One Way Ticket

Folge: 1114 | 26. Dezember 2019 | Sender: BR | Regie: Rupert Henning
Bild: BR/Hagen Keller
So war der Tatort:

Deutsch-kenianisch.

Denn im Dezember 2019 geht es im Tatort so international zu wie lange nicht mehr: Ein Ausflug nach Dänemark im Kieler Tatort Borowski und das Haus am Meer, ein russischer Kidnapper und ein südafrikanischer Killer im Münster-Tatort Väterchen Frost – und nun ein global agierendes Schmugglerkartell, das auch in Kibera aktiv ist, dem größten Slum in Nairobi.

Anders als ihre Kölner Kollegen Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär), die in Blutdiamanten nach Belgien reisten oder in Manila auf die Phillipinen jetteten, ermitteln die Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) in One Way Ticket aber ausschließlich in ihrer Heimat: Timo Harbig (Jakob Spieler), der für eine NGO verschiedene Hilfsprojekte in Afrika organisiert hat, wird einleitend vergiftet am Steuer seines Wagens aufgefunden. Die Kripo schaltet sich ein und stößt auf die Afrikanerin Numa Imani (Cynthia Micas, seit Das Leben nach dem Tod als Gerichtmedizinerin Jamila Marques im Berliner Tatort zu sehen), die kurz nach Harbigs Tod von einer Überwachungskamera am Tatort gefilmt wurde und offenbar wie er für das Kartell tätig war.

Was diese Verstrickungen mit angolanischen Wolfsmilchgewächsen zu tun haben, welche Rolle dabei in Armut lebende Rentner spielen und warum sogar die Stasi ihre Finger im Spiel hat, gilt es für Batic und Leitmayr herauszufinden – tatkräftig unterstützt werden sie von den Kommissaren Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) und Ritschy Semmler (Stefan Betz) sowie Gerichtsmediziner Dr. Matthias Steinbrecher (Robert Joseph Bartl), der genau weiß, was er kann und was er eben nicht kann (oder will).


BATIC:
Was bitte macht die Stasi in München? Fast 30 Jahre nach ihrer Auflösung?

STEINBRECHER:
Ich bin der Forensiker. Ihr seid's die Rätselnussknacker.


Regisseur und Drehbuchautor Rupert Henning, der bisher die Wiener Tatort Folgen Grenzfall, Schock und Virus inszeniert hat, wirft den Zuschauer einleitend mitten in die Geschichte hinein und springt gleich zwischen drei verschiedenen Handlungsebenen hin und her.

Während Batic, Leitmayr und der diesmal auffallend forsche Hammermann einleitend den Fundort der Leiche begutachten, landet der als Drogen- und Geldkurier tätige deutsche Rentner Martin Endler (Siemen Rühaak, Feierstunde) nach einer Kontrolle am Flughafen von Nairobi in einem afrikanischen Knast und muss schnell ums nackte Überleben fürchten. Seine Schmugglerkollegin Uschi Drechsl (Ulrike Willenbacher) läuft derweil NGO-Mitarbeiterin Amelie Seitz (Theresa Hanich, Das Recht, sich zu sorgen) in die Arme, die die Machenschaften der vermeintlich unbescholtenen Rentner ans Licht zu bringen droht.

Schon zu diesem frühen Zeitpunkt des Krimis zeigt sich: Für die üblichen 90 Tatort-Minuten ist die komplex arrangierte Geschichte eine Nummer zu groß. Der bemühte Brückenschlag in die Stasi-Zeit, dessen Hintergründe sich erst spät offenbaren, wirkt überkonstruiert und raubt im Drehbuch wertvolle Zeit für ein deutlich spannenderes Thema, aus dem man so viel mehr hätte herausholen können: die Altersarmut, die die Rentner erst in die Fänge des Kartells getrieben hat.

Wie frustrierend es sein muss, sein Leben lang gearbeitet zu haben, um sich dann mit Blick auf den Münchner Mietspiegel bei der "Tafel" anstellen und seine schmale Rente illegal aufbessern zu müssen, wird zwar bei einem Verhör kurz umrissen – angemessen ausführlich beleuchtet wird aber nur Endlers Schicksal. Die beängstigenden Sequenzen im afrikanischen Knast sind zugleich das Aufregendste an der dialoglastigen und nach klassischer Tatort-Dramaturgie ablaufenden Geschichte: Die obligatorische zweite Leiche wird nach einer knappen Stunde gefunden und am Ende bekommt jeder Bösewicht das, was er verdient.

