Brüder

Folge: 901 | 23. Februar 2014 | Sender: Radio Bremen | Regie: Florian Baxmeyer
Bild: Radio Bremen
So war der Tatort:

Beunruhigend.

Denn man könnte fast meinen, der Schauplatz von Brüder wäre nicht Bremen, sondern Hamburg: Ein krimineller Clan, der eine Hansestadt fest im Griff hält, ein actionerprobter Regisseur und ein Showdown im Kugelhagel: Zwei Wochen bevor es Nick Tschiller (Til Schweiger) und Yalcin Gümer (Fahri Yardim) in Kopfgeld ein zweites Mal mit dem kriminellen Astan-Clan zu tun bekommen, nehmen es auch die deutlich dienstälteren Kollegen aus Bremen im Alleingang mit der organisierten Kriminalität auf.

Der dreifache Grimme-Preisträger Wilfried Huismann (Schlafende Hunde), der das Drehbuch gemeinsam mit Dagmar Gabler (Wir - Ihr - Sie) schrieb, schaltet neunzig Minuten lang auf Schleudergang und entspinnt in der Weserstadt ein beängstigendes und zugleich hochspannendes Szenario, ohne sich dabei in billigen Actionszenen zu verlieren.

Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) und ihr Kollege Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) geraten mit dem arabischen Nidal-Clan unter Führung des brutalen Hassan (charismatisch: der spätere Bremer Tatort-Kommissar Dar Salim) aneinander – und mit dem ist wahrlich nicht zu spaßen. Hassan und seine finsteren Brüder Ahmed (Kailas Mahadevan) und Mo (Hassan Akkouch) treten Polizistin Anne Peters (Anna-Lena Doll) bei einem vermeintlichen Routine-Einsatz halb tot und bringen das Polizeipräsidium mit Kraftausdrücken, Handgreiflichkeiten und höchst aggressivem Auftreten auf Trab.

Spätestens, als Mo der Kommissarin ohne Vorwarnung ins Gesicht spuckt, ist dieses extreme, aber nie zu klischeebeladene Szenario kaum noch zu ertragen: Anders als die Ermittler weiß der Zuschauer um den Hergang der Schreckenstat und würde die provokanten Brutalos am liebsten kollektiv wegsperren. Doch so einfach ist das natürlich nicht.

Die Filmemacher bringen die Ohnmacht des Rechtsstaats, in dem die Ordnungshüter wie ein Spielball der Staatsanwaltschaft und organisierten Kriminalität wirken, schonungslos auf den Punkt und unterfüttern den im Tatort oft weichgespülten Polizistenalltag mit erschütternder Dramatik.

Exemplarisch dafür steht das Schicksal von Streifenpolizist David Förster (stark: Christoph Letkowski, Scherbenhaufen), der Peters nicht zu retten versucht und später von seinen Kollegen wie ein Aussätziger behandelt wird: Mit einer geladenen Maschinenpistole in der Hand steht er dem finsteren Hassan nach dessen Gräueltat gegenüber und zeigt trotz Waffe, Uniform und Ausbildung nur die menschlichste aller Reaktionen – nackte Angst ums Überleben.

Regisseur Florian Baxmeyer gönnt dem Publikum kaum Verschnaufpausen und beweist nach dem atemberaubenden Batu-Tatort Häuserkampf erneut, dass er ein starkes Drehbuch mit einer stilsicheren Inszenierung zu vergolden weiß. In Brüder stimmt fast alles: Der Cast ist klasse, die Atmosphäre brutal beklemmend und die Geschichte ungemein fesselnd.

Das liegt auch daran, dass spannungsarme private Störfeuer ausbleiben: Für Streitgespräche mit Tochter Helen (Camilla Renschke) bleibt der Goethe-zitierenden Lürsen ("Wer sich allzu grün macht, den fressen die Ziegen.") diesmal ebenso wenig Zeit wie für Trauer um ihren in Er wird töten ermordeten Lover Leo (Antoine Monot Jr.): Ein Bild auf dem Schreibtisch, das die Kamera wie zufällig einfängt – das war's.

Die Filmemacher konzentrieren sich voll auf den packenden Kriminalfall und beziehen für öffentlich-rechtliche Verhältnisse bemerkenswert mutig Position: "Wenn ihre Söhne hier auf alles scheißen, dann müssen sie sich nicht wundern, wenn man hier auch auf sie scheißt", knallt Lürsen Familienvater Nidal an den Kopf. Hoppla. Die Kommissarin ist der willkommene Ruhepol in diesem authentischen und hochemotionalen Thriller, der in einer beunruhigenden Schlusspointe gipfelt und bis heute der spannendste aus der Weserstadt ist.

