Verkorkst.

Denn auch im Tatort Der Pakt hat man wieder das Gefühl, dass die Hauptfiguren in Saarbrücken einfach nicht recht harmonieren wollen: Beim letzten Einsatz von Hauptkommissar Jens Stellbrink (Devid Striesow) spielen die Hauptdarsteller in erster Linie für sich selbst – der Eindruck eines eingespielten Teams hingegen will sich auch im achten Anlauf nicht einstellen.

Es ist bezeichnend, dass Stellbrinks Kollegin Lisa Marx (Elisabeth Brück) – 2013 im erschreckend schwachen Melinda noch als gleichberechtigte Partnerin angetreten – vor der Kamera nur noch wenige Minuten mit Stellbrink verbringt, während gleichzeitig das vollzogen wird, was sich seit Totenstille im Rahmen einer schleichenden Wachablösung angedeutet hatte: Polizeihauptmeisterin Mia Emmrich (Sandra Maren Schneider) wird zur Kommissarin befördert und ist Marx damit nun auch in Sachen Dienstgrad offiziell ebenbürtig (wird auf der ARD-Website aber bis zum Schluss hartnäckig ausgeklammert).

Dass die Chemie zwischen den Hauptdarstellern Striesow und Brück nicht stimmte, ist ein offenes Geheimnis – und angesichts der verkorksten Personalpolitik und dem oft steifen Zusammenspiel aller Beteiligten ist Striesows Entscheidung, den Weg für einen Neuanfang freizumachen, trotz all seiner schauspielerischen Klasse zu verkraften.

Einmal mehr bezeichnend ist auch, wie Regisseur und Drehbuchautor Zoltan Spirandelli (Söhne und Väter) die beim Publikum unbeliebte Staatsanwältin Nicole Dubois (Sandra Steinbach) hier noch irgendwie in den Plot quetschen muss: Im Rahmen einer Vernissage geflüchteter Künstler darf Dubois zum Abschied exakt drei belanglose Sätze sagen – unter anderem diese.


DUBOIS:
Datteln im Speckmantel? Das ist doch nicht halal.


Ansonsten spendiert Spirandelli, der seinen vierten Stellbrink-Tatort inszeniert und das Drehbuch zusammen mit Michael Vershinin (Söhne und Väter) schrieb, den Zuschauern zum Abschied einen klassischen Whodunit, dessen Auflösung bis in die Schlussviertelstunde offen gehalten wird und sich durchaus knifflig gestaltet.

Im Wohnheim eines Krankenhauses wird einleitend die Schwesternschülerin Vanessa (Aylin Werner) erdrosselt aufgefunden – und neben ihrem deutlich älteren Liebhaber Dr. Sharifi (Jaschar Sarabtchian), der sich gemeinsam mit der renommierten Ärztin Annemarie Bindra (Franziska Schubert, Ordnung im Lot) in der Initiative "Mediziner für Asyl e.V." engagiert, sind auch ihre Mitbewohnerin Anika (Lucie Hollmann) und der ägyptische Flüchtling und koptische Christ Kamal (Mehdi Meskar) in den Fall verwickelt. Letzterer arbeitete als Fahrer für die Initiative, gleichzeitig aber auch als Spitzel für den undurchsichtigen Dr. Hesse (Christian Intorp, Der Name der Orchidee) von der Ausländerbehörde – und steht spätestens nach der Flucht aus einem Krankenhaus unter dringendem Tatverdacht.

Über die teils wenig erfahrenen Nebendarsteller – Werner steht zum ersten, Sarabtchian zum zweiten Mal vor einer Kamera – mag man kein schlechtes Wort verlieren, absolut indiskutabel ist aber die Leistung einiger Kleindarsteller in Polizeiuniform, die den 1082. Tatort mit ihrem ausdruckslosen Spiel bisweilen der Lächerlichkeit preisgeben. Das ist im ohnehin schon hölzernen Krimi aus Saarbrücken doppelt ärgerlich, zumal auch der Soundtrack schwächelt: Kitschig wird es vor allem dann, wenn sich die Dramatik wie bei einer Schlüsselszene auf einem Gebäudedach oder der obligatorischen zweiten Tatort-Leiche nach einer knappen Stunde nicht von allein entwickeln will.