In einem Aspekt hebt sich die überzeugend besetzte und routiniert inszenierte Film aber von ähnlich gelagerten Politkrimis ab: Statt sich in den im Tatort häufig zu beobachtenden 08/15-Grabenkämpfen mit übergeordneten Behörden zu verlieren (wie zuletzt in Wo ist nur mein Schatz geblieben?), arbeitet die Kripo in der 1114. Ausgabe der Krimireihe einfach konstruktiv und geräuschlos mit dem in Nairobi stationierten BKA-Verbindungsbeamten Rolf Hardt (Moritz von Treuenfels) zusammen.

Ist doch auch mal ganz schön.

Bewertung: 5/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Väterchen Frost"

Väterchen Frost

Folge: 1113 | 22. Dezember 2019 | Sender: WDR | Regie: Torsten C. Fischer
Bild: WDR/Martin Valentin Menke
So war der Tatort:

Winterlich-russisch.

Denn in Väterchen Frost, dem bereits dritten Münster-Tatort im Jahr 2019, erfahren wir erstmalig viel über die familiären Wurzeln von Kommissarin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter), die die Feiertage bei ihrer Familie in Russland verbringen möchte – und auch sonst ist der stimmungsvolle Weihnachtstatort so russisch angehaucht wie bis dato kaum eine zweite Folge der Krimireihe.

Während Krusenstern gen Wolga fliegen möchte, freut sich Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) auf den gemeinsamen Heiligabend mit seinem in Neuseeland lebenden Sohn und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) auf einen gemeinsamen Ski-Urlaub mit früheren Studienkollegen. Die weihnachtliche Vorfreude der Ermittler wird allerdings jäh durchkreuzt: Wenige Stunden nachdem Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) ihr Schlussplädoyer im Falle des wegen Totschlags angeklagten Kirill Gromow (Oleg Tikhomirov) gehalten hat, wird Krusenstern vor Boernes Haustür vom als Weihnachtsmann maskierten Russen Artjom Gregorowitsch (Sascha Alexander Geršak, Bombengeschäft)gekidnappt.

Der Entführer will Thiel und Boerne dazu zwingen, den Fall neu aufzurollen – hat die aufmüpfige Krusenstern aber unterschätzt und muss trotz Rauschebart und Weihnachtskostüm schon bald seine Identität preisgeben.


KRUSENSTERN:
Ich bin Polizistin, wissen Sie das überhaupt!?


GREGOROWITSCH:
Der Weihnachtsmann weiß alles.


Das eingespielte Autorenduo Jan Hinter und Stephan Cantz, das seit 2002 eine ganze Reihe an humorvollen Drehbüchern realisiert hat (zuletzt zu Schlangengrube und Fangschuss), hat eine harmlose Krimikomödie mit allen wichtigen Zutaten für entspannte Adventsberieselung geschaffen: den passenden Soundtrack (incl. Let It Snow und Jingle Bell Rock), einen gemütlichen Glühwein-Umtrunk auf dem Weihnachtsmarkt, hübsch dekorierte Kulissen und natürlich jede Menge Weihnachtsmänner.

Als Krimi funktioniert die 1113. Tatort-Folge aber deutlich schlechter als als Komödie: In der winterlichen Kreuzung aus klassischem Whodunit und dünner Entführungsnummer will kaum Spannung aufkommen und auch die Täterfrage im Totschlagsfall wird nur pro forma gestellt. Krusensterns Entführung ändert auch nichts am seichten Erzählton, bei dem sich pfiffiger Dialogwitz und ausgelutschte Lars Krismes-Gags weitestgehend die Waage halten, denn so richtig Sorgen macht sich hier niemand: Weder Thiel und Boerne, deren Nachforschungen sich auf den Fall Gromow konzentrieren, noch Krusenstern selbst – und der Zuschauer, der live im Unterschlupf der Entführten dabei sein darf, erst recht nicht.

Während die Ermittlerin mit ihrem überraschend sanftmütigen und ebenfalls aus Russland stammenden Kidnapper schnell zum "Du" übergeht und reichlich Plätzchen vertilgt, will dessen Manöver ohnehin nicht einleuchten: Wenn dem Entführer doch so daran gelegen ist, Gromows Unschuld ans Licht zu bringen – ist es dann nicht eher kontraproduktiv, eine mit dem Fall betraute Kommissarin vom Spielfeld zu nehmen und ihren dezimierten Kollegen zusätzliche Arbeit zu bescheren?

