Hetzjagd

Folge: 1156 | 14. Februar 2021 | Sender: SWR | Regie: Tom Bohn
Bild: SWR/Jaqueline Krause-Burberg
So war der Tatort:

Nicht so unwahrscheinlich schlecht wie Babbeldasch oder manch anderer LU-Tatort, dafür aber: unwahrscheinlich unwahrscheinlich. 

Wahrscheinlich ist Regisseur und Drehbuchautor Tom Bohn (Maleficius), der bereits zum 20. Mal für einen Tatort am Ruder sitzt, das aber auch gar nicht so wichtig. In seine Geschichte legt er gewohnt viel Herzblut: Der Krimi startet mit ausschweifenden Luftaufnahmen der Stadt am Rhein, die rein optisch vor allem triste Industrieanlagen, den B44-Knoten an der Kurt-Schumacher-Brücke und – nun ja – den Rhein zu bieten hat. Es bleiben nicht die letzten.

Unwahrscheinlich schnell beginnt sie dann, die titelgebende Hetzjagd, denn Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter) jagen zwei Nazis: Ludger Rehns (Daniel-Noël Fleischmann) und Hedwig Joerges (Anne-Marie Lux, Unter Wölfen) stehen unter Verdacht, den "Rock gegen Rechts"-Veranstalter und Mit-Leib-und-Seele-Demokraten Tilmann Meinecke (Tom Sommerlatte) ins Jenseits befördert zu haben. Auch er bleibt nicht der letzte Tote.

Unverwechselbar inszeniert wird das Ganze in kitschiger Alarm für Cobra 11-Ästhetik: wummerndes Soundbett, überzeichnete Figuren, aufgekratzte Schauspieler und theatralische Zeitlupen – ein typischer Bohn-Tatort eben, alles ein bisschen drüber, alles ein bisschen aufdringlich. Selten subtil, aber eben auch selten langweilig.

Nach dem dynamischen Auftakt gehen die Filmemacher etwas vom Gaspedal, weil das Kernthema, das in den Jahren zuvor auch im gelungenen Hamburger Tatort Dunkle Zeit oder im enttäuschenden Göttinger Tatort National feminin behandelt wurde, in angemessenem Tonfall aufbereitet werden will: der (nicht nur) in Deutschland erstarkte Rechtsextremismus und das, was man gegen ihn tun sollte.

Und das klingt dann so.


ODENTHAL:
Vielleicht müssen wir lernen, einander wieder mehr zuzuhören.

STERN:
Einem Nazi mag ich echt nicht zuhören.

ODENTHAL:
Ja, klar, aber trotzdem: Wenn wir etwas ändern wollen, dann müssen wir miteinander reden und dabei klare Kante zeigen.


Recht haben die beiden Kommissarinnen, mit ihren unmissverständlich vorgetragenen Botschaften, und auch für den Zuschauer gibt es in diesem Tatort viel zum Zuhören – nämlich immer dann, wenn Odenthal und Stern in ihrer permanenten Betroffenheit all das erklären, was Kamera und Mimik längst verraten haben. "Das hier macht mich wirklich fertig", äußert Odenthal am Fundort der Leiche, nachdem sie minutenlang betreten aus der Wäsche geschaut hat und aus dem Off die Stimme des Ermordeten zu hören war, der sie um Polizeischutz gebeten hatte. Ach, echt?

In Sachen Rechtsextremismus gibt's ebenfalls den großen Erklärbär: Die dem linken Spektrum zuzuordnende Aktivistin und Freundin des Toten, Maria Karich (Anna Herrmann, Der gute Weg), erläutert dem Publikum sicherheitshalber die Zahl 88 – und betont, dass Rechte heutzutage ja nicht mehr gleich als Rechte zu erkennen sind. Ganz so, als wären das Neuigkeiten. Die Zeit ist in LU einfach stehengeblieben: Wäre Hetzjagd vor zwanzig Jahren gedreht worden, es wäre vor allem durch die moderne Technik, die Abwesenheit von Mario Kopper und die Anwesenheit des damals noch unbekannten Clueso aufgefallen, dessen Cameo-Auftritt natürlich ebenfalls verbalisiert wird ("Sag mal, das war doch dieser Clueso, oder?").

Zumindest halten sich aber die Klischees, die die Filmemacher im 1156. Tatort abarbeiten, halbwegs in Grenzen: Kaum in der Wohnung des Toten angekommen, steht zwar der Verfassungsschutz in Person von Thomas Leonhardt (Oliver Stritzel, Klassentreffen) auf der Matte, doch reduziert sich das in der Krimireihe regelmäßig zu beobachtende In-die-Parade-Grätschen auf ein erträgliches Maß. So arrogant und distanziert der Kollege anfangs auftritt ("Leonhardt mit weichem D...") – später wird gar kooperiert.

Größtes Ärgernis dieser unterdurchschnittlichen Tatort-Folge ist die einleitend erwähnte Anhäufung von Unwahrscheinlichkeiten: Allein, dass die ziellos umherstreunende Karich zufällig (!) den bundesweit gesuchten Beate Zschäpe-Verschnitt Hedwig in der Nachbarstadt Mannheim an einer Pommesbude trifft, die beiden trotz ihrer gegensätzlichen politischen Gesinnung spontan Freundschaft (!) schließen und sich ein teures Hotelzimmer teilen (!!), ist ziemlich starker Tobak und allein durch die Konstruktion des künstlichen Showdowns zu erklären. Der letzte Schritt zur früh vorhersehbaren Auflösung ist kaum wahrscheinlicher: Wenn nichts mehr geht, geht immer eine Überwachungskamera, die eine Begegnung von Opfer und Täter aufgezeichnet hat. 