Immerhin: Man hat im Saarland – wir denken an den Totalausfall Eine Handvoll Paradies – in den letzten Jahren schon deutlich schlechteres gesehen, und auch im Hinblick auf die Hauptfigur hat der Saarländische Rundfunk noch eine erfreuliche Kurskorrektur vollzogen: Am Ende geht Jens Stellbrink als geerdeter einsamer Wolf, der über den Dächern der Stadt ein schickes Penthouse bewohnt und bei der Damenwelt wenig Glück hat. Denn war es in Totenstille noch eine gehörlose Bikerin (Kassandra Wedel), die bei dem Dauersingle auf Tuchfühlung ging, datete der Kommissar in Söhne und Väter versehentlich Kollegin Marx und muss sich in Der Pakt der aufdringlichen Ausbilderin Maria Krafft (Nina Vorbrodt, Keine Polizei) erwehren, die ihm bei jeder Gelegenheit schöne Augen macht.

Bewertung: 4/10

Zorn

Folge: 1081 | 20. Januar 2019 | Sender: WDR | Regie: Andreas Herzog
Bild: WDR/Martin Valentin Menke
So war der Tatort:

Ausnahmsweise mal ziemlich perfekt terminiert.

Denn zum Zeitpunkt der TV-Premiere von Zorn ist es gerade einmal vier Wochen her, dass in Bottrop die letzte Steinkohlezeche des Ruhrgebiets ihre Tore für immer geschlossen hat: Schicht im Schacht hieß es dort in den vergangenen Jahren für viele tausend Mitarbeiter, und Schicht im Schacht heißt es auch in diesem authentischen Tatort, der seine Zuschauer in eine Zechensiedlung entführt und damit in einem Arbeitermilieu spielt, das den Ruhrpott über Jahrzehnte geprägt hat.

Vorerst weiter geht es für die Dortmunder Hauptkommissare Peter Faber (Jörg Hartmann), Martina Bönisch (Anna Schudt), Jan Pawlak (Rick Okon) und Oberkommissarin Nora Dalay (Aylin Tezel), wenngleich die BILD-Zeitung einen Monat zuvor über den Ausstieg von Hartmann und Tezel spekulierte.

Schicht im Schacht ist in Zorn dafür für die ehemaligen Bergleute Andreas Sobitsch (Daniel Fritz), der einleitend ermordet aufgefunden wird, Ralf Tremmel (Thomas Lawinky, Der Wald steht schwarz und schweiget) und Stefan Kropp (Andreas Döhler, Der kalte Fritte), die von ihrem Arbeitgeber die Papiere ausgehändigt bekommen haben und nun vor dem beruflichen Nichts stehen. Ihre alte Zeche Sophie Charlotte wurde in die "Erlebniswelt Kohle & Stahl" umgewandelt, in der man ihnen sogar Jobs angeboten hat – doch nur weil man sein halbes Leben lang unter Tage geschuftet und jahrzehntelang wenig Tageslicht gesehen hat, muss man in der Geisterbahn des neuen Vergnügungsparks für Familien noch lange nicht seine neue Erfüllung finden.


BÖNISCH:
Hatte Herr Sobitsch 'ne Freundin?

KROPP:
Andreas? Nö.

BÖNISCH:
Kontakt zu 'ner Prostituierten?

TREMMEL:
Uns fickt schon jeden Tag das Leben. Reicht dann am Abend.


Was es für einen ehemaligen Bergmann bedeutet, im Spätsommer seines Berufslebens perspektivlos auf der Straße zu stehen, mag man als Unbeteiligter nur erahnen – wirklich schlauer ist man nach der 1081. Tatort-Folge aber auch nicht.

