Der treue Roy

Folge: 984 | 24. April 2016 | Sender: MDR | Regie: Gregor Schnitzler
Bild: MDR/Anke Neugebauer
So war der Tatort:

Treu.

Denn wie schon im Weihnachtstatort 2013 und im Neujahrstatort 2015 setzen Murmel Clausen und Andreas Pflüger (Falsches Leben) bei ihrem dritten gemeinsamen Drehbuch auf das Erfolgsrezept, das bereits Die fette Hoppe und Der irre Iwan zu unterhaltsamen Krimikomödien machte: Der treue Roy ist ein schräger und mit reichlich skurrilen Figuren gespickter Tatort, in dem es eher auf frechen Wortwitz und absurde Kuriositäten als auf knisternde Spannung und eine knifflige Auflösung der Täterfrage ankommt.

Eine treue Seele ist auch die titelgebende Hauptfigur: Zinnsoldaten-Fan Roy Weischlitz (Florian Lukas, Im Namen des Vaters) lebt seit vielen Jahren glücklich und zufrieden mit seiner Schwester Siegrid (Fritzi Haberlandt, Summ, summ, summ) zusammen – liegt aber eines Tages bis aufs Skelett verbrannt in der Hochofenschlacke eines Stahlwerks. Eine harte Nuss für die Weimarer Kriminalkommissare Lessing (Christian Ulmen) und Kira Dorn (Nora Tschirner), die ihrer Linie ebenfalls treu bleiben: Die privaten Nebenkriegsschauplätze – die beiden necken sich hin und wieder bei der Suche nach einem gemeinsamen Eigenheim – werden nur am Rande thematisiert, ohne dass die Ermittlungsarbeit darunter leiden würde.

Und doch ist Der treue Roy eine ganze Ecke schwächer als die ersten beiden Fälle aus der Dichterstadt: Es dauert eine geschlagene Stunde, bis im 984. Tatort überhaupt mal etwas Aufregendes geschieht. Eine gefühlte Ewigkeit hangeln sich Lessing und Dorn von Verhör zu Verhör und damit von One-Liner zu One-Liner – doch wirklich zünden wollen diesmal nur die wenigsten Pointen. Als besonders ermüdend erweist sich das furchtbar witzlose Denglisch, mit dem Roy die Prostituierte Irina (Nadine Boske) bezirzt.


ROY:
That's our Flugzeug in die Freiheit, Baby! But we must before noch what erledigen!


Man muss kein Prophet sein, um früh zu erahnen, dass Der treue Roy trotz des einleitenden Funds im Stahlwerk noch immer unter den Lebenden weilt: Die Vorstellung, dass der MDR den vielfach leinwanderprobten Schauspieler Florian Lukas nur für ein kurzes Engagement als Tatort-Leiche und ein paar Schwarz-Weiz-Rückblenden in bester Der oide Depp-Manier verpflichtet hat, ist schließlich genauso absurd wie die schräge Geschichte, in der Lessing und Dorn es neben Siegrid und Roy auch mit dem unsympathischen Kriminaltechniker Johann Ganser (Matthias Matschke, Borowski und der vierte Mann), dem einbeinigen Friedhofsangestellten Karsten "Flamingo" Schmöller (Thomas Wodianka) und dem Bilderbuch-Zuhälter Frank Voigt (Sebastian Hülk) zu tun bekommen.

Letzterer zeichnet dann auch für die meisten Lacher der ansonsten mit reichlich platten Wortwitzen und mäßig lustigen Albernheiten durchsetzten Krimikomödie verantwortlich: Erst knabbert der Lude seelenruhig Erdnüsse in einem Wandschrank und wird dort vom verdutzten Lessing entdeckt ("Wer sitzt da im Schrank?" – "Frank." – "Krank."), später stellt er sich selbst als Kommunikationsberatungsspezialisten und seine Prostituierte als Studentin an mehreren Fern-Unis vor.

Am enttäuschenden Gesamteindruck ändert das wenig: Sorgten die Weimarer Kommissare bei ihren ersten beiden Auftritten dank köstlicher Dialoge und vieler Überraschungsmomente noch für beste Unterhaltung, liefert der komödienerprobte Regisseur Gregor Schnitzler wie schon bei seiner letzten Tatort-Arbeit Der Schrei kein überzeugendes Ergebnis ab.

Am gelegentlichen Nuscheln seiner Hauptdarsteller Tschirner und Ulmen, den die schlechte Tonqualität in Der irre Iwan sogar zu einer nachträglichen Entschuldigung beim Publikum veranlasste, liegt das allerdings weniger: Eine schräge Geschichte, gute Schauspieler und eine Handvoll ordentlicher Gags machen noch keinen gelungenen Tatort.

Bewertung: 4/10

Die Geschichte vom bösen Friederich

Folge: 983 | 10. April 2016 | Sender: HR | Regie: Hermine Huntgeburth
Bild: HR/Bettina Müller
So war der Tatort:

Herrmannesk.

