Babbeldasch

Folge: 1012 | 26. Februar 2017 | Sender: SWR | Regie: Axel Ranisch
Bild: SWR/Martin Furch
So war der Tatort:

Improvisiert.

Denn wie seine Kinofilme drehte Ich fühl mich Disco-Regisseur Axel Ranisch seinen ersten Tatort chronologisch und ohne ausformuliertes Drehbuch: Babbeldasch ist ein außergewöhnliches Krimi-Experiment, ein komplett improvisierter Tatort, bei dem man allen beteiligten (Amateur)-Schauspielern nur ein Kompliment für ihren Mut machen kann.

"Ich glaube, so viel quirlige Lebendigkeit gab es auf diesem Programmplatz noch nie", kündigte Ranisch auf seiner Facebook-Seite selbstbewusst an - und er hat völlig Recht! Die zahlreichen Laienschauspieler, die normalerweise für die Ludwigshafener Hemshofschachtel im Einsatz sind, genießen die Fernsehbühne in vollen Zügen und legen sich beim 65. Einsatz von Hauptkommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) mächtig ins Zeug.

Den Mörder kannten sie während der Dreharbeiten noch nicht, weil sie die Szenen auf Basis eines Treatments von Drehbuchautor Sönke Andresen improvisierten, und auch Folkerts erfuhr erst kurz vor Schluss, wen sie denn nun nach dem Mord an Sophie Fettèr (Malou Mott), der Leiterin des titelgebenden Mundart-Theaters Babbeldasch, verhaften muss. Eine außergewöhnliche Entstehungsgeschichte – aber geht diese Rechnung auch auf?

Mitnichten. Der 1012. Tatort ist einer der schwächsten aller Zeiten, denn der Zuschauer bleibt bei diesem kolossal scheiternden Experiment fast vollkommen auf der Strecke.

Am wichtigsten scheint vielmehr zu sein, dass sich alle Beteiligten vor der Kamera so richtig austoben können, doch über die fehlende Spannung können das engagierte Spiel und die spontanen Dialoge nicht hinwegtäuschen: Babbeldasch ist nicht nur ein anstrengender, sondern in erster Linie ein entsetzlich langweiliger und konfus vorgetragener Krimi.

Die schauspielerischen Leistungen bewegen sich – wer will es den Darstellern verübeln – auf dem Niveau von Berlin - Tag & Nacht oder Nachmittagsformaten á la Die Ruhrpottwache, während klassische Orchestermusik erklingt: Das ist in etwa so, als würde man teuren Champagner zur deftigen Erbsensuppe reichen.

Das ausgeprägte Lokalkolorit und die starke kurpfälzische Einfärbung der Dialoge – das kann man mögen oder auch nicht – tun ihr Übriges: Mit Ausnahme der Ermittler "babbeln" fast alle Figuren heftigsten Dialekt, was selbst geübte Ohren auf eine anstrengende Belastungsprobe stellt.

Mit einem klassischen Sonntagskrimi hat der mit verwackelten Handkamerabildern gefilmte Babbeldasch kaum mehr als die Suche nach dem Mörder gemein, und auch die grundsätzlichen Probleme der seit Jahren schwächelnden Beiträge aus der Kurpfalz treten wieder offen zutage: Hauptkommissar Mario Kopper (Andreas Hoppe) – immerhin seit 1996 im Amt (erster Auftritt im großartigen Tatort Der kalte Tod) – wird mit gerade einmal vier Szenen fast komplett links liegen gelassen und verabschiedet sich mit einer nebulösen Andeutung, während sich Vollzeitmami und Fallanalytikerin Johanna Stern (Lisa Bitter) von heute auf morgen mit Ex-Erzfeindin Odenthal anfreundet und mit ihren plärrenden kranken Kleinkindern das halbe Büro ansteckt - Assistentin Edith Keller (Annalena Schmidt) inklusive, die im Off mal eben auf den Flur kotzt.