Denn Stammautor Jürgen Werner (Tollwut) und Regisseur Andreas Herzog (Eine andere Welt) brechen ihren spannenden Ausflug in die Welt der ehemaligen Kumpel und Steiger, die in Vermittler Klaus Radowski (Peter Kremer, Roomservice) ein neues Feindbild ausgemacht haben, auf halber Strecke ab: Im Mittelteil des Films und der obligatorischen zweiten Leiche nach einer Stunde eröffnen die Filmemacher einen zusätzlichen Schauplatz und bringen die Geschichte damit just in dem Moment vom Kurs ab, in dem es gerade interessant geworden ist (oder ihnen die Ideen im Hinblick auf den Umgang mit dem Strukturwandel im Ruhrgebiet ausgegangen sind).

Stattdessen widmen sie sich mit der Einführung des militanten Reichsbürgers Friedemann Keller (Götz Schubert, Kaltblütig) und der egozentrischen Staatsschutz-Kollegin Dr. Klarissa Gallwitz (Bibiana Beglau, Der sanfte Tod) einem Thema, das 2018 in Freies Land schon differenzierter aufgearbeitet wurde: Während sich Fabers subtiler Flirt mit Gallwitz anfangs noch reizvoll gestaltet, münden die Scherereien schon bald in altbekannte Machtspielchen, die sich im Tatort schon sehr häufig beobachten ließen (zuletzt in Wahre Lügen und Der Turm).

Der 13. Fall von Faber & Co. driftet damit vorübergehend in die Beliebigkeit ab, zumal sich auch Bönisch auf einen seichten Exkurs begibt: Ihre schlimmen Rückenprobleme lässt sie sich von dem geduldigen Reiki-Spezialisten Nimrod Fellner (Richard van Weyden, Im gelobten Land) kurieren – das sorgt zwar für Schmunzler, wäre im öffentlich-rechtlichen Vorabendprogramm aber kaum schlechter aufgehoben gewesen.

Deutlich interessanter gestaltet sich der zwischenmenschliche Totalschaden im Präsidium: War es in den vergangenen Jahren meist Zankapfel Daniel Kossik (Stefan Konarske), der mit Faber aneinandergeriet (vgl. Zahltag), sind es nun sein Nachfolger Pawlak und seine Ex-Freundin Dalay, deren erste Streitereien aus Tod und Spiele konsequent zugespitzt werden und in Zorn sogar in Handgreiflichkeiten gipfeln.

Hier ist der gewohnt emotionale Dortmunder Tatort in seinem Element und auch beim Showdown herrscht an zwei Schauplätzen gleichzeitig Spannung: Während Faber mal wieder ein SEK auf die Palme bringt (vgl. Sturm), wagt Dalay einen Alleingang auf dem stillgelegten Zechengelände, dessen spektakuläre Kulisse dem Ruhrpottkrimi hervorragend zu Gesicht steht.

Und dann ist da noch Fabers Erzfeind, der Serienmörder Markus Graf (Florian Bartholomäi), der in Auf ewig Dein geschnappt wurde und in Tollwut die Flucht ergriff: Graf kommt zwar diesmal nur auf Fotos vor, wird im Tatort aus Westfalen aber sicher noch einmal zu sehen sein.

Bewertung: 6/10

Wahre Lügen

Folge: 1080 | 13. Januar 2019 | Sender: ORF | Regie: Thomas Roth
Bild: ARD Degeto/ORF/Cult Film/Petro Domenigg
So war der Tatort:

Fredofrei.

Denn die Wiener Sonderermittler Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) müssen bei ihrem 20. gemeinsamen Einsatz nicht nur auf die Insidertipps der kultigen Kiezgröße Inkasso-Heinzi (Simon Schwarz, starker Auftritt im Vorgänger Her mit der Marie!), sondern auch auf die Unterstützung ihres Assistenten Fred "Fredo" Schimpf (Thomas Stipsits) verzichten: Der weilt in Wahre Lügen auf einer Fortbildung – und so reisen die Ermittler allein an den im tristen Regenwetter wenig malerischen Wolfgangsee, aus dessen Tiefen die tote Investigativjournalistin Sylvie Wolter (Susanne Gschwendtner, Gier) gezogen wurde.

