Krieg im Kopf

Folge: 1126 | 29. März 2020 | Sender: NDR | Regie: Jobst Christian Oetzmann
Bild: NDR/Marion von der Mehden
So war der Tatort:

Posttraumatisch – zumindest hat es lange Zeit diesen Anschein.

Denn beim zweiten gemeinsamen Einsatz der Göttinger Hauptkommissarinnen Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler), seit ihrem Fauxpas in Der Fall Holdt nicht länger beim LKA, und Anaïs Schmitz (Florence Kasumba) müssen gleich mehrere Menschen ein Trauma bewältigen: Schmitz erschießt einleitend den aus Mali zurückgekehrten Soldaten Benno Vegener (Matthias Lier, Echolot), der wirres Zeug faselt und Lindholm ein Messer an den Hals hält – ein Zentimeter weiter links, und Schmitz hätte statt Vegener die altgediente niedersächsische Kommissarin getötet.

Und da sind noch drei weitere Soldaten, die wie Vegener nach einem missglückten Manöver offenbar schwer traumatisiert aus Afrika zurückgekehrt sind: Zwei von ihnen haben sich das Leben genommen; Susanne Bortner (Katharina Schlothauer, Murot und das Murmeltier) hat es ebenfalls versucht, den Autounfall aber querschnittsgelähmt überlebt.

Dass Krieg im Kopf nicht allein von der Aufarbeitung der rätselhaften Tragödie in Mali angetrieben wird, sondern auch als Whodunit funktioniert, liegt daran, dass auch Vegeners Frau ermordet aufgefunden wird und er selbst als Täter ausscheidet – viel zu tun für die Göttinger Ermittlerinnen, die sich nebenbei in ermüdenden Grabenkämpfen mit ihrem Chef Gerd Liebig (Luc Feit) und Alfred Neumann (Steven Scharf) vom militärischen Abschirmdienst aufreiben, der den drohenden Skandal natürlich kleinhalten will.

Altbekannte Manöver, die man im Tatort schon unzählige Male (besser) gesehen hat.


LIEBIG:
Spielt nicht die Helden.


LINDHOLM:
Heldinnen.


Sieht anfangs alles nach einem Themenkrimi im Stile von Heimatfront oder Fette Hunde aus, wandelt sich der Film unter Regie von Jobst Christian Oetzmann (LU) im Schlussdrittel allerdings zum waschechten Sci-Fi-Thriller, der ein beängstigendes Szenario entwirft und rein inhaltlich stark an den missglückten Tatort Maleficius erinnert: War es in Ludwigshafen der renommierte Professor Bordauer (Sebastian Bezzel), der durch Gehirnstimulationen die Bewegungsfähigkeit gehandicapter Menschen wiederherstellte, sind es in Krieg im Kopf die bahnbrechenden Forschungen von Dr. Gottlieb (Hendrik Heutmann, Böser Boden), der die High-Tech-Sparte eines Rüstungskonzerns leitet und der querschnittsgelähmten Susanne Bortner mittels Bluetooth-Überbrückung zerstörter Nervenbahnen das Gehen ermöglicht.

Wie so oft im Tatort wird das Krimithema aber auch in den Erlebnissen der Ermittler gespiegelt: Drehbuchautor Christian Jeltsch (Zurück ins Licht) lässt die Kommissarinnen am eigenen Leib spüren, was technisch heutzutage möglich ist – Verweise auf den Terminator und den Golfkrieg inklusive. "5G kann krank machen, sogar Gedanken lesen", gibt Lindholm zu bedenken, nachdem sie sich einen futuristischen Kampfhelm aufsetzen und schmerzfrei durch die Hand stechen durfte – Schmitz wiederum kriegt durch elektromagnetische Beeinflussung und gerichteten Schall gezielt Bilder und Stimmen in ihren Kopf projiziert. Diese Halluzinationen, die im ursprünglichen Sinne gar keine sind, wirken aber eher bemüht, als dass der Fortschritt der modernen Kriegsführung durch das Herunterbrechen auf ein ziviles Opfer greifbarer würde.

Weil die Kommissarinnen außerdem von schwarzen Limousinen überwacht und mit einem tollen Wolf-im-Schafspelz-Trick genarrt werden, hat der 1126. Tatort oft mehr von einem dystopisch angehauchten Paranoia-Thriller als von einem klassischen Krimi – die Auflösung des Mordfalls ist absolut zweitrangig und wird entsprechend im Vorbeigehen abgefrühstückt. Viel reizvoller gestaltet sich ohnehin die Frage, was wirklich in Mali geschehen ist und warum die Verantwortlichen die technischen Innovationen bei der ansonsten desolat ausgestatteten Bundeswehr geheim halten wollen – die Antwort darauf gibt es in einem erschütternden Finale.

Da bleibt es am Ende fast eine Randnotiz, dass nach dem späten Waffenstillstand in Das verschwundene Kind gleich wieder die Saat für den nächsten Konflikt zwischen Lindholm und Schmitz ausgestreut wird, denn Lindholm lässt sich zu einem Kuss mit Schmitz' Ehemann Nick (Daniel Donskoy) hinreißen, der als Gerichtsmediziner in Göttingen tätig ist. Sage und schreibe neunzehn Mal fällt in diesem soliden High-Tech-Krimi übrigens das Wort "Anaïs" – fast so, als würden die Filmemacher es den Bösewichten in diesem Tatort gleichtun und den Zuschauern gezielt in den Kopf einpflanzen wollen, wie die neue Kommissarin an der Seite von Charlotte Lindholm eigentlich mit Vornamen heißt.

Bewertung: 6/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Niemals ohne mich"

6 Kommentare:

  1. Ich fand ihn spannend. Das Team hat Charakter 9 von 10

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  2. Ich fand ihn sehr gut! Auch 9 von 10.

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  3. In Zeiten, in denen nicht zuletzt die öffentlich, rechtlichen, Sender Verschwörungstheorien und fake news den Kampf angesagt haben, wird die ARD selbst Verschwoerungstheoretiker. Aber wenn es gegen Bundeswehr oder Geheimdienste geht, sind offenbar alle Mittel recht.

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  4. So richtig wollte der Funken nicht überspringen.
    Das Thema an sich war gut, jedoch ist Frau Furtwängler recht nervig.
    Ebenso ist da Ermittlerduo nicht wirklich polizeireif. Mrs. Obercool und Mrs. Überarbeitet sollten allmählich ausgetauscht werden.

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  5. Ich kann mit Frau Kasumba als Schauspielerin in dieser Rolle absolut nichts anfangen. Auch ansonsten gibt es keine Sympathieträger und die Geschichte zog sich zäh wie Kaugummi.

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  6. So geht es langsam aber sicher mit dieser Serie Bergab!!! Wo bleiben die Kommissare, die sympatisch sind?

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