Stand in den letzten Folgen aus Ludwigshafen (vgl. Du gehörst mir, LU) noch regelmäßig der nervtötende Zickenkrieg zwischen Odenthal und Stern auf der Tagesordnung, geht diesmal im Präsidium und beim Rotwein nach Feierabend alles harmonisch seinen Gang. Die Figurenentwicklung wird dadurch mit Füßen getreten, aber das scheint den Filmemachern herzlich egal zu sein: Die von schrillen Tagträumen geplagte Lena Odenthal darf sich am Ende sogar noch in eine böse Königin verwandeln – die groteske Krönung einer unterirdisch schwachen, fast selbstverliebt wirkenden Tatort-Folge, bei der vieles gut gemeint und nichts gut gemacht ist.

Daran ändern eine Mannequin Challenge-Sequenz zu den Klängen von Edvard Griegs In der Halle des Bergkönigs, eine uninspiriert eingeflochtene Film-im-Film-Anspielung auf den Tatort Roomservice und ein gelungener One-Liner des profitgierigen Theatervermieters Bohlmann (Harald Dimmler) herzlich wenig.


BOHLMANN:
Es hat sich ausgefuckyoubohlmannt!


Bewertung: 1/10

Tanzmariechen

Folge: 1011 | 19. Februar 2017 | Sender: WDR | Regie: Thomas Jauch
Bild: WDR/Thomas Kost
So war der Tatort:

Karnevalistisch.

Denn Tanzmariechen spielt kurz vor Beginn der sprichwörtlichen fünften Jahreszeit: Ganz Köln ist im Karnevalsfieber und freut sich auf den 11. November, an dem das jecke Treiben endlich wieder losgeht. Ganz Köln?

Nein. Ein einsamer Beamter wagt es, den kostümierten Narren Widerstand zu leisten: Hauptkommissar Max Ballauf (Klaus J. Behrendt), der sich schon 1999 im Tatort Restrisiko als Karnevalsmuffel outete und ein Jahr später in der Crossover-Folge Quartett in Leipzig vom Leipziger Kollegen Bruno Ehrlicher (Peter Sodann) trotzdem als "Karnevalist" bezeichnet wurde, kann dem Ganzen herzlich wenig abgewinnen und würde die Stadt wohl am liebsten direkt verlassen. Gemeinsam mit seinem Kollegen Freddy Schenk (Dietmar Bär) muss er allerdings einen Mordfall aufklären: Im Karnevalsverein "De Jecke Aape" wird die strenge Tanztrainerin Elke Schetter (Katja Heinrich, Die chinesische Prinzessin) tot aufgefunden.

Und da gibt es noch einen weiteren Aufreger, der eigentlich gar keiner ist: +++ Küsse im Polizei-Präsidium sorgen für Aufregung +++ titelte die ARD auf ihrer Tatort-Homepage, dabei sind die Ermittler doch sichtbar um Deeskalation bemüht: Assistent Tobias Reisser (Patrick Abozen) und sein Freund David Mühlberger (Marc Rissmann) lassen sich im Büro zu einem eher flüchtigen als leidenschaftlichen Küsschen hinreißen – was vor Jahrzehnten vielleicht noch für einen Aufschrei in den heimischen Fernsehsesseln gesorgt hätte, ist 2017 längst selbstverständlich. Und wirkt in diesem Tatort doch seltsam verkrampft: Vor allem Schenk, bei dem ein Zombiekostüm-Wunsch seiner offenbar namenlosen Enkeltochter eine mittelschwere Sinnkrise auslöst, kann gar nicht oft genug betonen, dass er damit überhaupt kein Problem hat.


SCHENK:
Mir ist das egal, wer wen, wann, wo, wieso oder wohin küsst. Das ist aber nicht jedem hier im Präsidium egal. Leider.


Wen Schenk damit meint, bleibt sein Geheimnis, und überhaupt: Sein ewiges Schwingen der Toleranzkeule mündet in den exakt gegenteiligen Effekt. Denn je häufiger sich der Oldtimer-Fan entspannt und verständnisvoll gibt, desto aufgesetzter wirkt die Sache.