Mit der Logik war es in Münster noch nie weit her; frühere Fälle wie der packende Tatort Wolfsstunde haben aber bewiesen, dass eine hohe Pointendichte nicht zwingend auf Kosten des Thrills gehen muss. Sieht man vom toll inszenierten Showdown in einer nächtlichen Mehlstaubwolke einmal ab, ist der 36. Fall von Thiel und Boerne aber besonders im dialoglastigen Mittelteil, in dem sich die gelungenen Gags zunehmend ausdünnen, eine reichlich zähe Angelegenheit. Einziges Highlight ist hier die bildgewaltige Parallelmontage zu den dramatischen Klängen von Fyodor Shalyapins Otschi Tschornije, mit der Regisseur Torsten C. Fischer (Nachbarn) so manchen Zuschauer aus seinem Adventsnickerchen reißen dürfte.

Zu Russland selbst fällt den Filmemachern auch nichts ein, was über Klischees hinausginge: Die slawische Märchenfigur Väterchen Frost begegnet Thiel in trashigen Alptraumsequenzen, während Krusenstern und Gregorowitsch – natürlich – eine Flasche Wodka leeren. Die Repressalien gegen den homosexuellen Gromow ("Schwul sein in Russland? Alle behandeln dich wie eine Krankheit!") böten zwar Gelegenheit, mal klare Kante gegen Homophobie zu zeigen, doch ein solches Statement kommt im Film niemandem über die Lippen. Stattdessen hängt lediglich eine Stop-Homophobia-Postkarte mit einem geschminkten Wladimir Putin in der Wohnung des Opfers.

Münster liefert nun mal Krimis zum Wohlfühlen – da werden ernste Themen lieber umschifft, statt sie mal anzupacken.

Bewertung: 4/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Borowski und das Haus am Meer"

Borowski und das Haus am Meer

Folge: 1112 | 15. Dezember 2019 | Sender: NDR | Regie: Niki Stein
Bild: NDR/Sandra Hoever
So war der Tatort:

Deutsch-dänisch.

Denn nicht zum ersten Mal wird in der nördlichsten Tatort-Stadt grenzüberschreitend ermittelt und bisweilen auch mit Untertiteln gearbeitet: Nach seinem Finnland-Ausflug in Tango für Borowski, der Stippvisite in Schweden in Borowski und der coole Hund oder dem Ausflug ins Grenzgebiet Südschleswig in Borowski und der brennende Mann reist Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) diesmal mit Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik) nach Dänemark.

Wie bei seinen vorherigen Exkursionen nimmt die Geschichte in Borowski und das Haus am Meer aber zunächst in Kiel ihren Anfang: Den Kommissaren läuft bei einer nächtlichen Autofahrt der achtjährige Simon (Anton Peltier) vors Auto und behauptet, sein Großvater läge tot im Wald, während er selbst von einem Hund angefallen und von einem Indianer beschützt worden sei. Weil Borowski und Sahin im Wald nichts finden, liefern sie den verängstigten Jungen bei seinen Eltern – dem Pfarrer Johann Flemming (Martin Lindow, Atlantis) und seiner Frau Nadja (Tatiana Nekrasov, Tiere der Großstadt) – ab. Sie bestätigen, dass Simons an Alzheimer erkrankter Großvater Heinrich (Reiner Schöne, Eine todsichere Sache) verschwunden ist.

Als dessen Leiche am nächsten Morgen am Strand gefunden wird, führt die Spur nach Dänemark: Heinrich wollte wohl zu Inga Andersen (Jannie Faurschou) fliehen, mit der er in den 70er Jahren die anti-autoritäre Bildungseinrichtung "Arken" betrieben hat, in der die Lehrer ihre Schülerinnen und Schüler höchstpersönlich bei der Entdeckung ihrer Sexualität unterstützt haben.


SAHIN:
Das ist doch ekelhaft.

BOROWSKI:
Ja gut, das war aber eine ganz andere Zeit. Wir haben damals ständig mit unseren Lehrern darüber diskutiert...

SAHIN:
Ja, diskutiert vielleicht. Aber Sie haben ja nicht mit Ihrer Lehrerin geschlafen.

