Wahre Liebe

Folge: 918 | 28. September 2014 | Sender: WDR | Regie: André Erkau
Bild: WDR/Thomas Kost
So war der Tatort:

Liebevoll.

In Wahre Liebe suchen nämlich fast alle nach ihrem Herzblatt: Hauptkommissar Max Ballauf (Klaus J. Behrendt), der mal wieder mit seiner Gelegenheitsgeliebten Lydia Rosenberg (Juliane Köhler, Keine Polizei) anbändeln darf, die neue Aushilfsassistentin Gabi (Kathi Angerer, Der Tod spielt mit), die sich als Lockvogel in der Online-Partnerbörse "Lovecast" zur Verfügung stellt – vor allem aber drei wohlhabende Frauen, die ihr Herz nach der Kontaktaufnahme in eben jener Single-Börse an einen charmanten Heiratsschwindler (Kai Ivo Baulitz, Schlafende Hunde) mit dem vielsagenden Nickname "Zauberer" verloren haben.

Die köstliche Befragungsrunde der drei verzauberten und geprellten Frauen – Kieferorthopädin Ute Schilling (Sabine Orléans, Der Frauenflüsterer), Innenarchitektin Elisabeth Sanders (Andreja Schneider, Flashback) und Alleinerbin Maren Heise (Judith Engel, Zwischen den Ohren) – zählt zu den besten Sequenzen in einem Kölner Tatort, der selten aus dem üblichen Krimischema ausbricht und erst im Schlussdrittel ein wenig an Fahrt aufnimmt.

Statt gegen Großbanken oder die Pharmaindustrie feuern die Filmemacher diesmal gleich gegen das ganze Internet – natürlich, Online-Partnerbörsen sind unromantisch, das Verstecken der eigenen Identität hinter beliebigen Avataren (Ballauf: "Wie bitte?") birgt Gefahren, und überhaupt ist im Web ja alles furchtbar anonym. Beginnend mit der ersten Tatortbesichtigung kauen die Kommissare dann platte Weisheiten über die Liebe, das Leben und ihre Beziehungen durch – das ist ziemlich ermüdend und durchaus typisch für den Tatort aus der Domstadt, der der Gesellschaft mit Vorliebe den Spiegel vorhält.

Und dann ist da noch die knuffige Aushilfsassistentin Gabi, die bei ihrem ersten und letzten Einsatz zwar ziemlich überfordert wirkt, mit ihrer bescheidenen "Ich mach sowieso wieder alles falsch!"-Art aber zumindest frischen Wind ins Präsidium bringt und den Kriminalfall deutlich mehr vorantreibt als Psychologin Rosenberg: Als sich die ehemalige Archiv-Mitarbeiterin ohne polizeiliche Überwachung mit dem "Zauberer" trifft, kommt nach einstündigem Leerlauf doch noch Spannung auf – und es spricht für das Drehbuch, dass zu diesem Zeitpunkt noch mehrere Verdächtige ernsthaft für den Mord an "Lovecast"-Chefin Natascha Klein (Suzan Anbeh) in Frage kommen.

Die Auflösung dürfte das krimierprobte Publikum allerdings kaum verblüffen – schon eher die Art und Weise, wie Drehbuchautor Maxim Leo und Regisseur André Erkau die Zauberergeschichte ausklingen lassen. Spaß macht auch der heitere Mittelteil des Films: Staatsanwalt von Prinz (der 2013 verstorbene Christian Tasche) verabschiedet sich mit künstlichem, aber schallendem Gelächter aus der Krimireihe, während Freddy Schenk (Dietmar Bär) zu den Klängen von T.Rex' Hot Love aufs Land fährt und sich von Escort-Service-Chefin Janine Pollmann (Sabine Vitua, Frauenmorde) Honig um den Bart schmieren lässt. Derweil dreht Ballauf nach anfänglicher Skepsis eine Testrunde in der virtuellen Kennenlernwelt, in der ein Algorithmus den perfekten Deckel für jeden suchenden Topf findet – eine von vielen bemüht wirkenden Szenen, die ihn unnötig alt wirken lassen.

Viel besser ist da die Begegnung der Kommissare mit der Empfangsdame des Psychotherapeuten Dr. Senfft (Christian Kerepeszki, Im Sog des Bösen): "Kripo Köln", entgegnet Ballauf mit versteinerter Miene, als er von ihr gefragt wird, ob Freddy und er zur gleichgeschlechtlichen Partnerschaftsberatung oder zur Männergruppe angemeldet sind. Die Currywurstbude am Rheinufer ist diesmal nicht zu sehen – hätte aber wohl deutlich mehr Romantik versprüht als die roten Herzluftballons, die leitmotivisch durch die Domstadt schweben.

