Unklare Lage

Folge: 1118 | 26. Januar 2020 | Sender: BR | Regie: Pia Strietmann
Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Hendrik Heiden
So war der Tatort:

Angelehnt an den Amoklauf des 18-jährigen Schülers David S. im Olympia-Einkaufszentrum im Jahr 2016.

Doch geht es in Unklare Lage weniger um sein filmisches Pendant, den gleichaltrigen Attentäter Tom Scheuer (Manuel Steitz), der einleitend in einem Linienbus einen Kontrolleur erschießt und kurz darauf selbst von einem SEK erschossen wird, noch um seine (möglichen) Opfer. Der getötete Mörder interessiert die Filmemacher nicht sonderlich.

Drehbuchautor Holger Joos (Blut) widmet sich vielmehr den Begleiterscheinungen des Ausnahmezustands in einer Großstadt wie München, in der womöglich noch ein zweiter Täter auf freiem Fuß ist: sensationslüsternen Medien, die rund um die Uhr berichten und so nah wie möglich am Geschehen sein wollen, Augenzeugen, die mit selbstgedrehten Live-Videos die Arbeit der Polizei gefährden und einer unübersichtlichen Flut an Falschinformationen, die aufgrund der Gefahrenlage alle ernst genommen und ausgewertet werden wollen.

Mitten im Chaos: der Zuschauer, der schon bei dem hektischen Auftakt im Bus mit wackeligen und beunruhigenden Handkamerabildern förmlich in die Geschichte hineingesogen wird, und natürlich die Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), die zuletzt etwas schwächelten (vgl. Die ewige Welle) und hier wieder zu ganz großer Form auflaufen.

Die Polizei muss den Überblick behalten in der titelgebenden unklaren Lage, an ihr ist es, einen möglichen zweiten Anschlag zu verhindern – und an ihr ist es auch, überhaupt erst einmal herauszufinden, ob es den ominösen Komplizen des ersten Täters überhaupt gibt.


BATIC:
Was tut man, wenn einen die ganze Stadt sucht?

LEITMAYR:
Man versteckt sich.


Regisseurin Pia Strietmann, die zum ersten, aber hoffentlich nicht zum letzten Mal für die Krimireihe am Ruder sitzt, liefert ein fulminantes Debüt ab: Mit Unklare Lage hat die Filmemacherin einen wahnsinnig mitreißenden Thriller arrangiert, der bis heute zu den spannendsten Beiträgen aus München zählt und den thematisch ähnlich gelagerten Tatort-Meilensteinen Sturm aus Dortmund und Der Weg ins Paradies aus Hamburg in Sachen Unterhaltungswert um nichts nachsteht.

Die Jagd auf den (möglichen) zweiten Attentäter ist atemberaubend inszeniert: Strietmann gönnt dem Publikum kaum Verschnaufpausen und spielt bisweilen genüsslich mit dessen Erwartungshaltung (etwa beim Knacken eines Autos im Parkhaus). Der Zuschauer hetzt mit den Kommissaren und Sondereinsatzkommandos durch Parkhäuser und U-Bahn-Stationen, in Keller und Wohnungen, über Rolltreppen und Absperrzäune.

Die Schnittfrequenz ist hoch, der reduzierte Score verstärkt die düstere Atmosphäre gekonnt, ohne dabei aufdringlich zu wirken, und auch die spektakulären Außenaufnahmen mit hunderten Statisten – im Tatort wahrlich keine Selbstverständlichkeit – wirken nie künstlich arrangiert, sondern echt. Mehr geht kaum.

Während sich Batic und Leitmayr auf den Straßen der Metropole aufreiben, hält ihr jüngerer Kollege Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) in der Einsatzzentrale unter Leitung von Krisenexpertin Karola Saalmüller (Corinna Kirchhoff, Es lebe der Tod) die Stellung – die regelmäßigen Telefonate mit seinen Vorgesetzten schaffen Überblick, ohne zu entschleunigen, bringen die Handlung immer voran und fördern das zutage, was Batic und Leitmayr nicht allein schaffen können. Kaum scheidet ein Tatverdächtiger aus, steht ein neuer parat.