Das gilt auch für den rheinländischen Dialekt, den der tatverdächtige Karnevalsfreak Rainer Pösel (Tristan Seith, Mord auf Langeoog) und seine Frau Martina (stark: Milena Dreissig, Die robuste Roswita) sprechen: Der bemühte Zungenschlag des Ehepaars, das kurz vor dem Tod der Tanzlehrerin den Selbstmord seiner Tochter Evelyn (Stella Holzapfel) hinnehmen musste, konterkariert die vermeintliche Karnevalsbegeisterung schon fast.

Die übrigen Charaktere fallen nicht überzeugender aus: Regisseur Thomas Jauch (Zahltag) und Drehbuchautor Jürgen Werner (Wacht am Rhein) verrichten mit wandelnden Klischees, einer am Reißbrett entworfenen Geschichte und einer routinierten Inszenierung diesmal nur Dienst nach Vorschrift. Neben der strengen Tanzlehrerin Schetter und dem realitätsverleugnenden Karnevalisten Pösel, der seinen bedauernswerten Sohn Paul (Luke Piplies) zum Herunterstammeln einer Büttenrede nötigt, gibt es da noch den großkotzigen Vereinsmäzen Günther Kowatsch (souverän: Herbert Knaup, Freigang), der mit der viel zu jungen Annika (Natalia Rudziewicz, Blutschuld) anbandelt, und Saskia (Sinja Dieks, Blackout), das zickige Tanzmariechen in spé, das beim knallharten Konkurrenzkampf keine Verwandten kennt – alles schon dutzende Male gesehen.

Ähnlich wie die westfälischen Kollegen Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) in Ein Fuß kommt selten allein legen die Kommissare nach und nach das Innenleben der Tanztruppe frei, das sich ebenfalls so gestaltet, wie man es sich vorstellen würde: Der Zickenkrieg fordert in bester Germany’s Next Top Model-Manier Tränen, während sich Ballauf und Schenk von einem Dialog zum nächsten hangeln und mühsam mit dem Thema Cybermobbing auseinandersetzen, für das sie vielleicht einfach ein paar Jährchen zu alt sind.

Dramatisch wird es in erst in den Schlussminuten, und auch die Auflösung der klassischen Whodunit-Konstruktion dürfte alten Krimihasen kaum mehr als ein müdes Lächeln abringen. Trotz des Lokalkolorits ist Tanzmariechen daher kein großer Wurf und schon am Aschermittwoch wieder vergessen.

Bewertung: 5/10

Wie hieß die Selbstmörderin doch gleich?

Der scheidende Schupo

Folge: 1010 | 5. Februar 2017 | Sender: MDR | Regie: Sebastian Marka
Bild: MDR/Anke Neugebauer
So war der Tatort:

Traditionsreich.

Denn da sind zum einen die Krimititel, für die sich der MDR in Weimar stets etwas Besonderes einfallen lässt: Der scheidende Schupo ist nach der spaßigen Auftaktfolge Die fette Hoppe, dem schrägen Nachfolger Der irre Iwan und dem etwas schwächeren dritten Fall Der treue Roy der vierte Einsatz der Hauptkommissare Lessing (Christian Ulmen) und Kira Dorn (Nora Tschirner), die seit ihrem Debüt im Jahr 2013 aus der Krimireihe kaum noch wegzudenken sind. Bietet der Tatort aus der Dichterstadt mittlerweile doch eine sehenswerte Alternative zu den populären Krimikomödien aus Münster – und während die Quotenkönige Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) nur noch selten überraschen, weiß man bei Lessing und Dorn nie, in welche Richtung sich die Geschichte entwickeln wird.

Das ist diesmal nicht anders: Beim titelgebenden Schutzpolizisten, der eine lebensbedrohliche Rizin-Vergiftung erleidet und dessen Freundin Andrea Münzer (Florentine Schara) bei einem Bombenanschlag ums Leben kommt, handelt es sich um Ludwig Maria Pohl (Arndt Schwering-Sohnrey, Hinkebein), der von allen nur "Lupo" genannt und kaum beachtet wird – auch nicht von Dorn, in die er bis über beide Ohren verliebt ist.

