Zorn

Folge: 1081 | 20. Januar 2019 | Sender: WDR | Regie: Andreas Herzog
Bild: WDR/Martin Valentin Menke
So war der Tatort:

Ausnahmsweise mal ziemlich perfekt terminiert.

Denn zum Zeitpunkt der TV-Premiere von Zorn ist es gerade einmal vier Wochen her, dass in Bottrop die letzte Steinkohlezeche des Ruhrgebiets ihre Tore für immer geschlossen hat: Schicht im Schacht hieß es dort in den vergangenen Jahren für viele tausend Mitarbeiter, und Schicht im Schacht heißt es auch in diesem authentischen Tatort, der seine Zuschauer in eine Zechensiedlung entführt und damit in einem Arbeitermilieu spielt, das den Ruhrpott über Jahrzehnte geprägt hat.

Vorerst weiter geht es für die Dortmunder Hauptkommissare Peter Faber (Jörg Hartmann), Martina Bönisch (Anna Schudt), Jan Pawlak (Rick Okon) und Oberkommissarin Nora Dalay (Aylin Tezel), wenngleich die BILD-Zeitung einen Monat zuvor über den Ausstieg von Hartmann und Tezel spekulierte.

Schicht im Schacht ist in Zorn dafür für die ehemaligen Bergleute Andreas Sobitsch (Daniel Fritz), der einleitend ermordet aufgefunden wird, Ralf Tremmel (Thomas Lawinky, Der Wald steht schwarz und schweiget) und Stefan Kropp (Andreas Döhler, Der kalte Fritte), die von ihrem Arbeitgeber die Papiere ausgehändigt bekommen haben und nun vor dem beruflichen Nichts stehen. Ihre alte Zeche Sophie Charlotte wurde in die "Erlebniswelt Kohle & Stahl" umgewandelt, in der man ihnen sogar Jobs angeboten hat – doch nur weil man sein halbes Leben lang unter Tage geschuftet und jahrzehntelang wenig Tageslicht gesehen hat, muss man in der Geisterbahn des neuen Vergnügungsparks für Familien noch lange nicht seine neue Erfüllung finden.


BÖNISCH:
Hatte Herr Sobitsch 'ne Freundin?

KROPP:
Andreas? Nö.

BÖNISCH:
Kontakt zu 'ner Prostituierten?

TREMMEL:
Uns fickt schon jeden Tag das Leben. Reicht dann am Abend.


Was es für einen ehemaligen Bergmann bedeutet, im Spätsommer seines Berufslebens perspektivlos auf der Straße zu stehen, mag man als Unbeteiligter nur erahnen – wirklich schlauer ist man nach der 1081. Tatort-Folge aber auch nicht.

Denn Stammautor Jürgen Werner (Tollwut) und Regisseur Andreas Herzog (Eine andere Welt) brechen ihren spannenden Ausflug in die Welt der ehemaligen Kumpel und Steiger, die in Vermittler Klaus Radowski (Peter Kremer, Roomservice) ein neues Feindbild ausgemacht haben, auf halber Strecke ab: Im Mittelteil des Films und der obligatorischen zweiten Leiche nach einer Stunde eröffnen die Filmemacher einen zusätzlichen Schauplatz und bringen die Geschichte damit just in dem Moment vom Kurs ab, in dem es gerade interessant geworden ist (oder ihnen die Ideen im Hinblick auf den Umgang mit dem Strukturwandel im Ruhrgebiet ausgegangen sind).

Stattdessen widmen sie sich mit der Einführung des militanten Reichsbürgers Friedemann Keller (Götz Schubert, Kaltblütig) und der egozentrischen Staatsschutz-Kollegin Dr. Klarissa Gallwitz (Bibiana Beglau, Der sanfte Tod) einem Thema, das 2018 in Freies Land schon differenzierter aufgearbeitet wurde: Während sich Fabers subtiler Flirt mit Gallwitz anfangs noch reizvoll gestaltet, münden die Scherereien schon bald in altbekannte Machtspielchen, die sich im Tatort schon sehr häufig beobachten ließen (zuletzt in Wahre Lügen und Der Turm).