Wie gewohnt mit von der Partie ist aber ihr Chef Ernst Rauter (Hubert Kramar), der in seiner Sandwich-Position einmal mehr den Vermittler zwischen den Kommissaren und seinen Vorgesetzten aus der Politik spielt: Diesmal ist es die Generaldirektion für Innere Sicherheit in Person der aalglatten Dr. Maria Digruber (Franziska Hackl, Glaube, Liebe, Tod) und ihres arroganten Sekretärs Lukas Kragl (Sebastian Wendelin, Wehrlos), die Eisner und Fellner bei ihren Ermittlungen im Mordfall und den Hintergründen um illegale Waffengeschäfte in die Schranken weist und mit entscheidenden Informationen hinterm Berg hält.

Auch in diesem Wiener Tatort setzen sich die Sonderermittler aber eigenmächtig über die Anweisungen hinweg und recherchieren im Sinne der Gerechtigkeit weiter – müde Machtspielchen wie diese sind nur ein Beispiel dafür, wie wenig Neues die Filmemacher in diesem über weite Strecken einfallslosen Krimi vom Reißbrett zu erzählen haben.


RAUTER:
Illegale Waffendeals, eine tote Journalistin, die angeblich zu viel gewusst hat... Kinder, das haben wir doch alles schon gehabt und das ist jedes Mal im Sand verlaufen.


Im Sande verlaufen die Nachforschungen im 1080. Tatort allerdings nicht: Regisseur und Drehbuchautor Thomas Roth (Die Kunst des Krieges) verknüpft die Ermordung der Journalistin mit dem Jahrzehnte zurückliegenden Tod des früheren österreichischen Verteidigungsministers, dessen Umstände nie lückenlos aufgeklärt wurden und der den Zeitzeugen Hans-Werner Kirchweger (Peter Matic, Ausgelöscht) auf den Plan ruft.

Ein durchaus reizvoller Ansatz, doch Überraschungen bleiben dabei aus: Roth reiht bei seiner Geschichte lediglich die üblichen Versatzstücke der Krimireihe aneinander und liefert kaum interessante Figuren. Neben den überzeichneten Mitarbeitern der Generaldirektion fällt ihm auch zum schmierigen Waffenhändler David Weimann (Robert Hunger-Bühler, Schlangengrube) nichts ein, was über die üblichen Klischees hinausgehen würde. Auch der Chefredakteur der Zeitung, für die das Mordopfer schrieb, bestätigt das negative Journalistenbild, das sich im Tatort so häufig beobachten lässt (vgl. Déjà-vu, Lohn der Arbeit): Was für ihn zählt, ist die Schlagzeile, egal auf wessen Kosten sie geht.

Die einzige vielschichtige Figur ist die durchtriebene Sybille Wildering (stark: Emily Cox, Kälter als der Tod), deren Motive lange rätselhaft bleiben – nach einer knappen Stunde aber legt Roth plötzlich die Karten auf den Tisch, beschert den Zuschauern einen Wissensvorsprung gegenüber den Kommissaren und nimmt seinem Film mit einer spannend inszenierten Sequenz im Luxushotel den größten Reiz, den er zu diesem Zeitpunkt ausstrahlt.

