Inflagranti

Folge: 376 | 28. Dezember 1997 | Sender: RB | Regie: Petra Haffter
Bild: Radio Bremen
So war der Tatort:

Freizügig. 

Warum? Einfach mal "tatort inflagranti" googlen und bei der Bildersuche die Safe Search deaktivieren. Hoppla! Ist das tatsächlich Camilla Renschke, die am Sonntagabend zur besten Sendezeit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen komplett blank zieht? Sie ist es – obwohl sie zum Zeitpunkt der Erstausstrahlung noch nicht einmal volljährig ist. Minutenlang schwappen ihre üppigen Brüste in der geliebten Badewanne herum. 

Wir schreiben das Jahr 1997: Inflagranti spielt zu einer Zeit, in der die deutschen TV-Sender das gesunde Maß an nackter Haut noch ausloten. Nötig sind aber weder die barbusigen Aufnahmen von Renschke, noch die von Nebendarstellerin Beate Jensen – immerhin, wenigstens Hauptdarstellerin Sabine Postel behält bei ihrem ersten Fall als Inga Lürsen, der zugleich das Tatort-Comeback von Radio Bremen nach 24-jähriger Pause markiert, ihr dünnes Nachthemd an. 

Ansonsten gibt sich die blonde Hauptkommissarin, die den Prototypen der selbstbewussten, alleinerziehenden Mutter verkörpert, recht umtriebig: Ihr Bett teilt sie nicht nur mit dem Polizeipsychologen Kai Helmold (Alexander Strobele, Brandwunden), sondern auch mit ihrem Ex-Mann Lothar Reinders (Hans Czypionka, Das Gespenst). 

Kein Wunder, dass bei so vielen Männern einer auf der Strecke bleibt: Ihr Kollege Stefan Stoll bleibt bei seinem ersten Einsatz völlig profillos. So ist das Tatort-Intermezzo von Der bewegte Mann-Star Rufus Beck (Mord in der Akademie) schon nach wenigen Folgen wieder vorbei. Lürsens postpubertierende Tochter Helen Reinders nervt hingegen schon beim ersten Dialog im Badezimmer, zählt in der Hansestadt aber fortan zum festen Cast – viele Jahre später wird sie Polizistin und irgendwann sogar zur Chefin ihrer Mutter befördert.

Das Drehbuch von Sabine Thiesler weiß über weite Strecken zu überzeugen – vor allem die ausführliche Einleitung samt handgreiflichem Familiendrama gestaltet sich hochspannend und wird von Regisseurin Petra Haffter (Ein ehrenwertes Haus) packend in Szene gesetzt. Inga Lürsen hingegen betritt im 376. Tatort erst nach geschlagenen 16 Minuten die Bildfläche – ungewöhnlich für einen klassischen Whodunit, in diesem Krimi aber eine sinnvolle Entscheidung. 

Jeder der späteren Verdächtigen erfährt im Vorfeld nämlich eine kurze charakterliche Skizzierung – sei es der kleine Jan (solide: Vincent Schalk), die überforderte Mutter (schwach: Beate Jensen, Der Mord danach) oder der  Reederei-Leiter und leidenschaftliche Liebhaber Achim (glänzend: André Hennicke, Rendezvous mit dem Tod). Leider ist die Auflösung spätestens nach einer halben Stunde offensichtlich, so dass man sich schnell fragt, warum die Hauptkommissarin trotz ihrer pfiffigen Tatort-Analyse eigentlich nicht den naheliegendsten aller Tathergänge in Erwägung zieht. 

Unterhaltsam gestaltet sich das Debüt von Inga Lürsen dennoch – auch dank eines großartigen Ronald Nitschke (Der Heckenschütze), der als Familienvater Peter Broders leider früh – und natürlich ebenfalls nackt, wie Gott ihn schuf – das Zeitliche segnen muss.

Bewertung: 7/10