Scheherazade

Folge: 600 | 5. Juni 2005 | Sender: Radio Bremen | Regie: Peter Henning und Claudia Prietzel
Bild: NDR/Radio Bremen
So war der Tatort:

Verschwörerisch.

Und das kommt nicht von ungefähr: Schon der pragmatische Arbeitstitel, unter dem diese Bremer Tatort-Folge gedreht wurde, lautete schließlich Verschwörung. Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) und ihr Kollege Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) bekommen es darin mit einer ganz speziellen Person und ihrer noch sonderbareren Geschichte zu tun.

Viel Zeit für einen gemächlichen Einstieg in die 600. Tatort-Folge nimmt sich das auch privat liierte  Regieduo um Peter Henning und Claudia Prietzel, das später noch die Tatort-Folgen Ordnung im Lot und Echolot in den Sand setzt, allerdings nicht: Eine junge Frau hastet in bester Lola-rennt-Manier durch die Straßen, findet auf dem Teppich ihrer Wohnung einen Toten, hetzt weiter zum Polizeipräsidium und kann dort – relativ unbehelligt – bis in ein Verhörzimmer vordringen. Lürsen und Stedefreund stehen gerade kurz davor, einem Verdächtigen das Geständnis zu entlocken. So weit, so gut. Erstmal kurz durchatmen. 

Lürsen erkennt die Frau auf Anhieb wieder, hatte sie mit der drogenabhängigen und psychisch labilen Manuela "Manu" Truss (Esther Zimmering, Borowski und die Sterne) doch bereits vor Jahren Bekanntschaft gemacht. Aufgrund von Manus blühender Fantasie nennt sie sie seitdem nur noch Scheherazade – nach der berühmten Märchenerzählerin aus Tausendundeiner Nacht, der dieser Tatort seinen Titel verdankt. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass die erfahrene Kriminalistin der "Mein Freund ist tot"-Nummer zunächst keinen Glauben schenkt:


TRUSS:
Mein Freund ist tot. Marwan. Ermordet.

LÜRSEN:
Ach, und wer war's diesmal?


Doch zum Glück ist da ja noch Lürsens verständnisvoller Kollege Stedefreund: Er ist von Beginn an Feuer und Flamme für Manus Geschichte und etabliert sich schnell als treibende Kraft in einer recht verworrenen Story. 

Denn nachdem bei der anschließenden Besichtigung des Tatorts keine Leiche gefunden wird, präsentiert Manu den verdutzten Ermittlern bei laufendem Wasserhahn eine Erklärung in Form einer echten Weltverschwörung: Bei dem Toten handele es sich um niemand geringeren als ihren Mitbewohner Marwan al-Shehhi, angeblicher Todespilot der Terroranschläge vom 11. September, der aber in Wirklichkeit für den US-Geheimdienst spioniert habe, in Bremen untergetaucht und nun von der CIA getötet worden sei, da er über die wahren Hintergründe des Anschlags Bescheid gewusst habe. Wow. Ein Hauch von Homeland weht durchs beschauliche Bremen.

Schön wär's, denn was sich die Filmemacher für die Jubiläumsfolge der Krimireihe vorgenommen haben, ist unterm Strich eine Nummer zu groß. Kameramann Ngo The Chau, der später unter anderem den vieldiskutierten Nick-Tschiller-Erstling Willkommen in Hamburg filmt und bei der überragenden Nina-Rubin-Abschiedsfolge Das Mädchen, das allein nach Haus' geht Regie führt, fängt die psychische Ausnahmesituation der von Angst getriebenen Protagonistin zwar in wirkungsvollen Bildern ein, und auch die starke Performance von Esther Zimmering soll nicht unerwähnt bleiben. Beides kann die größte Schwäche des Paranoia-Thrillers aber nicht kaschieren: das Drehbuch. 

Denn so ganz passt das alles nicht zusammen. Die Auseinandersetzung mit den Hintergründen der Anschläge rund um 9/11 und den politischen Folgen bietet naturgemäß viel Potenzial, wird aber in Plattitüden abgehandelt. Die Filmemacher verlieren sich in dünnen Nebenschauplätzen, etwa Lürsens Sinnkrise ("Habe ich mich verändert?") und ihre damit einhergehende Affäre mit dem überheblichen Rolf Jahnussen (Peter Ender, Pauline). Auch er – das gehört fast dazu – ist natürlich irgendwie in den Fall verwickelt. Anspielungen auf Märchen wie Schneewittchen wollen auch noch untergebracht werden, lenken aber eher von der Handlung ab, als sie voranzubringen. 

Die Fremdschäm-Momente bleiben in diesem Fall Stedefreunds Assistenten (Dietmar Mössmer, Die Heilige) vorbehalten, der mit seinem schlafmützigen und pessimistischen Auftreten fast ein wenig an den späteren Kölner Tatort-Assistenten Norbert Jütte (Roland Riebeling) erinnert. Im Gegensatz zu seinem Pendant vom Rhein ist er hier aber so fehl am Platz wie die kitschige Casablanca-Sequenz am Flughafen, in der Lürsen und Jahnussen zum Abschluss noch einmal nette Allgemeinplätze austauschen.


JAHNUSSEN:
Es gibt eine Menge Wahrheiten im Leben.

LÜRSEN:
Nur irgendwann muss man sich entscheiden, welche Wahrheit man glaubt.


Die Wahrheit ist, dass dieser Tatort nicht überzeugt, denn er kann sich nicht entscheiden, was er eigentlich sein will: Geheimdienst-Thriller, Lovestory oder Suchtdrama? Am Ende bleibt vieles Stückwerk, und wahrlich: Weniger wäre hier mehr gewesen.

Bewertung: 4/10

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