Bewertung: 5/10

Mord ist die beste Medizin

Folge: 917 | 21. September 2014 | Sender: WDR | Regie: Thomas Jauch
Bild: WDR/Filmpool Filmproduktion/Wolfgang Ennenbach
So war der Tatort:

Krankenhausreif.

Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) ist aber bei weitem nicht der erste Tatort-Ermittler, der in einer Klinik landet: Sein Schicksal teilten zuletzt unter anderem sein Wiener Kollege Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) in Angezählt oder der Hamburger Jung' Yalcin Gümer (Fahri Yardim) in Willkommen in Hamburg. Der Unterschied: Boerne wird in Mord ist die beste Medizin nicht beim Einsatz an vorderster Front verletzt, sondern liefert sich – wie es sich für einen Mediziner seines Formats gehört –  selbst zur Überprüfung seiner Leberwerte in die Sanusklinik in Münster ein.

Dort lässt er erwartungsgemäß den verwöhnten Privatpatienten raushängen und nutzt den Aufenthalt  für Ermittlungen in einem Mordfall – eine Ausgangslage, wie gemalt für einen humorvollen Tatort aus Münster, doch Drehbuchautorin Dorothee Schön (Bitteres Brot), die zum 17. Mal ein Skript zur Krimireihe beisteuert, und Regisseur Thomas Jauch (Sonne und Sturm), der seinen 18. Tatort inszeniert, liefern unter dem Strich keinen überzeugenden Film ab. Der Krimititel Mord ist die beste Medizin ist nämlich noch das originellste – sieht man von der ersten Viertelstunde ab, setzen die Filmemacher den Großteil der üppig in die Breite gefeuerten Pointen in den Sand.

Zu gestellt wirkt Boernes Anecken bei den Medizinern, zu aufgesetzt die Sorge um die eigene Gesundheit, und auch seine Zimmernachbarn mausern sich nicht zu Publikumslieblingen: Während Chemo-Patient Ulrich Göbel (Schwindelfrei) in jeder freien Sekunde penetrante Volksmusik aufdreht und damit auch so manchem Zuschauer auf den Senkel gehen dürfte, versucht sein ewig kopfhörertragender Nachfolger (Serhat Cokgezen) mit einem besonders einfallsreichen Künstlernamen zu punkten: Bischudo.

Wer über platte Wortspiele wie diese schmunzeln kann, findet am 917. Tatort sicher Gefallen. Kaum zu bestreiten ist aber, dass Thiel, Boerne & Co. vom Niveau vergangener Tage – man denke an tolle Folgen wie Der dunkle Fleck oder Der doppelte Lott – mittlerweile meilenweit entfernt sind. Viele Gags gehen ins Leere und Spannung ist beim 27. Einsatz des populären Duos kaum vorhanden. Selbst beim zunächst vielversprechend anmutenden Showdown, in dem die furchtbar neunmalkluge Mia (Lena Meyer) den Täter in eine Falle locken soll, driftet die Sequenz beim Einsatz einer Bratpfanne als Nahkampfwaffe in den Slapstick ab.

Mord ist die beste Medizin versprüht von Minute 1 bis 90 seichtes Vorabendfeeling: Von 19-Uhr-Formaten wie Großstadtrevier oder Heiter bis tödlich hebt sich die Krimikömödie in Sachen Tiefgang kaum ab. Da passt es ins Stimmungsbild, dass Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter, in Heiter bis tödlich: Hauptstadtrevier als Hauptkommissarin Julia Klug zu sehen) Mias alleinerziehenden Vater in einem halbherzigen ausgearbeiteten Nebenstrang zum Essen datet und damit für traurige Blicke beim geschiedenen Dauer-Single Thiel sorgt.

Auch die Auftritte der Nebenfiguren zeugen nicht von Einfallsreichtum: Während Alt-Hippie Herbert "Vaddern" Thiel (Claus Dieter Clausnitzer) einmal mehr auf seine Vorliebe für Marihuana reduziert wird, muss sich die kettenrauchende Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) diesmal Sprüche wegen ihrer maskulinen Stimme anhören. Originell ist das alles nicht – dabei haben gerade die amüsanten Überraschungsmomente den Tatort aus Westfalen einst ausgezeichnet.

