Abbruchkante

Folge: 1229 | 26. März 2023 | Sender: WDR | Regie: Torsten C. Fischer
Bild: WDR/Bavaria Fiction GmbH/Martin Valentin Menke
So war der Tatort:

Thematisch eng verwandt mit dem Tatort Schürfwunden – und noch eine Ecke gelungener.

Schon 2005 verschlug es Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) bei ihren Ermittlungen nämlich ins rheinische Braunkohlerevier; genauer gesagt in die Geisterstadt Schaffrath, deren Einwohner für den Kohleabbau ihres Heimatdorfs beraubt und wohl oder übel in die seelenlose Neubausiedlung Neu-Schaffrath umgesiedelt wurden.

In Abbruchkante liegt der Fall ähnlich: Die Hauptkommissare fahren nach Alt-Bützenich und Neu-Bützenich nahe Düren. Doch anders als Schaffrath darf das leerstehende alte Dörfchen am Rande der Baugrube entgegen der ursprünglichen Planungen bleiben, weil mit Blick auf die Klimakrise ein Umdenken stattgefunden hat. Erfreulich, erfreulich – und in Zeiten der vieldiskutierten Lützerath-Räumung von 2023 der beste Beweis dafür, dass es der für seine Gesellschaftskritik bekannte Kölner Krimi auch 26 Jahre nach dem Dienstantritt von Ballauf und Schenk noch versteht, den Finger auf den Puls der Zeit zu legen. Doch was ist überhaupt der Grund ihrer Ausfahrt?

Nach dem Tod des Dorfarztes Dr. Christian Franzen (Leopold von Verschuer, Sterben für die Erben) gilt es, vor Ort seinen Mörder zu finden. Anders als in Schürfwunden machen sich die Filmemacher hier nicht die Mühe, für die Zuständigkeit eine umständliche Begründung zu konstruieren. Und anders als die Kommissare, die in bester Clint-Eastwood-Manier in einem schmucken Gran Torino vorfahren, bleibt Norbert Jütte (Roland Riebeling) in diesem Tatort zu Hause. Das ist schade: Gefesselt an Telefon und Kaffeeküche wird der Kollege nur zugeschaltet, während KTU-Leiterin Natalie Förster (Tinka Fürst) und Rechtsmediziner Dr. Roth (Joe Bausch) zumindest bei der Tatort-Begehung vor Ort sind.

Schenks Gran Torino, der die langjährige Tradition seiner ausgefallenen amerikanischen Dienstwagen fortsetzt, ist zugleich der beste Running Gag des Films. Das Auto hat weder Sicherheitsgurte noch eine funktionierende Lichtanlage, so dass Ballauf und Schenk am ersten Abend nicht zurückfahren können und wohl oder übel ein Doppelzimmer in der abgewohnten Pension von Karin Bongartz (Barbara Nüsse, Hochzeitsnacht) beziehen. Das mündet in köstliche Streitereien, die so authentisch und witzig vorgetragen werden wie im Kölner Tatort schon lange nicht mehr. Chapeau!


SCHENK:
Mein Licht! Ich hab kein Licht mehr! Warum musstest du auch so lange telefonieren?

BALLAUF:
Das sind so Dreckskarren. So Dreckskarren, ey! Das Einzige, was die können, das ist gut aussehen!


Abbruchkante ist allerdings keine heitere Krimikomödie: Das Autorenduo Eva und Volker A. Zahn, das zuletzt das Drehbuch zum Vor-Vor-Vorgänger Hubertys Rache schrieb, reichert seinen klassischen Whodunit nicht nur mit guten Gags, sondern auch mit melancholischen Momenten und beklemmenden Flashbacks an. So etwas ging dem erwähnten Tatort Schürfwunden ab. Vor allem in den Gesprächen mit der herrlich zynischen Pensionswirtin, die die Kommissare keck aus der Reserve lockt und einen guten Draht zu Ballauf aufbaut, wird deutlich: Das macht etwas mit Menschen, wenn man ihnen den Boden ihrer Heimat buchstäblich unter den Füßen wegreißen will.

