Krieg im Kopf

Folge: 1126 | 29. März 2020 | Sender: NDR | Regie: Jobst Christian Oetzmann
Bild: NDR/Marion von der Mehden
So war der Tatort:

Posttraumatisch – zumindest hat es lange Zeit diesen Anschein.

Denn beim zweiten gemeinsamen Einsatz der Göttinger Hauptkommissarinnen Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler), seit ihrem Fauxpas in Der Fall Holdt nicht länger beim LKA, und Anaïs Schmitz (Florence Kasumba) müssen gleich mehrere Menschen ein Trauma bewältigen: Schmitz erschießt einleitend den aus Mali zurückgekehrten Soldaten Benno Vegener (Matthias Lier, Echolot), der wirres Zeug faselt und Lindholm ein Messer an den Hals hält – ein Zentimeter weiter links, und Schmitz hätte statt Vegener die altgediente niedersächsische Kommissarin getötet.

Und da sind noch drei weitere Soldaten, die wie Vegener nach einem missglückten Manöver offenbar schwer traumatisiert aus Afrika zurückgekehrt sind: Zwei von ihnen haben sich das Leben genommen; Susanne Bortner (Katharina Schlothauer, Murot und das Murmeltier) hat es ebenfalls versucht, den Autounfall aber querschnittsgelähmt überlebt.

Dass Krieg im Kopf nicht allein von der Aufarbeitung der rätselhaften Tragödie in Mali angetrieben wird, sondern auch als Whodunit funktioniert, liegt daran, dass auch Vegeners Frau ermordet aufgefunden wird und er selbst als Täter ausscheidet – viel zu tun für die Göttinger Ermittlerinnen, die sich nebenbei in ermüdenden Grabenkämpfen mit ihrem Chef Gerd Liebig (Luc Feit) und Alfred Neumann (Steven Scharf) vom militärischen Abschirmdienst aufreiben, der den drohenden Skandal natürlich kleinhalten will.

Altbekannte Manöver, die man im Tatort schon unzählige Male (besser) gesehen hat.


LIEBIG:
Spielt nicht die Helden.


LINDHOLM:
Heldinnen.


Sieht anfangs alles nach einem Themenkrimi im Stile von Heimatfront oder Fette Hunde aus, wandelt sich der Film unter Regie von Jobst Christian Oetzmann (LU) im Schlussdrittel allerdings zum waschechten Sci-Fi-Thriller, der ein beängstigendes Szenario entwirft und rein inhaltlich stark an den missglückten Tatort Maleficius erinnert: War es in Ludwigshafen der renommierte Professor Bordauer (Sebastian Bezzel), der durch Gehirnstimulationen die Bewegungsfähigkeit gehandicapter Menschen wiederherstellte, sind es in Krieg im Kopf die bahnbrechenden Forschungen von Dr. Gottlieb (Hendrik Heutmann, Böser Boden), der die High-Tech-Sparte eines Rüstungskonzerns leitet und der querschnittsgelähmten Susanne Bortner mittels Bluetooth-Überbrückung zerstörter Nervenbahnen das Gehen ermöglicht.

Wie so oft im Tatort wird das Krimithema aber auch in den Erlebnissen der Ermittler gespiegelt: Drehbuchautor Christian Jeltsch (Zurück ins Licht) lässt die Kommissarinnen am eigenen Leib spüren, was technisch heutzutage möglich ist – Verweise auf den Terminator und den Golfkrieg inklusive. "5G kann krank machen, sogar Gedanken lesen", gibt Lindholm zu bedenken, nachdem sie sich einen futuristischen Kampfhelm aufsetzen und schmerzfrei durch die Hand stechen durfte – Schmitz wiederum kriegt durch elektromagnetische Beeinflussung und gerichteten Schall gezielt Bilder und Stimmen in ihren Kopf projiziert. Diese Halluzinationen, die im ursprünglichen Sinne gar keine sind, wirken aber eher bemüht, als dass der Fortschritt der modernen Kriegsführung durch das Herunterbrechen auf ein ziviles Opfer greifbarer würde.

