Ein Tag wie jeder andere

Folge: 1085 | 24. Februar 2019 | Sender: BR | Regie: Sebastian Marka
Bild: BR/Claussen+Putz Filmproduktion/Hendrik Heiden
So war der Tatort:

Zweigeteilt – und zweimal zweifelhaft besetzt.

Denn Regisseur Sebastian Marka und Drehbuchautor Erol Yesilkaya, die in den Jahren zuvor unter anderem die Tatort-Highlights Die Wahrheit, Es lebe der Tod und Meta arrangierten, teilen Ein Tag wie jeder andere in zwei verschiedene Hälften: Los geht's mit der spannenden Jagd auf einen Serientäter, der immer zur vollen Stunde einen Menschen hinrichtet – nach einer Dreiviertelstunde jedoch wandelt sich der fünfte Fall der fränkischen Ermittler Felix Voss (Fabian Hinrichs), Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel), Wanda Goldwasser (Eli Wasserscheid) und Sebastian Fleischer (Andreas Leopold Schadt) zum tragischen Entführungsdrama und mitreißenden Kammerspiel.

Beim Blick auf die Besetzung ergibt sich dabei ein fragwürdiges Bild: Rechtsanwalt Thomas Peters, der um Punkt 14 Uhr einen Richter im laufenden Prozess und um Punkt 15 Uhr eine Uni-Mitarbeiterin im Labor erschießt, wird gespielt von Thorsten Merten – der dem Stammpublikum trotz Brille, Perücke und Bart bestens aus dem Weimar-Tatort mit Lessing (Christian Ulmen) und Dorn (Nora Tschirner) bekannt ist, in dem er seit 2013 den tölpelhaften Kripochef Kurt Stich spielt.

Eine ähnlich alberne Maskerade ließ sich im ebenfalls von Sebastian Marka für den Bayerischen Rundfunk inszenierten Münchner Tatort KI beobachten, doch erlebt der Zuschauer diesmal sogar ein zweites Déjà-vu: Schauspieler Thomas Kügel, der für den NDR seit 2003 den Vorgesetzten von Klaus Borowski (Axel Milberg) mimt, spielt hier den gemütlichen Bayreuther Polizeipräsidenten Richard Bruchner und wird exakt einen Sonntag später im Kieler Tatort Borowski und das Glück der Anderen wieder in seiner gewohnten Rolle als Roland Schladitz zu sehen sein.

Gibt es denn wirklich so wenig gute Schauspieler in Deutschland?


VOSS:
Ich brauch' Leute. Viele Leute. Alle, die Sie haben. Jetzt!

BRUCHNER:
Des war symbolisch g'meint mit der offenen Tür.


Die seltsame Besetzung und die etwas überkonstruierte Geschichte sind aber auch schon die einzigen Ärgernisse im 1085. Tatort, in dem im fünften Anlauf endlich mal fränkisches Lokalkolorit durchschlägt: Ähnlich wie im zeitlosen Hitchcock-Klassiker Der Mann, der zuviel wußte, im actionlastigen James-Bond-Film Ein Quantum Trost oder im brillant fotografierten Luzerner Echtzeit-Tatort Die Musik stirbt zuletzt erreicht der packende Wettlauf gegen die Uhr bei einer kulturellen Großveranstaltung seinen (vorläufigen) Höhepunkt – und zwar bei einer Opernaufführung der Richard-Wagner-Festspiele im Bayreuther Festspielhaus, in dem bis dato überhaupt erst drei Spielfilme gedreht werden durften.

Dann legt der temporeich erzählte Thriller eine Kehrtwende hin: Mit dem um sein ungeborenes Kind gebrachten Ehepaar Martin (Stephan Grossmann, Der Fall Holdt) und Jana Kessler (Karina Plachetka, Level X) und dem indirekt dafür verantwortlichen Molkereiunternehmer Rolf Koch (Jürgen Tarrach, Gestern war kein Tag) schlagen die Filmemacher gekonnt die Brücke zwischen den zwei Filmhälften und verknüpfen dabei das Geschehen der Vergangenheit mit dem Geschehen im Hier und Jetzt.

