Die Kalten und die Toten

Folge: 1178 | 14. November 2021 | Sender: RBB | Regie: Torsten C. Fischer
Bild: rbb/ARD Degeto/Aki Pfeiffer

So war der Tatort:

Aggressionsfördernd.

Denn in Die Kalten und die Toten gibt es gleich ein halbes Dutzend Charaktere, die man aufgrund ihres Verhaltens am liebsten mal laut anschreien oder kräftig durchschütteln würde: Eine überforderte Mutter, die sich von ihrem verzogenen Sohn herumkommandieren lässt. Ihr prolliger Gatte, der sie betrügt und öffentlich vorführt. Ihr manipulativer Sohn, der sie wie seine Dienerin behandelt. Dessen Freundin, die all das teilnahmslos geschehen lässt. Deren Mutter, die sich ohne Murren um das Kind ihres gleichgültigen Kindes kümmert. Und schließlich ein Ehepaar, das die bittere Wahrheit lieber verdrängt, statt sich der Trauer um die verstorbene Tochter zu stellen. Puh.

Die Antipathie auf all diese Menschen ist nicht von Beginn an da. Sie wächst Stück für Stück, denn der Hauptstadt-Krimi beginnt mit einem typischen Auftaktmord, der in seiner Entstehung nur angedeutet wird: Dennis Ziegler (Vito Sack) und Julia Hoff (Milena Kaltenbach) – der verzogene Sohn und seine simpel gestrickte Freundin – haben sich per Dating-App die bisexuelle Medizinstudentin Sophia Bader (Laura Sophie Warachewicz) für einen flotten Dreier in die Wohnung bestellt. Am nächsten Morgen ist das Zimmer voller Blut und Dennis' Mutter Doris Ziegler (Jule Böwe) wischt es bereitwillig auf, um der Berliner Polizei, für die sie selbst arbeitet, keine Anhaltspunkte für Sophias Verschwinden zu liefern.

Es ist das erste, aber bei weitem nicht das letzte Mal, dass Ziegler genau das tut, was ihr verwöhnter Sprössling ihr befiehlt – und es ist das erste, aber bei weitem nicht das letzte Mal, dass wir uns über diese groteske Hörigkeit nur wundern können. Was ist nur los mit dieser Frau? Und was erlaubt sich ihr Sohn?

Schnell kristallisiert sich heraus, dass Doris Ziegler die Schlüsselfigur dieses Films ist, was auch daran liegt, dass Drehbuchautor Markus Busch (Inferno) die Täterfrage nicht stellt: Die Kalten und die Toten ist kein Whodunit, sondern eine Kombination aus hitzigem Psychogramm und klassischem Howcatchem, an dem sich die Hauptkommissare Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) lange die Zähne ausbeißen. 

Nebenbei haben die beiden aber auch mit den Nachwehen ihres Quickies in Die dritte Haut, über den wir uns mit Meret Becker im Tatort-Interview unterhalten haben, zu kämpfen – zumindest, wenn Karow mit seiner Einschätzung richtig liegt.


KAROW:
Ich hab da so'n intimes Souvenir. Matrosen am Mast. Hab' ich die von Ihnen?

RUBIN:
Komm' da bloß ich infrage?


Wenn ein Film etwas beim Betrachter auslöst, ist das ja eigentlich ein gutes Zeichen – doch so sehr die Figuren der 1178. Tatort-Folge und die allgegenwärtige menschliche Kälte Aggressionen schüren, so selten reißt die Geschichte wirklich mit. Liegt der Schwerpunkt im klassischen Kriminalfilm meist auf den Ermittlern oder auf dem Täter, liegt er hier auf dessen Mutter und allgemein auf der kaputten Familie Ziegler – ein durchaus innovativer Ansatz und eine starke schauspielerische Leistung von Jule Böwe (die wir noch aus dem drei Wochen zuvor ausgestrahlten Berlinger-Tatort Blind Date kennen), aber mit Blick auf die Spannungskurve geht die Rechnung selten auf.

Unter Regie von Torsten C. Fischer (Der Tod der Anderen) werden in anstrengender Tonalität und derben Dialogen (zu) viele Schauplätze beackert: Mal begleiten wir Doris Ziegler in den Swingerclub oder ihren umtriebigen Mann Claus (Andreas Döhler, Gefangen) zum Tauchgang. Dann sind wir mehrfach Zeuge, wie Marianne (Andreja Schneider, Wahre Liebe) und Helmut Bader (Rainer Reiners, Parasomnia) den Tod ihrer nackt und entstellt aus dem Engelbecken gefischten Tochter hartnäckig verdrängen – oder wie sich Julia und Dennis nach dessen Entlassung aus der U-Haft in der Wohnung von Julias Mutter Katrin Hoff (Florentine Schara, Der scheidende Schupo) ins Schlafzimmer verabschieden. Von manchem zu viel, von manchem zu wenig – über die tumbe Julia beispielsweise erfahren wir so gut wie nichts.