Während draußen die Panik ausbricht, ermitteln die beiden der Reihe nach gegen Toms Bruder Maik (Max Krause), Toms Freundin Janja (Pauline Werner) und Toms Kumpel Dennis (Leonard Proxauf, Kinderland) – jagen aber vielleicht einem Phantom nach, das nicht untergetaucht ist, sondern gar nicht existiert. Spuren auf dem Rechner des Toten, die Aussage eines Fahrgasts und Bilder einer Überwachungskamera stützen zwar die Befürchtung, dass ein zweiter Täter unterwegs ist – ähnlich wie im kaum minder großartigen Münchner Tatort Die Wahrheit widersprechen sich die Aussagen der Augenzeugen aber gegenseitig, so dass sie für die Kripo wertlos bleiben.

So droht der fast in Echtzeit ablaufende 1118. Tatort mit einem großen Knall im Drama zu enden – viel wichtiger als die dramatische Auflösung ist aber die Botschaft, die uns der 88-minütige Adrenalin-Trip unmissverständlich, aber ohne erhobenen Zeigefinger mit auf den Weg gibt. Rückt irgendwo ein SEK an, landen Bilder auf Twitter, meint jemand, den Täter gesehen zu haben, posaunt er es raus in die digitale Welt. Verdächtigungen stehen ungeprüft im Raum, Ängste schaukeln sich hoch, die Situation gerät außer Kontrolle. Wer soll da den Überblick behalten?

Respekt vor denen, die es tun.

Bewertung: 10/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Kein Mitleid, keine Gnade"

Kein Mitleid, keine Gnade

Folge: 1117 | 12. Januar 2020 | Sender: WDR | Regie: Felix Herzogenrath
Bild: WDR/Thomas Kost
So war der Tatort:

Rufschädigend.

Und zwar in erster Linie für den bedauernswerten Hauptkommissar Freddy Schenk (Dietmar Bär), der in Kein Mitleid, keine Gnade nach einem vermeintlichen Übergriff auf eine angehende Abiturientin (s. Bild) schwer in Bedrängnis gerät. Gegen den Kölner Polizisten wird ein Strafverfahren wegen Nötigung im Amt eingeleitet – und das ausgerechnet an seinem Geburtstag, den im Präsidium zunächst alle zu vergessen scheinen und den später niemand mehr standesgemäß mit dem vermeintlichen Busengrapscher feiern will.

Selbst seinem Kollegen Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) kommt kein Glückwunsch über die Lippen, wenngleich er um die wahren Abläufe auf dem Pausenhof eines Gymnasiums weiß: Das Klima im Revier ist frostig und Schenk bekommt am eigenen Leib zu spüren, wie schnell aus haltlosen Vorwürfen über Handyvideos in den sozialen Medien in den Köpfen der Kollegen Tatsachen werden können.

Auch Assistent Norbert Jütte (Roland Riebeling), nach diversen Standpauken in den vergangenen Kölner Tatort-Folgen bekanntlich nicht immer gut auf seinen Chef zu sprechen, hegt Zweifel an dessen Unschuld. Und gibt nebenbei preis, dass er nicht immer der gemütliche Schreibtischtäter war, den er seit seinem Dienstantritt im Tatort Mitgehangen gibt.


SCHENK:
Du warst bei der Sitte? Freiwillig?

JÜTTE:
Fand ich interessant. Rotlicht, Nutten, der ganze Schweinkram...


Das wichtige Thema (Cyber)-Mobbing ist das Kernthema der 1117. Tatort-Folge und spiegelt sich auch im Mordfall wider, den Drehbuchautor Johannes Rotter (Scheinwelten) als klassischen Whodunit angelegt hat.

Nachdem an einem Seeufer die nackte Leiche des 17-jährigen Jan Sattler (Finn Ulrich) gefunden wird, geraten neben seinem Freund Paul (Thomas Prenn, Damian), vor allem drei gleichaltrige Mitschüler ins Visier der Kommissare: Lennart (Moritz Jahn, Der Fall Holdt), Nadine (Emma Drogunova, Zurück ins Licht) und Robin (Justus Johanssen, Die ewige Welle) hatten das schwule Paar auf dem Kieker und ließen keine Gelegenheit aus, die beiden zu demütigen.

Während Thomas Prenns erneut sehr überzeugende Darbietung stark an seine vielschichtige Titelrolle im Schwarzwald-Tatort Damian erinnert, könnten die anderen Figuren dank ihrer Schablonenhaftigkeit direkt einer amerikanischen High-School-Komödie entsprungen sein: Da gibt es die gutaussehende und beliebte Sportskanone Robin, der sogar die Lehrerin zu Erfolgen auf dem Fußballplatz gratuliert, das verwöhnte "Rich Kid" Lennart, das von seinen Eltern für ein Schulprojekt mal eben eine teure Spiegelreflexkamera geschenkt bekommt, und natürlich auch das durchtriebene Biest Nadine, das seine weiblichen Reize gezielt einsetzt und die Männer – Ballauf und Schenk eingeschlossen – stets nach seiner Pfeife tanzen lässt.

