Auskreuzung

Folge: 811 | 25. September 2011 | Sender: WDR | Regie: Torsten C. Fischer
Bild: WDR/Willi Weber
So war der Tatort:

Gentechnisch.

Auskreuzung ist nämlich ein neunzigminütiger Crash-Kurs in Biologie – aber leider alles andere als ein gelungener Tatort. Einmal mehr wird der Zuschauer Zeuge, wie die Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) bemüht ein tagesaktuelles Streitthema abarbeiten müssen – hier die böse Gentechnik und deren Nutzen für die profitgierige Pharmaindustrie.

Das wäre zu verkraften, wenn Drehbuchautor Karl-Heinz Käfer (Bittere Mandeln) seine Geschichte um die titelgebende Auskreuzung im Versuchslabor und die fanatischen Feldbefreier an der Ackerfront zumindest in einen spannenden Krimi verpackt hätte, doch der 811. Tatort ist von vorne bis hinten ein langweiliges Ärgernis.

Der einleitende Leichenfund im Kölner Kehrmann-Bredel-Institut ist dabei fast noch das Einfallsreichste: Eine junge Pflanzenforscherin führt nachts Experimente durch, und als am nächsten Morgen das Licht angeht, liegt sie kopfüber und tot in einer Gefriertruhe.

Ein origineller und atmosphärisch ansprechender Auftakt, doch in der Folge hagelt es Forschungskritik zum Fremdschämen und reihenweise aufgesetzte Dialoge. Zum Beispiel dann, wenn sich Schenk beim verdutzten Kneipenwirt nach dem Kartoffelursprung seiner Pommes erkundigt oder sich Ballauf von Labortechnikerin Lara Bahls (Luise Berndt) den Begriff "Zeitreihenversuch" erklären lässt.

Auch in der Folge stellt der deutlich liberaler als sein Kollege eingestellte Kommissar eine pseudointeressierte Frage nach der nächsten, um dem ahnungslosen Zuschauer die Wissenschaft etwas näher zu bringen, während Schenk – wie könnte es anders sein – den kritischen Gegenpart für eine möglichst differenzierte Aufarbeitung der Thematik einnimmt.


BALLAUF:
Was war das denn jetzt, Biologiestunde?


SCHENK:
Hintergrundrecherche.


Spannend ist das alles zu keinem Zeitpunkt, und auch der großartige Tom Schilling (Am Ende des Tages) ist in seiner eindimensionalen Rolle als fanatischer Feldbefreier und Umweltaktivist völlig verschenkt.

Regisseur Torsten C. Fischer (Der Fall Reinhardt) inszeniert eine viel zu konstruierte und überfrachtete Geschichte – das zeigt sich exemplarisch am Handlungsstrang um Ballaufs vermeintlichen Sohn Finn Weber (Kai-Peter Malina, Gestern war kein Tag), der eines Tages beim Kölner Kommissar auf der Türschwelle sitzt.

Na klar,  Genetik gibt es nicht nur bei Pflanzen, sondern auch beim Menschen – und da bietet es sich offenbar an, mit der Brechstange eine mehr als dünne Vaterschaftsstory mit in den Tatort zu quetschen.

Ballauf, der sich prompt von Gerichtsmediziner Dr. Roth (Joe Bausch) einen persönlichen Vaterschaftstest liefern lässt, wirkt in diesen Szenen so gealtert wie nie zuvor – und reagiert nach anfänglicher Abneigung natürlich höchst verständnisvoll, als sein selbsternannter Nachkomme sternhagelvoll ins Gästezimmer pullert ("Soll ich dir was sagen? Ist mir auch schon mal passiert.").

Die einzige interessante Figur ist aber nicht der junge Teppichnässer, sondern Molekularbiologin Bahls ("Genetisch gesehen sind Menschen und das Blasenmützenmoos gar nicht so unterschiedlich."), die hin- und hergerissen zwischen Laborpräzision und Hippie-Romantik reichlich Platz zur Entfaltung bekommt.

Dennoch ist Auskreuzung unter dem Strich ein typischer Kölner Tatort aus dem Jahr 2011: belehrend, kritisch und diskussionsfreudig, aber leider selten originell oder fesselnd. Selbst bei der Antwort auf Ballaufs Vaterschaft windet sich Drehbuchautor Käfer aus der Affäre – man hätte diesen Nebenkriegsschauplatz einfach streichen sollen. So sind die nackten Brüste von Lichtblick Luise Berndt in diesem schwachen Tatort fast noch das Aufregendste.