Weil die Kommissarinnen außerdem von schwarzen Limousinen überwacht und mit einem tollen Wolf-im-Schafspelz-Trick genarrt werden, hat der 1126. Tatort oft mehr von einem dystopisch angehauchten Paranoia-Thriller als von einem klassischen Krimi – die Auflösung des Mordfalls ist absolut zweitrangig und wird entsprechend im Vorbeigehen abgefrühstückt. Viel reizvoller gestaltet sich ohnehin die Frage, was wirklich in Mali geschehen ist und warum die Verantwortlichen die technischen Innovationen bei der ansonsten desolat ausgestatteten Bundeswehr geheim halten wollen – die Antwort darauf gibt es in einem erschütternden Finale.

Da bleibt es am Ende fast eine Randnotiz, dass nach dem späten Waffenstillstand in Das verschwundene Kind gleich wieder die Saat für den nächsten Konflikt zwischen Lindholm und Schmitz ausgestreut wird, denn Lindholm lässt sich zu einem Kuss mit Schmitz' Ehemann Nick (Daniel Donskoy) hinreißen, der als Gerichtsmediziner in Göttingen tätig ist. Sage und schreibe neunzehn Mal fällt in diesem soliden High-Tech-Krimi übrigens das Wort "Anaïs" – fast so, als würden die Filmemacher es den Bösewichten in diesem Tatort gleichtun und den Zuschauern gezielt in den Kopf einpflanzen wollen, wie die neue Kommissarin an der Seite von Charlotte Lindholm eigentlich mit Vornamen heißt.

Bewertung: 6/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Niemals ohne mich"

Niemals ohne mich

Folge: 1125 | 22. März 2020 | Sender: WDR | Regie: Nina Wolfrum
Bild: ;WDR/Martin Valentin Menke
So war der Tatort:

Wie 90 Minuten Scheidungskrieg – mit wütenden Eltern, leidenden Kindern und ganz vielen Problemen.

Die Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) gehen in Niemals ohne mich mal wieder dahin, wo sich gesellschaftliche Abgründe auftun: Sie ermitteln im Jugendamt, dessen Mitarbeiterin Monika Fellner (Melanie Straub, Der irre Iwan) bei unterhaltssäumigen Eltern kein Pardon kannte und die für ihre Hartnäckigkeit offenbar mit dem Leben bezahlen musste.

Unterstützt werden sie dabei von ihrem gemütlichen Kollegen Norbert Jütte (Roland Riebeling), der sich seit seinem Dienstantritt in Mitgehangen zum heimlichen Publikumsliebling in der Domstadt gemausert hat: Jütte quartiert sich im Büro von Fellners weniger gnadenloser Kollegin Ingrid Kugelmaier (Anna Böger, Mord ist die beste Medizin) ein, die ihn großzügig mit Tee und Keksen versorgt und auch sonst alles daran setzt, dass Jütte sein ohnehin schon überschaubares Arbeitstempo drosselt und bei seinen Recherchen im Jugendamt ja nicht auf Dinge stößt, die Kugelmaier in Bedrängnis bringen könnten.

Bei Ballauf und Schenk, die an der Wurstbraterei am Rheinufer diesmal ihr Frühstück statt ihr übliches Feierabend-Kölsch verzehren, stößt das naturgemäß auf wenig Gegenliebe.


BALLAUF:
Irgendwann dreh' ich dem nochmal den Hals um.

SCHENK:
Wenn Jütte dann seinen eigenen Tod ermittelt, erwischen sie dich nie.


