Summ, summ, summ

Folge: 867 | 25. März 2013 | Sender: WDR | Regie: Kaspar Heidelbach
Bild: WDR/Martin Menke
So war der Tatort:

Kaiserlich.

Besser gesagt königlich: "Roman König" nennt sich Schlagerlegende Roland Kaiser bei seinem Auftritt im Tatort Summ, summ, summ – und tritt mit seinem amüsanten Gastspiel in die Fußstapfen vieler prominenter Musikerkollegen, die schon lange vor dem auch privat in Münster lebenden Schmusesänger (größter Hit: Santa Maria) in der Krimireihe zu sehen waren.

Doch ob DSDS-Juror Dieter Bohlen (im Schimanski-Klassiker Moltke), Pop-Röhre Sandra (in Salü Palu), König von Deutschland Rio Reiser (in Der Pott und Im Herzen Eiszeit), Ärzte-Sänger Bela B. (in Totentanz) oder Vorspann-Schlagzeuger Udo Lindenberg (in Kneipenbekanntschaft): Keinem seiner Vorgänger waren bisher so viele Dialogzeilen vergönnt.

Kaiser, der sich eigentlich nur selbst zu spielen braucht, gibt sich erfrischend selbstironisch, lässt sich Beziehungen zu seinen Fans andichten und feiert einen durchaus denkwürdigen, halbnackten Abgang, der Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) nach knapp einer Stunde die obligatorische zweite Tatort-Leiche beschert und zugleich ein kniffliges Rätsel aufgibt.

Nach dem von Presse und Publikum auf breiter Front abgelehnten Klamaukfeuerwerk Das Wunder von Wolbeck lassen Stefan Cantz und Jan Hinter, die schon viele gemeinsame Drehbücher zu Münster-Folgen wie 3 x schwarzer Kater oder Der Fluch der Mumie beisteuerten, diesmal wenig anbrennen: Sie konzentrieren sich wieder stärker auf den Kriminalfall. Der folgt, beginnend mit der typischen Auftaktleiche auf einem Supermarktparkplatz, einer klassischen Whodunit-Konstruktion und lässt den Zuschauer bis in die Schlussminuten rätseln – wenngleich die Auflösung nicht wirklich überrascht.

Natürlich dominiert im 867. Tatort dennoch der Humor: Die Einschaltquoten stimmten in Münster bisher immer, und so gibt es diesmal statt peinlicher Kuhdreckfontänen ins Gesicht und einer Ziege auf Boernes Beifahrersitz Bananenspinnen in seinen Einkäufen, die Honeymoonsuite als Notunterkunft und eine hemmungslos mitgrölende Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann), die sich als leidenschaftlicher König-Fan outet.

Regisseur Kaspar Heidelbach (Keine Polizei) weiß genau, was die Fangemeinde des beliebtesten aller aktuellen Ermittler-Teams sehen will, überzeichnet die Figuren bis ans Limit und arrangiert einen unterhaltsamen Krimi, bei dem die Mischung aus Satire und klassischen Tatort-Elementen wieder deutlich stimmiger wirkt als zuletzt.

Dass die leinwanderprobte Fritzi Haberlandt (Tote Männer) als fanatische Stalkerin Christiane Stagge schauspielerisch jederzeit unterfordert ist, ist dabei zu verschmerzen: Neben den köstlichen Hotelszenen, in denen Bonvivant Boerne in einem modisch äußerst eigenwilligen Bademantel mit dem Kaiserkönig über Richard Wagner philosophiert, sorgen auch die trockenen Wortgefechte zwischen Thiel und Hobby-Imker "Vaddern" (Claus-Dieter Clausnitzer) für solide Unterhaltung. Die Filmemacher meistern den Spagat zwischen Komik und Kriminalistik ordentlich und hieven den Tatort aus Münster nach dem blauen Wunder von Wolbeck zurück in die Spur.

Von herausragenden Folgen wie Der dunkle Fleck oder Der doppelte Lott ist die Krimikomödie aber ein gutes Stück entfernt: Wirklich spannend ist der Film selten – zum Glück aber auch selten so zirkusreif wie der völlig missglückte Stellbrink-Erstling Melinda, der wenige Wochen vor Summ, summ, summ seine TV-Premiere feierte.

Bewertung: 6/10

Schwarzer Afghane

Folge: 866 | 17. März 2013 | Sender: MDR | Regie: Thomas Jahn
Bild: MDR/Junghans
So war der Tatort:

Chemisch.

