Borowski und der Schatten des Mondes

Folge: 1197 | 10. April 2022 | Sender: NDR | Regie: Nicolai Rohde
Bild: NDR/Christine Schroeder
So war der Tatort:

Beinahe in Vergessenheit geraten.

Gedreht wurde Borowski und der Schatten des Mondes nämlich schon im November 2019 (!) – eine so lange Wartezeit zwischen Drehstart und TV-Premiere sucht in der Krimireihe bis heute ihresgleichen. Die zweieinhalb Jahre zwischen der ersten Klappe und dem Ersten Deutschen Fernsehen waren zudem eine ganz besondere Zeit: Der 1198. Tatort ist die zuletzt ausgestrahlte Folge, die noch vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie gedreht wurde.

Einen noch längeren Zeitraum überbrücken die Drehbuchautoren im Film: Torsten Wenzel und Patrick Brunken (Was wir erben) blicken zurück ins Jahr 1970 und erzählen von der ersten Freundin des jungen Kieler Hauptkommissars Klaus Borowski, den nicht irgendein Nachwuchsschauspieler, sondern der Sohn des Hauptdarstellers spielt. Axel Milbergs Sohn August mimt den trampenden Teenager-Borowski, der auf der Fahrt zum Love-and-Peace-Festival auf Fehmarn mitansehen muss, wie seine Freundin Susanne Hansen (Mina Rueffer) nach einem Streit in den VW-Bus eines Fremden steigt und anschließend spurlos verschwindet.

Der historische Brückenschlag gelingt den Filmemachern hervorragend: Nach dem Fund von Susannes 50 Jahre alter Leiche unter einer entwurzelten Eiche sorgen das 70er-Jahre-Flair und die Originalaufnahmen von Jimi Hendrix' letztem Festivalauftritt, an den auf der Ostseeinsel ein Gedenkstein erinnert, unter Regie von Nicolai Rohde für nostalgische Momente. Borowskis Spurensuche in der Vergangenheit melangieren sie elegant mit Bildern im Hier und Jetzt, doch Innovationspreise gewinnen die Autoren damit keine: Einmal mehr ist ein Tatort-Ermittler persönlich in seinen Fall verwickelt – das hat es nicht nur in den Wochen vor der TV-Premiere im April 2022 schon unzählige Male gegeben (vgl. Das Herz der Schlange oder Propheteus).

Auch zum Miträtseln funktioniert der historische Whodunit nur bedingt: Der inhaftierte Frauenmörder Karl-Heinz Schumacher (Bernd Tauber, Scherbenhaufen) ist einfach viel zu verdächtig, als dass das genreerprobte Publikum ihn als Täter ernsthaft in Betracht ziehen würde – er gibt bei der Begegnung mit Borowski und Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik), die bei ihrem siebten Einsatz an der Förde oft nur die zweite Geige spielt, aber einen charismatischen Sparringspartner.


BOROWSKI:
Wo waren Sie am Abend des 5. September 1970?

SCHUMACHER:
Keine Ahnung? Wissen Sie denn noch, wo Sie da waren?


Borowski und der Schatten des Mondes ist ein atmosphärisch dichter und mitreißender Krimi – und sein Unterhaltungswert den kleinen Drehbuchmakeln zum Trotz sehr hoch. Wie 2012, als der Badewannentod von Uwe Barschel im hervorragenden Kieler Tatort Borowski und der freie Fall neu aufgerollt und mit dem fiktiven Stoff der Gegenwart verwoben wurde, ist der Blick in die Vergangenheit dabei der spannendste: Was ist wirklich in der Tatnacht geschehen? Was hat Borowski richtig im Gedächtnis – und wo blendet ihn seine schmerzhafte Erinnerung?

Das reizvolle Zusammensetzen der Puzzleteile gliedert sich grob in drei Teile: Geht es im vielversprechenden Auftaktdrittel vor allem um die Rekonstruktion des Mordes in den 70ern, verläuft der Mittelteil in routinierteren Bahnen – mündet dann aber in ein grandioses Finale, das nach der Auflösung der Täterfrage zum Packendsten zählt, was die Krimireihe in der jüngeren Vergangenheit zu bieten hatte. Der Ausflug ins Jägermilieu, bei dem wir unter anderem dem Ausweiden von erlegtem Wild beiwohnen, bringt zudem willkommene Abwechslung – und liefert das entscheidende Indiz auf den/die Täter/in, deren/dessen Identität zu diesem Zeitpunkt keine Überraschung mehr ist.