Die Auflösung der klassischen Whodunit-Konstruktion ist damit nur noch Formsache, doch lohnt sich das Einschalten aus anderen Gründen: Zwar müssen wir diesmal – wie einleitend erwähnt – auf "Fredo" Schimpf und Inkasso-Heinzi verzichten, doch widmen sich die Filmemacher ausführlich Fellners Alkoholproblem, das vor allem in ihren grandiosen Anfangsjahren im Wiener Tatort (vgl. Vergeltung, Ausgelöscht) für Lacher am Fließband sorgte. Diesmal wird es allerdings ernst: Nachdem Fellner unter dem strengen Blick einer Ausbilderin (Madallena Hirschal) am Schießstand versagt, springt Eisner seiner Kollegin einfühlsam zur Seite. Momente wie diese sind für die Figurenentwicklung Gold wert und entschädigen ein Stück weit für so manchen logischen Lapsus im Drehbuch (Beispiel: Bärenkräfte nach Durchschuss).

Trotzdem ist Wahre Lügen unterm Strich einer der schwächeren Fälle mit Eisner und Fellner: Wenn Kripo-Chef Rauter am Ende die Konsequenzen dessen, was zuvor für so viel Zündstoff gesorgt hat, pragmatisch zusammenfasst und der Fall damit abgeschlossen sein soll, ist das schlichtweg unbefriedigend.

Bewertung: 5/10

Weiter, immer weiter

Folge: 1079 | 6. Januar 2019 | Sender: WDR | Regie: Sebastian Ko
Bild: WDR/Martin Valentin Menke
So war der Tatort:

Inhaltlich auffallend verwandt mit dem zwei Wochen zuvor gesendeten Schwarzwald-Tatort Damian – im direkten Vergleich aber eine ganze Ecke schwächer.

Denn die Drehbuchautoren Jan Martin Scharf und Arne Nolting, die zuletzt den tollen Hamburger Tatort Alles was sie sagen konzipierten, setzen bei ihrem Krimi auf einen deutlich massenkompatibleren Ansatz: Waren große Teile des TV-Publikums mit den Zeitsprüngen und der verschachtelten Erzähltechnik in Damian hoffnungslos überfordert, übernehmen die Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) das Denken für den Zuschauer gleich mit. Entgegen dem erzählerischen Erfolgsrezept Show, don't tell kommentieren sie in Weiter, immer weiter oft Dinge, die die Bilder längst geschildert haben, oder sie fassen die neuesten Erkenntnisse auf dem Weg zu Freddys Dienstwagen noch einmal zusammen – wer ein paar Minuten geistig abwesend ist, wird von den Filmemachern sanft aufgefangen.

Ganz anders ergeht es den beiden Polizisten Frank Lorenz (charismatisch: Roeland Wiesnekker, bis 2016 vier Mal als Kommissariatsleiter Henning Riefenstahl im Tatort aus Frankfurt zu sehen) und Vera Kreykamp (Laina Schwarz, Er wird töten), die der Kölner Streifenalltag mit voller Härte erwischt: Erst müssen sie einleitend machtlos mitansehen, wie der junge Drogendealer Pascal Pohl (Wolf Danny Homann) bei einer Verkehrskontrolle in Panik vor eine Straßenbahn rennt – und dann kotzt Lorenz bei einem Routineeinsatz am Bahnhof auch noch ein volltrunkener Obdachloser auf die Uniform.


SCHENK:
Was riecht denn hier so?

LORENZ:
Das bin ich. Doppelkorn und Kotze – der Duft vom Deutzer Bahnhof.


Weiter, immer weiter hätte ein beklemmendes Krimidrama über die Überlastung von Polizeibeamten der unteren Dienstränge werden können, in dem sich die Filmemacher – ähnlich wie im Münchner Tatort Macht und Ohnmacht – kritisch mit dem täglichen Druck auf Streife und der Verarbeitung traumatischer Erlebnisse auseinandersetzen.