Wer sich nämlich immer schon gefragt hat, welche Eigenschaften eigentlich weißem Phosphor zugeschrieben werden, kann sein Allgemeinwissen mit Schwarzer Afghane gehörig aufpolieren: Hauptkommissarin Eva Saalfeld (Simone Thomalla), die ihren Kollegen und Ex-Mann Andreas Keppler (Martin Wuttke) diesmal telefonisch von der Kontrolle am Leipziger Flughafen (Name des Zollbeamten: Zöllner) zum Fundort der Leiche von Arian Bakhtari (Kostja Ullmann, Familienaufstellung) beordert, wird nicht müde, in bester American Pie-Manier lehrreiche Erinnerungen ans Ferienlager zum Besten zu geben.

Der Hoteldauergast und Urlaubsrückkehrer scheint hingegen noch nicht wieder im tristen Ermittlungsalltag ankommen zu wollen: Zum hellen Sommeranzug und einem Shirt, das in Sachen Brustbehaarung wenig der Phantasie überlässt, bedeckt der Kommissar seine Halbglatze konsequent mit einer beigefarbenen Kappe und sieht dabei irgendwie immer aus, als befände er sich noch im Vietnam-Urlaub.

Ist es sonst meist Wuttke, der in Leipzig angesichts der Thomallaschen Minimalmimik schauspielerisch die Kastanien aus dem Feuer holt, wirkt der hollywooderprobte Darsteller diesmal teilnahmslos: Ob er schon ahnt, dass der 16. Einsatz von Keppler und Saalfeld dank des verkorksten Drehbuchs früh vor die Wand fährt?

Autor Holger Jancke (Blutschrift) schnürt seine dialoglastige, klischeebeladene Geschichte (allein die Kiffer in der Auftaktsequenz!) in das tatorttypische Whodunit-Korsett und bindet dem Fadenkreuzkrimi damit bis zur Auflösung der Täterfrage einen schweren Klotz ans Bein.

Der jüngste, nicht immer einleuchtende Tatort-Trend, den einleitenden Mord einem größer angelegten Verbrechen unterzuordnen (vgl. Puppenspieler und Zwischen den Fronten), setzt sich in Schwarzer Afghane nämlich fort: Diesmal wollen amerikanische Raketen und ein Attentäter gefunden werden. Die dafür nötige Wendung ist jedoch für jeden thrillererprobten Zuschauer vorhersehbar und verpufft ohne den erhofften Überraschungseffekt.

Und genau da liegt der Hase im Pfeffer: Wie schwach der 866. Tatort dramaturgisch auf der Brust ist, zeigt sich vor allem im Vergleich zum hochspannenden, thematisch verwandten Meilenstein Der Weg ins Paradies, in dem Cenk Batu in letzter Sekunde einen Bombenanschlag in einem Hotel verhinderte. Der Unterschied: In Hamburg steuerte beginnend mit Batus Einschleusen in die islamistische Terrorzelle alles auf das dramatische Finale zu – in Leipzig aber reiht sich sechzig Minuten lang eine lahme Verdächtigen-Befragung an die nächste.

Dass mit Knockin' on Heaven's Door-Regisseur Thomas Jahn (Engel der Nacht) ein leinwanderfahrener Filmemacher am Ruder sitzt, rettet wenig: Erst beim Showdown auf dem Flughafengelände kommt Schwarzer Afghane ein bisschen in Schwung – wenngleich hier auch die Frage gestellt werden muss, warum das SEK den Attentäter in Seelenruhe zwei Mal (!) den Auslöser drücken lässt.

Immerhin: Das ungeschriebene Tatort-Gesetz, dass der prominenteste Nebendarsteller meist den Mörder mimt, bewahrheitet sich diesmal nicht: Sowohl Sylvester Groth, der im jüngsten Bodensee-Tatort Die schöne Mona ist tot als Mörder und Hobbykoch glänzte und diesmal schauspielerisch kaum gefordert wird, als auch der charismatische Ex-Bond-Schurke Anatole Taubman scheiden früh als Verdächtige aus.

Bewertung: 3/10

Willkommen in Hamburg

Folge: 865 | 10. März 2013 | Sender: NDR | Regie: Christian Alvart
Bild: NDR/Marion von der Mehden
So war der Tatort:

Actiongeladen.