Immerhin: Johanna Stern darf im entscheidenden Verhör nach Jahren der Beliebigkeit mal wieder ihre Fähigkeiten als Fallanalytikerin unter Beweis stellen, die sie einst nach Ludwigshafen geführt haben (vgl. Blackout) – und um deren Wert die dienstälteste Tatort-Kommissarin mittlerweile auch weiß.


LEONHARDT:
Ihre Kollegin Stern – ich denke wirklich darüber nach, ihr ein Angebot zu machen.

ODENTHAL:
Vergessen Sie's. Sie ist in festen Händen.


Bewertung: 4/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Rettung so nah"

12 Kommentare:

  1. Einer der schlimmsten Tatorte der letzten 10 Jahre. Schauspielerisch eine Offenbarung und inhaltlich so etwas von schlecht gemacht. Fremdschämpotenzial im Quadrat!

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    1. Quadrate gibt’s doch nur gegenüber in Mannheim ?!

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  2. Die o. a. Kritik teile ich zum Großteil. Außerdem fällt wieder mal auf, daß sich die Macher des Odenthal Tatorts definitiv nicht mit dem Verhältnis zwischen Schutz- und Kriminalpolizei auskennen. Das uralt-Klischee einer nicht vorhandenen Hackordnung zwischen den völlig gleichberechtigten Organisationseinheiten wird akribisch aufrechterhalten. Eine Polizeioberkommissarin sagt niemals "Frau Hauptkommissarin" zu einer einteffenden Kollegin der Kripo, sondern, "Hallo Lena" Auch hat ein Polizeipräsident keine 5 silbernen Sterne auf der Schulterklappe, sondern 2 oder 3 goldene mit Eichenlaub. Das alles hat zwar nichts mit der Handlung an sich zu tun, offenbart aber, dass oberflächlich und gleichgültig gearbeitet wird beim SWR und die Filme somit auch inhaltlich fragwürdig werden. Sehr schwach.

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  3. Hat mir sehr gefallen. Auch wenn das Zusammentreffen der Frauen etwas komisch war. Trotzdem top!
    Nur eine Frage bleibt: Warum musste KOK Winter sterben? Sie war eine sehr passende und gute Nebenrolle, die nicht zu viel aber auch nicht zu wenig erschien. Das hätte man gerne weiterführen können!
    7/10

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  4. Also wirklich es ist mir unbegreiflich wie man so einen Rotz abliefern kann. Schauspielerisch eine 0. Inhaltlich sowas von schlecht. Langsam hab ich das Gefühl man kann sich nur noch den Münster Tatort geben wegen des Humors

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  5. Ich fand den heutigen Tatort gar nicht so schlecht- sogar ziemlich unterhaltsam.
    Einige kleinere Unstimmigkeiten, aber das ist bei fast jedem Krimi der Fall.

    Insgesamt 90 interessante Minuten.

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  6. Das war kein Tatort-Niveau und wäre besser in der Vorabendunterhaltung angesiedelt. Zu konstruiert, zu vorhersehbar. Insgesamt sehr schwach, allenfalls ausreichend.

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  7. Das war mal wieder ein sehr guter und unterhaltsamer Tatort. Hoffentlich geht's nun so weiter.

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  8. Ich werde wohl demnächst den LU Tatort, wenn überhaupt, am nächsten Tag schauen. Nachdem ich die Kritiken gelesen habe. Das war Zeitverschwendung. So aufgesetzte Dialoge und jede Menge Zufälle. Erst treffen sich gleich zwei Mörder an gleicher Stelle und dann das Treffen der beiden Frauen an der Pommesbude. Vielleicht sollte der Tatort einfach ab und zu Mal aussetzen und dafür in besserer Qualität gemacht werden.

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  9. Es war ein solider Tatort. Die Handlung war spannend. Leider waren die schauspielerischen Leistungen blass. Aus den psychologisch interessanten Charakteren hätte mehr gemacht werden können. Auch das Ermittlerteam war diesmal sehr blass. Schade, es wäre mehr in diesem Tatort gesteckt.

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  10. Endlich ein Tatort, der meinen Entschluss, am Sonntagabend statt Tatortschauen lieber etwas sinnreiches zu machen - und sei es nur Kartenspielen-, vollends gefestigt hat! Wie kann man nur so einen Unsinn produzieren!? Vielen Dank, das war’s!

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  11. Ich muss sagen, ich fand diesen Tatort sehr schwach, weil sich die Zufälle häufen, weil die Auflösung keine Überraschung ist und weil die Figuren ziemlich blass bleiben. Die Neo-Nazis sind etwa ziemlich stereotyp und ihre Ideologie wird nicht weiter behandelt.
    Dass die Polizistin am Anfang stirbt, ging mir genauso an die Nieren wie das übertriebene wie unwahrscheinliche Finale. Also gar nicht.
    Und sobald sich die beiden Frauen rein zufällig getroffen haben, ist eigentlich auch schon klar, wie alles ausgeht. Auch die Szene ganz am Ende, in der der Polizist zur Waffe greift, verläuft genau so, wie erwartet.
    Ich fand den letzten Odenthal-Tatort besser und würde für diesen Tatort nur 2/10 Punkte vergeben. Wenigstens ist Frau Stern nicht so blass charakterisiert wie sonst.

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