Das Wunder von Wolbeck

Folge: 851 | 25. November 2012 | Sender: WDR | Regie: Matthias Tiefenbacher
(Bild: WDR/Wolfgang Ennenbach)
So war der Tatort:

Ländlich.

Pünktlich zur hölzernen Hochzeit von Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) – die beiden Publikumslieblinge aus Münster feiern mit Das Wunder von Wolbeck ihr zehnjähriges Tatort-Jubiläum – schickt der WDR das ungleiche Quoten-Traumpaar mal wieder raus aufs Land und knüpft damit nahtlos an die früheren Münsterland-Ausflüge in Höllenfahrt oder Spargelzeit an.

Man hätte den beiden mit Abstand beliebtesten Tatort-Ermittlern eine bessere Jubiläumsfolge gewünscht: Regisseur Matthias Tiefenbacher, der bereits Herrenabend und Tempelräuber realisierte, inszeniert einen furchtbar witzlosen Wald- und Wiesenklamauk, der selbst für Münsteraner Verhältnisse fast nichts mehr mit einem klassischen Sonntagabendkrimi zu tun hat.

Die erste Stunde passiert in Das Wunder von Wolbeck eigentlich überhaupt nichts: Nach dem Fund der Leiche irren Thiel und Boerne inmitten von Kühen, Ziegen, Gänsen und einem krähenden Pfau umher, der im 851. Tatort häufiger durchs Bild stolziert als die weitestgehend arbeitslose Assistentin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) und Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Grossmann) zusammen.

Boerne versucht sich derweil in der Rindermast und muss sich schon bald Exkremente von den randlosen Brillengläsern wischen, während die alteingessenen Wolbecker fleißig Schnodder auf den Tresen niesen. Selbst vor billigstem Fäkalhumor – sonst eher ein Markenzeichen peinlicher Spoof-Komödien im Stile von Meet the Spartans oder The Super-Bad Movie – macht Wolfgang Stauch, der unter anderem das Drehbuch zum sehr sehenswerten Bodensee-Tatort Die schöne Mona ist tot beisteuerte, nicht halt.

Untermalt wird das Treiben im ländlichen Münsterland von einem Soundtrack, der Western-Saloons in zweitklassigen Freizeitparks deutlich besser zu Gesicht stünde und mit penetrantem Countrygedudel, das vor allem in den ruhigeren Vernehmungsszenen vollkommen deplatziert wirkt, jegliches Aufkommen von Spannung im Keim erstickt.

Immerhin: Die heiteren Banjoklänge heben Das Wunder von Wolbeck zumindest von öffentlich-rechtlichen Vorabendserien wie Der Landarzt, Großstadtrevier oder Forsthaus Falkenau ab, die dem 22. gemeinsamen Einsatz der beiden Münsteraner Ermittler in Sachen Spannung ansonsten in nichts nachstehen. Da gerät es fast zur Randnotiz, dass Lina Beckmann (Das Dorf) in der Rolle der psychisch labilen Stella schauspielerisch über sich hinauswächst und sich einige starke Wortgefechte mit Thiel liefert.

Der darf in Wolbeck im Übrigen auch seine Fähigkeiten als Babysitter unter Beweis stellen und ein Kleinkind im Kinderwagen in den Schlaf singen – eine der ganz wenigen, wirklich guten Szenen in einer Tatort-Folge, die für die bis dato fast unantastbare TV-Institution "Tatort Münster" einen herben Ausrutscher nach unten darstellt und bis dato die mit Abstand schwächste aus der Stadt in Westfalen ist. Das wird lange so bleiben: Erst zehn Jahre später geht es mit Propheteus noch tiefer in den Keller.

Bewertung: 2/10

Dinge, die noch zu tun sind

Folge: 850 | 18. November 2012 | Sender: rbb | Regie: Claudia Garde
Bild: rbb/Volker Roloff
So war der Tatort:

Themenbezogen – mal wieder.

Denn nicht zum ersten Mal muss der Tatort für den Auftakt einer ARD-Themenwoche herhalten: Dinge, die noch zu tun sind leitet 2012 die Themenwoche "Leben mit dem Tod" ein. Zuletzt ermittelten 2011 die Bremer Kollegen Lürsen und Stedefreund zum Auftakt der Themenwoche "Der mobile Mensch" im Flüchtlingsdrama Der illegale Tod, ein Jahr zuvor starb in Borowski und eine Frage von reinem Geschmack ein Teenager an einer Überdosis eines Lebensmittelfarbstoffs – passend zur ARD-Themenwoche Essen ist Leben.

In Dinge, die noch zu tun sind erhalten die Berliner Kommissare Till Ritter (Dominic Raacke) und Felix Stark (Boris Aljinovic) nun Unterstützung von Drogenfahnderin Melissa Mainhard (Ina Weisse, Schiffe versenken), die unheilbar an Krebs erkrankt ist – wie schon lange vor der ersten Tatort-Minute in jeder drittklassigen Fernsehzeitschrift zu lesen war. Und nun die alles entscheidende Frage:

Wenn Mainhard nur noch wenige Wochen zu leben hat, ihr Töchterchen Alina täglich mit Designerdrogen in Kontakt kommt und der Tatort Dinge, die noch zu tun sind heißt – wer hat dann wohl die bösen Drogendealer ermordet? Na?

Das ist so schlecht, dass es fast schon wieder witzig ist, gipfelt hier in einer mehr als zweifelhaften Moral und killt natürlich schon vor der ersten Tatortbesichtigung jegliche Spannung – vom Miträtseln mal ganz zu schweigen. Und dann sind da noch Weisheiten wie diese:


RITTER:
Pubertät – das ist doch die Zeit, wo die Eltern komisch werden. 