Und da sind weitere Figuren, die sich für die Auflösung der Täterfrage aufdrängen: Die mit ihrem Kind überforderte und plötzlich vermögende Witwe Betje Franzen (Lou Strenger), die Tabletten schluckt. Waffenbesitzer Konrad Baumann (Jörn Hentschel, Angriff auf Wache 08), der seine Tochter verloren hat. Hundebesitzer Yannik Schnitzler (Leonard Kunz), der für den Werkschutz des Kohlekonzerns arbeitet. Und sein um sein Haus gebrachter Großvater Peter Schnitzler (Peter Franke, mimte 2001 in Mördergrube den Vater von Max Ballauf!), der sich im berührenden Prolog des Films mit seiner Frau Inge (Uta-Maria Schütze, Kesseltreiben) im Sonntagsanzug das Leben nehmen will. Während er knapp überlebt, tut seine Gattin es nicht. Wie lebt man mit so etwas weiter?

Das Niveau der starken ersten Filmhälfte kann der 1229. Tatort im Anschluss allerdings nicht halten. Die Filmemacher um Regisseur Torsten C. Fischer, der zuletzt den dramatischen Dortmunder Tatort Liebe mich! inszenierte, konzentrieren sich zunehmend auf Ballauf, der sich als Junggeselle gegenüber Familienvater Schenk rechtfertigt und den Kontakt zu Psychologin Lydia Rosenberg (Juliane Köhler) sucht, seiner Gelegenheitsgeliebten. Das wurde schon oft erzählt und raubt nicht nur Spannung, sondern auch Zeit, die in die Charakterzeichnung bei den Tatverdächtigen oder einen doppelten Boden besser investiert gewesen wäre.

Auch das an Mord im Orient-Express erinnernde Agatha-Christie-Finale wirkt seltsam altbacken: Zwanzig (!) Minuten vor dem Abspann versammelt sich ein großer Teil der Verdächtigen in einer Kirche und berichtet aus freien Stücken und ausführlich zum Tathergang, während es sich Ballauf und Schenk gemütlich machen. Knifflige Ermittlungsarbeit und überraschende Wendungen ließen sich weniger plump arrangieren. Unterm Strich überwiegen die positiven Aspekte aber deutlich – und auch der übliche Zeitlupenkitsch, der im Kölner Tatort der 2020er Jahre fest auf der Agenda steht, wird diesmal zumindest mit einer finalen Zerstörungsorgie kontrastiert.

Bewertung: 7/10


📝 So war der Vorgänger: Kritik zum Münchner Tatort "Hackl"

44 Kommentare:

  1. Bin entsetzt, weshalb jahrelang gesetzte Fliederpflanzen im Gartenbereich gegen Ende des Krimis mit der Heckenschere getötet wurden. Sinnloss

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    1. Sieht man am Anfang vom tatort. Die brauchen Platz für einen Steingarten..

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    2. Waren zu dicht an der Abbruchkante😂

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    3. Es war eine Kettensäge. Und Baumschulware....unsachlich auf Stock gesetzt. Vielleicht weggeschmissen. Wurde aber nur misshandelt...nicht getötet.

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  2. Keine andren Sorgen? Wie war der Tatort???

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  3. War ne Kettensäge und total sinnvoll

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    1. Außerdem war es kein Flieder, sondern eine Weigelia.

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    2. Stimmt, war kein Flieder.

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  4. Ehemals Tatortortfan26. März 2023 um 22:00

    Ich gebe für dieses Kammerspiel:„Einen Vorhang“.
    Man wusste nie so recht, ob man abschalten oder weiter gucken sollte,
    wann würde es endlich spannend werden?
    Natürlich sind wir alle bewegt, wenn es um den Tagebau geht, aber die Story war vollkommen abstrus.
    Eine Wirtin, die nach Jahren im Wandel nichts zu essen anbieten kann, aber der Zapfhahn tut weiterhin seinen Dienst.
    Depressive Dorfbewohner, Kommissare in Midlife Crisis und
    Wachmänner die durch eine leere Straße jagen.
    Jütte, war gut wie immer.
    Die Kölner konnten das Mal wesentlich besser, da war einfach kein Schwung drin.

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    1. Tatort insgesamt werden immer schlechter,ausser die Österreicher !

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  5. Oh mein Gott, was für ein TATORT!
    Der Schenk fährt mit einem nicht verkehrstauglichen Oldtimer ( keine Kopfstützen und Sicherheitsgurte)
    Und ohne LICHT als Kommissar zu Ermittlungen 😡. Die zwei , Ballauf und Schenk schlafen während ihrer Ermittlungen fast ein und kommen nicht auf den Punkt 🙄. Was dürfen sich diese Kommissare eigentlich noch erlauben bevor die endlich in den Ruhestand gehen. Die Geschichte war ja langweiliger als jede Seifenoper 🥱. Hoffentlich gibt es bald neue Autoren mit anständigem Konzept und neuen Kommissare, denen man nicht die Pantoffeln und Kamillentee bringen möchte 😩

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    1. Immerhin fuhr er noch mit ‚nem Auto! Kommissare und natürlich auch …innen fahren in dt. Krimis immer öfter politisch korrekt, nämlich mit dem Fahrrad, was ich für noch schlimmer halte!

