Schwelbrand

Folge: 653 | 21. Januar 2007 | Sender: Radio Bremen | Regie: Thorsten Näter
Bild: Radio Bremen/Jörg Landsberg
So war der Tatort:

Reich an Popstars – und solchen, die es noch werden wollen oder nie wirklich waren. 

Schwelbrand ist der vieldiskutierte Tatort mit Echo-Gewinnerin und Ex-GZSZ-Darstellerin Jeanette Biedermann (Rock my life) und geizt auch sonst nicht mit mehr oder weniger klangvollen Namen aus dem deutschen Musikgeschäft: Neben den noch Jahre später erfolgreichen Bands Revolverheld und MIA tummelt sich im 653. Tatort gleich ein ganzes Dutzend längst vergessener Musiker, die zum Zeitpunkt der Dreharbeiten für einen kurzen Moment am deutschen Chartshimmel auftauchten.

DSDS-Finalverlierer Mike Leon Grosch schmettert ebenso ins Mikrofon wie Partyrapper Das Bo, One-Hit-Wonder Mattafix, Boygroup-Schnuckel Simon Webbe, Schmusesänger Nevio und Soul-Coversänger Stefan Gwildis, der eine deutsche Version von You can leave your hat on zum Besten gibt. Die aufgewärmte Interpretation von Joe Cockers Striptease-Klassiker ist nur eine von unzähligen musikalischen Einlagen, die Schwelbrand zu einer der musiklastigsten Tatort-Folgen aller Zeiten machen und in dem der Zuschauer aus allen Rohren mit Chartsstürmern wie Big City Life oder Hungriges Herz befeuert wird. 

Biedermann, die sich in der Rolle der Rockröhre Dana nur selbst spielen muss, beansprucht erwartungsgemäß große Teile des  Rampenlichts für sich - und macht den elften gemeinsamen Einsatz der Bremer Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) und ihrem Kollegen Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) für alle Nicht-Fans der blondgefärbten Ex-Soap-Darstellerin und späteren EWIG-Sängerin mit ihrer selbstmitleidigen Performance zur reinsten Tortur.


STEDEFREUND:
Ich hab sie immer noch nicht erkannt. Wer ist das?

LÜRSEN: 
Kennst du nicht. Spielt nicht bei Werder.


Dass Schwelbrand nicht ganz so katastrophal ausfällt wie der thematisch ähnlich gelagerte Ludwigshafener Rohrkrepierer Fette Krieger liegt an der überraschenden Wendung, die nach einer guten Stunde Schwung ins Geschehen bringt. 

Bis dahin arbeitet Regisseur und Drehbuchautor Thorsten Näter (Atemnot) in einem unerträglichen Mix aus weichgespülter Live-Musik, platten Dialogen und halbherzigen Ermittlungen so ziemlich jedes Vorurteil ab, mit dem die Musikszene in der öffentlichen Wahrnehmung zu kämpfen hat: Musiker sind zweifellos talentiert und immer zu Scherzen aufgelegt, aber schwierig im Umgang und verfolgt von fanatischen Stalkern und Neidern. Wenn sie sich angegriffen fühlen, halten sie jedoch bedingungslos zusammen und performen schon mal spontan Michael Jacksons Superhit They don't care about us in der Hotellobby. 

Die Skizzierung der rechten Szene, die Verdächtige am Fließband liefert und den zweiten großen Handlungsstrang in Schwelbrand ausmacht, fällt ähnlich oberflächlich aus, weil sich auch hier keine einzige Figur von den bekannten Stereotypen abhebt: Der fanatische Arbeitslose Markus Solbach (Sven Fricke, Rabenherz), der von seinen Kameraden erstmalig Anerkennung erntet, der intellektuelle Taktiker und Bewegungsführer Rüdiger Seitz (Thomas Sarbacher, Skalpell), der sich von den Gewalttaten der verblendeten Vorzeige-Neonazis Wolfgang Brüder (charismatisch: Florian Panzner, Blutdiamanten) und Gert 'Gobo' Bolt (Georg Blumreiter, Vermisst) distanziert, und nicht zuletzt zwei Dutzend glatzköpfiger Mitläufer, die genauso viel Haare auf dem Kopf wie Verstand zwischen den Ohren haben. 

Und dann ist da noch der trottelig dreinblickende Kriminalassistent Karlsen (Winfried Hammelmann), der sich als Hobby-Puppenspieler einmal mehr für den zweifelhaften Titel "Schwächster Nebendarsteller in einer wiederkehrenden Tatort-Rolle" bewirbt: Es ist ein Trauerspiel mit dem Mann. 

So schrammt Schwelbrand, in dem zu allem Überfluss noch ein furchtbar kitschiger Schlussakkord im Rahmen eines Konzerts gegen Rechts anstimmt, nur dank des netten Twists im Schlussdrittel am Prädikat Totalausfall vorbei.