Der Zuschauer genießt durch die zahlreichen Rückblenden und den Wechsel in die Täterperspektive einen erheblichen Wissensvorsprung gegenüber den Kommissaren – und kann sich deren Erkenntnisse vorzeitig zusammenreimen, statt mit Verdächtigenbefragungen nach Schema F oder akribischer Fleißarbeit im Präsidium gelangweilt zu werden.

Auch handwerklich spielt der mit stimmungsvollen Wagner-Klängen vertonte Tatort in der obersten Liga der Krimireihe: Die auffallend dunkel gehaltenen Bilder, die schon den sperrigen Nürnberger Vorgänger Ich töte niemand kennzeichneten und langsam zu einem Markenzeichen des Franken-Tatorts reifen, verstärken die düstere Atmosphäre, während elegante Zeitraffer und wohldosierte Zeitlupen für die visuelle Auflockerung sorgen.

Und mit dem durch einen Selbstmordversuch entstellten und an den Rollstuhl gefesselten Martin Kessler gibt es diesmal auch einen charismatischen Bösewicht, der den Beamten ihre Grenzen aufzeigt und seine letzte Trumpfkarte bis in die Schlussminuten zurückhält – Anspielungen auf Hannibal Lecter und Das Schweigen der Lämmer inklusive.

So gipfelt Ein Tag wie jeder andere schließlich in einem wirklich verblüffenden Twist – was aber auch daran liegt, dass die Auflösung nicht uneingeschränkt glaubwürdig ist. Das ändert wenig daran, dass der fünfte Tatort mit Ringelhahn & Co. der bisher beste ist – und mehr Berichterstattung im wiedereingestellten BR-Blog durchaus verdient gehabt hätte.

Bewertung: 8/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Murot und das Murmeltier"

Murot und das Murmeltier

Folge: 1084 | 17. Februar 2019 | Sender: HR | Regie: Dietrich Brüggemann
Bild: HR/Bettina Müller
So war der Tatort:

Gefangen in einer Zeitschleife.

Denn der hessische LKA-Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur) muss in Murot und das Murmeltier fast dasselbe durchmachen wie Wettermoderator Phil Connors (Bill Murray) im 90er-Jahre-Klassiker Groundhog Day: Er durchlebt ein und denselben Tag immer und immer wieder.

Dabei sieht auch in Wiesbaden zunächst alles nach einem Routineeinsatz aus: Magda Wächter (Barbara Philipp) klingelt ihren Chef aus dem Bett und zitiert ihn zu einer Filiale der Taunusbank, in der sich der Geiselnehmer Stefan Gieseking (Christian Ehrich, Sturm) mit seiner Freundin Nadja Eschenbach (Nadine Dubois), einer Waffe und einigen Bankangestellten vor den Ordnungshütern verschanzt hat.

Ein Alleingang Murots nach kurzer Abstimmung mit den Kollegen schlägt jedoch fehl: Eschenbach erschießt Gieseking, den Kommissar und sich selbst – doch statt zu sterben, liegt der LKA-Ermittler plötzlich wieder im Bett und das Handy klingelt erneut. Wächter bittet ihn ein zweites Mal zum genannten Einsatzort in Wiesbaden – es ist der zweite von insgesamt zwölf Anläufen, die Murot benötigt, um seinen siebten Fall zu einem Abschluss zu bringen.

Jedes Mal, wenn er stirbt, beginnt das Spiel von neuem – und dem cleveren Kommissar dämmert bald, dass das Ganze auch Vorteile bringt und er die vermeintlich endlose Zeitschleife zu seinem Vorteil nutzen kann.


NACHBAR:
Aber Sie müssen sich ja nicht gleich umbringen, nur weil Sie sich ausgesperrt haben!

MUROT:
Doch, sonst komme ich ja nicht mehr in meine Wohnung rein!


Regisseur und Drehbuchautor Dietrich Brüggemann, der auch für die stimmungsvolle Musik des HR-Sinfonieorchesters verantwortlich zeichnet, stellt nach seinem tollen Stuttgarter Tatort Stau mit Murot und das Murmeltier ein zweites Mal eindrucksvoll unter Beweis, wieviel sich aus dem Format am Sonntagabend herausholen lässt, wenn nur die richtigen Redakteure, Filmemacher und Schauspieler am Ruder sitzen und alle die nötige Portion Mut für das Außergewöhnliche mitbringen.

