Kleine Herzen

Folge: 683 | 16. Dezember 2007 | Sender: BR | Regie: Filippos Tsitos
Bild: NDR/BR/Avista Film/klick/Christian A. Rieger
So war der Tatort:

Alles andere als alltäglich. 

Ein Krimi ist Kleine Herzen nämlich nur auf dem Papier. Filippos Tsitos (Wolf im Schafspelz) inszeniert bei seiner vierten Regiearbeit für die Tatort-Reihe vielmehr ein Sozialdrama, und schon nach wenigen Minuten wird klar: Für den Zuschauer geht es weniger darum, bei der Suche nach dem Mörder von Katrin Sommer (Samia von Arx) mitzufiebern, sondern darum zu begreifen, was es für eine mit 14 Jahren vom Freund geschwängerte, heute 17-jährige Mutter bedeutet, Tag für Tag ihr Leben mit dem eigenen Nachwuchs auf die Reihe zu kriegen. 

Hinbringen zum Kindergarten, Abholen vom Kindergarten, ohne eigenes Auto, versteht sich, Regale auffüllen im Supermarkt als Hauptberuf, morgendliches Zeitungen austragen und Putzen als Nebenjob, Babysitter anbetteln, dazwischen noch Arzttermine, Behördengänge und die regelmäßigen Besuche des Jugendamts: Da nervt es schnell, wenn sich der Sohn im Stadtbus mal wieder nicht zu benehmen weiß und bereits in den frühen Morgenstunden die volle Aufmerksamkeit einfordert. 

Das Nervenkostüm von Anne Kempf (fantastisch: Janina Stopper, Schwarze Tiger, weiße Löwen) nähert sich in rasantem Tempo einer verhängnisvollen Zerreißprobe – ein Prozess, den Drehbuchautorin Stefanie Kremser (Unsterblich schön) ausführlich und ungemein authentisch skizziert, bis zur letzten Einstellung des Films, in der das teilnahmslose, fast amüsierte Gesicht der überforderten Jungmutter in einem Standbild gefriert.

Als spannender Sonntagskrimi funktioniert Kleine Herzen nur bedingt, was aber kaum negativ ins Gewicht fällt. Selbst die Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) spielen in der ersten Filmhälfte kaum eine Rolle. Dass sie das erste Mal ohne ihren langjährigen, treuen Weggefährten Carlo Menzinger (Michael Fitz, Der Traum von der Au) auskommen müssen, bleibt ebenso Randnotiz wie der Cameo-Auftritt der bayerischen Comedygröße Django Asül, der als Platzwart im Mähwagen durch ein Fußballstadion tuckert. 

Leitmayr gesteht unverhohlen ein, zur hauptverdächtigen Jungmutter keinen Zugang zu finden, während Batic beim Versuch, Marc Sommer (Max Mauff, Pauline), dem Vater des kleinen Tim (Felix von Opel), auf den Zahn zu fühlen, nicht minder kläglich scheitert. 

Am Ende ist die Aufklärung des Mordes trotzdem nicht mehr als Routine, was aber nicht heißt, dass Kleine Herzen auf der Zielgeraden die Luft ausginge: Die packende Suche nach dem kleinen Tim, dessen verzweifelter Kampf gegen Hunger und Durst und die Geduldsprobe beim Verhör der nervlich zerbrochenen Jungmutter gestaltet sich spannender als jede Verfolgungsjagd und rundet den 683. Tatort zu einer herausragenden Münchner Tatort-Episode ab. 

Mit Der oide Depp folgt nur wenige Monate später die nächste – und die ist sogar noch einen Hauch stärker.

Bewertung: 9/10