Im Hinblick auf die Auflösung der Täterfrage birgt das eine gewisse Vorhersehbarkeit, denn außer den Jugendlichen kommt nur eine weitere Person als Mörder infrage – die segnet jedoch wenig überraschend als obligatorische zweite Tatort-Leiche das Zeitliche.

Im direkten Vergleich zu manch anderem Krimi aus Köln ergeben sich durch das routinierte Abarbeiten der üblichen Standardsituatonen der Krimireihe in Kein Mitleid, keine Gnade aber nur selten Spannungslöcher: Auf dem Revier sorgt Jütte mit seiner gewohnt herzlichen Art für Heiterkeit, aber auch ernste Zwischentöne, während die Kommissare diesmal besonders persönlich in den Fall involviert sind. Während sich Ballauf mit dem Nutzernamen "Silvercop" (!) in einer Dating-App für Schwule anmeldet und bemüht mit dem Thema Homophobie auseinandersetzt, muss sich Schenk der hartnäckigen Grapschervorwürfe erwehren.

Hier birgt der von Regisseur Felix Herzogenrath ansprechend in Szene gesetzte Film seine größten Schwächen: Was es wirklich für einen angehenden Abiturienten heißt, sein Outing zu erleben und Schultag für Schultag von seinen Mitschülern gemobbt zu werden, ergründen die Filmemacher ohne wirklichen Tiefgang – die Vorwürfe gegen Schenk hingegen wirken dermaßen konstruiert und an den Haaren herbeigezogen, dass sich wohl nur wenige Zuschauer ernsthaft Sorgen um die Reputation des Kommissars machen dürften.

Da haben Freddy und Max in ihren über 20 gemeinsamen Dienstjahren schließlich schon ganz andere Krisen durchgestanden.

Bewertung: 6/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Tschill Out"

Tschill Out

Folge: 1116 | 5. Januar 2020 | Sender: NDR | Regie: Eoin Moore
Bild: NDR/Christine Schroeder
So war der Tatort:

Chillig. Pardon: tschillig.

Denn im sechsten Tatort mit den Hamburger LKA-Kommissaren Nick Tschiller (Til Schweiger) und Yalcin Gümer (Fahri Yardim) geht es gleich zwei Nummern weniger aufregend zu als in den Jahren zuvor: Nachdem sich die Einschaltquoten seit Willkommen in Hamburg, den 2013 noch über 12 Millionen Zuschauer sehen wollten, bis zur TV-Premiere des auch im Fernsehen gefloppten Kino-Tatorts Tschiller: Off Duty mehr als halbiert hatten, zog der NDR die Reißleine. Der Sender verpflichtete mit Regisseur und Drehbuchautor Eoin Moore (Borowski und der freie Fall) keinen Geringeren als den Erfinder des großartigen Polizeiruf 110 aus Rostock, den Til Schweiger selbst als seinen "Lieblingstatort" bezeichnet, und beauftragte ihn mit einem weniger actionlastigen Konzept.

Auch die Nordsee-Insel Neuwerk, auf die sich der vom Dienst freigestellte Tschiller vorübergehend versetzen lässt, spiegelt als Schauplatz diesen Druck der Reset-Taste wider, denn im Vergleich zu spektakulären Actionthrillern wie dem häufig unterschätzten Tatort Fegefeuer kommt Tschill Out geradezu entschleunigend daher: Selbstreflexion im Watt statt Kugelhagel in der Hafencity, Küchenmesser statt Panzerfaust, aufmüpfige Teenager statt skrupellosem Astan-Clan.

In einer Erziehungseinrichtung unter der Leitung von Patti Schmidt (Laura Tonke, Der scheidende Schupo), die als Figur leider zu selten ein selbstbewusster Kontrapunkt zu Tschiller ist, arbeitet der LKA-Kommissar a.D. mit schwererziehbaren Jugendlichen zusammen und macht trotz seiner fehlenden pädagogischen Ausbildung bei den rabiaten Halbstarken und seiner Kollegin mächtig Eindruck.


SCHMIDT:
Du bist irgendwie niedlich. Und natürlich männlich und brutal.