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  6. Mir fehlen die Worte😱😱😱

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  7. Endlich mal wieder ein ansprechender Tatort. Die Handlung war bedrückend und teils realistisch. Die Auflösung war nicht unbedingt überraschend aber interessant. Weiter so Ballauf und Schenk. Eine willkommene Abwechslung zu dem Schrott der letzten Wochen!

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  8. Als langjähriges Mitglied der Tatortgemeinde sage ich danke für einen Tatort der mal in aller Ruhe daher kommt, nicht einem Actionfilm nacheifert, nicht versucht eine Komödiezu sein und nicht zum Experimentierfeld von möglichst schnellen Schnitten oder wackeliger Kameraführung zu werden.

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  9. Ein Trauerspiel, sollte das nicht ein Krimi sein?

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  10. Ich fand den Film gut. Beschreibt die Atmosphäre in einem von der sinnlosen Zerstörung bedrohten Ort sehr gut.

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    1. Ich fand ihn sogar großartig. Eine Milieustudie, lebensnah und mit guter schauspielerischer Leistung aller Beteiligten. Beklemmend auch diese unpassenden und seelenlosen Neubauten.

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  11. War Baumschulware. Zierjohannisbeere. Und wo war nun das Gemüsebeet ? In dem Karotten reif sind während die zierjohannisbeere blüht ? Hinter einem frischen Staketenzäunchen?

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  12. 7/10 könnte ich auch unterschreiben. Einen nahezu perfekten "Tatort" wird es wohl nie geben, aber verglichen mit den letzten 10 fand ich den ganz gut.

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    1. Ganz deiner Meinung, schaue einfach nicht mehr, habe aufgegeben

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  13. Fand den Tatort heute gar nicht so schlecht, aber 'Spannung' scheint für die heutigen Macher ein Fremdwort zu sein.

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  14. +++ Wie lebt man mit so etwas weiter? +++
    In der Tat - die erste Hälfte war wirklich sehr gut, hat erschütternde Bilder und Situationen gezeigt - und: Es war auf jeden Fall mal wieder ein Fall! Kamera gut, Schauspieler gut, sehr gut Peter Franke und Barbara Nüsse - und auch hier wieder: Prima der immer wieder große Fimmel von Freddy ud seinen OLDTIMERN... Aber wie schon erwähnt: Schade der zuuu lange Abspann mit 20 Minuten in der Kirche...
    Vom blanken Hans trotzdem: 8/10 Sternen!

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  15. 9 /10 ! Bester Kölntatort seit langem !

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  16. Für solche Bilder von triste-morbiden Dörfern musste bisher üblicherweise Brandenburg herhalten. Das war mal ganz interessant. Ansonsten schlapp. Er war gemütlich.. schöne Musik. Ich glaube Deutschland, ob jetzt Tatortleute oder sonst wer) ist nach coronakrise noch nicht ganz zurück. Man sieht es bei allem.

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  17. Was soll man sagen... Köln eben. Grundsolide! Aber auch nichts allzu Weltbewegendes.

    Die große Stärke von "Abbruchkante" ist sicher die reizvolle Whodunnit-Konstruktion, bei sich kein Verdächtiger zu stark aufdrängt und bei dem die Auflösung bis zum Ende völlig offen ist. Ein weiterer Pluspunkt ist die dezent, aber erkennbar eingebaute Gesellschaftskritik um Tagebauten und "Letzte Generation". Und wohin würde so ein Krimi besser passen als in das Ruhrgebiet?

    Die ganz große Spannung will allerdings - einiger Schockmomente zum Trotz (man denke etwa an das Kind mit der Medizin) - nicht aufkommen. Auch wirkt die Auflösung in Agatha-Christie-Manier sehr konstruiert und kommt sehr plötzlich. Ballaufs verspätete Mid-Life Crisis ist in erster Linie nervig. Das Ende ist - ebenfalls typisch für den Kölner Tatort - Kitsch pur.

    Unterm Strich handelt es sich um einen soliden Krimi, der die Gemüter wohl kaum erhitzen wird und eher nicht in die Tatort-Annalen eingehen wird. Wer aber miträtseln und einige bewegende Momente (z.B. die Anfangsszene) miterleben möchte, kann guten Gewissens einschalten. Noch 6/10.