Bewertung: 9/10

Zirkuskind

Folge: 900 | 16. Februar 2014 | Sender: SWR | Regie: Till Endemann
Bild: SWR/Stephanie Schweigert
So war der Tatort:

Weit entfernt von der Klasse früherer Tage.

Was waren das noch für Zeiten, als die dynamische Jungkommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) Ende der 80er Jahre in ihrem Debüt Die Neue frischen Wind in die männerdominierte Krimireihe brachte und in den 90er Jahren noch mit starken Drehbüchern wie dem zu Der kalte Tod gesegnet war. Ein Vierteljahrhundert später wirken sie und ihr langjähriger Partner Mario Kopper (Andreas Hoppe) wie ein Schatten ihrer selbst, weil sich die Figuren nicht mehr weiterentwickeln.

Odenthals 59. Einsatz steht dafür exemplarisch: Wären da nicht die Handys und die Frisuren der Kommissare, könnte man glatt meinen, Zirkuskind wäre der 400. oder 500., nicht aber der 900. Tatort. Die langweilige Inszenierung von Till Endemann wirkt angestaubt, die Dialoge der Kommissare extrem hölzern und das Drehbuch von Harald Göckeritz, der bereits den letzten Ludwigshafener Tatort Freunde bis in den Tod in den Sand setzte, so einfallsreich wie eine rote Rose zum Valentinstag.

Keine drei Monate nach Felix Murots spannungsarmem, aber zumindest originellen Pianisten-Intermezzo in Schwindelfrei schickt Göckeritz den Tatort erneut in die Manege, lässt Zirkusfan Odenthal freudestrahlend auf einem Drahtseil balancieren und beim Vorbeischlendern im Schaufenster eines Schmuckladens zufällig entscheidende Indizien für Mordmotive entdecken.

Über das Innenleben einer Zirkusgemeinschaft hat Göckeritz nichts Interessantes zu erzählen: "Das sind doch alles arme Schlucker", wiederholt Geburtstagskind Edith Keller (Annalena Schmidt) die plumpe Ersteinschätzung ihres Vorgesetzten Kopper und bringt damit die einzige nennenswerte Erkenntnis der Filmemacher auf den Punkt.

Überboten wird die müde Sozialkeule nur noch durch die penetrante Wiederholung des Satzes "Du bist ein Zirkuskind" – gemeint ist damit Felicitas, verkörpert von Nachwuchshoffnung Liv Lisa Fries, die zeitgleich zur TV-Premiere des Tatorts im rührenden Drama Und morgen mittag bin ich tot das Kinopublikum zum Schluchzen und sich selbst für ambitioniertere Projekte als diesen schwachen Krimi ins Gespräch bringt (später sehen wir sie als Hauptdarstellerin in Babylon Berlin). 

In ihrer Nebenrolle ist sie ebenso unterfordert wie Charakterdarstellerin Steffi Kühnert als Zirkuspatriarchin Louisana, die dem ermordeten Feuerspucker Pit (Mark Filatov) keine Träne nachweint, kurz vorm Abspann in ein peinliches Tutu gequetscht wird und beim Verhör selbst dann traurig ein Clownskostüm trägt, wenn seit Tagen alle Zirkusvorstellungen abgesagt wurden. Plakativer geht es kaum. Da passt es ins Bild, dass sich ihr antiquitätenschmuggelnder Angestellter Robbi (Hanno Koffler, Im Sog des Bösen) beim heimlichen Treffen mit einem Kontaktmann seine rote Zirkusjacke anzieht, um Kopper bei der Observierung in der Innenstadt ja nicht aus den Augen zu geraten.

Die überzeugenden Nebendarsteller Kühnert, Fries und Koffler sind die einzigen Lichtblicke in einem Krimi, in dem die Ermittler gemeinsam im Zirkus Popcorn knuspern, um am Morgen danach eine Leiche in der Manege zu finden, in dem Kopper gebetsmühlenartig alles für den Zuschauer wiederholt, was ihm sein Gesprächspartner am Telefon gesagt hat, in dem der suizidgefährdete Bademantelträger (bedauernswert: Fritz Roth, Mord in der ersten Liga) eine eindrucksvolle Bewerbung für die dämlichste Nebenfigur der Tatort-Geschichte abgibt, und in dem die Krisenherde Irak und Libyen in einer zweiminütigen Präsidiumspräsentation abgefrühstückt werden. 

Wären da nicht Fries & Co. und der ohne größere Logiklöcher konstruierte Mordfall – Zirkuskind wäre nach Flops wie Der Schrei oder Der Wald steht schwarz und schweiget das nächste Desaster aus Ludwigshafen geworden.