Drehbuchautor Jürgen Werner, der in den Jahren zuvor vor allem mit seinen mutigen Geschichten zum tollen Tatort aus Dortmund für Aufsehen gesorgt hat (vgl. Hydra oder Tollwut), liefert eine vergleichsweise harmlose Kreuzung aus bitterem Sozialdrama und klassischem Sonntagskrimi ab, bei der – und das ist typisch für den Tatort aus Köln – dermaßen dick aufgetragen wird, dass für Zwischentöne kaum Platz bleibt.

Exemplarisch dafür steht der Kontrast zwischen Hartz-IV-Empfänger Rainer Hildebrandt (Peter Schneider, Auge um Auge), der seine zwei Kinder in einer kleinen Sozialwohnung bespaßt, während seine Frau Katja (Katrin Röver) in der mit Pool und großem Garten ausgestatteten Villa seines reichen Ex-Chefs lebt und ihm die Sprösslinge streitig macht. Außerdem treffen Ballauf und Schenk den aufbrausenden Dachdecker Stefan Krömer (Gerdy Zint, Hüter der Schwelle), der schwarz ganz ordentlich hinzuverdient und seiner gestressten Ex-Freundin Julia Beck (Karen Dahmen) die Unterhaltszahlungen verweigert, obwohl die zum Leidwesen der gemeinsamen Tochter kaum weiß, wovon sie die Miete bezahlen soll. Und da ist noch der undurchsichtige Jugendamtsleiter Markus Breitenbach (Christian Erdmann, Durchgedreht), der mit seiner Frau Evelyn (Henny Reents, Auge um Auge) drei Kinder groß zieht.

Niemals ohne mich fühlt sich oft nicht wie ein klassischer Krimi, sondern wie ein bedrückender Episodenfilm über zerrüttete Familien an – ein Schicksal, das der 1125. Tatort mit Familien oder Trautes Heim teilt, in denen sich der WDR in Köln ganz ähnliche Themen vorknöpfte. Wir sind live dabei, wenn sich Kinder in die Hose machen, weil sie den Streit der Eltern nicht aushalten – die Kommissare sind es oft nicht.

So emotional sich das stellenweise gestaltet, so wenig reißt der Film manchmal mit, was auch am wechselnden Erzählton liegt: Wenn Jütte im Präsidium zum x-ten Mal mit der Statik seiner selbstinstallierten Lichtdusche kämpft und einen Augenblick später ein verzweifelter Vater seine eigene Tochter entführt, bleiben dem Zuschauer zwischen Lachen und Bangen kaum 30 Sekunden Zeit. Das nimmt dem Drama die Wucht. Dennoch ist Niemals ohne mich eine der reizvolleren Tatort-Folgen aus Köln, weil wir auf Kosten der Spannung viel über die Missstände im Alltag deutscher Jugendämter erfahren und sich die typischen In-was-für-einer-Welt-leben-wir-eigentlich-Dialoge der Kommissare in erträglichen Grenzen halten.

Und schließlich gibt es da noch eine Szene, die zum Witzigsten zählt, was wir in den letzten Jahren von Ballauf und Schenk zu sehen bekamen: Die altgedienten Kommissare schmollen eine gefühlte Ewigkeit stumm im zum Dienstwagen umfunktionierten Oldtimer nebeneinander her, während im Autoradio Kerstin Otts Gassenhauer Die immer lacht dudelt – das ist zwar nicht sonderlich subtil arrangiert, aber ein Bild für die Götter.

Auch die bitterböse Schlusspointe bekommt man in der Krimireihe in dieser Konsequenz selten zu sehen – ein spätes, wenn auch nicht mehr sonderlich wirkungsvolles Überraschungsmoment.

Bewertung: 6/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Das perfekte Verbrechen"

Das perfekte Verbrechen

Folge: 1124 | 15. März 2020 | Sender: rbb | Regie: Connie Walther
Bild: rbb/die film gmbh/Volker Roloff
So war der Tatort:

Nicht ganz so perfekt wie die zwei Hitchcock-Klassiker Rope und Dial M for Murder – aber rein inhaltlich ist der elfte Fall der Berliner Hauptkommissare Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) schon ziemlich nah dran.

