Wo ist Mike?

Folge: 1168 | 16. Mai 2021 | Sender: BR | Regie: Andreas Kleinert
Bild: BR/Claussen+Putz Filmproduktion GmbH/Hendrik Heiden
So war der Tatort:

In der Entstehung monatelang unterbrochen.

Denn der siebte Franken-Tatort ist wahrscheinlich der Sonntagskrimi, der am härtesten von der Corona-Pandemie getroffen wurde: Die im März 2020 gestarteten Dreharbeiten mussten aufgrund des Lockdowns nach wenigen Tagen gestoppt werden, ehe der BR sie schließlich im November unter strengen Hygieneregeln fortsetzen ließ. Rein organisatorisch wäre das zwar auch im Sommer möglich gewesen – das hätte jahreszeitlich allerdings nicht gepasst, denn Wo ist Mike? spielt bei kalten Außentemperaturen und zeigt viel verblühte Flora und Fauna.

Verlagert sich das Geschehen nach drinnen, lässt sich unter Regie von Andreas Kleinert (Die ewige Welle) wiederum ein Markenzeichen der oft kunstvoll angehauchten Krimis aus dem Frankenland beobachten: Ähnlich wie in Ich töte niemand und weiteren Folgen, die unter Regie seines Kollegen Max Färberböck entstanden, wirken viele Sequenzen stark unterbelichtet. Gesichter erscheinen im Halbdunkeln, Augenhöhlen färben sich schwarz, die Mimik ist nur zu erahnen und die düstere Szenerie erhält einen subtil-geheimnisvollen Touch. Aber kann die Story des Films einen ähnlich großen Reiz entfalten wie seine Ästhetik?

Das kann sie, aber es hängt auch von der Bereitschaft des Zuschauers ab, sich auf diesen sperrigen Tatort einzulassen: Das Drehbuch von Thomas Wendrich (Borowski und das dunkle Netz) erinnert an den überragenden Schwarzwald-Mindfuck Damian, was neben den doppelten Böden auch am psychisch gestörten Hauptverdächtigen liegt. In der Einleitung werden wir Zeuge dessen, wie der 17-jährige Titus (toll: Simon Frühwirth, Tschill Out) zusammen mit seiner Freundin Coco (Michelle Barthel, Treibjagd) den titelgebenden kleinen Mike durch einen Wald schleppt und in den Keller eines Hauses bringt.

Ein dicker Zufall und das Drehbuch wollen es, dass Hauptkommissarin Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) am nächsten Morgen ausgerechnet in diesem (!) Haus aufwacht und sich von ihrem neuen Lover, dem von seinen Nachbarn schnell vorverurteilten Lehrer Rolf Glawogger (Sylvester Groth, Wacht am Rhein), üppige Ei-Variationen zum Frühstück servieren lässt – eine Konstellation, die konstruierter kaum ausfallen könnte und die ihren Kollegen Felix Voss (Fabian Hinrichs) auf der Suche nach dem verschwundenen Kind bei der ersten Begegnung an der Haustür auch sichtlich irritiert.


VOSS:
Ist Ihnen letzten Freitagabend etwas aufgefallen?

GLAWOGGER:
Letzten Freitagabend? Ja, da ist mir was aufgefallen. Ihre Kollegin.


Für die Charakterzeichnung bei den Hauptfiguren, die im Franken-Tatort bisher wenig Raum zur Entfaltung bekamen, ist die Beziehung zwischen Glawogger und Ringelhahn pures Gold – die Kollegen Wanda Goldwasser (Eli Wasserscheid) und Sebastian Fleischer (Andreas Leopold Schadt) hingegen stehen erneut auf dem Abstellgleis und wären nicht nur in diesem Krimi aus dem Frankenland gut und gerne verzichtbar. Auch vom einst vielbeschworenen Lokalkolorit ist wenig geblieben: Mit Ausnahme eines kurzen Ausflugs auf den Domplatz und des herrlichen Dialekts von Rechtsmediziner Michael Schatz (Matthias Egersdörfer) könnte Wo ist Mike? praktisch in jeder anderen Gegend spielen.