Amen.

Es sind jedoch nicht nur die platten Sprüche von Ritter oder Anwalt Heiner Schädlich (Stephan Grossmann, "Recht haben und Recht bekommen sind zwei völlig verschiedene Dinge."), die mehr als peinliche Vorhersehbarkeit oder das thematische Korsett, in das die ARD das Drehbuch von Jörg Tensing schnürt, die dem 850. Tatort den Hals brechen.

Einmal mehr – man denke an den Totalausfall Der Wald steht schwarz und schweiget oder den kaum glaubwürdigeren Wiener Fall Vergeltung – scheitern die Filmemacher auf ganzer Linie daran, eine Gruppe von Jugendlichen auch nur halbwegs authentisch zu charakterisieren.

Exemplarisch dafür steht die Sequenz auf einem Berliner Gitterbolzplatz (im Viertel offenbar the place to be): Da spielen bunt gekleidete, top gestylte und fesch frisierte, bunte Sonnenbrillen, lange Schals und trendige Hosenträger tragende, blendend aussehende Teenie-Hipster gleichzeitig (!) Basketball und Fußball, auf ein und demselben Platz, ohne Mannschaften, ohne Regeln, ohne alles eben. Hauptsache, Cap und Frise sitzen und man kann Drogentütchen weiterreichen wie Panini-Bilder.

Gut, dass das zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich eh niemanden mehr wirklich stört, weil der Krimititel ja längst verraten hat, wo der Hase langläuft. Dinge, die noch zu tun sind, den mit Claudia Garde (Borowski und der vierte Mann) übrigens keine Tatort-Unbekannte inszeniert, ist eine der schwächsten Berliner Tatort-Folgen aller Zeiten und erntet dank des Feuerwerks an unfreiwilliger Komik das zweifelhafte Prädikat Totalausfall.

Bewertung: 1/10

Mein Revier

Folge: 849 | 11. November 2012 | Sender: WDR | Regie: Thomas Jauch
Bild: WDR/Willi Weber
So war der Tatort:

Faberfixiert.

Im zweiten Dortmunder Tatort Mein Revier, für den erneut Drehbuchautor Jürgen Werner und Regisseur Thomas Jauch verantwortlich zeichnen, bestätigt sich ein Stück weit das, was der Erstling Alter Ego wenige Wochen zuvor bereits befürchten ließ: Vier Kommissare, die zudem von Gerichtsmediziner Jonas Zander (Thomas Arnold) unterstützt werden und bei den Ermittlungen mit dem Kollegen Polland (Matthias Komm) aneinandergeraten, sind für einen neunzigminütigen Sonntagabendkrimi in dieser Konstellation mindestens einer zuviel.

"Ich bin's, Faber, das Arschloch!" stellt sich Hauptkommissar Peter Faber (Jörg Hartmann) beim Showdown vor, und bringt damit die Charaktereigenschaften, auf die ihn Jauch und Werner noch über weite Strecken reduzieren, exakt auf den Punkt. Faber ist in erster Linie das Kollegenschwein, der ewig schlecht gelaunte, Pillen schmeißende Sonderling, der als Figur einen derartig großen Raum für sich beansprucht, dass für die Kollegen kaum noch Platz bleibt.

Während Daniel Kossik (Stefan Konarske) und Nora Dalay (Aylin Tezel) heimlich Nummern schieben und in jedem unbeobachteten Moment in kitschigen Dialogen auf Soap-Niveau ihre ungewöhnliche Beziehung diskutieren müssen, bestellt sich Martina Bönisch (Anna Schudt) nach Feierabend einen schnuckeligen Callboy (Jo Weil) aufs Zimmer und schlägt sich am Telefon mit ihrem drogenabhängigen Sohn herum.

Ein gefühltes Viertel des Drehbuchs steht ganz im Zeichen privater Nebenkriegsschauplätze, die den 849. Tatort vor allem in der ersten Hälfte immer wieder ausbremsen und eine differenzierte Milieu-Skizzierung der Dortmunder Nordstadt zum Ding der Unmöglichkeit machen.

Immerhin: Haben die vier Kommissare die wichtige Tatzeugin Jelena Zvetkova (Simona Theoharova), die während des Mordes unter dem Schreibtisch des Opfers einer pikanten Beschäftigung nachging, erst einmal ausfindig gemacht, kommt zumindest ein bisschen Betrieb in die Geschichte, die bis dato recht spannungsarm vor sich hin plätschert. Spätestens nach der ersten Vernehmung ist aber offensichtlich, wo der Hase in Mein Revier langläuft.

Für echte Überraschungsmomente sorgt einzig Faber, dessen markante Sprüche ("Ja leck mich inne Täsch!") und kuriose Eskapaden allein schon das Einschalten wert sind: Wenngleich nicht jeder der One-Liner über 20 Jahre alten Balsamico-Essig oder die dubiosen Geschäfte des Unterweltkönigs Tarim Abakay (Adrian Can, Wem Ehre gebührt) zündet und auch die anonyme Post, die der Kommissar in seiner Schreibtischschublade findet, angesichts ihrer wichtigen Botschaft vielleicht in einem der nächsten Dortmunder Tatorte besser aufgehoben wäre, kristallisiert sich für den Tatort aus Westfalen doch eines heraus: Vielleicht wäre es geschickter gewesen, den einsamen Wolf zunächst allein auf Verbrecherjagd zu schicken – oder nur gemeinsam mit Bönisch, die ihm als Einzige Paroli zu bieten vermag.

Bewertung: 4/10