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Bild: ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek |
So war der Tatort:
Dreifach.
Denn bei ihrem sechsten Einsatz müssen die Zürcher Kantonspolizistinnen Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) und Tessa Ott (Carol Schuler) einen Dreifachmord auf dem Pfannenstiel aufklären – und auch das Drehbuch von Claudia Pütz und Karin Heberlein gliedert sich diesmal grob in drei Schwerpunkte. Die beiden schrieben bereits das Skript zum enttäuschenden Schweizer Vorgänger Seilschaft, den mit Tobias Ineichen auch derselbe Regisseur inszenierte.
Schwerpunkt 1 der Geschichte bildet die Tatzeugin: Verängstigt am Tatort aufgefunden (ein sehr bedrückender Moment), baut die sechsjährige Ella Perrier (Maura Landert) zaghaft Vertrauen zu Grandjean auf. Der behutsame Umgang der einfühlsamen Polizistin mit dem verschlossenen Mädchen ist das emotionale Herzstück des Films; selten sahen wir die unterkühlte Grandjean so liebevoll wie hier. Der Figur, die beim deutschen Publikum auch aufgrund ihres französischen Akzents einen schweren Stand hat, tut das sehr gut. Dass sie sich tagelang mit dem Mädchen in der 24-Stunden-Kita des Präsidiums einquartiert, ist der Glaubwürdigkeit des Krimis hingegen weniger dienlich.
Schwerpunkt 2 bilden zwei miteinander verknüpfte Cyberthemen, die in die Krimireihe schon häufiger Einzug hielten: die Gefahr durch ferngesteuerte Drohnen (wurde auch in Kaltstart von 2014 thematisiert) und das digitale Sammeln von Daten (gab es etwa in HAL und Echolot von 2016 oder Mord Ex Machina von 2018). Auf einem Aussichtsturm in unmittelbarer Nähe zum Tatort im idyllischen Oberland trifft Schuler den undurchsichtigen Waldarbeiter Luka Gasser (Nicola Perot), der dort angeblich Rotmilane mit seiner Drohne beobachtet. Mächtig verdächtig.
Schwerpunkt 3 bildet schließlich ein Thema, das sich Regisseur Tobias Ineichen schon einmal in ähnlicher Form vorknöpfte: Mussten die Schweizer Vorgänger Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) sich 2017 im Luzerner Tatort Kriegssplitter den Folgen des Tschetschenienkriegs stellen, schlagen die Filmemacher in Blinder Fleck die Brücke zu den Jugoslawienkriegen. Der verurteilte Kriegsverbrecher Lars Diener (Marcus Signer, Schutzlos) war mit seinem Motorrad am Tatort, seine Geliebte Ada Gasser (Patricia Litten), Adoptivmutter des Vogelbeobachters, deckt ihn. Viel wird hinter dem Rücken der Ermittlerinnen aufgedröselt – wir genießen einen Wissensvorsprung gegenüber den beiden.
Viel Stoff für neunzig Krimiminuten, und auch das im Schweizer Tatort oft bemühte Klischee vom geldgierigen, aalglatten Banker hält wieder fleißig Einzug: Privatbankier Joel Müller (Ralph Gassmann, Der schöne Schein) war an einem Start-Up mit zwei der drei Ermordeten beteiligt und wirft nach deren Ableben natürlich alle moralischen Bedenken für einen lukrativen Deal mit dem Drohnen-Unternehmen über Bord. Häufig erzählt, selten überzeugend – hier aber zumindest die Steilvorlage für einen augenzwinkernden, wenn auch etwas bemühten Meta-Moment.
MÜLLER:Ich hab ein Alibi.OTT:Das haben viele. Und dann waren sie's am Schluss trotzdem. Schauen Sie keine Krimis?
Blinder Fleck ist ein konventioneller und geradliniger, inhaltlich aber überfrachteter Krimi, in dem ein gelber Vogel im Käfig spätestens auf der Zielgeraden zur seltsamen Lachnummer mutiert. Zumindest das im Züri-Tatort ansonsten ausführlich illustrierte Privatleben der Kommissarinnen wird diesmal aber nur am Rande beleuchtet. Zeit für eine Gesangseinlage von Grandjeans Freund Milan Mandic (Igor Kovac) und Einwürfe von Otts Mitbewohner Charlie Locher (Peter Jecklin) bleibt trotzdem.
In Szene gesetzt wird der Tatort dynamisch, aber selten originell: Die Kameraflüge über Zürich, die die Folgen mit Grandjean und Ott seit jeher kennzeichnen, wurden wahrscheinlich alle mal in einem Abwasch gedreht und werden nun Tatort für Tatort ein- und abgearbeitet. Das ist mittlerweile sehr abgegriffen. Der Showdown driftet in den B-Movie-Trash ab und eine gruselige Kinderzeichnung als wichtiges Indiz zur Auflösung der Täterfrage kennen wir hinlänglich aus dem Horrorkino – bereits vor 65 Jahren (!) im Kindermörder-Klassiker "Es geschah am hellichten Tag" war das ganz ähnlich.
Unterm Strich bietet der 1244. Tatort aber weniger Angriffsfläche als seine Vorgänger (vgl. Schattenkinder oder Risiken mit Nebenwirkungen): Wenngleich die Täterfrage dank unseres Wissensvorsprungs Formsache ist, ist Blinder Fleck auch im Vergleich zu den davor ausgestrahlten, vielkritisierten Folgen Gold und Erbarmen. Zu spät. solide Krimikost. Und gerade in Zeiten, in denen sich die Sendeanstalten der ARD reihenweise von beliebten Schauspielerinnen und Schauspielern trennen (vgl. Annalena Schmidt, Peter Espeloer oder Franziska Weisz), kann Bodenständigkeit für den veränderungsscheuen Teil des Publikums ja durchaus wohltuend sein.
Bewertung: 5/10
👀 So war der Vorgänger: Kritik zum Frankfurter Tatort Erbarmen. Zu spät."
🎥 Drehspiegel: So geht es in Zürich jetzt weiter
📅 Ausblick: Warum am nächsten Sonntag kein Tatort läuft