Der Charme der Figuren allein trägt die Krimikomödien aus Münster aber schon lange nicht mehr – und wenn das Drehbuch schwächelt, dann tut es somit der ganze Film. Da rettet das halbe Dutzend gelungener One-Liner am Ende wenig.


BOERNE:
Nicht nur Proktologen kennen sich mit Arschlöchern aus.


Bewertung: 4/10

Der Wüstensohn

Folge: 916 | 14. September 2014 | Sender: BR | Regie: Rainer Kaufmann
Bild: BR/Heike Ulrich/Claussen+Wöbke+Putz Filmproduktion GmbH
So war der Tatort:

Diplomatisch.

Denn die Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) staunen nicht schlecht, als Der Wüstensohn und Teppichhändler Nasir al Yasaf (charismatisch: TV-Debütant Yasin el Harrouk) auf dem Beifahrersitz seines weißen Lamborghini eine Leiche durch die Isarstadt kutschiert und erst nach einer wilden Verfolgungsjagd gestellt werden kann: Der fünfte Sohn des Emirs von Kumar (ein fiktiver Wüstenstaat) genießt in Deutschland diplomatischen Schutz und darf für seine Eskapaden nicht belangt werden.

Die Drehbuchautoren Alexander Buresch und Matthias Pacht, die bereits zwei Polizeiruf 110-Folgen zusammen konzipierten, orientieren sich an der wahren Geschichte des (2011 bei einem Luftangriff getöteten) Saif al-Arab Gaddafi, der zu seiner Studienzeit in München unbehelligt von der Justiz im Sportwagen umherbrauste und nach allen Regeln der Kunst über die Stränge schlug, während sein Vater in Libyen herrschte.

Political Correctness schreiben die Autoren dabei klein – das ist ungewöhnlich für die Krimireihe, für den Unterhaltungswert aber ein Riesenvorteil. "Ich kenn' dich als Rassisten, aber gegen Araber? Das ist ja ganz neu", wundert sich selbst Leitmayr, als Batic den aufbrausenden Nasir als "Kameltreiber, blöder!" beschimpft. Die Filmemacher um den leindwanderprobten Regisseur Rainer Kaufmann bedienen ganz offen Stereotypen, nehmen ihre schillernden Charaktere und die exotisch angehauchte Geschichte aber nie zu ernst. Da trottet schon mal ein Dromedar wie selbstverständlich durch den Vorgarten der Prinzenvilla.


NASIR AL YASAF:
Die zwei anderen sind gerade beim Besamen in Wien.


Anders als zum Beispiel im Leipziger Klischeefeuerwerk Türkischer Honig führen die kulturellen Überspitzungen zu köstlichen, aber nie albernen Dialogen, bei denen sich die altgedienten Kommissare in Top-Form zeigen.

"Wenn sie dir da die Hände abhacken, wer soll dann die Protokolle schreiben?", fragt sich der von der Messerattacke im Meisterwerk Am Ende des Flurs genesene Leitmayr, nachdem Nasir seinen Kollegen Batic am liebsten mit nach Kumar nehmen würde, um ihm dort monatlich sein jetziges Jahresgehalt zu überweisen. Spaß machen auch die Szenen mit dem zahnstocherkauenden Partylöwen Henk (herrlich dumpf: Wilson Gonzalez Ochsenknecht), der am liebsten mit einer halbnackten Blondine auf der Spielekonsole zockt und auf Kosten des Prinzen teuren Schampus kippt.

Der Wüstensohn ist bis dato eine der humorvollsten Folgen aus München und hätte auch gut nach Münster gepasst, doch die Grenze zum Klamauk wird im 916. Tatort nie überschritten. Die zum Kitsch schon eher: Spätestens, als Nasir einen schrägen Klagegesang anstimmt, ist das gesunde Maß an kultureller Einfärbung voll.

Der diplomatische Schutz des exzentrischen Arabers tritt übrigens schon bald in den Hintergrund: Anders als der kumarische Generalkonsul Abdel Saleh (Samir Fuchs, Melinda) zeigt sich Nasir kooperativ und begegnet Teppichfreund Batic ("Der passt farblich bei mir nicht rein.") fast freundschaftlich. Erst am Ende spitzt sich die Lage erwartungsgemäß wieder zu, doch ist die Auflösung vorhersehbar: Wer einleitend auf sich aufmerksam macht und dann wieder aus dem Blickfeld der Kommissare gerät, hat beim Mord nun mal mit ziemlicher Sicherheit seine Finger im Spiel. Dem hohen Unterhaltungswert tut dies kaum Abbruch.