Dass sich die Ermittlungen auf den (mit spießigem Rentneroutfit und Dackel etwas überzeichneten) Kirchenchorsänger Michael Mertins (Stefan Kurt, Ein paar Worte nach Mitternacht), seinen umtriebigen Vater und seine ahnungslose Gattin Antje (Lena Stolze, Totenstille) konzentrieren, tut der steilen Spannungskurve aber keinen Abbruch: Am Ende geht es weniger um das Überführen, sondern um das Verhindern weiterer Morde. Wie der Film beginnt, so endet er im Wald – und wir erleben den Kommissar in einem emotionalen Ausnahmezustand, wie es ihn allenfalls bei der Entführung seiner geliebten Frieda Jung (Maren Eggert) im grandiosen Thriller Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes zu beobachten gab.

Das Psychogramm des Täters/der Täterin gerät unterm Strich allerdings etwas dünn, denn so viel Kamerazeit die Filmemacher hier auch zugestehen: Der innere Antrieb der Figur erschöpft sich in Andeutungen. Borowski und der Schatten des Mondes ist dennoch ein erstklassiger Krimi – das lange Warten auf seine Premiere hat sich gelohnt.

14 Kommentare:

  1. Mal wieder ein richtig guter Tatort...war zwar eine persönliche Geschichte von Borowski...allerdings unterscheidet sie sich von den anderen Geschichten der Ermittler...wenn es zu persönlich wird im Tatort...schön geradlinig ohne zu viel geschwurbel

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  2. Grottenschlecht !
    Borowski - nicht zu glauben.
    Wenn Polizei so handeln würden könnten die Kriminellen sich freuen.

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  3. Da gibt's heut wirklich nichts zu meckern. Von mir 10 von 10. Bravo Borowski������

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  4. jedes Mal die gleiche Geschichte. Gegeneinander arbeiten statt zusammenarbeiten.

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  5. Mindhunter, ganz prezise (s. das Buch von John Douglas über Serienmörder). 8 Punkte verdient. Die persönliche Betroffenheit Borowskis ist zwar realitätsfern, aber für Sonntag Abend braucht man auch sowas für eine spannende Geschichte.

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  6. Ein langweiliger und langwieriger Tatort. Schade, ich hatte mich immer auf Borowski gefreut.Aber da das Motiv des Täters und seine Motivation im Dunkeln bleiben, verliert der Krimi sich in einer düsteren Stimmung und unnötigen Drohnenshirts, die im krassen Gegensatz zur Retroperspektive stehen und sich einfach nicht einfügen. 3/10 höchstens!!

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  7. Rundherum gelungen und sehr gute Unterhaltung! Auf Borowski ist Verlass! Ich gebe gerne 9 Punkte. Endlich wieder ein ordentlicher Tatort mit richtigen Krimielementen und nicht iwelchen Idioten vom Mars, die aussehen wie Men in black für Arme. Dass der Fall bereits 2019 gedreht wurde, lässt hoffentlich nicht darauf schließen, dass er lediglich gut war, weil er entstanden ist, bevor sich beim Tatort dazu entschlossen wurde, nur noch Mist zu drehen. Die Hoffnung stirbt zuletzt!

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  8. Ist Ihnen auch aufgefallen, dass der Film heute bereits vor 20:15 in voller Länge in der Mediathek verfügbar war? Die ARD lässt sich jetzt vielleicht doch dazu herab, Folgen vorab im Internet verfügbar zu machen, vielleicht war das auch einfach Zufall – wer weiß.

    Nun zum Film: Ich kann mich dem vielen Lob ehrlich gesagt nicht anschließen.

    Zunächst wird die Leiche gefunden und überraschend schnell identifiziert. Natürlich – Überraschung! – die große Jugendliebe des Kommissars, der daraufhin folgenlos auf eigene Faust ermittelt und seine Kollegin, die man genauso gut aus diesem Tatort hätte streichen können, komplett vernachlässigt.