Bewertung: 2/10

Die Blume des Bösen

Folge: 651 | 1. Januar 2007 | Sender: WDR | Regie: Thomas Stiller
Bild: WDR/Michael Böhme
So war der Tatort:

Brenzlig – und zwar in erster Linie für Hauptkommissar Max Ballauf (Klaus J. Behrendt). 

Die Blume des Bösen beginnt nicht wie gewohnt mit einem Mord, sondern mit einem Anschlag auf den Kölner Ermittler: Ein Unbekannter schickt Ballauf einen Umschlag, aus dem beim Öffnen im Präsidium eine gelbliche Flüssigkeit in sein Gesicht spritzt. 

Doch damit nicht genug: Der Täter, der die vermeintliche Säure-Attacke vorher telefonisch angedeutet hatte, fordert ihn zu einem Spiel um Leben und Tod heraus. Schafft es Ballauf nicht, die ihm gestellten Prüfungen und Rätsel zu lösen, stirbt eine Person aus seinem Bekanntenkreis. Zum Beweis taucht kurz nach dem Anschlag die Leiche einer ehemaligen Geliebten auf – dekoriert mit roten Lilien. 

Da sind sie also, Die Blume des Bösen und die obligatorische Auftaktleiche, und doch ist der 651. Tatort einer der ungewöhnlichen Sorte: Die Story lebt nicht von der Suche nach dem Mörder, sondern von der Frage nach seinem nächsten Opfer. Ballauf und seinem Kollegen Freddy Schenk (Dietmar Bär) bleibt bei ihrem 36. gemeinsamen Fall nur wenig Zeit, um durchzuatmen. In bester Stirb langsam 3-Manier hetzt Ballauf mit einer Tasche voller Geld durch die Großstadt, angetrieben vom unbekannten Anrufer. 

Und als wäre ein rachsüchtiger Jigsaw-Verschnitt ("Ich möchte ein Spiel mit Ihnen spielen, Ballauf!") nicht schon stressig genug, taucht aus heiterem Himmel Ballaufs Cousine Beatrice (Nadeshda Brennicke, Rendezvous mit dem Tod) auf und bittet ihn darum, während ihres Krankenhausaufenthalts auf seine Nichte Anna (Luzie Kurth) aufzupassen. Der ewige Junggeselle meistert die Aufgabe als Ersatz-Papa überraschend gut – und gewährt sentimentale Einblicke in eine Vergangenheit, in der er selbst nie Vater werden wollte.


BALLAUF: 
Ich hab' wahrscheinlich Angst gehabt. Angst vor ihrer Einsamkeit und dieser unheimlichen Sehnsucht, geliebt zu werden.


Drehbuchautor und Regisseur Thomas Stiller (Frohe Ostern, Falke) inszeniert einen fast durchgängig spannenden Krimi. Im Gegensatz zu den meisten anderen Tatort-Folgen steuert der Film aber nicht nur auf einen großen Showdown am Ende zu: Gleich mehrere verteilen sich auf die 90 Minuten. 

Die Hauptdarsteller Behrendt und Bär können bei dieser Gelegenheit zeigen, dass ihre Charaktere mehr können, als nur Zeugen zu befragen und Currywurst zu essen. Jürgen Schornagel (Todesbande) gibt als Bösewicht Kuschmann den sadistischen Kontrahenten – doch spätestens auf der Zielgeraden entgleitet ihm seine Rolle als eindimensionaler Psychopath ins Überzeichnete. 

Den Gegenpol zum einmal mehr aufbrausenden Ballauf bildet Schenk, der seinem Partner besonnen und ohne Wenn und Aber zur Seite steht. Dass den Ermittlern in einer solchen Ausnahmesituation Fehler unterlaufen, ist zu verschmerzen, doch birgt das Drehbuch unübersehbare Schwächen: Während der erste Umschlag noch akribisch im Labor auf schädliche Substanzen untersucht wird, werden alle weiteren Botschaften des Killers einfach ungeprüft an Ballauf weitergereicht. Später kämpft sich eine Gruppe Ermittler durch drei Säcke geschredderter Fotos, ohne eine bestimmte Person vorher fragen, ob sie denn überhaupt fotografiert worden ist. 

Hinzu kommen einige Nebenkriegsschauplätze, die von dem fesselnden Katz-und-Maus-Spiel zwischen Ballauf und Kuschmann ablenken: Am befremdlichsten wirkt eine fast aberwitzige, überhaupt nicht zum angeschlagenen Erzählton passende Sequenz in der Pathologie, in der Rechtsmediziner Dr. Joseph Roth (Joe Bausch) die Kommissare darauf hinweist, dass er Geburtstag habe und gerade von seiner Frau verlassen worden sei. 

Die Reaktion der Kommissare fällt verhalten aus – ganz anders als dieser emotional aufgeladene und unter dem Strich sehr unterhaltsame Krimi-Thriller, der insgesamt aber zu konstruiert wirkt. An ähnlich gelagerte Hochkaräter wie den herausragenden Batu-Fall Häuserkampf reicht Die Blume des Bösen damit nicht ganz heran.

Bewertung: 7/10