Nicht von ungefähr wurde die grandios arrangierte Krimikomödie auf dem Festival des deutschen Films 2018 für eben diesen Mut mit dem Filmkunstpreis ausgezeichnet und später für den Deutschen Fernsehpreis nominiert, denn mit einem Tatort der alten Schule hat die 1084. Ausgabe der Krimireihe wenig zu tun: Wer auf einen Whodunit mit obligatorischer Auftaktleiche, SpuSi-Erkenntnissen, Verdächtigenbefragungen und einer möglichst verblüffenden Auflösung gehofft hat, wird sich vorkommen wie im falschen Film.

Statt bloß die üblichen Stationen bei Gerichtsmediziner & Co. abzuklappern, begegnet Murot – so wie auch der Protagonist im eingangs erwähnten Hollywood-Klassiker – Tag für Tag denselben Leuten: der top-motivierten Joggerin (Katharina Schlothauer) aus der Wohnung nebenan, dem übergewichtigen Nachbarn (Daniel Zillmann, Niedere Instinkte) mit der zu lauten Musik, einer jungen Mutter (Anna Brüggemann, Land in dieser Zeit) mit ihrem Sohn und schließlich der Scheibenputzerin (Desiree Klaeukens) auf dem Weg zum Einsatzort – doch jedes Mal gestaltet sich die Begegnung ein klein wenig anders.

Statt das spaßige Erfolgsrezept aus Groundhog Day aber lediglich zu kopieren, setzt Brüggemann eigene Akzente: Mit dem überraschend gleichgültigen Geiselnehmer Gieseking gibt es neben Murot eine zweite Person, die in der nervenraubenden Zeitschleife gefangen ist – und weil die Geschichte durch den Tod der beiden Gegenspieler jeden Moment vorbei sein kann, erhöht das den Überraschungseffekt ungemein. Mal dauert das Spiel zwanzig Minuten, mal nur wenige Sekunden.

Murot und das Murmeltier auf die unzähligen absurden Einfälle (Stichwort: Kettensäge), die brüllend komischen Dialoge oder die perfekt getimte Situationskomik zu reduzieren, würde der Extraklasse der großartigen Krimikomödie aber nicht ganz gerecht: Brüggemann hievt seinen Film durch die fast philosophische Selbstreflexion von Kommissar und Täter im Hinblick auf die lähmende Eintönigkeit des Lebens auf die höchste Qualitätsstufe und hält dem Einheitsbrei im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ohne Kompromisse den Spiegel vor. "Tatort, Polizeiruf, Soko, Der Alte, Der Junge - das is' alles dasselbe", stimmt Sanitäter Erik (Sascha Nathan) hämisch den Abgesang an, doch möchte man in Anlehnung an ein berühmtes Game-of-Thrones-Zitat entgegnen: Not today.

Bewertung: 10/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Das verschwundene Kind"

Das verschwundene Kind

Folge: 1083 | 3. Februar 2019 | Sender: NDR | Regie: Franziska Buch
Bild: NDR/Christine Schroeder
So war der Tatort:

Feminin.

Denn nach dem MDR im Tatort aus Dresden und dem SWR im Tatort aus Ludwigshafen setzt auch der NDR in seinem Krimi aus Niedersachsen auf geballte Frauenpower: LKA-Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler), die im gelungenen Vorgänger Der Fall Holdt den Täter nicht überführen konnte und den Hauptverdächtigen sogar in den Suizid trieb, wird offiziell degradiert und muss sich in Das verschwundene Kind nicht nur in einer neuen Stadt, sondern auch in einem neuen Team zurechtfinden.

Ab sofort geht Lindholm, die bei ihrem 26. Einsatz nach längerer Abstinenz mal wieder mit ihrem mittlerweile elfjährigen Sohn David (Oskar Netzel) und ihrer Mutter Annemarie (Katrin Ackermann) zu sehen ist, in Göttingen auf Täterfang – und bekommt von ihrem neuen Chef Gerd Liebig (Luc Feit, Dunkelfeld) ein echtes Alphatier zur Seite gestellt, das sein Revier nicht kampflos dem Neuankömmling überlässt.