Das ist hier aber nicht das Ziel: Regisseur Sebastion Ko (Mitgehangen) inszeniert ein reizvolles Rätsel um Wahrheit, Wahrnehmung und Wahrscheinlichkeiten, bei dem der im Umgang schwierige Lorenz den Kölner Kommissaren regelmäßig in ihren Zuständigkeitsbereich funkt. Er will sich einfach nicht damit abfinden, dass der Tod des Dealers ein tragischer Unfall war, sondern vermutet die Mafia hinter der Sache: Pohl wurde vor der Verkehrskontrolle angeblich von einem Wagen einer russischen Feinkostfirma gejagt – doch weil Geschäftsführerin Irina Nikitina (Katerina Medvedeva, Bienzle und der Feuerteufel) sich bei der Befragung ebenso ahnungslos gibt wie ihr Sohn Nikolaj (Vladimir Burlakov, Du gehörst mir) und der einflussreiche Roman Beresow (Jevgenij Sitochin, Kriegssplitter), verlaufen die Ermittlungen der Kommissare im Sand.

Es ist typisch für den Tatort aus der Domstadt, dass Lorenz' Theorie die Kommissare dennoch gegeneinander aufbringt, obwohl die Substanz für weitere Nachforschungen eigentlich fehlt: Während "Schenki", der Lorenz noch von früher kennt, der Theorie Aufmerksamkeit schenkt und sogar den freien Dienstagabend für einen Kneipenbesuch mit dem Ex-Kollegen opfert, stößt Lorenz bei Ballauf auf taube Ohren. Die Spannungen sind vorprogrammiert – und so ist es einmal mehr der schlafmützige Assistent Norbert Jütte (Roland Riebeling), der im Präsidium für Entschleunigung sorgt und den sympathischen Ruhepol im 1079. Tatort bildet.

Auf der Zielgeraden zünden die Filmemacher dann noch eine Rakete und offenbaren eine pfiffige Auflösung, die stark an den einleitend erwähnten Aha-Effekt in Damian erinnert, wenngleich er nicht ganz so überraschend ausfällt: Wenn Lorenz nach einem harten Arbeitstag heimkommt und seiner gleichaltrigen Schwester Mecki (Annette Paulmann, Das Dorf) sein Herz ausschüttet, bleiben deren Ratschläge auffallend blutleer und substanzlos – und auch der starke Fokus der Handlung auf ihren psychisch labilen Bruder verstärkt früh den Verdacht, dass hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht.

Dennoch zählt der 74. Fall von Ballauf und Schenk nach viel Mittelmaß in den Vorjahren (vgl. Tanzmariechen, Nachbarn, Familien) oder dem überraschend schwachen Bausünden zu den stärkeren Tatort-Folgen aus Köln – mit weniger Plattitüden und etwas mehr Klasse als Kitsch (z.B. der Einsatz des Chores in der Schlusssequenz) hätte aus Weiter, immer weiter sogar ein echter Überraschungshit werden können.

Bewertung: 7/10

Der höllische Heinz

Folge: 1078 | 1. Januar 2019 | Sender: MDR | Regie: Dustin Loose
Bild: MDR/Wiedemann&Berg/Anke Neugebauer
So war der Tatort:

Wild-westlich.

Denn die Weimarer Hauptkommissare Lessing (Christian Ulmen) und Kira Dorn (Nora Tschirner), die eigentlich gerade die letzten Vorbereitungen für den Besuch von Lessings penibler Mutter treffen wollen, verschlägt es bei ihrem achten gemeinsamen Einsatz in eine waschechte Westernstadt: In "El Doroda" haben kauzige Hobbyisten wie der Ex-Professor Odi (Hans-Uwe Bauer, Fürchte dich) oder familiär gebundene Schausteller wie Showreiter Tom Wörtche (Christoph Letkowski, Zorn Gottes) in der Goldwäscherei, im Tipi oder im Saloon ihren Lebensmittelpunkt gefunden und scheren sich nur noch wenig um das, was außerhalb der Stadtgrenzen vor sich geht.

Weil der Besitzer von El Doroda seinen Pächtern allerdings kündigen will, gerät Geschäftsführer Heinz Knapp (Peter Kurth, Das Haus am Ende der Straße) beim Überbringen der schlechten Nachricht erheblich unter Druck – und als Schutzpolizist Ludwig Maria "Lupo" Pohl (Arndt Schwering-Sohnrey) Knapps Vorgesetzten beim Schwimmtraining tot aus der Ilm fischt, zählt Der höllische Heinz genauso zum Kreis der Mordverdächtigen wie alle anderen El-Doroda-Bewohner.