Denn wie schon im wunderbaren Wiesbadener Tatort-Meilenstein Im Schmerz geboren sorgt beim dritten Fall der Frankfurter Hauptkommissare Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) das Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks für die musikalische Begleitung – und setzt mit den an das Gesamtwerk von Hollywood-Legende Bernard Herrmann erinnernden Klängen das stimmungsvolle i-Tüpfelchen auf eine der stärksten Tatort-Folgen des Jahres 2016.

Die Geschichte vom bösen Friederich dürfte manchem Zuschauer als Titel bekannt vorkommen, denn sie stammt aus dem gruseligen Kinderbuch-Klassiker Struwwelpeter und lehrt uns: Wer Tiere quält, der muss am Ende dafür büßen. Das Verbrennen eines Kaninchens und das Massakrieren einer Katze zählt allerdings noch zu den harmloseren Gräueltaten des gewieften Psychopathen, mit dem es die Frankfurter Ermittler zu tun bekommen: Frauenmörder Alexander Nolte (Nicholas Ofczarek, Der oide Depp), der schon als Schüler seine Eltern und Lehrer zur Verzweiflung trieb und später seine Freundin eiskalt in der Badewanne ertränkte, wurde nach fast zwanzig Jahren aus dem Gefängnis entlassen.

Das durchtriebene und charismatische Tatort-Pendant zum wütenden Friederich aus dem Struwwelpeter ersticht den bettelnden Obdachlosen Martin Busche (Manuel Harder, Todesschütze), ohne mit der Wimper zu zucken, und nimmt Kontakt zu Janneke auf: Die frühere Polizeipsychologin hatte einst das Gutachten erstellt, das Nolte ins Gefängnis brachte. Dank der Fürsprache von Psychologin Helene Kaufmann (Ursina Lardi, Freddy tanzt), die ein Verhältnis mit ihrem vordergründig besserungswilligen und eleganten Klienten begonnen hat, kam er später allerdings wieder auf freien Fuß - und lockt Janneke in seine spärlich eingerichtete Wohnung.


NOLTE:
Kaffee? Kekse? Ist Mozart okay?


Die leinwanderprobte Regisseurin Hermine Huntgeburth inszeniert zum allerersten Mal einen Tatort – und angesichts des hohen Unterhaltungswerts wünscht man sich sehr, dass ihr erster Beitrag zur Krimireihe nicht ihr letzter bleibt.

Passend zu den herrmanesken Klängen des Sinfonieorchesters durchsetzt die Filmemacherin ihren packenden Psychothriller mit vielen Suspense-Momenten, die an Alfred Hitchcock erinnern: Wenn Nolte in Jannekes Küche seelenruhig zum Messer greift oder Brix' ahnungsloser Mitbewohnerin Fanny (Zazie de Paris) einen Besuch abstattet, dürfte vielen Zuschauern ein Schauer über den Rücken laufen.

Dass der Zuschauer von Beginn an um die Tat des Ex-Knackis weiß, erweist sich dabei als Vorteil: Die Geschichte vom bösen Friederich ist ein weiterer Beleg für die alte Tatort-Weisheit, dass die Folgen, bei denen der Mörder von Beginn an fest steht, häufig die besseren sind. Hier geht es nicht darum, den Täter zu finden, sondern weiteres Morden zu verhindern: Losgelöst von den üblichen Erzählstrukturen der Krimireihe spitzt Drehbuchautor Volker Einrauch Jannekes Konfrontation mit Nolte immer stärker zu.

War es im letzten Frankfurter Tatort Hinter dem Spiegel noch Brix, der von seiner Zeit bei der Sitte eingeholt wurde, muss sich diesmal Janneke ihrer Vergangenheit stellen, denn sie erlag einst Noltes Charme und scheint als Einzige zu erkennen, dass sich bei ihm um den gesuchten Mörder und einen personifizierten Alptraum handelt. Das ist zwar nicht hundertprozentig glaubwürdig, aber ungemein unterhaltsam.

Nicht von ungefähr weckt der blendend aufgelegte Nicholas Ofczarek in seiner Rolle Erinnerungen an Kult-Killer Kai Korthals (Lars Eidinger), der es in Borowski und der stille Gast sowie in Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes schon zweimal mit den Kieler Kommissaren zu tun bekam: Der ebenso unberechenbare und manipulative Bösewicht lebt seine blutigen Phantasien und perversen Tagträume direkt vor den Augen des Zuschauers aus und lässt ihn so an seiner unbändigen inneren Wut teilhaben.

Eher plump wirken allerdings die brachialen Rammstein-Klänge, die das Naturell des Killers unterstreichen und den Film musikalisch rahmen sollen: Hier wäre weniger mehr gewesen. Kleinere Schönheitsfehler sind aber auch dank des hochspannenden Schlussdrittels locker zu verschmerzen: Dank der ansonsten herausragenden Filmmusik, vieler Spannungsmomente und einem tollen Bösewicht ist der dritte Fall von Janneke und Brix ihr bisher bester.