BOROWSKI:
Wenn Sie mich so direkt fragen...


Regisseur und Drehbuchautor Niki Stein (Dunkle Zeit) hat sich ein bisschen viel für seinen fünfzehnten Tatort vorgenommen: Die Geschichte wird unnötig umständlich erzählt und wirkt überladen, einigen Figuren fehlt die Tiefe und selbst Borowski und Sahin scheinen mit ihrem dritten gemeinsamen Fall nicht so recht warm zu werden.

Schon in den unübersichtlichen Anfangsminuten verlangt der Filmemacher den Zuschauern einiges an Aufmerksamkeit ab: Die Eröffnungssequenz in Dänemark greift auf ein Ereignis vor, das drei Tage später spielt und auf der Zielgeraden des Krimis wieder aufgegriffen wird. Der Mehrwert dieser erzählerischen Fingerübung erschließt sich allerdings nicht und geht in der missglückten Einleitung unter: Das Geschehen springt anfangs pausenlos zwischen verschiedenen Schauplätzen, noch unbekannten Figuren und unterschiedlichen Zeitebenen. Erst mit dem Auftauchen des kleinen Simon findet der 1112. Tatort in die Spur und arbeitet die üblichen Standardsituationen der Krimireihe ab – Einschätzungen von Rechtsmedizinerin Kroll (Anja Antonowicz) inklusive.

Besonders reizvoll erscheint das Duell zwischen dem bemerkenswert unsympathischen Pfarrer Flemming und Borowski, der in bester Columbo-Manier mehr zu wissen scheint, als der Tatverdächtige ahnt – und dem Zuschauer dies mit entsprechenden Blicken auch zwischen den Zeilen zu verstehen gibt. Ehe es richtig interessant wird, brechen die Ermittler aber nach Dänemark auf und verfolgen eine andere Fährte – prompt stürzt der Film in ein Spannungsloch, aus dem er sich bis zum Showdown nicht mehr zu befreien vermag.

Weil Borowski und Sahin vorübergehend getrennte Wege gehen, ergeben sich auch kaum noch Reibungspunkte: Von früheren Glanzzeiten, in denen Borowski mit seiner toughen Ex-Kollegin Sarah Brandt (Sibel Kekilli) aneinandergeriet oder bei der introvertierten Polizeipsychologin Frieda Jung (Maren Eggert) auf Tuchfühlung ging, ist der Kieler Tatort hier meilenweit entfernt. Auch für Kripochef Roland Schladitz (Thomas Kügel) scheint es in Borowski und das Haus am Meer keine sinnvolle Verwendung zu geben.

Das wäre kein Beinbruch, wenn der Mordfall wenigstens überzeugend ausfiele – doch der wirkt spätestens bei einem dünnen Brückenschlag in die NS-Zeit überfrachtet, weil die Filmemacher zwei Vater-Sohn-Dramen noch ein drittes hinzufügen und viele Themen anreißen, ohne sie angemessen weiterzuverarbeiten.

Und dann ist da noch der irgendwo zwischen Realität und Fiktion verortete Indianer Erik Larsen (Thomas Chaanhing), der wohl etwas Mystery-Atmosphäre in den Krimi bringen soll – bei seinen theatralischen Kurzauftritten aber eher unfreiwillig komisch wirkt.

Bewertung: 4/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Querschläger"

Querschläger

Folge: 1111 | 1. Dezember 2019 | Sender: NDR | Regie: Stephan Rick
Bild: NDR/Christine Schroeder
So war der Tatort:

Nicht ganz so gelungen wie der grandiose Frankfurter Meilenstein Weil sie böse sind, die schräge Münsteraner Komödie Der Hammer oder der emotionale Dortmunder Rockerkrimi Zahltag.

Doch liegt das nicht am groß aufspielenden Milan Peschel, der nach den genannten drei Folgen auch in der 1111. Tatort-Ausgabe in seiner Rolle als mordender Zollbeamter Steffen Thewes wieder allen die Schau stiehlt. Nein. Es liegt vielmehr am enttäuschenden Drehbuch, das es mit der Logik nicht sehr genau nimmt, den Tiefgang an entscheidenden Stellen vermissen lässt und bisweilen sogar in den Betroffenheitskitsch abdriftet.