Denkt man an Komödien wie den Hollywood-Hit Kindergarten-Cop, hätte aus dieser realitätsfernen Ausgangslage durchaus eine witzige Nummer werden können. Doch leider ist die Geschichte bierernst gemeint und mündet trotz vieler guter Ansätze bisweilen in wahnsinnig aufgesetzte Dialoge.

Etwa dann, wenn Tschiller mit Schmidt über sein Seelenleben spricht ("Du hast Recht, in mir steckt noch ganz viel Zeug fest. Gefühle und so.") oder dem von Gümer nach Neuwerk überführten Punkrocker Tom Nix (Ben Münchow, Freies Land) vermeintlich wertvolle Tipps zur Trauerbewältigung gibt ("Darf ich dir einen Rat geben? Du musst einfach versuchen, nicht dran zu denken."). Und welche Jugendeinrichtung würde wohl statt eines abgehärteten Pädagogen oder Sozialarbeiters einen dünnhäutigen Cop einstellen, der die Leichenberge hinter sich nur so auftürmt und nicht mal mit der Erziehung seiner auswanderungswilligen Tochter Lenny (Luna Schweiger, diesmal nur per Videochat zugeschaltet) zurechtkommt?

Man muss Tschill Out keinem Realitätsabgleich unterziehen – doch selbst, wenn man sich auf das absurde Treiben vor stürmischer Nordsee-Kulisse einlässt, hält sich der Unterhaltungswert der 1116. Tatort-Folge in Grenzen. Als Kreuzung aus rührseliger Charakterstudie und temporeichem Thriller birgt der Film nämlich weitere Schwächen: Weil das Seelenleben der Jugendlichen nicht näher beleuchtet wird und das Zwischenmenschliche kaum mitreißt, generiert sich die Spannung allein aus der Frage, wann die Mörder von Toms Bruder und Bandkollegen Eddie Nix (Andreas Helgi Schmid, Schwanensee) wohl den Weg nach Neuwerk finden.

Außerdem dreht sich beim sechsten Tschiller-Fall wieder viel um den von großen Teilen der Fans so ungeliebten Ermittler, hinter der der eigentliche Kriminalfall um die illegalen Geschichte von Toms getötetem Bruder stellenweise minutenlang hintenansteht. Gleichzeitig stößt Regisseur Eoin Moore, der das Drehbuch gemeinsam mit Anika Wangard geschrieben hat, auch die Fans adrenalinschwangerer Folgen mit ordentlich Kawumm vor den Kopf: Den Actionanteil hat er drastisch reduziert und die winterlichen Wiesenpanoramen bieten nicht die schicken Schauwerte, mit der manch anderer Hamburger Tatort aufwartete.

Immerhin: Mit Spaßvogel Gümer, den Fahri Yardim wieder wunderbar schnoddrig spielt, ist zumindest der große Lichtblick im Tatort von der Waterkant wieder in Top-Form. Die dynamisch inszenierten Sequenzen mit LKA-Greenhorn Robin Pien (Zoe Moore, Der Turm) sorgen für Lacher und bringen Schwung in den Film, bergen aber auch unfreiwillige Ironie: Während sich Til Schweiger stets dem Vorwurf ausgesetzt sieht, seine Töchter nicht nur in seine Kinofilme, sondern sogar in seinen Tatort einzuschleusen, steht Schauspielerin Zoe Moore im gleichen verwandtschaftlichen Verhältnis zum Regisseur.

Bewertung: 5/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Das Team"

Das Team

Folge: 1115 | 1. Januar 2020 | Sender: WDR | Regie: Jan Georg Schütte
Wird Tatort-Kommissarin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) womöglich von Sascha Ziesing (Friedrich Mücke) ermordet?
Bild: WDR/Tom Trambow
So war der Tatort:

Um Längen authentischer und weniger nervtötend als die improvisierten Ludwigshafener Tatort-Folgen Babbeldasch von 2017 und Waldlust von 2018.

Und das, obwohl auch Das Team unter Regie von Jan Georg Schütte ohne festes Drehbuch entstand: Der Tatort-Debütant, der für improvisierte Fernsehfilme wie Wellness für Paare schon viele Preise abräumte, versammelt für den Start ins Jubiläumsjahr der Krimireihe stolze sieben Ermittler vor 24 unbemannten und 12 bemannten Kameras und lässt sie ohne vorgegebene Dialoge aufeinander los.