Regisseurin Brigitte Maria Bertele (Die Pfalz von oben) erzählt in Das perfekte Verbrechen nämlich ebenfalls die Geschichte eines vermeintlich solchen: Im 1124. Tatort wird am helllichten Tag eine junge Studentin auf dem Gendarmenmarkt erschossen – und die Rekonstruktion des Tathergangs führt die Ermittler direkt in die "Berlin School of Law", in der die vier Jurastudenten Theodor Quembach (Franz Pätzold, Der hundertste Affe), Friedrich Herrmann Falkenstein (Lukas Walcher), Wolfram Liere (Max Krause, Unklare Lage) und Ansgar Godlewsky (Johannes Scheidweiler) zur Tatzeit ein Colloquium abgehalten haben.

Ihr Kommilitone Benjamin Renz (Anton von Lucke, Familien), dessen Freundin Luise Kossen (Paula Kroh, Der kalte Fritte) mit dem Opfer verabredet war, wollte ebenfalls in die elitäre Studentenrunde aufgenommen werden und musste im Rahmen seiner dreiteiligen Aufnahmeprüfung eine Erörterung über Das perfekte Verbrechen abhalten. Doch welcher der fünf Studenten hat die Theorie in die Praxis umgesetzt?

Keine leichte Nuss, die Rubin und Karow zu knacken kriegen – zumal der Mörder sich einen Spaß daraus macht, die beiden mit hinterlassenen Spuren in die Irre zu führen.


KAROW:
Der Täter wollte, dass wir das Video finden. Der spielt mit uns.


Drehbuchautor Michael Comtesse (Dein Name sei Harbinger) setzt bei seiner vierten Arbeit für die Krimireihe auf eine reizvolle Kombination aus kniffligem Whodunit und klassischem Howcatchem – denn wenngleich schnell klar ist, dass nur einer der angehenden Juristen die Kommilitonin in Berlin-Mitte erschossen haben kann, bleibt doch lange Zeit unklar, welcher der durchtriebenen Burschen den Abzug gedrückt hat.

Durch ihren juristischen Background ergibt sich dabei ein sehr reizvolles Duell auf Augenhöhe: Die Studierenden halten eisern zusammen und wissen ganz genau, wo deutsche Paragraphen den Ermittlern Einhalt gebieten. Rubin und Karow, diesmal nur im Job und nicht nach Feierabend zu sehen, reizen ihren Spielraum wiederum konsequent aus und greifen zu Tricks, die sie den Job kosten könnten.

Bei den Begegnungen mit Theodor & Co. offenbaren sich aber einige Klischees im Drehbuch: Vier der fünf Studenten stammen aus bestem Hause und benehmen sich – in den Augen der Filmemacher offenbar folgerichtig – entsprechend hochnäsig. Für ihren teuren Anwalt Dr. Lutz Perner (Ulrich Brandhoff, Inferno), und das ist typisch für dieses Berufsbild im Tatort, gilt dasselbe in gesteigerter Form. Während andere Jungs in ihrem Alter netflixen, Sport treiben oder versuchen, Frauen abzuschleppen, bleiben die verwöhnten Rich Kids lieber in einer mondänen Grunewalder Villa unter sich, spielen Schach oder gehen auf die Jagd – wenn sie als Aufnahmeritual denn nicht gerade in einer Art "Fight Club für Arme" einen bedauernswerten Obdachlosen auf Benjamin hetzen. Der wirkt als "Perle des Proletariats" weitaus menschlicher und nahbarer.

