Skalpell

Folge: 839 | 28. Mai 2012 | Sender: SRF | Regie: Tobias Ineichen
Bild: SWR/SRF/Daniel Winkler
So war der Tatort:

Lehrreich.

Denn Skalpell widmet sich wie erst kurz zuvor der Münster-Tatort Zwischen den Ohren dem Thema Intersexualität – jenem Phänomen also, das im Volksmund gemeinhin unter dem Begriff "Zwitter" bekannt ist.

Im Gegensatz zum Fall aus Westfalen, in dem die Problematik nur als Aufhänger für die üblichen Gagsalven und Krimimomente benutzt wird, breitet Drehbuchautor Urs Bühler diese aber in aller Ausführlichkeit aus – inbesondere im Mittelteil des zweiten Einsatzes von Hauptkommissar Reto Flückiger (Stefan Gubser) dürfte sich so mancher Zuschauer wie in einem zweitklassigen Lehrfilm vorkommen.

Zugegeben: Dass sich aus Oberschenkelgewebe eine sogenannte "Neovagina", in der Gynäkologie auch unter dem Namen Kolpopoese bekannt, basteln lässt, dürfte dem Großteil des Publikums neu sein – wirklich besser machen solchen Detailinformation Skalpell aber vor allem als Krimi nicht.

Flückigers zweiter Einsatz spielt  zwar qualitativ eine ganze Liga höher als sein vollkommen missratenes Debüt Wunschdenken, ist aber noch immer weit davon entfernt, das Schweizer Fernsehen innerhalb des Tatort-Kosmos standesgemäß zu vertreten.

Immerhin: Die nervtötende Ami-Kollegin Abby Lanning (Sofia Milos) ist schon nach einer Folge wieder Geschichte – ab sofort ermittelt Liz Ritschard (Delia Mayer, 1999 bereits in einer Nebenrolle in Alp-Traum zu sehen) an der Seite des attraktiven Hobbyseglers.

Profil verleihen ihr die Schweizer Filmemacher freilich noch keines: Ritschard ist letztlich (noch) nicht mehr als eine von vielen Kolleg(inn)en im Team des Luzerner Kommissars, wird kaum charakterlich skizziert und stagniert als Stichwortgeberin und schmückendes Beiwerk.

Regisseur Tobias Ineichen, der zuletzt die Münchner Tatort-Folge Liebeswirren inszenierte, ist dabei noch der geringste Vorwurf zu machen: Für die störende Synchronisation, die wie schon in Wunschdenken jederzeit akustisch greifbar ist, kann er nichts, aus dem schwachen Drehbuch von Urs Bühler holt er noch das Beste heraus.

Mit dem ausgefallenen Tathergang sorgt der Autor zwar für ein spätes Aha-Erlebnis, doch in der letzten Sequenz fährt er den 839. Tatort schließlich vollends vor die Wand: Der abstruse, unfreiwillig amüsante Showdown demaskiert die Schweizer Polizeibeamten praktisch als unbeholfene, überforderte Amateure.

Da laden die bis an die Zähne bewaffneten Gesetzeshüter den isolierten, umzingelten Hauptverdächtigen doch glatt zu einer spontanen Geiselnahme ein, damit in den letzten Minuten zumindest noch mitgefiebert werden darf – besser gesagt: mitgefiebert werden soll.

Bewertung: 3/10

Der Wald steht schwarz und schweiget

Folge: 838 | 13. Mai 2012 | Sender: SWR | Regie: Ed Herzog
Bild: SWR/Peter A. Schmidt
So war der Tatort:

Interaktiv.

Denn die ARD blendete während der Erstausstrahlung des Films im Mai 2012 auf Videotext-Seite 777 nicht nur erstmalig aktuelle #Tatort-Tweets ein, sondern forderte die Internetgemeinde auch zum Miträtseln auf. Besonders eine Frage blieb nach dem Abspann aber unbeantwortet: Warum den Drehbuchautoren und dem SWR für seine zu diesem Zeitpunkt älteste Tatort-Stadt einfach nichts Neues mehr einfällt.

Eine Entführung der Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) gab es schließlich schon zur Genüge, zuletzt in der Serienmörder-Folge Hauch des Todes, in der sich die Ludwigshafener Hauptkommissarin in Plastikfolie wickeln und in letzter Sekunde von ihrem Kollegen Mario Kopper (Andreas Hoppe) retten ließ.

In Der Wald steht schwarz und schweiget (eine schöne Hommage an das Kinderlied Der Mond ist aufgegangen) sind keine Psychopathen, sondern Jugendliche aus einem Resozialisierungscamp hinter Odenthal her – Teenager also, die im Privatfernsehen normalerweise in Rachs Restaurantschule oder bei Die strengsten Eltern der Welt enden. Teenager, die vermutlich kein Wort Französisch sprechen, in diesem Film aber durch den Pfälzer Wald nach Frankreich fliehen wollen. Und Teenager, die ein Dutzend Magic Mushrooms vertilgen und wie Westernhelden durch die Gegend ballern, gleichzeitig aber über das Wort "Pimmelgarage" kichern und sich um die geschundenen Füße sorgen.


JUGENDLICHER:

Können wir nicht mal auf dem richtigen Weg gehen? Ich hab schon richtig krasse Blasen.