Neben den Dortmunder Tatort-Kommissaren Peter Faber (Jörg Hartmann) und Martina Bönisch (Anna Schudt) sowie der Münsteraner Tatort-Kommissarin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) finden sich auch der labile Oberhausener Kollege Marcus Rettenbach (Ben Becker, Die Pfalz von oben), der aufstrebende Paderborner Kommissar Sascha Ziesing (Friedrich Mücke, Falscher Hase), die verwitwete Düsseldorfer Ermittlerin Nadine Möller (Elena Uhlig, Müll) und der arrogante Aachener Kommissar Franz Mitschowski (Nicholas Ofczarek, Die Geschichte vom bösen Friederich) in einem Tagungshotel in Nordrhein-Westfalen ein.

Der Grund ihrer Zusammenkunft, auf die sie Ministerpräsident Armin Laschet bei seinem kurzen Gastauftritt einschwört: Ein Serienmörder hat vier Polizisten aus NRW getötet und die Coaches Christoph (Polizeiruf 110-Kommissar Charly Hübner) und Martin Scholz (Bjarne Mädel, Das namenlose Mädchen) sollen die Ermittler zu einem schlagkräftigen Team formen.


SCHOLZ:
Dass ihr polizeilich top seid, davon gehen wir aus – sonst wärt ihr alle nicht hier. Und dass ihr nicht teamfähig seid, davon gehen wir auch aus – sonst wärt ihr nämlich nicht top.


Regisseur Jan Georg Schütte, der in der 1115. Ausgabe der Krimireihe selbst eine kleine Rolle als SEK-Leiter spielt, hat mit seinem Debüt einen handwerklich außergewöhnlichen Tatort geschaffen, der in seiner Entstehung ziemlich einzigartig ist: Alle Schauspieler improvisierten die Dialoge allein auf Basis ihrer Rollenprofile und ohne die Profile der anderen Darsteller zu kennen. Wie bei einem stimmungsvollen Krimi-Dinner ergab sich erst im Laufe des Drehs, wer gut und wer böse ist – und was die Schauspieler aus ihren Rollen herausholten, lag allein in ihren Händen.

Schon nach wenigen Minuten wird deutlich, dass Das Team mit einem klassischen Sonntagskrimi wenig zu tun hat: Wer Ermittlungen nach Schema F mit den üblichen Standarddialogen und Friede, Freude, Eierkuchen nach dem Abspann erwartet, wird an diesem sehr fordernden, aber hochinteressanten Impro-Experiment schnell die Lust verlieren.

Seinen Reiz bezieht das emotionale Kammerspiel vielmehr aus zwei Fragen: Welcher Kommissar wird im Tagungshotel sterben, nachdem vorab bereits vier Polizisten das Zeitliche gesegnet haben? Und wer spielt mit gezinkten Karten und ist selbst der Mörder?

Ähnlich wie im Agatha-Christie-Klassiker Mord im Orient-Express oder in Francois Ozons Krimikomödie 8 Frauen muss sich der Täter im selben Mikrokosmos aufhalten wie sein späteres Opfer, das nach knapp einer Stunde gefunden wird und an Neujahr 2020 viele Millionen Stammzuschauer schockierte.

Weil jede/r Anwesende einen oder mehrere Momente unbeobachtet ist und damit als Mörder/in infrage kommt, bleibt bis in die Schlussminuten offen, wer der Wolf im Schafspelz ist. Eine harte Nuss selbst für erfahrene Whodunit-Experten – was neben ein paar falschen Fährten aber vor allem daran liegt, dass das Mordmotiv in diesem ansonsten so gelungenen Tatort alles andere als glaubwürdig ausfällt.

Auch schauspielerisch ergibt sich kein ganz homogenes Bild: Während Jörg Hartmann in seiner gewohnten Rolle als Dortmunder Enfant terrible im Vergleich zu spektakulären Auftritten wie in Auf ewig Dein oder Inferno überraschend blass bleibt und Bjarne Mädel auch rollenbedingt im Schatten von Charly Hübner steht, geben vor allem Anna Schudt und Ben Becker dem Affen ordentlich Zucker.

Wer sich auf die improvisierten Psychospielchen, die ungewöhnliche Krimistruktur und die bisweilen etwas repetitiven Dialoge einlässt, wird unterm Strich aber nicht nur Zeuge eines engagierten Ensembles, sondern auch eines mitreißend arrangierten Rätselratens um einen Killer, dessen letzter Mord lange nachhallt.

Bewertung: 8/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "One Way Ticket"