Wurden studentische Verbindungen im Münster-Tatort Satisfaktion noch humorvoll persifliert oder im Freiburger Tatort Damian für ein cleveres Verwirrspiel genutzt, wirkt das Ganze hier bisweilen wie ein Ausflug in eine surreale Parallelwelt. Auf der Zielgeraden verliert der Krimi bei einer Kreuzung aus simulierter Gerichtsverhandlung und düsterem Maskenball dann endgültig die Bodenhaftung. Spätestens hier wirkt auch der großartige Peter Kurth (Angriff auf Wache 08) in seiner ansonsten angenehm gegen den Strich besetzten Rolle als renommierter Professor Liere nicht mehr ganz glücklich.

Ansonsten kommen vor allem Krimi-Puristen auf ihre Kosten, weil der Weg zur Auflösung Rubin und Karow diesmal alles abverlangt – hätten die Berliner Kommissare bei der Auswertung eines Videos allerdings schon bei der ersten Sichtung genauer hingesehen und nicht erst in den Schlussminuten, wären sie mit ihrer Arbeit deutlich schneller fertig gewesen. Dieser dramaturgische Taschenspielertrick ließ sich in den letzten Jahren schon häufiger im Tatort beobachten (zuletzt in Falscher Hase), wirkt aber immer ein bisschen konstruiert.

Bewertung: 7/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Leonessa"

Leonessa

Folge: 1123 | 8. März 2020 | Sender: SWR | Regie: Connie Walther
Bild: SWR/Jaqueline Krause-Burberg
So war der Tatort:

Zunächst schwarz-weiß, dann bunt, dann wieder schwarz-weiß – unterm Strich aber deutlich farbloser, als es diese stilistischen Spielereien vermuten lassen.

Denn nach den aufregenden und ästhetisch durchaus ausgefallenen Sonntagskrimis der vorherigen Wochen – wir denken zurück an den erwartungsgemäß auf breiter Front abgelehnten Skandaltatort Ich hab im Traum geweinet und das künstlerisch angehauchte, aber nur bedingt überzeugende fränkische Krimidrama Die Nacht gehört dir – geht in Ludwigshafen alles routiniert seinen Gang: Die Hauptkommissarinnen Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter) werden einleitend in eine beliebte Westernkneipe gerufen, deren Wirt erschossen hinterm Tresen liegt – und anders als ihre Weimarer Kollegen Lessing (Christian Ulmen) und Dorn (Nora Tschirner) im vierzehn Monate zuvor ausgestrahlten Westernkrimi Der höllische Heinz treffen die beiden bei ihren Ermittlungen nicht auf Cowboys und Indianer, sondern auf ergraute Stammgäste und wasserstoffblonde Teenager.

Dabei arbeiten Odenthal und Stern, die bei ihren Ermittlungen wie gewohnt von Spurensicherungsleiter Peter Becker (Peter Espeloer) unterstützt werden, über weite Strecken des Films harmonisch zusammen – wäre da nur nicht diese eine Szene im Präsidium, bei der eine Vitaminbombe beinahe in Sterns hübschem Gesicht detoniert.


STERN:
Du kannst doch keinen Apfel nach mir schmeißen!

ODENTHAL:
Ich kann machen, was ich will!


Ein Rückfall in alte Zeiten, in denen der Zickenkrieg – wir denken an nervtötende Folgen wie den Tatort LU – in Ludwigshafen regelmäßig auf der Tagesordnung stand?

Zum Glück nur kurz, denn unter Regie von Connie Walther (Offene Rechnung), die nach 21 Jahren Abstinenz ihren zweiten Tatort inszeniert, bleibt diese seltsam aufgesetzte, zwischenmenschliche Spontan-Eskalation im Büro erfreulicherweise die Ausnahme.

Drehbuchautor Wolfgang Stauch (Anne und der Tod) hat einen klassischen Whodunit entworfen: Leonessa startet mit dem Leichenfund in der Kneipe, setzt sich mit den Erkenntnissen der Spurensicherung, den Befragungen der Augenzeugen und der Vernehmung der Tatverdächtigen fort und gipfelt in einer nicht sonderlich überraschenden, aber auch nicht allzu vorhersehbaren Auflösung der Täterfrage.

