Luna frisst oder stirbt

Folge: 1176 | 31. Oktober 2021 | Sender: HR | Regie: Katharina Bischof
Bild: HR/Bettina Müller
So war der Tatort:

Literarisch.

Denn im 13. Tatort mit den Frankfurter Hauptkommissaren Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) dreht sich alles um das Erstlingswerk einer Autorin, dem der Krimi zugleich seinen Titel verdankt: Der Debütroman Luna frisst oder stirbt erzählt aus dem Leben einer jungen Frau, die aus schwierigen sozialen Verhältnissen stammt – und er weist verdächtig viele Parallelen zum Leben seiner Schöpferin auf, die nach einer Lesung tot unter einer Brücke gefunden wird.

Mord oder Selbstmord?

Diese Frage wird im Tatort oft nur pro forma gestellt, und so ist es auch hier: Dass Luise Nathan (Jana McKinnon, Die Pfalz von oben), aus deren Vor- und Nachname sich auch der Name ihrer Romanfigur Luna zusammensetzt, nicht freiwillig in den Tod gesprungen ist, klärt sich schon nach einer Viertelstunde. Die Drehbuchautorinnen Johanna Thalmann und Katharina Bischof, die auch Regie führt, haben damit einen Whodunit konzipiert, wie er klassischer kaum ausfallen könnte: Es gibt eine Leiche zum Auftakt, ein halbes Dutzend tatverdächtiger Personen und eine Auflösung in den Schlussminuten.

Dass wir es – zumindest in dieser Hinsicht – mit einem sehr konventionellen Tatort zu tun haben, macht ihn aber noch lange nicht zu einem der packenden Sorte: Vor allem in der ersten Filmhälfte reiht sich Dialog an Dialog und Befragung an Befragung. Aussage A führt zu Person B, Aussage C zu Tatmotiv D – das wirkt über weite Strecken ziemlich uninspiriert. Bis alle potenziellen Täterinnen und Täter besucht wurden, vergeht eine zähe Dreiviertelstunde. Dass Janneke und Brix im Präsidium und Dienstwagen immer wieder ausgiebig im Roman blättern, macht die Sache nicht aufregender – und sorgt zwischenzeitlich auch bei ihrem gewohnt engagierten Assistenten Jonas (Isaak Dentler) für Verwunderung.


JONAS:
Hab ich die Einladung zum Lesekreis nicht bekommen?

JANNEKE:
Wir haben nur zwei Exemplare.


Luna frisst oder stirbt leidet mit Blick auf die flache Spannungskurve von Beginn an an einem Dilemma: Ein Tatort, bei dem man zwei Kommissaren beim Lesen zuschaut, ist eben auch nur so aufregend, wie zwei Kommissaren beim Lesen zuzuschauen. Daran ändern die düster vertonten Visualisierungen der Romanhandlung, die im Film in bester Basic-Instinct-Manier mit den Ermittlungen im Hier und Jetzt verschmelzen, unterm Strich wenig.

Dass die mit stimmungsvollen Klängen des HR-Sinfonieorchesters unterlegten Bilder und die stylish inszenierten Parallelmontagen dramaturgisch überhaupt funktionieren, liegt wiederum daran, dass sich Janneke und Brix mit dem Lesen sehr viel Zeit lassen: Würden die Kommissare den Roman einfach an einem Abend durchlesen, wären die Ermittlungen deutlich schneller vorangekommen.

So bleibt genug Zeit, auch Brix' Mitbewohnerin Fanny (Zazie de Paris), die im Vorgänger Wer zögert, ist tot mit deutlich mehr Kamerazeit gesegnet war, in den Plot zu quetschen: Fanny ist rein zufällig in einem Sozialcafé aktiv, in dem auch Friederike Nathan (Nicole Marischka, Familien), die Mutter des Opfers, und Nellie Kunze (Lena Urzendowsky, Leonessa), die beste Freundin der Verstorbenen, ein- und ausgehen. Nellie ist zugleich die spannendste Figur dieses Krimis – und spätestens nach einem gelungenen Twist im Mittelteil kristallisiert sich heraus, dass der Weg zur richtigen Auflösung nur über sie führt.