Der 13. Fall von Faber & Co. driftet damit vorübergehend in die Beliebigkeit ab, zumal sich auch Bönisch auf einen seichten Exkurs begibt: Ihre schlimmen Rückenprobleme lässt sie sich von dem geduldigen Reiki-Spezialisten Nimrod Fellner (Richard van Weyden, Im gelobten Land) kurieren – das sorgt zwar für Schmunzler, wäre im öffentlich-rechtlichen Vorabendprogramm aber kaum schlechter aufgehoben gewesen.

Deutlich interessanter gestaltet sich der zwischenmenschliche Totalschaden im Präsidium: War es in den vergangenen Jahren meist Zankapfel Daniel Kossik (Stefan Konarske), der mit Faber aneinandergeriet (vgl. Zahltag), sind es nun sein Nachfolger Pawlak und seine Ex-Freundin Dalay, deren erste Streitereien aus Tod und Spiele konsequent zugespitzt werden und in Zorn sogar in Handgreiflichkeiten gipfeln.

Hier ist der gewohnt emotionale Dortmunder Tatort in seinem Element und auch beim Showdown herrscht an zwei Schauplätzen gleichzeitig Spannung: Während Faber mal wieder ein SEK auf die Palme bringt (vgl. Sturm), wagt Dalay einen Alleingang auf dem stillgelegten Zechengelände, dessen spektakuläre Kulisse dem Ruhrpottkrimi hervorragend zu Gesicht steht.

Und dann ist da noch Fabers Erzfeind, der Serienmörder Markus Graf (Florian Bartholomäi), der in Auf ewig Dein geschnappt wurde und in Tollwut die Flucht ergriff: Graf kommt zwar diesmal nur auf Fotos vor, wird im Tatort aus Westfalen aber sicher noch einmal zu sehen sein.

Bewertung: 6/10

8 Kommentare:

  1. Heißt der Serienmörder nicht Markus Graf?

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    1. Stimmt natürlich - ist korrigiert, danke für den Hinweis! Dominik Graf war der, der diese großartigen Tatort-Folgen dreht...

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  2. 30 Jahre nach Schliessung der letzten Dortmunder Zeche passt beim Dortmund-Tatort wie immer alles: Schizophrenes, unrealistisches Drehbuch, psychotisch operierendes Team. Themen: Reichsbürger als Lückenfüller, Bergschäden, Fremdgehen als Rahmen für private, intime und psychische Probleme des Teams ergänzt durch eine psychotische Tante von Verfassungsschutz! Bewertung: 6, setzen!

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  3. Irgendwie erkenne ich keine Beurteilung im Text von Herrn Daniels. Es handelt sich meiner Meinung nach um eine leicht erweiterte Inhaltsangabe. Die Wertung 6/10 wird durch nichts begründet

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    1. Wenn du es irgendwie nicht erkennst, solltest du vielleicht genauer hinsehen: Im Text werden unter anderem die oberflächliche Aufarbeitung des Reichsbürger-Themas moniert, der fehlende Tiefgang im Hinblick auf das Arbeitmilieu kritisiert, der spannende Showdown gelobt, die Machtspielchen zwischen Faber und Gallwitz relativiert und der Bönisch-Exkurs als zu seicht und wenig gewinnbringend für den Film eingeordnet.

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    2. Für mich gehört ein Fazit ans Ende einer Kritik/Rezension, welches dann die 6/10 erhellt. Im übrigen bleibe ich bei meinem Statement von 07:55 Uhr.
      Aber und das schrieb ich ja auch schon: das ist meine persönliche Meinung ohne Anspruch auf Allegemeingültigkeit

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    3. Am Ende einer Kritik kann ebenso gut ein Ausblick auf die Zukunft stehen, in diesem Fall das sehr wahrscheinliche Wiedersehen mit Markus Graf (Florian Bartholomäi). Das ist im Übrigen nicht das erste Mal (vgl. die Kritiken zu "Zahltag" oder "Auf ewig Dein"). Gerade im seriell angehauchten Tatort aus Dortmund wird dadurch ein folgenübergreifender Kontext hergestellt, der uns wichtig ist.

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  4. Jörg Hartmann, Anna Schudt, Rick Okon und Aylin Tezel ist da's perfekte team also 10 punkte.

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