Bewertung: 3/10

Zwischen den Ohren

Folge: 810 | 18. September 2011 | Sender: WDR | Regie: Franziska Meletzky
Bild: WDR/Thomas Kost
So war der Tatort:

Geschlechterfixiert.

Wie ziehen sich Männer den Pulli aus, wenn es ihnen zu warm wird? Wie machen es Frauen? Was macht einen Mann zum Mann? Wo liegt seine innere Mitte? Und was genau ist eigentlich Intersexualität?

Diese und ähnliche Fragen prägen den zwanzigsten Fall von Hauptkommissar und St. Pauli-Fan Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers). Doch der Tatort aus Münster wäre nicht der Tatort aus Münster, wenn nicht auch noch zwei Running Gags im Plot untergebracht würden: Während Thiel auf der heimischen Couch geduldig versucht, noch Tage nach dem längst feststehenden Endergebnis eine Aufzeichnung des Pokal-Hits St. Pauli gegen Bayern nachzuholen (und dabei natürlich ständig unterbrechen muss), wird Boerne in Zwischen den Ohren eine ganz besondere Ehre zuteil – er wird mit dem prestigeträchtigen Wissenschaftspreis ausgezeichnet.

Zur Preisverleihung begleiten darf ihn – aus Mangel an weiblichen Alternativen – seine Assistentin Silke "Alberich" Haller (Christine Urspruch), die anerkennend registriert, dass sich ihr Chef bei der Dankesrede mal wieder selbst übertrifft, weil er am Ende doch nicht die Fassung verwendet, die er bei einem köstlichen Monolog vor dem Spiegel in seiner Wohnung einstudiert hatte.

Boernes Selbstbeweihräucherung bei der Generalprobe ist die zweitbeste Szene in einem gewohnt kurzweiligen Tatort aus Westfalen: Die witzigste bleibt eindeutig der alkoholschwangere Männerabend nach Boernes Triumph, bei dem die beiden Ermittler fleißig um die Wette lallen und spontan Brüderschaft trinken. Ohne Knutschen, versteht sich.

Einmal mehr gehen die zahlreichen Gags und die amüsanten Nebenkriegsschauplätze aber zulasten der Spannung, die sich in Zwischen den Ohren von Minute 1 bis 90 nicht einstellen will. Das Drehbuch des eingespielten Duos Christoph Silber (Auf der Sonnenseite) und Thorsten Wettcke (Schweinegeld) versorgt das Sonntagspublikum zwar mit dem nötigen medizinischen Grundwissen, um überhaupt verstehen zu können, was der Alltag für einen im Volksmund "Zwitter" getauften Menschen – hier: Nachwuchs-Tennisstar Nadine Petri (Anna Bullard, Das Mädchen Galina) – bedeutet, erlaubt sich aber gleich eine Handvoll kratergroßer Logiklöcher.

Exemplarisch dafür steht der Fund der Leiche, von der "Vaddern" Thiel (Claus Dieter Clausnitzer) zunächst nur den von einer Schiffsschraube abgetrennten Fuß aus einem See angelt: Lässt die Kripo das Gewässer danach absperren? Werden Taucher in den See geschickt, um den Rest des Torsos zu suchen und bergen? Weit gefehlt.

Stattdessen ist es tatsächlich Thiels Erzeuger, der bei einem erneuten nächtlichen Angelausflug zufällig auf die im Wasser treibende Leiche stößt. Das ist schlichtweg hanebüchen – und wie so oft nur zu verschmerzen, weil Mord und Täterfrage im Tatort aus Münster traditionell eine untergeordnete Rolle spielen und der Rest der Geschichte so unterhaltsam ausfällt.

Da kann man auch über die angeblich herausragenden Tennisfähigkeiten von Nachwuchshoffnung Petri, die Bälle mit meterhohem Abstand über die Netzkante Richtung Nachbarplatz returniert, nur schmunzeln.

Bewertung: 7/10

Tod einer Lehrerin

Folge: 809 | 11. September 2011 | Sender: SWR | Regie: Thomas Freundner
Bild: SWR/Stephanie Schweigert
So war der Tatort:

Afrikanisch.

Tod einer Lehrerin macht es sich nämlich in erster Linie zur Aufgabe, dem Zuschauer die Sitten und Gebräuche unserer afrikanischen Mitmenschen – hier: Somalia-Auswanderer – näherzubringen, die sich in Ludwigshafen regelmäßig im Deutsch-Afrikanischen Begegnungszentrum treffen.