Als die Geschichte durch die überraschende Wendung neu ausgerichtet wird, hat die 1176. Tatort-Folge eindeutig ihre stärksten Momente und gewinnt an Fahrt, so dass die doppelbödige zweite Filmhälfte ein Stück weit für die Längen auf dem Weg dorthin entschädigt. Wirklich mitzureißen vermag der Krimi aber nur selten. Manches bleibt rätselhaft, und das nicht nur, weil Realität und Fiktion vermischen. Immerhin: Ein offenes Ende, wie es für die Frankfurter Folgen der jüngeren Vergangenheit typisch war, bleibt den Tatort-Puristen erspart – was auch daran liegt, dass der meist dafür verantwortliche Staatsanwalt Bachmann (Werner Wölbern) diesmal durch Abwesenheit glänzt.

Clemens Schick (Gebrochene Herzen) und Thomas Prenn (Kein Mitleid, keine Gnade) wiederum bekommen in ihren Episodenrollen als Verleger Roland Häbler und Lektor Marvin Gess nur wenig Raum zur Entfaltung, was zu verschmerzen ist – ein kleines Ärgernis ist aber die Besetzung der (zweifellos stark aufspielenden) Tinka Fürst, die Nellies dünnhäutige Mutter Jessie Kunze mimt und zuletzt dreimal hintereinander als SpuSi-Mitarbeiterin Natalie Förster im Kölner Tatort zu sehen war. Gibt es denn wirklich keine anderen Schauspielerinnen, die für solche Rollen infrage kommen?

So bleibt außer der fordernden zweiten Filmhälfte und dem Twist im Mittelteil wenig hängen, was einen Tag später nicht wieder vergessen wäre – und der Frankfurter Tatort hat sich nach dem enttäuschenden Hannelore-Elsner-Abschiedsfall Die Guten und die Bösen, dem durchwachsenen Spionagethriller Funkstille und dem missglückten Entführungskrimi Wer zögert, ist tot im Jahr 2021 langsam aber sicher zu einem Sorgenkind der Krimireihe entwickelt.

Bewertung: 5/10


📝 So war der Vorgänger: Kritik zum Mainzer Tatort "Blind Date"

17 Kommentare:

  1. Dreck wie die letzten tatorte auch. Es gibt in deutschland wohl niemand mehr welcher einen vernünftigen krimi hin bringt.

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    1. 100 % Zustimmung. LIeber uralte Tatorte wiederholen.

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    2. es sind nicht mal die schauspieler... die buchautoren sind schrecklich. ich hatte das gefuehl den schauspielern ist das selber peinlich

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  2. KATASTROPHE-- die Tatort Sendungen werden immer BLÖDER, da gibts nur eins
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    1. 100 % Zustimmung. Meine Frau ging um 21 h ins Bett. Das tue ich mir nicht an.

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  3. War wirklich ein guter tatort heute
    Ab und zu etwas verwirrend wegen der ganzen Geschichten in dem Buch...die...wenn ich es richtig verstanden habe...um die luise...nellie und ihre Mutter ging

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  4. Auch dieser Tatort will wieder anspruchsvoll sein, ist aber nur langatmig. Lieber ein "normaler" Tatort, dafür spannend.

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  5. Mal unabhaengig von diesem Tatort: Ich finde die Terminierung echt eigenartig. Warum wurde denn im ersten Halbjahr 2021 kein einziger Frankfurter Tatort gezeigt, um dann zwei innerhalb weniger Wochen zu zeigen? Dasselbe gilt zum Beispiel auch fuer den Tatort aus Stuttgart: Ich warte ewig lange und bekomme dann beide innerhalb weniger Wochen - das ist doch schade!
    Mit Ludwigshafen etwa war es umgekehrt.
    Wie kommt es zu diesen komischen Terminierungen?

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  6. Ein Tatort von Frauen mit Frauen, für Frauen!
    Ehrlich totaler Blödsinn! Irre Geschichte, weit weg jeglicher Realität. Früher wäre das „Der besondere Film“ gewesen. Den hat auch kaum wer verstanden....
    Man sollte wieder mehr den maskulinen Gesellschaftsbestandteilen die Regie überlassen.
    Da gucken wieder paar mehr...

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    1. Echt traurig, dass man 2021 noch so etwas lesen muss. Und anstatt dass die Leute diesem Unsinn widersprechen, wird dem auch noch zugestimmt. :(
      Das sage ich als Mann: Ob der Tatort euch gefällt oder nicht, hat nichts mit dem Geschlecht der Macher und Macherinnen zu tun.