Bewertung: 8/10

Mia san jetz da wo's weh tut

Folge: 982 | 3. April 2016 | Sender: BR | Regie: Max Färberböck
Bild: BR/Roxy Film GmbH/Regina Recht
So war der Tatort:

Silber.

Denn Mia san jetzt da wo's weh tut ist nicht nur der 72. Fall der silbergelockten Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), sondern zugleich ihr 25-jähriges Dienstjubiläum – also praktisch ihre Silberhochzeit.

Anders als die dienstälteste Tatort-Kommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts), die bereits seit 1989 im Einsatz ist, sind Batic und Leitmayr als Figuren aber hervorragend gealtert – was neben der BR-Redaktion auch an den tollen Drehbüchern liegt, die dem Publikum unter anderem Tatort-Meilensteine wie Frau Bu lacht, Der oide Depp oder Nie wieder frei sein bescherten.

Auch Mia san jetzt da wo's weh tut liefert wieder eine erstklassige, wenn auch ziemlich sperrige Geschichte, die dem Zuschauer ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit abverlangt: Regisseur und Drehbuchautor Max Färberböck (Der Himmel ist ein Platz auf Erden) lässt drei Handlungsstränge parallel laufen.

Da ist zum einen der Fall der ermordeten rumänischen Prostituierten Aurelia Rubin (Anne-Marie Waldeck), den Batic und Leitmayr mit ihrem Assistenten Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) neu aufrollen und dabei auf den charismatischen Bordellbetreiber Harry Schneider (Robert Palfrader) treffen.

Dann die Verstrickungen im Milieu, die Schneiders skrupellosen Handlanger Siggi Rasch (Andreas Lust, Côte d'Azur) und den koksenden Auftragskiller Roman Czernik (Till Wonka, Auf einen Schlag) auf den Plan rufen.

Und nicht zuletzt die Flucht von Wäschereifahrer Benny (Max von der Groeben) und Mia Petrescu (Mercedes Müller, Willkommen in Hamburg), einer einst mit der Toten befreundeten Prostituierten: Wer hier auch nur drei Minuten nicht aufpasst, verpasst Entscheidendes. Oder womöglich den kurzen Umtrunk im Präsidium – stilecht mit Espresso aus Pappbechern.


LEITMAYR:
Wenn ich was hass', dann Dienstjubiläum. Und womöglich noch g'schissnen Champagner dazu!


Fünf Wochen nach dem mittelprächtigen Kölner Tatort Kartenhaus, bei dem alles in geordneten Bonnie-und-Clyde-Bahnen ablief, wählt Färberböck einen für ihn typischen, gänzlich anderen erzählerischen Ansatz und lotet die seelischen Abgründe seiner Figuren dabei ausführlich aus: Statt die Erkenntnisse von den Kommissaren vorgekaut zu bekommen, ist der Zuschauer ihnen oft voraus und muss sich selbst einen Reim auf das Gesehene machen. Spätestens nach einem Blutbad in Bennys Wohnung scheint in dieser leichenreichen und selten ausrechenbaren Kreuzung aus Whodunit, Melodram und Milieuthriller nichts mehr unmöglich.

Vielen Tatort-Puristen schmeckt dieser fordernde Stil nicht – wer aber die Erzähltechniken zeitgenössischer US-Erfolgsserien wie True Detective mag, kommt im 982. Tatort voll auf seine Kosten. Dass Batic und Leitmayr diesmal auf Fallanalytikerin Christine Lerch (Lisa Wagner) verzichten müssen, erweist sich als Vorteil: Losgelöst von den etablierten Strukturen des Sonntagskrimis treiben die Figuren selbst die Geschichte voran. Allein der in der Rolle des aufbrausenden Puffkönigs Schneider famos aufspielende Robert Palfrader ("Die scheiß ich mit einem einzigen Anwalt zu!") ist das Einschalten wert.

Auch handwerklich spielt Färberböcks Film in der ersten Liga: Nicht nur dank des stimmungsvollen Soundtracks werden Erinnerungen an sein Meisterwerk Am Ende des Flurs wach, dem er mit einigen Weißblenden und einer Wohnungsdurchsuchung am Ende des Flurs die Referenz erweist. Fast magisch wirken die großartig fotografierten Szenen im Präsidium, bei denen Kameramann Alexander Fischerkoesen (Aus der Tiefe der Zeit) gekonnt mit den Lichtverhältnissen spielt: Beim letzten Verhör unterstreichen Batic‘ tiefschwarze Augenhöhlen eindrucksvoll die aufkeimende Wut des temperamentvollen kroatischen Kommissars.

Nicht nur in dieser Sequenz wird der visuell herausragende Münchner Jubiläumsfall zum kleinen Krimi-Kunstwerk, das zu den besten Tatort-Folgen des Jahres 2016 zählt.

Bewertung: 8/10