Lediglich drei Dinge, die zu den ungeschriebenen Gesetzen der Krimireihe zählen, werden in ihrer 1123. Ausgabe variiert: Die obligatorische späte Verfolgungsjagd gibt es gleich zu Beginn, der sonst größere Kreis der Verdächtigen reduziert sich auf die drei Teenager Samir Tahan (Mohamed Issa, Am Ende geht man nackt), Leon Grimminger (Michelangelo Fortuzzi) und Vanessa Michel (Lena Urzendowsky) – und auch auf die zweite Tatort-Leiche, die sonst meist gegen 21 Uhr gefunden wird, wartet man diesmal (fast) vergeblich. Ansonsten läuft in Ludwigshafen – und das ist angesichts von Katastrophenkrimis wie Waldlust, Babbeldasch oder Die Sonne stirbt wie ein Tier durchaus als Kompliment zu werten – alles nach Schema F.

Dabei wird so fleißig Dialekt gesprochen wie in kaum einer zweiten deutschen Tatort-Stadt: Wenngleich die Kommissarinnen Hochdeutsch reden, dürfen vor allem die Augenzeugen frei nach Schnauze "Pälzisch babble". Auch für Assistentin Edith Keller (Annalena Schmidt), in den letzten Jahren in erster Linie der Ruhepol im Präsidium, finden die Filmemacher endlich mal wieder sinnvolle Verwendung im Außendienst: Keller darf undercover in der Westernkneipe an der Apfelschorle nippen und sogar einen kleinen Teil zur Lösung des Falls beitragen.

Beim Blick auf die Figuren ergibt sich ansonsten aber ein eher durchwachsenes Bild: Zwar scheitert Stauch (anders als andere Autoren, vgl. Vergeltung oder Dinge, die noch zu tun sind) nicht daran, den Jugendlichen glaubwürdige Dialoge in den Mund zu legen, aber charakterliche Tiefe vermag er Samir und Leonessa - dem Pfälzer Teenie-Pendant zu Brangelina – kaum zu verleihen. Warum Leon und Vanessa ihren Gin Tonic am liebsten in einer Ü50-Kneipe trinken und sich über ein Online-Portal prostituieren, wird kaum hinterfragt.

Platte Stereotypen bleiben auch Samirs vorbestrafter Bruder und die sozial abgehängten Eltern der Teenager, wenngleich Karoline Eichhorn (HAL) in ihrer Rolle als abgefuckte Alkoholikerin zumindest für das beste Bild in diesem Tatort verantwortlich zeichnet.

Bewertung: 5/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Die Nacht gehört dir"

Die Nacht gehört dir

Folge: 1122 | 1. März 2020 | Sender: BR | Regie: Max Färberböck
Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Hendrik Heiden
So war der Tatort:

Faszinierend-frustrierend.

Denn der sechste Fall der Nürnberger Hauptkommissare Felix Voss (Fabian Hinrichs) und Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel), die bei ihren Ermittlungen in Franken wie gewohnt von ihren Kollegen Wanda Goldwasser (Eli Wasserscheid) und Sebastian Fleischer (Andreas Leopold Schadt) sowie Spurensicherungsleiter Michael Schatz (Matthias Egersdörfer) unterstützt werden, ist eine Dreiviertelstunde lang großes Kino – entpuppt sich in der zweiten Hälfte aber als fast genauso große Luftnummer, über deren dünne Geschichte die ansprechende Verpackung irgendwann nicht mehr hinwegtäuschen kann.

Dabei liest sich die Ouvertüre zu Die Nacht gehört dir zunächst wie ein klassischer Whodunit: Babs Sprenger (Anna Tenta), die erfolgreiche Salesmanagerin eines großen Immobilienkonzerns, liegt erstochen in ihrer riesigen Wohnung. An das Auffinden ihrer Leiche schließen sich die Diagnose der Spurensicherer und ein Besuch im Arbeitsumfeld der Toten an – doch schon hier verlässt Regisseur Max Färberböck, der das Drehbuch zu seinem dritten Franken-Tatort nach Ich töte niemand und Der Himmel ist ein Platz auf Erden wie immer mit Catharina Schuchmann geschrieben hat, die ausgetretenen Pfade der Krimireihe wieder.

