Finsternis

Folge: 1198 | 18. April 2022 | Sender: HR | Regie: Petra Lüschow
Bild: HR/Degeto/Bettina Mueller
So war der Tatort:

Finster.

Denn schon die packenden Auftaktminuten lassen erahnen, dass der Filmtitel dieses starken Krimidramas bisweilen auch optisch Programm ist: Finsternis beginnt in der dichten Dunkelheit eines Waldstücks, in dem ein junges Pärchen offenbar Zeuge eines Mordes wird. Zu erkennen ist die Gewalttat zwar nicht, und doch wähnen wir uns in einem waschechten Horrorfilm: Schrille Schreie erklingen, Smartphone-Blitzlichter zucken, Schemenhaftes ist zu erahnen – und am nächsten Morgen ist die Leiche verschwunden.

Keine leichte Nuss, die die Frankfurter Hauptkommissare Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) sowie Assistent Jonas Hauck (Isaak Dentler) bei ihrem fünfzehnten Einsatz knacken müssen: Außer Blut ist auf dem Waldboden nichts geblieben, und doch ist die Verschwundene schnell ausgemacht. Beim mutmaßlichen Opfer handelt es sich um Maria Gombrecht (Victoria Trauttmansdorff, Borowski und der gute Mensch), die mit Anfang 50 noch einmal studieren möchte und mit ihrem Mann gerade ein Haus am Waldrand gekauft hat.

Ihr rätselhaftes Verschwinden ist für lange Zeit die Antriebsfeder im Drehbuch von Regisseurin Petra Lüschow, die auch den durchwachsenen Frankfurter Vor-Vorgänger Wer zögert, ist tot inszenierte – doch nach dem hochspannenden Start gestaltet sich das Ganze erst einmal ziemlich stotternd. Erinnerungen an zähe Folgen wie Die Guten und die Bösen oder Der Turm werden wach, denn auf Betriebstemperatur kommt der Krimi erst nach einer Stunde. Bis dahin punktet der Tatort eher als emotionales Familiendrama.

Humorvolle Momente bleiben da seltene Ausnahmen, doch es gibt sie – etwa dann, wenn Janneke und Brix sich bei Rechtsanwältin Dr. Hilde Vorschneider (Almut Zilcher, Dein Name sei Harbinger) als scheidungswilliges Ehepaar ausgeben.


JANNEKE:
Mein Mann und ich, wir trennen uns in vollem Einvernehmen.

BRIX:
Ja, du vielleicht. Du trennst dich in vollem Einvernehmen mit dir selbst.


Je länger der Film dauert, desto stärker beginnt uns aber zu dämmern, dass im Hause Gombrecht irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht – und das hier der Schlüssel zum mutmaßlichen Verbrechen liegen muss. Es gilt, genau hinzuschauen und zwischen den Zeilen zu lesen.

Da ist die Theaterregisseurin Judith Gombrecht (Julia Riedler), die Tochter der Verschwundenen, die sich hartnäckig weigert, an ein Verbrechen zu glauben. Da ist ihre schwangere Schwester Kristina (Odine Johne, Das perfekte Verbrechen) die sich benachteiligt fühlt und sich schon nach der ersten Filmbegegnung mit Judith überwirft. Und da ist der leukämiekranke Ehemann der Vermissten, Berufsschullehrer Ulrich Gombrecht (Uwe Preuss, spielte in Nemesis und Das Nest den Vater der Dresdner Tatort-Kommissarin Leonie Winkler), der einen Termin in der Onkologie heimlich sausen lässt. Was läuft hier?

Ist die Katze erst einmal aus dem Sack, nimmt Finsternis dramatisch an Fahrt auf – und gipfelt in einem überragenden Schlussdrittel, in dem vor allem der Episodenhauptdarsteller Uwe Preuss zu ganz großer Form aufläuft. Über die Tatsache, dass die ARD den Oster-Tatort 2022 sechs Tage vor der TV-Premiere eines neuen Rostocker Polizeirufs terminiert, in dem Preuss bekanntlich Hauptkommissar Henning Röder mimt, mag man sich aber einmal mehr nur wundern – hier wäre mehr Weitsicht bei der Programmplanung sehr wünschenswert gewesen.

Dem Tatort ist das allerdings nicht vorzuwerfen und am hohen Unterhaltungswert ändert die unglückliche Programmierung wenig: Gerade die auffallend nüchterne, zurückhaltende Inszenierung, die in der ersten Krimihälfte so auf die Spannung drückt, entpuppt sich als große Stärke des Films. Plötzlich wird klar, dass das Ganze Methode hat, um uns in trügerischer Sicherheit zu wiegen. Man hätte das alles schließlich von Beginn an viel reißerischer erzählen können, doch hätte die Geschichte dann nur halb so gut funktioniert. So wird uns in dem cleveren, vom HR-Sinfonieorchester gewohnt grandios begleiteten Verwirrspiel genüsslich der Boden unter den Füßen weggezogen.