Bewertung: 3/10

Großer schwarzer Vogel

Folge: 899 | 9. Februar 2014 | Sender: rbb | Regie: Alexander Dierbach
Bild: rbb/Conny Klein
So war der Tatort:

Ein wenig lustlos – vor allem, was den Auftritt der Berliner Hauptkommissare angeht.

Großer schwarzer Vogel ist der letzte, aber bei weitem nicht der beste gemeinsame Fall von Till Ritter (Dominic Raacke) und Felix Stark (Boris Aljinovic), die im September 2013 – ausgerechnet nach der bärenstarken Folge Gegen den Kopf – vom rbb überraschend über ihre Ablösung informiert wurden.

Vor allem Raacke reagierte darauf verstimmt: "Wenn Schluss sein soll, dann richtig, eine große Abschiedsnummer wird es nicht geben", gab der Schauspieler einer Berliner Zeitung zu Protokoll - und stand für den letzten gemeinsamen Dreh mit Aljinovic, der in der nächsten Folge Vielleicht einmalig allein ermitteln wird, kurzerhand nicht mehr zur Verfügung.

Es überrascht nicht, dass seinem Großstadtcowboy Ritter im damals bereits abgedrehten 899. Tatort nicht einmal ein standesgemäßer Abschied aus der Krimireihe vergönnt ist: Heimlich, still und leise verlässt Raacke nach fünfzehn Jahren den Berliner Tatort – das passt irgendwie zu diesem gemächlich dahin plätscherndern, selten spannenden Krimi.

Und man könnte fast meinen, Raacke und Aljinovic hätten zum Zeitpunkt der Dreharbeiten bereits von ihrem Abschied gewusst: Beide spulen ihre Sätze in Großer schwarzer Vogel gelangweilt herunter und überlassen der deutlich beherzter agierenden Julia Koschitz (Schmuggler) über weite Strecken das Feld.

Auch sonst ist ein schauspielerisches Leistungsgefälle unübersehbar: Florian Panzner (Blutdiamanten) kann als verfolgter Radiomoderator und Ex-Schwimmer, dem ein perfider Attentäter einleitend eine Briefbombe auf die Türschwelle legt, noch am ehesten mithalten, während die übrigen Nebendarsteller deutlich abfallen.

Dass der 30. Einsatz der Berliner Hauptkommissare, die 2001 in Berliner Bärchen zum ersten Mal gemeinsam auf Täterfang gingen, unter dem Strich enttäuscht, liegt aber auch am uninspirierten Drehbuch: Früh offenbart sich, dass der Weg zur Auflösung über Lohmanns gescheiterte Schwimmer-Karriere, den überzeichneten Klischee-Trainervater Hans (Hans Uwe Bauer, Heimspiel) und einen tragischen Autounfall mit doppelter Todesfolge führt. Autor Jochen Greve (Hochzeitsnacht) setzt voll auf die etablierten Tatort-Prinzipien und weiß daher nur selten zu überraschen.

Immer wenn aus der melancholischen Grundnote Langeweile zu werden droht, läuft einfach wieder ein Verdächtiger davon – Verfolgungsjagden ziehen im Tatort eben immer. Spannend ist Großer schwarzer Vogel deshalb – sieht man von der großartig inszenierten Auftaktexplosion im Treppenhaus einmal ab – noch lange nicht: Selbst als Lohmann-Freundin Anne (Klara Manzel) nachts von einem Einbrecher heimgesucht wird, will sich kein echter Gänsehautmoment einstellen.

Auch die überdeutlich von der WDR-Talksendung Domian inspirierte Geschichte um einen Radiomoderator im Visier des Verbrechens ist alles andere als neu: Bereits 2007 ermittelten die Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) im schwachen Tatort Nachtgeflüster in Jürgen Domians Wahlheimat Köln im Umfeld einer Radiomoderatorin und smalltalkten sogar on air mit einem Geiselnehmer, während heimlich das SEK anrückte.

Ein solch realitätsfernes Szenario bleibt dem Zuschauer diesmal zum Glück erspart: Berlin zählt im Jahr 2014 nun mal zu den bodenständigen Vertretern der Krimireihe und untermauert diesen Eindruck auch in Raackes wenig originellem Abschiedsfall. An den werden sich in einigen Jahren wohl nur wenige erinnern – dann schon eher an die herausragende Hommage Hitchcock und Frau Wernicke, die nach 36 Einsätzen seine beste Folge bleibt.

Bewertung: 4/10

Auf ewig Dein

Folge: 898 | 2. Februar 2014 | Sender: WDR | Regie: Dror Zahavi
Bild: WDR/Thomas Kost
So war der Tatort:

Schwindelerregend.