Traditionsreich ist auch das Porzellanunternehmen Scholder, dessen Firmenchef verstorben und dessen Teilerbe Lupo ist – ganz zur Unfreude der beiden verfeindeten Schwestern Desiree (Katharina Heyer, Tote Erde) und Amelie Scholder (Laura Tonke, Narben), deren Freund Ringo Kruschwitz (Florian Panzner, Großer schwarzer Vogel) einst von Lupo ins Gefängnis gebracht wurde.

Sinnvoll genutzt hat er die Zeit im Knast allerdings nicht, und er bringt nach seiner Entlassung ebenso ein Mordmotiv mit wie die Scholder-Schwestern und seine Mutter Olga (herausragend: Carmen-Maja Antoni, Feuertaufe), die für die Weimarer Kommissare bis zum Schluss nur schwer zu durchschauen ist.


LESSING:
Hat Ringo im Knast irgendeine Ausbildung gemacht?

KRUSCHWITZ:
Als Spülhilfe, hat er aber abgebrochen.


Köstliche Dialoge wie dieser finden sich im 1010. Tatort en masse – die Drehbuchautoren Murmel Clausen und Andreas Pflüger, die auch die ersten drei Folgen aus Weimar konzipierten, gehen den humorvollen Weg konsequent weiter und liefern mit Der scheidende Schupo einen kurzweiligen Krimispaß, bei dem Realitätsnähe und Logik hinter Situationskomik und Wortwitz zurückstehen.

Als Whodunit zum Miträtseln funktioniert der Film von Sebastian Marka, der zuletzt die überragenden Tatort-Folgen Die Wahrheit und Es lebe der Tod inszenierte, trotz aller Absurditäten und der unübersichtlichen Handlung trotzdem – wer sich aber auf einen klassischen Krimi mit verzwickter Auflösung gefreut hat, dürfte am vierten Fall von Lessing und Dorn früh die Lust verlieren.

Das titelgebende Opfer und die vielen Nebenfiguren – Kripochef Kurt Stich (Thorsten Merten) eingeschlossen – sind bis ins Karikatureske überzeichnet und die Spannungskurve ist in diesem schrägen Spektakel trotz einiger Schießereien und einer Verfolgungsjagd kaum messbar. Stattdessen punktet der Film aber mit witzigen One-Linern ("Du hast Andrea in die Luft gejagt, sie wird immer noch größtenteils vermisst!"), einer pfiffigen Anspielung auf die legendäre Häcksler-Szene im Coen-Klassiker Fargo ("Es ist nicht das, wonach es aussieht!") und den blendend aufgelegten Darstellern, die sichtlich Spaß am Geschehen haben. Gelegentlich schießen die Filmemacher aber über ihr Ziel hinaus – zum Beispiel dann, wenn die Kommissare im Kofferraum einen großen Tank mit Exkrementen spazieren fahren.

Immerhin: Peinlicher Fäkalhumor, wie er dem Zuschauer 2012 im komplett missratenen Münster-Tatort Das Wunder von Wolbeck zugemutet wurde, bleibt dem Publikum erspart. Ein gewisser Streuverlust bei den Pointen ist allerdings nicht zu übersehen und auch das Lokalkolorit, ein Markenzeichen der Krimireihe und in Die fette Hoppe besonders stark ausgeprägt, kommt diesmal etwas zu kurz: Außer einer Stippvisite an einer Thüringer Rostbratwurstbude ist von der Stadt wenig zu sehen. Ein bisschen mehr Elan stünde den etwas schläfrig wirkenden Ermittlern außerdem gut zu Gesicht – andererseits bilden die Kommissare aus Weimar mit ihrer entspannten Gemütlichkeit und ihrem trockenen Dialogwitz einen angenehmen Gegenpol zu den exzentrischen Tatort-Kollegen aus Dortmund, Hamburg oder Berlin.

So ist Der scheidende Schupo in erster Linie ein Krimi zum Spaß haben – und gleichzeitig einer zum Schnell-wieder-Vergessen.

Bewertung: 6/10