Bewertung: 7/10

Verfolgt

Folge: 915 | 7. September 2014 | Sender: SRF | Regie: Tobias Ineichen
Bild: ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler
So war der Tatort:

Verschwörungstheoretisch.

Nachdem zuletzt in Kaltstart eine ferngesteuerte Drohne durch Wilhelmshaven schwirrte und die Bundespolizei-Ermittler Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) aus sicherer Distanz beobachtete, widmen sich Regisseur Tobias Ineichen (Skalpell) und Drehbuchautor Matthias Mauren im Schweizer Tatort Verfolgt einem ähnlichen Thema: Einleitend hetzt ein paranoider Verschwörungstheoretiker durch Luzern, während die Hauptkommissare Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) den Mörder seiner Geliebten suchen.

Ist IT-Experte Tom Behrens (Alexander Beyer, Ein ganz normaler Fall), der geheime Bankkonto-Daten seines Arbeitsgebers entwendet hat und selbst hinter einer Verhör-Aufzeichnung die ganz große Verschwörung wittert, am Ende selbst der Täter? Man darf Zweifel anmelden, denn schon bald konzentrieren sich die Ermittlungen auf den schmierig grinsenden Schweizer Privatbankier Sonderer (Pierre Siegenthaler) und den aalglatten deutschen Staatssekretär Demand (Markus Scheumann). 

Der Luzerner Tatort soll nach Kritik von allen Seiten politischer werden und das ist in Verfolgt in vielen Sequenzen zu spüren. Rein handwerklich leisten die Filmemacher dabei gute Arbeit: So eilt Behrens zu treibenden Elektro-Klängen, die wie eine aufgemotzte Variante des Chromatics-Tracks Tick of the clock (aus dem Soundtrack zu Nicolas Winding Refns Meisterwerk Drive) klingen und nicht zufällig im TV-Spot einer deutschen Großbank eingeflochten wurden, durch die Seestadt, während Kamera und Inszenierung das Vorhandensein der unsichtbaren Verfolger gekonnt suggerieren.


BEHRENS:
Sind wir nicht alle Whistleblower?

FLÜCKIGER:
Hören Sie mir doch auf mit diesem Wikiliki-Scheiß!


In der Folge verbraucht sich dieses Katz-und-Maus-Spiel allerdings recht schnell: Das immergleiche Soundbett ermüdet ebenso wie die einmal mehr mangelhaft synchronisierten, hölzernen Dialoge. Und wer glaubt, dass der ebenfalls unter Tatverdacht stehende Arbeitslose Michael Straub (Georg Scharegg) aufgrund einer blutverschmierten Jacke im Hausmüll der Täter sein muss, hat vermutlich noch nie bei einem Sonntagskrimi mitgerätselt.

Auch der abschließende Rundumschlag gegen das Finanzwesen und reiche Steuersünder ist zweifellos brandaktuell und gut gemeint, aber aller Schweizer Selbstironie zum Trotz (Flückiger: "Currywurst können die Deutschen definitiv besser!") nur mäßig gut gemacht.

Ärgerlich ist aber vor allem die plumpe Figurenskizzierung: Der völlig überzeichnete Regierungsrat Mattmann (Jean-Pierre Cornu), der Sonderer und Demand im Sinne der deutsch-schweizerischen Völkerverständigung aus der Schusslinie hält und die Kommissare immer wieder ausbremst, mausert sich zum nervigsten Nebencharakter der Krimireihe und agiert auch hier wieder ohne jeden kriminalistischen Instinkt. "Die Schweiz ist ein so wunderschönes Land, Herr Mattmann", darf Demand denn auch vielsagend säuseln, beim Zuschauer gezielt die Wut wecken und sich unverhohlen über die Machtlosigkeit des Polizeiapparats freuen.

Immerhin: Verfolgt ist der bis dato beste Tatort aus Luzern und nach Schmutziger Donnerstag und Geburtstagskind ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Allen abgegriffenen Dialogformeln zum Trotz.


MATTMANN:
Können wir denn da gar nichts mehr machen?

FLÜCKIGER:
Nein. Die sind mächtiger als wir.


Bewertung: 5/10