So ist ein geografisch beliebiger, handwerklich aber überzeugender und unheimlich beklemmender und atmosphärisch dichter Tatort herausgekommen – die gewöhnungsbedürftige Tonalität, die umständliche Erzählform mit vielen Handlungssprüngen und die oft hart gesetzten Schnitte machen es dem Publikum aber schwer. Mehr als einmal wirken Gespräche wie aus dem Kontext gerissen, bleiben Fragezeichen auf unserer Stirn, driften Szenen in die unfreiwillige Komik ab (etwa bei Titus' Flucht in den Schrank eines Antiquariats). Die späte Auflösung des Kriminalfalls, die auch den früh vorhersehbaren Twist im Hinblick auf Coco impliziert, kann das nicht mehr vollständig gradebügeln.

Als Whodunit zum Miträtseln funktioniert der Film aufgrund des nächtlichen Prologs aber ohnehin nur bedingt, so dass der Tatort seinen größten Reiz aus der verwirrten Psyche des hauptverdächtigen Titus zieht: Was ist echt, was Fiktion, was Horror, was Wunschvorstellung? Echten Zugang zu dem Teenager gewinnen wir erst in den Schlussminuten, denn auch die Gespräche mit seiner fürsorglichen Mutter (Bettina Hoppe, Ein paar Worte nach Mitternacht) werfen mehr Fragen auf, als Fragen zu beantworten. Er bleibt uns lange Zeit ein Rätsel.

Optisch wird viel mit Licht und Dunkel sowie Schwarz-Weiß-Kontrasten gearbeitet (etwa im strahlend weißen Krankenzimmer oder bei einer pechschwarzen Häuserfassade), zwischen Realität und Halluzinationen hingegen wird bunt gemischt: Ehe Mikes Vater (Andreas Pietschmann, Der schöne Schein) und Mikes Mutter (Linda Pöppel, ...es wird Trauer sein und Schmerz) sich real an die Gurgel springen, sieht Voss den Jungen als Erscheinung im Wohnzimmer vor sich sitzen. Durch den Bart von Professor Bude (Tilo Nest, Tote Männer) krabbeln die Maden und der von zwei Schülern angeschwärzte Glawogger begeht einen Suizid, der nur in Ringelhahns Kopf stattfindet. Puh.

Leichte Kost ist der 1168. Tatort damit zu keinem Zeitpunkt – und am schlechten Standing des fränkischen Ermittlerteams bei großen Teilen des Publikums dürfte das zweifellos faszinierende, aber auch sehr (über-)konstruierte Krimidrama kaum etwas ändern.

Bewertung: 6/10


📝 So war der Vorgänger: Kritik zum Wiener Tatort "Verschwörung"

40 Kommentare:

  1. Typisch deutsche Kost

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  2. Tatort heute kaum zu glauben, dann lieber einen Tatort mit Haferkamp!

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  3. Wer hat nur dieses Drehbuch geschrieben? Das war eine Zumutung, schade, daß sich die Schauspieler so etwas antun !

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  4. Schlimm ganz schlimm...gequirlte Scheiss

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  5. Der langweiligste aller Frankentatorte...

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  6. Außerhalb von Münster oder Köln werden die Tatort Folgen immer unerträglicher. Ich glaube, ich muss mir langsam echt ein anderes Fersehprogramm für Sonntag Abend suchen

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  7. Zu wenig Tatort und mal wieder zu viel nach dem Motto "künstlerisch wertvoll "

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  8. Der schlechteste Tatort, den ich bisher gesehen gab. Wenn das so weiter geht, werden wir Sonntag Abend keinen Tatort mehr sehen. Einfach nur Katastrophe

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  9. Ein guter Tatort, gute Kritik, schon wegen der schauspielerischen Leistung hat es sich rentiert zuzuschauen.

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  10. Irgendwie verdreht..konfus.. das hat nichts gepasst. Völlig daneben - Corona hin oder her..

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  11. Irgendwie verdreht..konfus.. das hat nichts gepasst. Völlig daneben - Corona hin oder her..

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  12. Ich fand ihn gut und verstehe nicht die schlechte Bewertungen, "katastrophal" auf jeden Fall nicht...

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  13. typische west-deutsche psycho-verschnullerung (= seelen-kitsch)
    therapie-vorschlag: japan. kitano-filme (= handlungs-poesie)

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  14. Hervorragend gespielt und das Denken kam nicht zu kurz. Sehr gut!

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  15. Ich fand den Tatort eigentlich ganz gut, zum Ende hin immer besser werdend. Es war nicht ganz einfach sich darauf einzulassen, aber als ich es geschafft habe, war es sehr fesselnde und beklemmende (...was nicht schadet...) Abendunterhaltung.