Dabei hätte aus Querschläger ein packender Wettlauf gegen die Uhr werden können: Autor Oke Stielow hat sich bei seinem Tatort-Debüt für einen geradlinigen Sniper-Thriller entschieden, bei dem er die Täterfrage nicht stellt und auch die Motive des Mörders für den Zuschauer frühzeitig offenlegt.

Wir werden einleitend – ebenso wie die Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weisz) – auf einem Rastplatz hautnah Zeuge, wie Thewes auf den LKW von Efe Aksoy (Deniz Arora) schießt und ein unbeteiligter Trucker durch den titelgebenden Querschläger ums Leben kommt, und dürfen später im Gegensatz zu Falke und Grosz auch noch dabei sein, wenn Thewes seiner schwerkranken Tochter Sara (Charlotte Lorenzen) zu Hause aufmunternde Worte zukommen lässt.

Der finanziell nicht auf Rosen gebettete Zollbeamte will 300.000 Euro vom Bruder des LKW-Fahrers, Spediteur Cem "Jimmy" Aksoy (Eray Egilmez, Tschiller: Off Duty) erpressen, um die überlebensnotwendige OP seiner Tochter zu bezahlen, und ist in seiner Verzweiflung zu allem bereit – schenkt seiner Gattin Marie (Oana Solomon, Klingelingeling) dabei aber keinen reinen Wein ein.


STEFFEN THEWES:
Ich bin da an was dran.

MARIE THEWES:
Was soll das sein? Bitcoins?


Während Milan Peschel als verzweifelter Familienvater sein ganzes Können in die Waagschale wirft und wacker gegen die Eindimensionalität seiner Figur ankämpft, offenbaren sich beim Blick auf die zweifellos kurzweilige, aber oft konstruiert wirkende Geschichte Schwächen.

Die Ermittler leisten sich so manchen Lapsus (Grosz bringt sich einleitend unnötig in Lebensgefahr, Falke lässt den Täter gleich mehrfach entkommen) und ausgerechnet Thewes' Handeln – emotionale Ausnahmesituation hin oder her – ist in diesem Krimi nicht immer nachvollziehbar. Eine Kurzschlussreaktion bei einer Begegnung mit einem Jäger im Wald will nicht recht einleuchten, und anstatt Thewes einfach von Beginn an auf Aksoys Familie loszulassen, um an dessen Geld zu kommen, wählen die Filmemacher einen seltsamen Umweg über dessen berufliches Umfeld. Nähere Ausführungen über Aksoys krumme Geschäfte und das schwierige Verhältnis zu seinem ebenfalls in der Speditionsbranche tätigen Schwiegervater Roland "Rolle" Rober (Rudolf Danielewicz, Liebeshunger) werden dabei nur in wenigen Sätzen angerissen.

Das wirkt alles ziemlich blutleer und ist unter der routinierten Regiearbeit von Stephan Rick auch erst auf der Zielgeraden spannend: All das, was der Zuschauer längst weiß, müssen Falke und Grosz sich mit der Unterstützung von Polizistin Tine Geissler (Marie Rosa Tietjen), die sich aus nicht näher erörterten Gründen auf den ersten Blick in Grosz verguckt und auf eben diese Schwärmerei reduziert wird, mühsam zusammenreimen. Frage A führt zu Aussage B, Person C führt zu Akte D und schließlich zu Hinweis E. Wirklich mitzureißen vermögen diese Ermittlungen nach Schema F ebenso wenig wie das Schicksal von Thewes' Tochter Sara, weil sich die Filmemacher weder nennenswert mit ihr als Person, noch mit ihrer Krankheit oder ihren möglichen Ängsten vorm Sterben auseinandersetzen ("Spätestens Weihnachten bin ich tot.").

Stattdessen gipfelt das Ganze in einer bemerkenswert kitschigen Begegnung mit Falke, der sich bei einem Besuch an ihrem Krankenbett Saras Kopfhörer aufsetzt und in ein paar Takte der Giant Rooks reinhört, die gleich drei Songs zu diesem Tatort beigesteuert haben und die Promo für ihre Popmusik sicher gern mitnehmen.

Da hat man den Tatort aus Norddeutschland schon überzeugender gesehen – und es bleibt zu hoffen, dass er nach tollen Folgen wie Feuerteufel oder Alles was Sie sagen schnell wieder zu alter Stärke zurückfindet.

Bewertung: 5/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Baum fällt"