Natürlich, mit einer Geisel im Gepäck bieten sich ausgeschilderte Wanderwege an. Dem durchgeknallten Glatzkopf die Knarre anzuvertrauen – besonders clever. Und dass die Erfolgsaussichten, mit einem Helikopter im Genick zu sechst in einer morschen Nussschale über einen stark strömenden Fluß zu schippern, überschaubar ausfallen, dürfte eigentlich selbst den bildungsfreien Halbstarken ("Was ist denn Risotto?") einleuchten.

So etwas wie Logik oder gar Realitätsnähe sucht man in Der Wald steht schwarz und schweiget fast über die gesamte Spieldauer des Films vergebens – ja warum schweiget er denn überhaupt, der Wald? Schließlich sind permanent Buschtrommeln oder bedeutungsschwangere Streicher zu hören, während in Herr der Ringe-Manier über Stock und Stein gehetzt wird.

Sie können einem fast leid tun, die fünf Jungschauspieler, unter ihnen spätere deutsche Kinostars wie Frederick Lau oder Edin Hasanovic, genötigt zu permanentem Over-Acting, Wörtern wie "Akopperlypse", Stockholm-Syndrom, Spinnen-Tätowierungen am Hals und emotionalen Ausbrüchen im Minutentakt.

In der langen Tatort-Geschichte der Lena Odenthal gab es schon einige blamable Kapitel – man denke nur an die Katastrophenfolge Fette Krieger. Mit dem 838. Tatort wurde ein weiteres, aber noch lange nicht das letzte geschrieben.

Bewertung: 1/10

Die Ballade von Cenk und Valerie

Folge: 837 | 6. Mai 2012 | Sender: NDR | Regie: Matthias Glasner
Bild: NDR/Sandra Hoever
So war der Tatort:

Bondesk – mal wieder und zugleich zum letzten Mal.

Dass der Hamburger Undercover-Cop Cenk Batu (Mehmet Kurtulus) mehr mit dem populären Geheimagenten Ihrer Majestät gemeinsam hat als mit einem klassischen Tatort-Ermittler im eigentlichen Sinne, kristallisierte sich schon bei seinem ersten Einsatz Auf der Sonnenseite heraus und gipfelte zuletzt in seinem herausragenden fünften Fall Der Weg ins Paradies – und in Die Ballade von Cenk und Valerie, Batus sechstem und letzten Einsatz, versucht Regisseur und Drehbuchautor Matthias Glasner (Flashback) inszenierte, sogar noch einen draufzusetzen.

Statt klassischen Krimimotiven wie dem Töten aus Eifersucht oder einem Rachemord liefert der hanseatische Filmemacher mit der Finanzkrise und ihren profitgierigen Protagonisten ein brandaktuelles internationales Thema – verliert es aber auch überraschend schnell wieder aus dem Blickfeld.

Schon nach einer halben Stunde entwickelt sich der 837. Tatort zu einem waschechten Actionthriller – und mittendrin steckt der deutsche Bundeskanzler Grasshoff (Kai Wiesinger, Der Frauenflüsterer).

Skrupellose Banker? In Ordnung.
Entführte Freundin? Gern.
Entführte Freundin auch noch schwanger? Na gut.
Anschlag auf den Bundeskanzler? Wenn's denn unbedingt sein muss.

Aber all das zusammen in ein und denselbem Tatort?

Das ist eine Nummer zu groß – selbst für Cenk Batu, das charismatische und so authentische 007-Pendant, das ausgerechnet dem beim Publikum später alles andere als beliebten neuen Hamburger Hauptkommissar Nick Tschiller (Til Schweiger, Debüt in Willkommen in Hamburg) weichen muss.

Unterhaltsam und spannend ist Die Ballade von Cenk und Valerie trotzdem – nicht zuletzt, weil eine Schauspielerin in die Bresche springt, deren Figur ebenfalls direkt dem Bond-Universum entnommen zu sein scheint: Filmpreis-Abonnentin Corinna Harfouch (Pauline), ähnlich farblos gekleidet wie Oberst Klebb aus Liebesgrüße aus Moskau, spielt mit der eiskalten Killerin Valerie eine ihrer bis dato ungewöhnlichsten Rollen.

Harfouchs Performance ist nicht nur einmal mehr brilliant, sondern auch ungemein erfrischend: Eine derartig gefühlslose Tötungsmaschine, die charakterlich erfreulich ausführlich skizziert wird, bekommt man im Tatort selten zu sehen. Valerie und Batu liefern sich vor allem im Mittelteil ein elektrisierendes Duell auf Augenhöhe.

Auch der blutige Showdown, bei dem der gebürtige Hamburger Glasner gekommt mit den Sympathien für den Ermittler spielt und dessen spektakulären Abgang für das Publikum damit zumindest ein wenig verdaulicher gestaltet, entschädigt für einiges, macht aber nicht alle Drehbuchschwächen wieder wett.

So bleibt Batus letzter Einsatz ein guter, aber bei weitem nicht sein bester – Spaß gemacht hat es mit Mehmet Kurtulus in den vier Jahren zuvor aber mehr als genug. Die Messlatte für Schweiger liegt an der Waterkant hoch – wie sich schon bald herausstellt, sogar zu hoch.

Bewertung: 7/10