Karow und Rubin haben viel mit sich selbst zu tun und bekommen von den zwischenmenschlichen Abgründen häufig nichts mit, während der Zuschauer ihnen ein oder zwei Schritte voraus ist – und würden die zwei als Duo nicht so toll harmonieren und aufgrund ihrer Hilflosigkeit bis an die Schmerzgrenze gehen, wäre der vorletzte Rubin-Tatort vielleicht eine herbe Enttäuschung geworden. So ist er es unterm Strich zwar nicht, doch als Psychogramm und Familiendrama funktioniert der Film deutlich besser als als Krimi. 

Auch das Debüt des neuen, im Rollstuhl sitzenden Assistenten Malik Aslan (Tan Caglar), der in Die Kalten und die Toten die Nachfolge von Anna Feil (Carolyn Genzkow) antritt, darf als gelungen bezeichnet werden: Aslan ist nicht auf den Mund gefallen, kann sehr gut über sich selber lachen und ist darüber hinaus auch ein sehr passabler Karaokesänger.

Bewertung: 5/10



📝 So war der Vorgänger: Kritik zum Münchner Tatort "Dreams"

20 Kommentare:

  1. Habe heute seit langer Zeit mal wieder Tatort geschaut und war sehr positiv überrascht. 👍

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  2. Das war mein letzter Tatort....
    Furchtbar. Wie kann man solch einen Film drehen. Da "dreht" man förmlich durch...

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    1. Genau meine Meinung, wenn das Hauptstadniveau ist, wundert mich nichts mehr!!!

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    2. Das schlimme an diesem Tatort ist, es gibt eine wahre Geschichte als Grundlage.

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  3. Spitzenmäßig!!!!!
    Endlich mal wieder ein richtig guter Tatort !!!

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  4. Ich weiß nicht was das Niveau im ersten Programm soll! Alleine die assozialen Dialoge sind unter aller Kanone. Wirklich widerlich der komplette Tatort

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    1. Warum tun sich die Zuschauer so einen seelischen Müll an? So einen Tatort der Anhäufung von menschlichem Dreck habe ich noch nie gesehen. Die letzte Viertelstunde habe ich mir erspart, meine Gefühlswelt von den Machern dieser ARD-Unterhaltung peinigen zu lassen. Geilheit und Perversion soll Quoten bringen. Und dieses melodramatische Getue aller Schauspieler ... unerträglich!

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    2. Das ist eine wahre Geschichte!!!

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  5. Ein klar definierter Fall. Schlimm genug dass diese Thematik Realität ist. Eine sozial degenerierte Digitalgesellschaft, die ihr Heil im anonymen Sexleben sucht und natürlich auf, wie im Fall gezeigt, kranke Subjekte trifft.
    Es war die verzweifelte Aktion zweier Kriminalisten zu sehen, die sich in einer überspannt liberalen Gesellschaft auf dünnem Eis bewegen um der Gerechtigkeit zum Recht zu verhelfen.
    Der ausgeübte Druck auf die Mutter des Täters hat letztendlich zur Lösung des Falles geführt.
    Ich hätte es lieber gesehen dass der Fall klar von der Kommissarin und ihres Kollegen gelöst worden wäre. Denn, wie im Fall gezeigt, war mir die Einsicht der Tätermutter eher dem Zeitgeist gegeläufig und nicht glaubwürdig.
    Dieser Tatort war seit Wochen meiner Meinung nach sehr unterhaltsam, realistisch und durch die guten Leistungen der Darsteller sehenswert!

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  6. Richtig guter Tatort... Psychisch perfekt... Sehr gute darsteller... Man hat mit allen mitgefühlt... Klasse Kommissare... Diese trockene Art und Weise gefällt mir richtig gut...War für mich nicht eine Minute langweilig

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  7. Sehr guter, spannender Tatort mit psychologischem Tiefgang. Das Ermittlerteam spielt so gut wie noch nie und auch die anderen schauspielerischen Leistungen sind sehr gut. Das war ein toller Tatortabend. Danke.