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  16. Warum wurde nicht richtig nach dem Kind gesucht, statt dessen drehte sich alles um Titus. Und auch dessen Umfeld wurde, wie zum Beispiel seine Mutter, nicht richtig durchleuchtet. Eine Recht verworrene Geschichte. Schade, wieder einmal voll daneben !

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  17. Visuell, aesthetisch und schauspielerisch meist gut, Story aber leider katastrophal schlecht, weil zu fantastisch. Das ist einfach nichts was man ernst nehmen kann, weil es so dermaßen konstruiert ist. Wenn hinter dem Konstrukt eine Aussage oder ein Leitthema stehen würde, wäre es akzeptabel, aber so ist es einfach nur strange.

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  18. Grandioses Drehbuch,grandiose Regie,grandiose Schauspieler..

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  19. Super Tatort. Hebt sich wohltuend von dem undurchsichtigen Wirrwarr manch anderer Episoden ab. Hier ging es endlich mal um Menschen und Gefühle und nicht um irgendwelche Machenschaften von Politik, Schleuserbanden oder Drogenbossen.

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  20. hat mehr als 6 Punkte verdient, da Coco, Titus und der Kommissar überragend gespielt haben.

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  21. Licht - Szenerie... ist mir alles egal - aber wenn die Handlung schon schlecht ist, was will man dann noch erwarten. So ein konstruierter Mist auf Kosten der Gebührenzahler? Dann lieber 10 Wiederholungen aus guten alten (gesunden) Zeiten, wo nicht aufgrund von Corona so eine Katastrophe zusammengestellt wird. Bin total sauer!

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  22. Hat mir überhaupt nicht gefallen!

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  23. Ganz furchtbar, völlig übertrieben, nach diesem Film, bekommt man erst richtig Depressionen. Das am Sonntagabend. Ich werde nicht mehr schauen, nicht den Tatort. Bin in letzter Zeit immer wieder enttäuscht.

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  24. Ich fand ihn ganz furchtbar. Schlechte Schauspieler und unterirdische Geschichte. Eine einzige Katastrophe. Der einzig gute Tatort ist mit Axel Prahl und Jan Josef Liefers.

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  25. Einer der schlechtesten Tatorte die ich je gesehen habe. Schlechte Schauspieler bizarre Bilder und Szenen. eine einzige Katastrophe. Schade um die Zeit. Eigentlich schaue ich Tatort nur noch wenn Axel Prahl und Jan Josef Liefers dran sind.

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  26. Einer der schlechtesten TATORT, die ich je sah. Unglaubwürdige Schauspielerleistung und Story, misserables Drehbuch, schlampige Kameraführung. 0 von 10 Sternen!

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  27. Furchtbar. Einfach nur furchtbar