Hollywood-Export Florence Kasumba, die im Tatort schon in sieben Nebenrollen zu sehen war (zuletzt in Im gelobten Land), spielt mit der energischen Anaïs Schmitz nämlich die erste dunkelhäutige Kommissarin in der fast fünfzigjährigen Geschichte der Krimireihe – und die tritt ihrer neuen Partnerin alles andere als freundschaftlich gegenüber.

Lindholm, die sich bei einem handfesten Streit sogar eine Ohrfeige von der aufbrausenden Schmitz einfängt, verspürt daher auch kein gesteigertes Interesse daran, sich in Göttingen einzurichten: Sie geht zunächst fest davon aus, schon bald wieder an ihrem alten Schreibtisch in Hannover zu sitzen.


LINDHOLM:
Ich pendel erstmal.

LIEBIG:
Das sagen sie alle.


Hauptdarstellerin Maria Furtwängler, die sich oft für die Stärkung des sprichwörtlichen "schwachen Geschlechts" im Filmgeschäft stark macht, dürfte die neue Konstellation ebenso gefallen wie die Tatsache, dass mit Franziska Buch erneut eine Frau für den Tatort aus Niedersachsen auf dem Regiestuhl sitzt und mit Jan Braren (Der Fall Holdt) und Stefan Dähnert (Roomservice) auch das Drehbuch geschrieben hat.

Bekam Lindholm bei ihren Außeneinsätzen in der Provinz in den vergangenen Jahren oft einfältige Landeier in Uniform zur Seite gestellt, gibt es mit der vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden Schmitz nun endlich den Gegenpol, der dem Lindholm-Tatort vielleicht immer gefehlt hat. Im Sinne der Glaubwürdigkeit wäre weniger aber oft mehr gewesen: Schmitz' erster Auftritt driftet stellenweise ins Karikatureske ab und lässt die Menschlichkeit – von der letzten Filmszene und einem kurzen Moment nach der Obduktion einmal abgesehen – über weite Strecken vermissen.

Schon bei der ersten Begegnung in einer abrissreifen Umkleidekabine, in der die junge Julija Petkow (Lilly Barshy, Borowski und das Fest des Nordens) das titelgebende Kind geboren und womöglich getötet hat, kracht es zwischen den emanzipierten Powerfrauen gewaltig. Auch in der Folge bläst Lindholm ein eisiger Wind ins Gesicht – Schmitz genießt in ihrem Team, zu dem auch die eifrige Assistentin Margit Thies (Nadine Wrietz, Kalter Engel) zählt, hohes Ansehen und scheint die Konflikte förmlich zu suchen.

Trotz dieser anstrengenden Reibereien, die ein wenig an die Fehde zwischen Lena Odenthal und Johanna Stern erinnern (vgl. Roomservice oder LU), ist Das verschwundene Kind ein gelungener Tatort, denn er ist frei von Längen, geht stellenweise richtig an die Nieren und auch die Auflösung ist nicht gerade ein Kinderspiel. Dabei stellt sich weniger die Frage nach dem Mörder, sondern die nach dem Vater des Kindes: Julijas Vater (Merab Ninidze, Unvergessen) kommt dafür ebenso infrage wie ihr früherer Kickbox-Trainer Ralf Schmölke (Oliver Stokowski, Der Maulwurf) oder ihr Vertrauenslehrer Johannes Grischke (Steve Windolf, Mord Ex Machina).

Bei so vielen Verdächtigen ist es fast nicht zu vermeiden, dass sich auch Stereotypen einschleichen – allen voran der dealende Zwölftklässler Tim Bauer (Oskar Belton), der eine Tolle zum Tattoo trägt und Stoff an Minderjährige vertickt. Diese Mängel werden durch die Darsteller aber ein Stück weit aufgefangen: Neben der jungen Lilly Barshy überzeugt auch Emilio Sakraya (Söhne und Väter) in seiner Rolle als Julijas großer Bruder Nino Brehmer.

Noch etwas blass bleibt Shooting-Star Daniel Donskoy (Wer jetzt allein ist) als smarter Gerichtsmediziner – im Hinblick auf seine Figur platzieren die Filmemacher aber einen pfiffigen Twist, nachdem sie den Zuschauer zuvor mit einer bewusst kitschig gehaltenen Szene gekonnt aufs Glatteis führen.
Bewertung: 6/10