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  18. Habe den ersten Teil des Krimis gut gefunden, es wurde aber im zweiten Teil so langatmig und langweilig, dass ich umschalten musste. Krimi mit zu hohem Gähnfaktor!

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  19. So langweilig,ein Tatort zum gut einschlafen!

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  20. Endlich mal ein Tatort ohne Psychokram, politischer Zuschauerbelehrung, dafür mit einer realistischen Handlung ohne Knallbumm. 9/10.

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  21. War leider nicht so spannend, Täter war eigentlich von Anfang an bekannt, habe bis zum Schluss auf etwas überraschendes gewartet aber passiert ist nichts, die vorhersagen das der tatort richtig gut ist hat sich nicht erfüllt, schade !

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  22. Wenn ich es so hier lese, gab es doch einige gute Aspekte. Insgesamt fand ich den Tatort jedoch sehr langatmig und besonders hat mich die Musik gestört...

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  23. Konnte einfach nicht bis zum Ende durchhalten. Sorry !!!
    Vielleicht mal etwas Spannung mit einbauen. Ihr müsst ja nicht unbedingt John Wick Konkurrenz machen, aber strengt euch halt mal etwas an.
    Da gibts ein Publikum das den Tatort sehen will, vergrault euch diese Leute halt nicht.

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  24. Politische/soziale Themen leidenschaftslos für Tatorte ausschlachten ist also "den Finger auf dem Puls der Zeit" haben? Für diesen Tatort gilt dann leider: "Kein Puls mehr, Freddy - er ist tot!" Vor Langeweile vor der Zeit gestorben. Kein Wunder, wenn versucht wird eine Storyleiche von vor 20 Jahren aufzuwärmen...
    Das Auto ist kein Runnig Gag, sondern an platter Doofheit nicht zu überbieten. Kein Polizist wird (hoffentlich!) im Dienst einen mehrfach verkehrsuntauglichen Wagen fahren dürfen. Der Wagen dient lediglich als überflüssige (ihr lieben Phsychologie- und Privatlebenverächter) Vorlage zu aufgesetztem Ehekrisengequengel auf Schultheaterniveau. Das größte Rätsel, war auch mitnichten der seltsam unberührt lassende Mord, sondern: Warum gibt es abends nichts zu essen im Dorf, morgens aber Marmeladenbrote? Nach ein bißchen Geisterbahn unter Geistern in der Geisterstadt, dann ein Ende, das man hinter der Abbruchkante kommen sah und wohl deshalb in Miss Marple-Manier zelebrierte. Ein Krimi mit dermaßen ungekonnter Auflösung kann eigentlich nicht gut bewertet werden, aber nun ja...
    Ein akut emotinales Thema dermaßen auf Valium zu servieren zeugt von Angst vor den Zuschauern. Wenn man wenigstens so ehrlich wäre, sich nicht den Anstrich der Aktualität geben zu wollen! Schon die hochaktuelle und emotional herausfordernde Covid-Thematik wurde auffällig ausgeklammert. Noch wäre Zeit: Firmenpleiten und Privatinsolvenzen, Impfschäden und Pharmadeals, Querdenker und neue Verschwörer, Familiendramen, die im Lockdown stattfanden - viel Konfliktpotential und auseinandersetzungswürdig, egal, welche Position man bezieht. Doch in der "heilen Welt" Tatort, wo zwar brutal gemordet und vergewaltigt werden darf, darf es dann doch nicht so aktuell, emotional und zwiespältig zugehen, sonst schmecken die Schnittchen nicht mehr? So zu tun, als habe etwas nicht stattgefunden oder alles sei schwarz oder weiß, hilft am Ende immer den falschen! Wer "mit den Fingern am Puls der Zeit" sein möchte, darf keine Angst haben, sich die Finger schmutzig zu machen!

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    1. Das ist ein sehr guter Kommentar, da bin ich ganz bei dir 👍

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  25. War schon in Ordnung. Aber die alberne (heutzutage leider obligatorische) musikalische Dauerberieselung ist echt nervtötend.

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  26. Dan lieber Karin Hanczewski & Cornelia Gröschel

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  27. Hoffentlich wird es bald besser. Ballauf & Schenk einfach nur noch schlecht!!

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  28. Sehr sehr guter Tatort, die Kölner immer wieder gut! Die Story, erstklassig und Mal zeitmässig auf'n Punkt gebracht, vieler Orts wird abgesennst und dahervwar anschaulich.hoffe wir sehen das Team köln noch sehr oft

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