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  28. Für mich einer der besten Tatorte der letzten Jahre!
    Bin tatsächlich kein erklärter Tatortfan, bei den meisten Tatorten, die hier zu Hause gesehen werden, klinke ich mich wegen der wie ich finde oft etwas trägen Erzählweise oder sonst mich nicht ansprechenden Machart schnell aus oder versuche gleich von vornherein die Entscheidung auf ein anderes Filmprogramm zu lenken.
    Bei diesem Tatort sind wir unerwartet hängengeblieben (nach: „lass uns nur kurz die ersten Minuten schauen..").
    Äußerst spannend gemacht ist "Wo ist Mike". Mehrere Geschichten um Alleinsein, Einsamkeit und Wunsch nach Zuneigung und Nähe (Mike, Titus, Titus eingebildete Freundin, Komissarin und ihr Freund) und der Unfähigkeit dazu (Eltern von Mike, Mutter von Titus), überzeugend geschauspielert und wirklich berührend und auch tragisch. Die psychopatische Bindung der Mutter zu Titus aus offenbar leider krankhafter Furcht vor dem Alleinesein und Titus Reaktion darauf sind überzeugend gespielt. Erleichternd im Film sind Szenen mit der überzeichnet dargestellten Psychatrie incl. humoristisch überzeichnetem Arzt. Durch die etwas skuril anmutende Szene, in der Titus sich in seiner verzweifelten Suche nach Mike in den Schrank eines Antiqitätengeschäfts flüchtet wird dem Zuschauer die traurige Absurdität seiner im Grunde sehr lieben Gedanken um den Jungen umso mehr deutlich.
    Ich könnte noch viele dieser positiven Dinge ergänzen, will aber hier nur kurz einen Kommentar abgeben.
    Toll dargestellt fand ich auch die beiden Komissarscharaktere – sie professionell-erfahren und sehr emotional, er intelligend und gut ausgebildet und mit hohem Einfühlungsvermögen.
    Irritierenderweise als erleichternd empfand ich den Messerstich von Titus in das Bein von Mikes Vater. Das war gut konstruiert! Ein letztlich erhellender Moment in diesem Film über emotionale Hoffnungen und Abgründe.
    Das Ende zeigt kein simples Happyend, sondern offene Handlungsfäden – Ist die erkennbar gewordene mit viel Hoffnung verbundene Liebe zwischen der Komissarin und ihrem Freund, dem Rolf Gawogger, langfristig vielleicht doch trotz der tragischen Geschehnisse noch zu retten? Schafft Titus durch die Psychatrie schließlich einen Weg aus der Falle mit seiner psychopatischen Mutter? Man kann es nur wünschen, denn eine Chance dazu ist immer da.
    Spannend gemacht auch: Der Tod von Mike ist kein brutaler, schlagzeilengeeigneter Mord, sondern ganz still geschehen. Mike wird tot, einfach nur sitzend im Schrank, gefunden! Ganz lieb sitzt er da im Grunde. Was die Tragik der Situation nur umso schlimmer macht. Titus, der dazu beigetragen hat, wollte Mike nur helfen.
    Die Brutalität der Handlung liegt bei diesem Tatort gar nicht bei einem Mord sondern in den deprimierenden, gravierenden, verstörenden und tragischen Beziehungsstörungen von Mikes Eltern und Titus Mutter, hier werden zwei Kinder hineingezogen, ein Lehrer und sogar die Komissarin. Auch das eine super Idee, wie ich finde.
    Den Namen des Drehbuchautors (Thomas Wendrich – offenbar ja Tatortpremiere), und des Regisseurs (Andreas Kleinert) werde ich mir merken! Wenn noch mehr von denen kommt, werde ich wieder reinschauen.
    „Wo ist Mike“ hat mich als toll gemachter Tatort ähnlich beeindruckt wie „Murot und das Murmeltier“ mit Ulrich Tukur und „Der wüste Gobi“ mit Jürgen Vogel. Es gibt also auch für mich sehenswerte Tatorts �� (zumal ich auch die Münster-Tatorte gerne mitnehme)
    Und jetzt hab ich sogar einmal eine kleine Tatortkritik geschrieben. ��

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  29. Ich war von diesem Tatort fasziniert. Immer wieder wurde die eigene Wahrnehmung verunsichert, manche Abgründe konnte man nur erahnen. Was für ein gelungenes Schauspiel. Mein tiefer Respekt allen Protagonisten.

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  30. Dieser Tatort war grottenschlecht!!! Hat uns überhaupt nicht gefallen! Die ganze Handlung war gekünstelt und unglaubwürdig! Wir hatten uns so sehr auf den Sonntags-Tatort gefreut und waren bitter enttäuscht! Nur nicht mehr diesen Drehbuchautor! Bitte!!!!! Lieber Thiel und Börne, Tatort aus Ludwigsburg oder die Münchner Kollegen!!! Aber bitte nicht mehr so einen Schrott!!! Danke

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  31. Ein Tatort aus der Reihe der Besten!!! Besonders beeindruckend die Schauspieler Simon Frűhwirth, Dagmar Manzel, Sylvester Groth, Fabian Hinrichs. Mitunter verwirrend, aber dabei durchweg spannend! Hat uns beiden sehr gut gefallen!!! Danke an alle Beteiligten!

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  32. Hab 21 Uhr umgeschaltet... War zu spät.. Abstruse Story und Langeweile pur.. Das Drehbuch und die Story.. Da wünscht man sich fast das Corona die Dreharbeiten hätte komplett stoppen können..

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  33. Moin liebe Wiewardertatortler, Thomas Wendrich hat schon zwei Tatorte geschrieben, 5 min Himmel und Borowski und das dunkle Netz
    Danke für die tollen Kritiken
    Liebe Grüße aus dem hohen Norden! Henk

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