Willkommen in Hamburg ist das von Medien und Fans im Vorfeld heiß diskutierte Tatort-Debüt des umstrittenen Filmemachers Til Schweiger (Manta, Manta) und zugleich der bis dato actionlastigste Tatort in der über vierzigjährigen Geschichte der Krimireihe. Bereits in der Eröffnungssequenz, in der LKA-Ermittler Niklas "Nick" Tschiller (Schweiger) drei Ganoven über den Haufen ballert, stößt der NDR die Tatort-Puristen rücksichtslos vor den Kopf und brennt ein wahres Actionfeuerwerk ab.

Unvorbereitet eingeschaltet haben dürften aber ohnehin die Wenigsten: Die Kritik am Vorspann, die Namensänderung von Tschauder zu Tschiller, ein emotionales Spiegel-Interview und TV-Auftritte am Fließband – Schweiger weiß ganz genau, wie er sich und seine Filme ins Gespräch bringt, um Quoten auf Münster-Niveau einzufahren.

Dass mit Luna Schweiger (in der Rolle als Lenny Tschiller) wieder einmal eine seiner leinwanderprobten Töchter zum Cast zählt, ist Wasser auf die Mühlen seiner Kritiker und zugleich das größte Ärgernis eines Tatorts, der ansonsten hervorragend besetzt ist: Der spätere Berliner Tatort-Kommissar Mark Waschke (Tote Erde) mimt den charismatischen Bösewicht Max Brenner und mit Regisseur Christian Alvart (Borowski und der coole Hund) und Drehbuchautor Christoph Darnstädt (Der Lippenstiftmörder) sitzen zwei tatorterprobte Filmemacher am Ruder, die ihr Handwerk verstehen und trotz begrenztem Budget einen Hauch von Hollywood auf die Mattscheibe bannen.

Die in Schweigers Kinofilmen fest zum Erfolgsrezept zählenden Cameo-Auftritte prominenter Weggefährten lässt sich Schweiger freilich nicht nehmen: Durfte zum Beispiel in Keinohrhasen Wladimir Klitschko Yvonne Catterfeld einen Heiratsantrag machen, ist hier Boxer Artur Abraham in einer Minirolle zu sehen. Auch den baldigen Tatort-Kollegen Wotan Wilke Möhring (debütiert wenige Wochen später in Feuerteufel) trifft Tschiller in einer herrlich subtil-amüsanten Szene auf dem Herrenklo des Präsidiums.

Ein bisschen Bond, ein bisschen Batu, ein bisschen Bruce Willis: Tschiller ist die kompromisslose Haudrauf-Variante eines klassischen Tatort-Kommissars, den die nervtötenden Vater-Tochter-Szenen in der norddeutschen Großstadtrealität erden sollen. Willkommen in Hamburg, an dem der Vorspann ironischerweise noch das tatorttypischste ist, entpuppt sich früh als fernsehkompatible Mischung aus Schutzengel, Leathal Weapon und Kokowääh und bietet solide Popcorn-Unterhaltung, die die Ü49-Generation verschreckt, bei großen Teilen des jungen Publikums aber ankommt.

Von der Klasse der ähnlich gelagerten, adrenalinschwangeren Hamburger Fadenkreuzkrimis Häuserkampf oder Der Weg ins Paradies ist der 865. Tatort dabei aber weit enfernt: Der Over-The-Top-Moment auf der Elbphilarmonie wirkt unfreiwillig komisch und die Cybercrime-Elemente sind oft zu viel des Guten. Tschiller-Partner und Spaßvogel Yalcin Gümer (Fahri Yardim, Tödliche Ermittlungen), der bei der Eröffnungsschießerei am Bein getroffen wird und seinen Kollegen in der Folge vom Krankenhausbett aus unterstützt, hackt sich problemlos in Festnetzleitungen und scheint so ziemlich jedes Problem binnen Sekunden am Netbook lösen zu können.

Für das Erzählkonstrukt ist das jedoch ein cleverer Kniff: Die Kameras, mit denen der waschechte Hamburger Jung die zur Notunterkunft umfunktionierte eigene Wohnung überwacht, erweisen sich als Glücksgriff für die Spannungskurve und bieten dem sympathischen Sidekick Gelegenheit für einige köstlich trockene One-Liner.

Und Schweiger? Der gibt sich Mühe beim Eierkochen und in seinem besten Tatort-Moment sogar entwaffnend selbstironisch. Es hätte wahrlich schlimmer kommen können.


TSCHILLER:
Was für'n Dichter? Nee. Tschiller. Mit 'T'. Ich nuschel 'n bisschen.


Bewertung: 6/10