Dort verkehrt auch die Familie der schweigsamen Schülerin Eshe Steger (Corazon Herbsthofer), deren Lehrerin – der Krimititel legt es bereits nahe – einen grausamen Salzwassertod in der eigenen Wohnung stirbt und zu der die junge Afrikanerin offenbar einen besonders guten Draht hatte.

Daher dauert es auch nicht lange, bis Hauptkommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und ihr langjähriger Kollege Mario Kopper (Andreas Hoppe) im Begegnungszentrum aufschlagen und sich mehr (Odenthal, die gleichmal vom Buffet probiert) oder weniger (Kopper, der grad ganz andere Sorgen hat) mit der afrikanischen Kultur und den ins Leben gerufenen Hilfsprojekten auseinandersetzen.

Natürlich liegt hier auch der Schlüssel zur Auflösung der Täterfrage, doch wird man das Gefühl nicht los, dass es im 809. Tatort am Ende eigentlich gar nicht mehr darum geht, wer die Lehrerin auf dem Gewissen hat, sondern vielmehr darum, ob das Ermittlerteam die kleine Meeka (Emisya Valeta) noch in letzter Sekunde vor der Zwangsbeschneidung – auch weibliche Genitalverstümmelung genannt – bewahren kann. Die nämlich "gibt es auch in Deutschland" – ein Satz, der in Tod einer Lehrerin gleich mehrfach fällt, damit es am Ende auch wirklich der letzte Zuschauer verinnerlicht hat.


ODENTHAL:
Da hört's bei mir mit Toleranz auf.


Zweifellos ein ehrenwertes Unterfangen, dem Zuschauer diese grausame, noch immer viel zu weit verbreitete Praxis näherzubringen, doch Regisseur und Drehbuchautor Thomas Freundner (Tote Erde) versteht es erst auf der Zielgeraden, auch Spannung aus seiner wichtigen Thematik zu schöpfen.

Das liegt auch daran, dass er den Plot mit einer halbgaren, furchtbar schmalzigen Vaterschaftsgeschichte überlädt und den vermeintlichen Vater Mario Kopper beim gemeinsamen WG-Grappa mit Mitbewohnerin Lena in Erinnerungen an dreißig Jahre zurückliegende Sexabenteuer am Strand schwelgen lässt.

Dass seine mutmaßliche Tochter Marie (Claudia Eisinger, Zorn Gottes) zufällig als Referendarin an derselben Schule unterrichtet wie die verstorbene Lehrerin und demonstrativ eine selten dämliche Goldkette mit der Aufschrift "MARIO" um den Hals baumeln hat, macht diesen Nebenkriegsschauplatz nur noch unglaubwürdiger und Tod einer Lehrerin damit kaum besser.

Andererseits: Man hätte dem enttäuschten Kopper die Tochter am Ende fast gewünscht. Dann wäre in den Folgefolgen aus Ludwigshafen vielleicht endlich mal wieder ein bisschen Leben in die gemeinsame Odenthal-Kopper-Bude gekommen.

So ist in der Stadt am Rhein, in der neben der BASF offenbar auch noch ein Großkonzern namens "Lupharm" ansässig ist, am Ende leider wieder alles beim Alten: Kopper bleibt kinderloser Junggeselle und der Tatort trotz einer charismatischen Performance von Wolfgang Michael (Wie einst Lilly) als Enno Steger und einem souveränen Auftritt der späteren Göttinger Tatort-Kommissarin Florence Kasumba (Der illegale Tod) als dessen Scheinehefrau Dafina vieles schuldig.

Bewertung: 4/10

Altes Eisen

Folge: 808 | 4. September 2011 | Sender: WDR | Regie: Mark Schlichter
Bild: WDR/Willi Weber
So war der Tatort:

Kölnfixiert – denn selbst bei einer Toilettenpause oder laut knuspernden Chips im Mund ist es eigentlich kaum möglich, die zahlreichen Anspielungen auf den Schauplatz der 808. Tatort-Folge zu verpassen.

Pünktlich zu seinem 50. gemeinsamen Fall soll das altgediente Ermittlerduo Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) getrennt werden, denn Ballauf liegt ein Job-Angebot vom Bundeskriminalamt in Wiesbaden vor. Schenks schlagendes Argument, um seinen Partner in Köln zu halten: dessen schöne Wohnung.


SCHENK:
Domblick. Was will man mehr vom Leben?