Denn der große Showdown von Auf ewig Dein findet in luftiger Höhe auf einem Hochhausdach statt, auf dem es zwischen Hauptkommissar Peter Faber (Jörg Hartmann) und dem unberechenbaren Markus Graf (Florian Bartholomäi, Ein ganz normaler Fall) zu einem packenden Psychoduell kommt. Der vierte Dortmunder Tatort ist einmal mehr eine One-Man-Show des egozentrischen Ermittlers, der einst Grafs Vater hinter Gitter brachte und nun damit umgehen muss, dass ihm der mittlerweile erwachsene Sohn seine Frau und Tochter nahm und weitere unschuldige Mädchen auf dem Gewissen hat.

Die Puzzlestücke der bewegten Faberschen Vergangenheit, die in den ersten drei Ruhrpott-Krimis Alter Ego, Mein Revier und Eine andere Welt nach und nach ein Gesamtbild ergaben, fügen sich zusammen und machen den 898. Tatort zum bis dato persönlichsten für den exzentrischen Kommissar. Mehr als einmal muss seine Kollegin Martina Bönisch (Anna Schudt) mentale Aufbauhilfe leisten und als menschlicher Katalysator einspringen, um die tickende Zeitbombe Faber überhaupt im Zaum halten zu können. Das macht Laune – wer aber mit Fabers Ego-Touren bisher nichts anfangen konnte, wird auch mit Auf ewig Dein nicht glücklich werden.

Drehbuchautor Jürgen Werner (Klassentreffen), der auch die Bücher zu den ersten drei Dortmunder Folgen beisteuerte, setzt seinen mutigen Kurs fort, stellt für seine Figuren aber zugleich die Weichen für eine von Veränderungen geprägte Zukunft. Und setzt erneut auf bissige One-Liner und amüsante Zwischentöne – zum Beispiel dann, wenn der gewohnt verlottert auftretende Faber bei einer Stippvisite in der Reinigungsfirma von Stefan Passek (Martin Reik) irrtümlich für einen schlecht gekleideten Bewerber gehalten wird.


PASSEK:
Wenn Sie 'n Job suchen, lassen Sie 's. Ich stelle keine Obdachlosen ein!


Schwindelerregend ist aber nicht nur der Showdown, sondern auch das Tempo, dass Regisseur Dror Zahavi (Franziska) in den ersten zwanzig Minuten vorlegt: Wer kurz aufs Klo geht oder nicht pünktlich einschaltet, wird Mühe haben, die vielen neuen Namen später nicht durcheinander zu werfen. Dieser Zeitrafferkurs bei der Suche nach dem Mörder der 12-jährigen Marie kommt nicht von ungefähr: Erneut werden in Dortmund viele Nebenkriegsschauplätze beackert, so dass für Ermittlungsarbeit und Übersicht schaffende Dialoge kaum Zeit bleibt.

Während Faber zum Angriff auf Graf bläst, muss sich Bönisch mit Ex-Lover Toni Kelling (Jo Weil) herumärgern – der ist nicht nur Callboy, sondern auch Koksdealer und nutzt eine Begegnung auf dem Präsidium prompt für eine fiese Erpressung. Faber wäre nicht Faber, würde er Bönischs Geständnis nicht für seine ganz eigene Lösung des Problems nutzen, kann sich hier aber ein Stück weit von seinem Kollegenschwein-Image emanzipieren und überraschende Sympathiepunkte sammeln.

Für die einstigen Turteltauben Daniel Kossik (Stefan Konarske) und Nora Dalay (Aylin Tezel) gilt dies freilich nicht: Keine zwei Monate nach Kira Dorn (Nora Tschirner) in Die fette Hoppe ist die nächste Tatort-Kommissarin schwanger und die dramaturgische Vollbremsung damit vorprogrammiert. Exemplarisch zeigt sich dies in der kitschigen Küchenszene, in der Rechtsmediziner Jonas Zander (Thomas Arnold) mit Laborergebnissen in die traute Zweisamkeit platzt: Kossik scheint darüber fast verärgert. Was kümmert ihn schließlich ein Mordopfer, wenn es um den eigenen Nachwuchs geht?

Immerhin: Die Liaison zwischen Kossik und Dalay, die das Kind abtreiben möchte, ist nach diesem Tatort beendet. Für die kommenden Folgen keine schlechten Voraussetzungen, will Dortmund endlich aus dem soliden Mittelmaß heraus. Und auch Antagonist Markus Graf haben wir nicht zum letzten Mal gesehen.

Bewertung: 6/10