Den Vorabend ihrer Ermordung hat Sprenger nämlich mit ihrer Arbeitskollegin Theresa Hein (Anja Schneider, Das Nest) verbracht – und die legt ein Geständnis ab, bevor Voss und Ringelhahn überhaupt zu Wort kommen können.


VOSS:
Tag, Frau Hein. Wir müssen...

HEIN:
Ich habe Sie schon erwartet.


Was dann folgt, ist eine Geschichte, die sich lange Zeit gar nicht richtig greifen lässt, weil sie so ungewöhnlich erzählt wird: Bohrende Fragen der Ermittler bleiben bisweilen unbeantwortet im Raum stehen, die geständige Mörderin hüllt sich oft in hartnäckiges Schweigen, verschachtelte Rückblenden deuten eine rätselhafte Vorgeschichte an – und selbst die ausgefallene Tatwaffe, ein besonders scharfes und hochwertiges Sushimesser, scheint irgendein Geheimnis zu bergen.

Diese irritierende, weil seltsam undurchdringliche Erzähltechnik hat lange Zeit etwas Faszinierendes, ja fast Philosophisches und wird unheimlich stimmungsvoll in Szene gesetzt – so ist man es von Färberböck, dessen Tatort-Folgen stets an den dunklen Farbfiltern und den reduzierten Lichtverhältnissen zu erkennen sind, auch nicht anders gewohnt. Und doch wirkt nicht alles aus einem Guss: Der Soundtrack besteht aus melancholischen Stücken der Klassik und Popmusik, die meist nur wenige Sekunden angespielt und schnell wieder ausgefadet werden – das ist irgendwann eher ermüdend, als dass die über weite Strecken so dichte Atmosphäre dadurch noch sinnvoll verstärkt würde.

Was der handwerklich so überzeugenden 1122. Tatort-Folge in ihrer zweiten Hälfte das Genick bricht, ist aber nicht die feine, bisweilen übertrieben künstlerisch anmutende Ästhetik, sondern der halbgar ausgearbeitete Handlungsstrang um den jungen Klavierlehrer Anton Steiner (Lukas B. Amberger) und die brutal enttäuschende Auflösung des Mordfalls, die sich nach rund einer Stunde anbahnt: Als sich der Nebel langsam lichtet, kracht das lange Zeit so Reizvolle an diesem Krimi binnen Minuten wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Plötzlich wird aus Faszination Frustration, wenn uns dämmert, auf welch tönernen Füßen das simple Handlungskonstrukt errichtet wurde und wie uninspiriert die Sache ausklingen wird.

Am Ende bleibt vieles unbeantwortet – zum Beispiel, wie Voss' ausgiebiger Flirt mit einer namenlosen Honigverkäuferin (Maja Beckmann, Trautes Heim) vom Wochenmarkt ausgeht. Das ist keineswegs schlimm – gleichzeitig wirkt aber auch manch entscheidende Stellschraube des Drehbuchs alles andere als schlüssig.

Gerade im Vergleich zum großartigen Vorgänger Ein Tag wie jeder andere, der in einem überraschenden Twist gipfelte und den Kommissaren wie auch dem TV-Publikum gleichermaßen den Boden unter den Füßen wegzog, kann Die Nacht gehört dir nicht mithalten. Da hat man den Franken-Tatort – und auch Filmemacher Max Färberböck, der beispielsweise die tollen Münchner Folgen Am Ende des Flurs und Mia san jetz da wo's weh tut inszeniert hat – schon stärker gesehen.

Bewertung: 5/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Ich hab im Traum geweinet"