Auch der zu lösende Mordfall ist gespickt mit Lokalkolorit: Die Hausbesitzerin Erika Roeder (Marie-Anne Fliegel, Nasse Sachen) wurde ermordet. Schnell stellt sich heraus, dass sie schon lange versucht hatte, ihre beiden letzten verbleibenden Mieterinnen Gerda Felten (Heide Simon, Ohne Beweise) und Trudi Hütten (Edgar Selge, Machtlos) zum Auszug zu bewegen.

Die bettlägerige, depressive Gerda und die transsexuelle Trudi passen einfach nicht mehr in den zum Szeneviertel mutierenden Bezirk – in Altes Eisen wird er natürlich "Veedel" genannt (so wie auch später in Wacht am Rhein), denn wir sind hier schließlich in Köln. Da dürfen auch der eine oder andere Seitenhieb auf die rechtsrheinische Seite, in der unter anderem die bösen Medienunternehmen ansässig sind, und Aussagen wie "immer das Gleiche hier in Köln" nicht fehlen.

Obwohl mit Frank Roeder (Aljoscha Stadelmann, Spiel auf Zeit), dem Sohn der Toten, seiner Freundin Sophie (Henny Reents) und dem windigen Wettbürobesitzer Peter Stamm (Tobias Oertel, Happy Birthday, Sarah) noch weitere Verdächtige eingeführt werden, liegt der Fokus deutlich auf den Themen Gentrifizierung und Diskriminierung.


HÜTTEN:
Ach, Herr Ballauf, du musst gar nicht um den heißen Brei herumreden. Ich weiß doch, dass ich verdächtig bin.


BALLAUF:
Warum?

HÜTTEN:
Weil ich eben so bin, wie ich bin.


SCHENK:
Was sind Sie denn?

HÜTTEN:
Früher war ich ein Mann und jetzt bin ich eine Frau. Jedenfalls dem Namen nach. Steht sogar in meinem Personalausweis.


Ein ähnlich steifes Frage-Antwort-Spiel, bei dem der WDR offenbar seinem öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag gerecht werden will, findet einige Szenen später zwischen Trudi Hütten und Assistentin Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt) im Hinblick auf das Transsexuellen-Gesetz und die rechtlichen Rahmenbedingungen bei Geschlechtsumwandlungen statt.

Drehbuchautor Mario Giordano (Todesschütze) gibt zwar einen groben Überblick über die Fakten, die unnatürlich wirkenden Dialoge und die starke Fixierung auf die transsexuelle Figur hemmen jedoch die Spannung. Da hilft es wenig, dass Dauersingle Ballauf der vermeintlichen Liebe seines Lebens begegnet und die ganze Folge miesepetrig durch die Verhöre schleicht, als er erfährt, dass seine Affäre – die Polizeipsychologin Lydia Rosenberg (Juliane Köhler, Keine Polizei) – verheiratet ist.

Rosenberg taucht nach Altes Eisen noch mehrmals im Kölner Tatort auf – unter anderem in Wahre Liebe und Narben. Auch die anderen Nebendarsteller sind in der deutschen Fernsehlandschaft keine Unbekannten: Henny Reents und Tobias Oertel sind beide als Ermittler in anderen ARD-Krimireihen zu sehen, und der gewohnt glänzend aufgelegte Edgar Selge war von 2001 bis 2009 Polizeiruf 110-Kommissar in München. Interessante Parallele: Selges Figur Jürgen Tauber quittierte den Polizeidienst, weil er wiederholt aufgrund seiner Homosexualität gemobbt wurde.

Die beiden Kölner Hauptkommissare wirken in ihrem Jubiläumsfall aber eher amtsmüde als unglücklich: Während Ballauf zum wiederholten Mal seine Lebensplanung überdenkt (vgl. Mutterliebe), sorgt Schenk mit Sticheleien gegen seinen Kollegen ("Ist ja auch nichts für dich, in deinem Alter!") und halbgaren Floskeln für gereizte Stimmung ("Manchmal habe ich so die Nase voll von diesem ganzen Dreck. Wie oft habe ich das schon gesagt seit wir uns kennen?" - "Eine Million Mal.").

Auch eines der ekligsten Nasenbluten der Tatort-Geschichte erspart Regisseur Mark Schlichter (Familienaufstellung) den Zuschauern nicht – inszeniert unter dem Strich aber einen soliden, wenn auch für ein Jubiläum relativ unspektakulären Whodunit, der mit einer unverbrauchten Themenwahl punktet.

Bewertung: 5/10