Passion

Folge: 448 | 30. Juli 2000 | Sender: ORF | Regie: Ilse Hofmann
Bild: ARD/Degeto
So war der Tatort:

Biblisch.

Und das nicht nur, weil der vierte Einsatz von Chefinspektor Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) in einer geradezu paradiesischen Umgebung spielt. Zum ersten, nicht aber zum letzten Mal verschlägt es den Wiener Ermittler nämlich nach Tirol (vgl. Der Teufel vom Berg oder Baum der Erlösung), was auch erklärt, warum seine Teammitglieder Norbert Dobos (Alois Frank) und Suza Binder (Loretta Pflaum) diesmal nicht mit dabei sind.

Ihr Fehlen hat aber in erster Linie produktionstechnische Gründe: Passion war ursprünglich gar nicht als Tatort-Folge konzipiert, sondern lief in Österreich zunächst als eigenständiger Heimatfilm, in dem Moritz Eisner außerhalb der Krimireihe zu sehen ist. Die Zuschauerresonanz in der Alpenrepublik war aber so positiv, dass sich die ARD dazu veranlasst sah, die Rechte an dem Film zu erwerben und ihn in die Tatort-Reihe zu integrieren.

Die eingangs erwähnte Postkartenkulisse des Bergdorfes Mieming ist aber nicht nur auserkorenes Ziel für Eisners Wanderurlaub, sondern auch Aufführungsort der alle acht Jahre stattfindenden Passionsspiele, für die gerade geprobt wird. Das Who is Who des Dorfes wirkt daran mit: Bürgermeister und Hotelier Alois Egger (Dietmar Schönherr, Tod im All) gibt den Petrus, Dorfarzt Dr. Rieser (Dietrich Siegl, Tödliche Tagung) den Apostel Andreas und der großmäulige Sägewerkbesitzer Ludwig Thaler (Manfred Lukas-Luderer, Ostwärts) spielt als Pontius Pilatus quasi sich selbst. 

Der strenge Pfarrer des Dorfes (Rudolf Wessely, Hundeleben) hat zwar stets das passende Bibelzitat zur Hand, im Dorf selbst geht es aber eher zu wie in Sodom und Gomorrha: Es wird gesoffen, geneidet, misstraut und sogar getötet. Aber nicht irgendwer und schon gar nicht irgendwie: Während einer Wanderung entdeckt Eisner den Jesus-Darsteller und Sohn des Bürgermeisters, Hubert Egger (Gregor Seberg, Der Millenniumsmörder), der sich offenbar etwas zu sehr mit seiner Rolle identifizierte, tot am Kreuz (!). Auch der Anblick dieser bizarren Szenerie dient als Steilvorlage für einen süffisanten Kommentar in Form eines Bibelverses, vor denen die 448. Tatort-Folge nur so strotzt.


EISNER:
Lass diesen Kelch an mir vorübergehen.


Und in gewisser Weise wird das Flehen des Chefinspektors sogar erhört: Im Drehbuch von Felix Mitterer (Granit), der auch alle Tirol-Folgen der kommenden Jahre konzipiert, spielt Eisner diesmal nur die zweite Geige. Die herausragende Hauptdarstellerin Sophie Rois mimt die mit Abstand interessanteste Figur; die mit den Ermittlungen betraute Roxane Aschenwald, die wir im Tatort Böses Blut wenige Monate später noch einmal wiedersehen. Sie kehrt widerwillig in ihr Heimatdorf zurück und sieht sich nicht nur mit der Suche nach dem Mörder, sondern auch mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Dazu zählt neben dem Wiedersehen mit ihrem ruppigen und misstrauischen Vater Franz (Reinhard Simonischek), der seinen Kummer in Alkohol ertränkt und die Bewohner des Dorfes meidet, auch die Begegnung mit Doris Falkner (Nina Proll, Kehraus), die als Geliebte des Toten und Darstellerin der Maria Magdalena gleich in doppelter Hinsicht Aschenwalds Nachfolge angetreten hat.

Aschenwald muss sich in einem von Männern dominierten Kosmos beweisen. Rois wandelt dabei in ihrer Darstellung gekonnt auf einem schmalen Grat zwischen kindlichem Trotz und unbarmherziger Hartnäckigkeit. Kriminalistisches Gespür und zu Herzen gehende Hilflosigkeit liegen bei ihr eng zusammen. Erst kurz vor Schluss erfahren wir das ganze Ausmaß dessen, was sich zwischen ihr und den Dorfbewohnern zugetragen hat. Selten sah man eine Ermittlerin im Tatort so tief fallen, seelisch wie körperlich entblößt – und selten jemanden so würdevoll damit umgehen.

Dass sich Eisner in manchen Sequenzen wie ein großer Bruder vor seine Kollegin stellt, ist zwar ehrenwert, wirkt aber nicht immer glaubwürdig. Davon abgesehen funktioniert das Zusammenspiel der beiden aber auf Anhieb. Gleiches gilt ebenso für den restlichen Cast, der bis in die Nebenrollen hochkarätig besetzt ist und zu dem auch der junge Simon Schwarz zählt, der ab 2011 als Inkasso-Heinzi den Wiener Tatort sporadisch bereichert. Auch der Fall, dessen Auflösung über mysteriöse Todesfälle im Dorf und ein stillgelegtes Bergwerk führt, ist knifflig und von Regisseurin Ilse Hofmann (Der Tausch) bis hin zum explosiven Showdown clever arrangiert.

So steht unterm Strich ein durchaus provokanter, teilweise mit bitterbösem Humor und reichlich Lokalkolorit gespickter Tatort, der aber in Deutschland im Vorfeld der Ausstrahlung seitens der Kirche heftig kritisiert wurde. Der Christliche Medienverbund KEP forderte gar die Absetzung und sprach aufgrund der gezeigten Kreuzigung von "Geschmacklosigkeit" und "Blasphemie". Dem Giftschrank ist Passion (glücklicherweise) entgangen, zählt aber im Hinblick auf den ausgefallenen Tathergang zu den kuriosesten Folgen der Reihe.

Bewertung: 8/10

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