Die Drehbuchautoren Murmel Clausen und Andreas Pflüger, die bei Minute 49 ein nettes Easter Egg in ihre kurzweilige Krimikomödie eingebaut haben und auch die bisherigen Tatort-Folgen aus Thüringen konzipierten, holen das Lasso raus und schicken Lessing und Dorn auf einen zwar realitätsfernen, aber amüsanten Ausflug in die Welt der Cowboys und Indianer. Da darf ein echtes Cowgirl nicht fehlen – und so meldet sich Dorn prompt freiwillig zum Undercover-Einsatz im Sattel.


DORN:
Pferd, Longhorn, Esel, Hirsch – ich reite alles, was 'n Fell hat.


Filmemacher Dustin Loose, der zuletzt beim starken Dresdner Tatort Déjà-vu Regie führte, schlägt bei seiner zweiten Arbeit für die öffentlich-rechtliche Erfolgsreihe deutlich seichtere Töne an und inszeniert einen sympathischen Schmunzelkrimi, der mit unzähligen Anspielungen auf die populären Karl-May-Verfilmungen, die beliebten Lucky-Luke-Comics oder berühmte Italo-Western wie Eine Handvoll Dollar und Spiel mir das Lied vom Tod gespickt ist.

Nicht von ungefähr wohnte der Tote in der "Sergio Leone Suite", wenngleich auch das Mafia-Epos Der Pate zitiert wird: Der höllische Heinz findet den blutigen Kopf seines heißgeliebten Longhorn-Rindes im Bett – die Pferde hingegen überleben diesen Tatort anders als in Francis Ford Coppolas Meisterwerk allesamt.

Auch die Hauptdarsteller gehen dahin, wo's weh tut: Während Nora Tschirner bei den ungedoubleten Szenen im Sattel keine allzu glückliche Figur macht, stürzt Ulmens Lessing beim heimlichen Beschatten von Tiefbau-Unternehmerin Ellen Kircher (Marie-Lou Sellem, Zorn Gottes) und deren einfältigem Sohn Nick (Martin Baden, Tiere der Großstadt) in voller Montur in eine Teertonne. Das obligatorische Federn bleibt ihm (anders als so manchem Westernschurken) zwar erspart, in die spaßigste Sequenz im 1078. Tatort mündet das Ganze aber trotzdem.

Auch Dorn verbucht viele Lacher für sich, weil sie mit scharfzüngigen One-Linern aus allen Rohren feuert. Ansonsten schießen die Filmemacher mit den Gags in bester Schrotflinten-Manier in die Breite: Von pfiffigem Wortwitz ("Das war Knapps!") über subtile Situationskomik bis hin zu absurden Kalauern wird zu stimmungsvollen Banjo-Klängen alles geboten.

Wer in der Hoffnung auf vielschichtige Figuren oder einen packenden Krimi einschaltet, guckt in Weimar allerdings erneut in die Röhre: Sieht man von der atmosphärisch dichten Eröffnungssequenz im nächtlichen El Doroda ab, entsteht kaum einmal etwas Spannung. Im Vergleich zu den 2018 erneut zu den Tatort-Quotenkönigen gekürten Kollegen Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) wirkt in Thüringen aber (noch) vieles origineller und deutlich abwechslungsreicher.

Parallelen ergeben sich diesmal im Hinblick auf Sidekick Lupo: Ist es in Münster meist der eitle Professor, der sich beim Frönen neuer Hobbies und Leidenschaften in schöner Regelmäßigkeit zum Affen macht, trainiert hier der treudoofe Schutzpolizist für den Weimarer "Ultraman" und nimmt es allein mit einer ganzen Motorradgang auf, um dann beim ersten Whiskey aus den Stiefeln zu kippen.

Bewertung: 6/10