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  8. Ein sehr ordinärer Tatort mehr Handlung und Kriminalität und gute Polizeiarbeit zur Aufklärung eines Mordes anstatt wer mit fickt

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  9. Schade, meiner Meinung nach war der vorletzte Fall mit Nina Rubin die mit Abstand schwächste der sonst so überzeugenden Berliner Tatort-Folgen. Miträtseln ist hier nicht gefordert, da schon sehr früh offensichtlich ist, was sich zugetragen hat. Spannung sucht man ebenso vergeblich: Erwartet man Verfolgungsjagden, Schusswaffen, Bösewichte oder angespannte Verhöre, wird man bitter enttäuscht.
    Nun muss ein guter Tatort das alles nicht zwingend bieten, etwa wenn es ergreifende Familiendramen erzählt oder starke Identifikationsfiguren schafft. Doch hier entwickeln sich die Charaktere kaum im Laufe des Films – Doris Ziegler ausgenommen. Ihr Verhältnis zum Sohn und die Motive für ihr Handeln sind das einzig Interessante in einem Tatort, der trotzdem vor allem eines ist: L-A-N-G-A-T-M-I-G.
    Zudem wirken viele Dialoge und Handlungsschlenker irgendwie gekünstelt: Musste der Vater des Opfers wirklich Suizid begehen, um bei den Zuschauern ja schön auf die Tränendrüse zu drücken? Was war das mit dem Abfackeln des Tauchzentrums? Klar, es gibt ein eindeutiges Motiv, aber wir wissen zu wenig über den Täter als dass wir uns in ihn einfühlen könnten.
    Allgemein bietet der Tatort nichts wirklich Neues: Vergewaltigung, Abhängigkeiten, Affären, Eltern, die den Tod ihres Kindes nicht wahrhaben wollen. Hat man alles schon gesehen.
    Nicht mal die sonst so facettenreichen Kommissare haben mich überzeugt. Wirklich, musste man bei Nina Rubin wirklich auf ein so ausgelutschtes Thema zurückgreifen wie den schweren Polizistenalltag, in dem man mit vielen Tragödien etc. klarkommen muss? Sie weint und Meret Becker macht ihre Sache gut, keine Frage: Und doch hatte ich das Gefühl, so etwas schon 100 Mal gesehen zu haben. Reizvoller wäre es für mich gewesen, die Filmemacher hätten sich stärker auf das Verhältnis zwischen ihr und Karow konzentriert – oder sich etwas wirklich Originelles ausgedacht.
    Immerhin: Der neue Assistent Malik Aslan hat Potenzial!
    Unterm Strich ziehen sich die 90 Minuten, da Identifikationsfiguren fehlen, Spannungsmomente in keinem Moment aufkommen, das Privatleben der Kommissare langweilig und unoriginell ausgefallen ist und viele Aspekte zu gewollt wirken. Leider bleiben da für mich nur 3/10 Punkte, die allein der überzeugenden Darstellung von Doris Ziegler zu verdanken sind. Hoffentlich wird der großartigen Meret Becker 2022 ein besserer, ihrer facettenreichen Figur würdiger, Abschied zuteil werden.

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  10. Was für ein Werk der ARD-TATORTMACHER! Kurz vor Ende einer noch nie gesehenen Anhäufung menschlicher Abgründe musste ich abschalten, um mir die Verarbeitung dieses seelischen Mülls zu ersparen.
    Geilheit und Perversion soll offensichtlich Quoten bringen. Unerträglich, was einem da präsentiert wird. Ich bin froh, dass es ähnliche Kritiker gibt, die diesen Mist klar durchschauen!

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  11. Einfach widerlich....nur Gestörte in Berlin

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  12. So eine gequirlte Scheiße.

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    1. das bringt es auf den Punkt! Ich frage mich was sind das für Leute die das noch gut finden!

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  13. ...endlich mal wieder ein sehenswerter Tatort!

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  14. Ausdrucksweise ordinär. Das Berlin, dass hier gezeichnet wird,ist wirklich abstoßend. Passt zum Ermittler Team.

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  15. Der Ansatz der Geschichte war interessant und spannend, aber weniger wäre hier wahrscheinlich mehr gewesen. Das Ermittler-Duo ist nur noch ekelig... wer will schon wissen, was in deren Unterhosen herumkreucht und fleucht??? Das ist wirklich widerlich! Meret Becker geht und das ist wirklich gut so! Dass sie ihre Rolle mit viel Geschlechtsverkehr angelegt hat (siehe Interview) war die falsche Entscheidung! Das passt überhaupt nicht und wirkt total unglaubwürdig. Und Mark Waschke könnte mal langsam anfangen, zu ermitteln statt jedem Rock und jeder Hose hinterherzusteigen und anschließend mit seinen Geschlechtskrankheiten zu prahlen! Dieses Tatortteam braucht echt niemand!

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