Ein Fall für Ehrlicher

Folge: 253 | 19. Januar 1992 | Sender: MDR | Regie: Hans-Werner Honert
Bild: MDR
So war der Tatort:

Ostdeutsch. 

Ein Fall für Ehrlicher ist nämlich nicht nur der erste Einsatz von Hauptkommissar Bruno Ehrlicher (Peter Sodann) und dem vornamenlosen Unterkommissar Kain (Bernd Michael Lade, Brandmal), sondern zugleich der erste Tatort überhaupt, der aus den neuen Bundesländern stammt. Hauptdarsteller Sodann hatte vor seinem ersten Engagement für die Krimireihe in der DDR Erfolge am Theater gefeiert und war gleich Feuer und Flamme gewesen, als man ihm die prestigeträchtige Rolle anbot. 

Man hätte dem später langjährigen TV-Kommissar und Bundespräsidentschaftskandidaten zum Auftakt einen hochklassigeren Fall gewünscht: Ein Fall für Ehrlicher – der recht beliebig ausfallende Folgentitel deutet es bereits an – führt den muffeligen Dresdner Ermittler und Ehemann zwar ausführlich beim gesamtdeutschen Publikum ein, erleidet als Krimi aber Schiffbruch. 

Regisseur und Drehbuchautor Hans-Werner Honert (Bomben für Ehrlicher), der in den 90er Jahren noch viele weitere Folgen für den MDR schrieb und inszenierte, versteht es überhaupt nicht, die beiden Handlungsstränge um die einleitend splitterfasernackt zu sehende, bald vom Erdboden verschluckte Tanja (Claudia Stanislau) und die Ausländerfeindlichkeit gegenüber dem polnischen Bauarbeiter Daniel Tuskiewitsch (Aleksander Trabczynski) ansprechend auszuarbeiten und dramaturgisch miteinander zu verweben. Die Auseinandersetzung mit der vermeintlichen Migrantenproblematik beschränkt sich auf das Zitieren von Stammtischparolen und müden Toleranzbekenntnissen, der eigentliche Fall um das vermisste Mädchen hingegen rückt schon bald in den Hintergrund. 

Auch inszenatorisch lässt Honert das Feingefühl vermissen. Beispielhaft dafür steht die Auflösung des Tathergangs, den der Leipziger Filmemacher einfach als Rückblende nachreicht: Was normalerweise binnen Sekunden abgefrühstückt sein und nur einer kurzen Erklärung dienen sollte, um die Spannung nicht verpuffen zu lassen, erzählt Honert seinem Publikum in aller Seelenruhe – minutenlang. 

Dramaturgisch deutlich sinnvoller ist diese erzählerische Ausführlichkeit im Hinblick auf Ehrlichers Familie, die angenehm umfassend porträtiert wird, und seinen Vorgesetzten, den argwöhnischen Dienststellenleiter Veigl (Gustl Bayrhammer, Der Boss). Hundefreund Veigl, von 1971 bis 1981 als Hauptkommissar für den Münchner Tatort im Einsatz und im zweiten Ehrlicher-Fall Tod aus der Vergangenheit ein weiteres Mal in Dresden zu sehen, verkörpert hier das Abziehbild des überheblichen Wessi-Beamten, der den neuen ostdeutschen Kollegen nicht über den Weg traut und Ehrlicher Gelegenheit gibt, gegen diese Vorurteile anzukämpfen. 

Und Kain? Der spielt zum ersten, aber bei weitem nicht zum letzten Mal die zweite Geige. Schließlich heißt der 253. Tatort ja auch Ein Fall für Ehrlicher.

Bewertung: 3/10