    Daraufhin wird es interessant: Es geht darum festzustellen, ob nun Borowski oder eine andere Zeugin sich falsch an den Moment erinnert, an dem Borowskis Freundin in den Wagen gestiegen ist. Mit überraschender Auflösung.

    Doch dann fällt der Tatort in ein Spannungsloch, aus dem er sich bis in die Schlussminuten nicht mehr befreit. Borowski hört nicht damit auf, umherzufahren und zu reden, während Sahin einfach mehr oder weniger aus dem Drehbuch verschwindet.

    Nach etwa einer Stunde wird die Auflösung, die sich doch von Anfang an mangels Verdächtiger fast schon aufgedrängt hatte (der Vergewaltiger kann es laut Tatort-Gesetzen natürlich nicht gewesen sein), endgültig bestätigt, der Tatort aber noch seltsam gekünstelt in die Länge gezogen: Denn warum der Mörder sich ausgerechnet jetzt an einer Prostituierten vergreift, die wir noch nicht einmal kennen, ist mir schleierhaft. Durch Borowskis Rettungsschuss verpufft die Spannung in der Szene, in der die Prostituierte in Lebensgefahr schwebt, auch sehr schnell.
    Positiv hervorzuheben ist jedoch das Ringen Borowskis mit sich selbst – in dieser finalen Rettungsaktion verliert er vollends die Nerven. Welches Nachspiel sein Verhalten wohl haben dürfte, wird aber offen gelassen und lässt zumindest mich etwas in der Luft hängen.

    Herausragend ist das Spiel von Axel Milberg, Lena Stolze und vor allem Stefan Kurt, dem beim Singen die Luft wegbleibt – beeindruckend gespielt.

    Zuletzt ist auch das angenehm originelle Tatmotiv positiv anzumerken, dessen Erläuterung jedoch nicht ausreichend Raum gegeben wird.

    Unterm Strich bleibt ein düsterer, etwas langweiliger Tatort mit guten Elementen, die jedoch nicht aus einem Guss wirken. Anders als etwa im tollen Kölner Tatort “Der Reiz des Bösen” gibt es nicht den einen finalen Überraschungsmoment – viel eher wird eine Frage nach der anderen abgehakt. Identität der Toten – ckeck! Zeugenaussagen – check! Mörder – check! Weiteren Tod einer random platzierten Prostituierten verhindern – check!

    Von mir gibt es daher nur etwas enttäuschende 4/10 Punkte – recht wenig für Kieler Verhältnisse. Fairerweise muss ich aber anmerken, dass bei mir aufgrund meines jungen Alters die Nostalgiepunkte nicht wirklich ziehen, wobei sie auch nur einen kleinen Teil des Films ausmachen.

    Auch aus Herrn Daniels’ Kritik kann ich angesichts der vielen angesprochenen Schwachpunkte eher 7 als 8 Punkte herauslesen – aber ganz wie Sie meinen.

    Was wünsche ich mir für die Zukunft aus Kiel? Ganz klar: Mehr Harmonie zwischen Borowski und Sahin! Kein “Borowski-Tatort” wie “Borowski und der Schatten des Mondes” oder “Sahin-Tatort” wie der wesentlich bessere “Borowski und die Angst der weißen Männer”, sondern ein “Borowski-und-Sahin-Tatort”, wie man ihn bisher leider noch nicht gesehen hat.

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  9. Dieser Tatort hat mir sehr gut gefallen und er war bis zum Schluss interessant und kurzweilig. Ich liebe Filme mir Rückblenden, weil man dadurch auch viele Situationen besser versteht. Ein rundum gelungener Tatort!

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  10. Sehr guter, spannender, psychologisch toll gemachter Tatort aus Kiel! 9 von 10 Punkten. Weiter so! Grosses Dankeschön an das tolle Kieler Team.

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  11. Ich gebe 10 Punkte... Georg, André, Basel

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  12. Borowski als Kommisar ist immer gut. Aber die Darstellung des "Jäger-Milieus" (Jagdkultur müsste es richtig heißen) ist absolut vorurteilsbehaftet. Und in vielen dargestellten Aspekten einfach falsch. In einer Zeit, in der immer mehr Frauen und Männer den Jagdschein machen, einfach peinlich. Man hätte die Jagdkultur hierzulande differenziert darstellen können. Schade um die vertan Chance.

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