In derart überzeugender Form hat man den Frankfurter Tatort (man denke an Folgen wie Funkstille oder Luna frisst oder stirbt) schon lange nicht mehr gesehen – und es bleibt sehr zu hoffen, dass der Krimi mit Janneke und Brix auf Dauer zu alter Stärke zurückfindet. Erstklassige Folgen wie Unter Kriegern oder Die Geschichte vom bösen Friederich liegen mittlerweile nämlich schon einige Jahre zurück.

15 Kommentare:

  1. Kann diese Wertung nicht nachvollziehen. Meiner Meinung nach einer der schlechtesten Tatorte die ich je gesehen habe.

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  2. Fand ich jetzt nicht so dolle... Gab schon bessere... Die Idee war soweit gut, fand ich jetzt allerdings nicht so richtig gut rüber gebracht. Stockte an einigen Punkten, war dann wieder etwas spannend nur um schnell wieder ins langweilige abzudriften

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  3. Anfangs wars etwas zäh, aber zum Schluss hin wurd es richtig gut! Würd auch 8/10 vergeben.

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  4. Ich fand es schwach, das Thema gab es schon, für einen Tatort zu eingleisig, wo waren die Nebenkriegsschauplätze, es fühlte sich eher an wie Derrick.
    Und leider, ich mag die Kommissare nicht, wo war Frankfurt, die Skyline!
    Wieso trägt sie die Tasche so schräg über den Bauch, Wieso sietzen sich die Kommissare immer noch ?
    Nee, für mich zu wenig für einen Sonntag Abend Tatort.

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  5. Gute Story, auch das Familiendrama und Schicksal und die Tatsachen, dass jeder nicht ganz ehrlich ist...ABER leider unglückliche Schauspielleistung und nicht nachvollziehbare Dialoge. Abgeholt wurde ich erst richtig Ende, als Atmosphäre rüber kam.

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  6. Geht nix außer Borowski, Eisner, Köln und Münster...

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  7. Sehr überzeugender dunkler Seelenkrimi, der in seiner menschlichen Abgründigkeit regelrecht zum Fürchten ist. So wünsche ich mir den Tatort, weiter so, ARD.

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  8. erstklasse war's...daumen hoch ;)

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  9. Toller Tatort!! Danke! Tolles Ermittlerduo.

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  10. Sehr guter, spannender Tatort.

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  11. Anders als bei dem Tatort "Borowski und der gute Mensch" kann ich diese Woche mit der Wertung mitgehen. Denn dieses Mal wirkt der Film nicht wie eine Checkliste offener Fragen, sondern wirkt aus einem Guss.
    Obgleich der Mittelteil stellenweise wie ein etwas zäher, routinierter Tatort anmutet, hat dieser Film doch einige enorme Qualitäten, die ihn für mich zu einem echten Highlight machen.
    Dazu gehört etwa, dass schon am Anfang gar nicht erst so getan wird, als sei der psychisch Kranke Obdachlose ernsthaft verdächtig. Oder auch, gegen Ende, eine Szene in der so richtig um Janneke gebangt werden darf, da der "Bösewicht" nahe dran ist, sie wie ein Tier zu schlachten. Das wirkt dieses Mal - anders als sonst sehr oft - in keinster Weise konstruiert, da die Motivation hinter diesem Akt klar ersichtlich ist.
    Aber dieser Film hebt sich insbesondere von anderen Tatorten durch den psychologischen Tiefgang aus: Wird anfangs eine der Schwestern glaubhaft als gemeine Zicke dargestellt, die ihren bemitleidenswerten Vater für ihre Zwecke instrumentalisiert, entpuppt sich zur Hälfte hin das wahre Monster. Diese Figur ist so scharf gezeichnet, wie dies selten gelingt - jede seiner Aktionen ist absolut nachvollziehbar, aller Brutalität zum Trotz.
    Und am Ende ist es doch herzergreifend, wie die zunächst so zerstrittenen Schwestern bei der Erkenntnis, wer der Kern dieser Streitereien ist, doch noch zueinander finden.
    Außerdem treten in der Schlussszene die Polizisten als wahre Freunde und Helfer auf, ohne dass der Film in die Unglaubwürdigkeit oder gar ins Kitschige abdriftet.
    Unterm Strich ein herausragender Tatort, der den Vergleich mit Frankfurter Meisterwerken wie die genannten "Unter Kriegern" oder "Die Geschichte des bösen Friederich" nicht zu scheuen braucht.
    Kleine Minuspunkte gibt es dennoch: Die stellenweise etwas flache Spannungskurve und die leicht klischeehaft angelegte Figur einer der beiden Töchter seien hier genannt. Ich beziehe mich auf die Theaterregisseurin, die natürlich erfolglos ist, etwas wild und planlos, lesbisch noch dazu. Aber dieses Bild spielt in den wirklich starken Schlussszenen sowieso keine Rolle mehr.
    Unterm Strich also starke 8/10 Punkte.

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