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  7. Dieser Tatort war meiner Meinung nach sehr ordentlich – die Wertung (knappe 5/10) von Herrn Daniels halte ich für etwas hart, obwohl ich dem geschriebenen Wort in seiner Kritik prinzipiell zustimme.
    Ja, die erste Filmhälfte ist ziemlich zäh. Ja, das Leseverhalten der Kommissare ist eigenartigerweise eher dem Plot als der Logik zuträglich.
    In der zweiten Hälfte zeigen die Autorinnen jedoch, dass auch sie es schaffen, ihre Zuschauerinnen und Zuschauer mit einem faszinierenden Twist zu fordern. Sie gehen der interessanten Frage auf den Grund, was in dem Roman der Realität entspricht und was nicht, und welche Geschichte jetzt welcher Figur zuzuordnen ist. Erst sobald diese Frage vollständig geklärt ist, ist der Fall geknackt – und anders als viele andere Whodunnits im Tatort ist dieser Fall auch für den Zuschauer echt eine harte Nuss.
    Dieser Krimi lädt also zum Miträtseln ein und bringt den Zuschauer Schritt für Schritt der Wahrheit über die Ereignisse näher. Vorhersehbar gestaltet sich dieser Tatort damit nicht.
    Positiv anzumerken ist, dass die Zeilen aus dem Buch erstaunlich authentisch wirken: Es sei mal dahingestellt, ob das von den Autorinnen so beabsichtigt war oder nicht – Sprache und Stil könnten durchaus einer 19-Jährigen zuzuschreiben sein.
    Neben der schwächelnden ersten Filmhälfte und seinen Logiklöchern weist der Film jedoch auch noch weitere Schwächen auf: Dieser Tatort hätte das Potenzial zum Sozialdrama gehabt, aber so richtig tiefen Einblick in das Leben der sozial schwächeren Familie, in der die Mutter sich oft nicht im Griff hat, erhält man leider nicht. Auch wirkt die Freundschaft zwischen Nellie und Luise irgendwie behauptet, weil die Mädchen nicht oft miteinander zu sehen sind – wie die Chemie zwischen den beiden wirklich war, bleibt ihr Geheimnis. Last but not least kommt zu keinem Zeitpunkt Spannung auf: Die Faszination für diesen Film liegt in anderen Qualitäten begründet.
    Was Ton, Musik, Bild, Schauspiel usw. betrifft, kann ich an dem Film nichts aussetzen. Die Besetzung fand ich passend. Dass Tinka Fürst in einer anderen Tatort-Stadt eine kleine Nebenrolle besetzt, ist meiner Ansicht zu verkraften. Sie macht ihre Sache wirklich sehr gut. (Deutlich stärker ins Gewicht fiel eine derartige Fehlbesetzung zum Beispiel im Münchner Tatort “Außer Gefecht”, in dem Jörg Schüttauf, damals Frankfuter Kommissar, den Bösewicht mimte.)
    Bleiben mir noch einige Worte über das Team: Wenn auch Fannys Auftreten in diesem Tatort mehr als nur konstruiert wirkt, ist diese Figur immer wieder köstlich. Janneke und Brix geben weiterhin ein klasse Team ab, in dem Jonas’ Rolle in der zweiten Geige zum running Gag geworden ist. Gerade Janneke wirkt bisweilen etwas skurril, etwa als sie Fotos vom Inneren des Kühlschrankes schießt. Genau das ist meiner Meinung nach ihre größte Qualität.
    Unterm Strich kann man diesen Film wahrlich nicht als großes Meisterwerk bezeichnen. Aber die zweite Hälfte ist originell und angenehm fordernd (wobei man sagen muss, dass man in beiderlei Hinsicht vom Hessischen Rundfunk etwas mehr gewohnt ist). Somit vergebe ich – aller Schwächen zum Trotz – ordentliche 6/10 Punkte.

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  8. Der Tatort war spannungslos und langweilig, schlechtester Film seit langen.

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  9. 10 min geschaut...... dann auf prosieben umgeschaltet

    2 gute Tatorte innerhalb weniger Wochen wäre ja auch zu viel verlangt, was denke ich mir nur

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  10. Mir reichten schon zwei Minuten, um zu entscheiden, da will sich einer verwirklichen. Sofort umgeschaltet auf Pro7!!!

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  11. Hurra! Endlich den schlechtesten Tatort der letzten Jahre gefunden! Glaube kaum, dass man den noch übertreffen kann! Ausser es kommt mal wieder so eine Laienbühne zum Zug!

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  12. ich fand diesen tatort superkreativ und original: geschmackssache!

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