Böser Boden

Folge: 1037 | 26. November 2017 | Sender: NDR | Regie: Sabine Bernardi
Bild: NDR/Christine Schroeder
So war der Tatort:

Frackingkritisch.

Denn in Böser Boden üben alle Beteiligten scharfe Kritik an eben jenem umstrittenen Förderverfahren für Erdgas: Radikale Bio-Bauern und Öko-Aktivisten veranstalten konspirative Treffen in der Scheune des einflussreichen Landwirts Lars Kielsperg (Niklas Post) und seiner Frau Anne (Cristin König, Ätzend) und sind sogar ins Visier des Verfassungsschutzes geraten. Aber haben sie auch den Iraner Arash Naderi (Hadi Khanjanpour) getötet, der als Fahrer für die fiktive Frackingfirma "Norfrac" tätig war und vor seinem Tod von der aufgebrachten Dorfbevölkerung bedrängt wurde?

Die Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weisz), die bei ihren Nachforschungen in der niedersächsischen Provinz von der ortsansässigen Polizistin Kerstin Starke (Lenja Schultze) und dem hinzubeorderten Chemiker Henry Fohlen (Christian Hockenbrink, Mord ist die beste Medizin) unterstützt werden, ermitteln in alle Richtungen: Arashs Bruder Hamed (Sahin Eryilmaz, Der große Schmerz) und seine Frau Shirin (Sanam Afrashteh, Stau) scheinen bei den Befragungen nicht mit offenen Karten zu spielen – und ihr jüngster Sohn ist nicht der einzige Anwohner der Gegend, der irgendwie ungesund aussieht und Grosz schon bei der ersten Begegnung ohne Vorwarnung in die Hand beißt.

Auffallend bleiche Gesichter mit tiefdunklen Augenringen blicken die Ermittler gleich reihenweise an, aber Verdacht schöpft zunächst nur Grosz: Der genervte Falke interessiert sich lange Zeit mehr für die Aktivitäten seines umtriebigen Sohnes Torben als für die Ursachen dieser mysteriösen Ungesundheit.


GROSZ:
Sehen Sie den Leuten mal in die Augen, das sind doch halbe Zombies.

FALKE:
Wenn man sein Leben lang nur Hirse frisst, dann sieht man halt so aus.


Vier Wochen nach dem kolossal gescheiterten Frankfurter Tatort-Experiment Fürchte dich weht erneut ein Hauch von Horror durch die beliebteste deutsche Krimireihe: Falkes zwischenzeitliche Stippvisite in Hamburg ist fast noch das bodenständigste an der mit Zombiefilm-Anleihen angereicherten Handlung, die beim Showdown in einem Supermarkt stärker an The Walking Dead oder Dawn of the Dead als an einen Sonntagskrimi im klassischen Sinne erinnert. Einmal mehr verwischen die Grenzen zwischen den Genres – das hat in der Vergangenheit schon gut funktioniert, sorgt hier aber eher für unfreiwillige Komik und bringt weniger experimentierfreudige Zuschauer einmal mehr auf die Palme.

Schossen ihre Vorgänger in Borowski und eine Frage von reinem Geschmack gegen die Hersteller von Energydrinks, in Tote Erde gegen windige Recyclingfirmen und in Wer Wind erntet, sät Sturm gegen Windkraftbetreiber, knöpfen sich die Drehbuchautoren Marvin Kren (Die letzte Wiesn) und Georg Lippert diesmal das Frackingverfahren vor, das in Deutschland im Jahr 2017 in kommerzieller Form verboten ist und das in Böser Boden dank giftiger Abwässer gleich ein ganzes Dorf zu kranken Halb-Zombies macht.

So gut diese politisch angehauchte, aber undifferenziert ausgearbeitete Umweltstory der Bundespolizei thematisch zu Gesicht steht, so sehr schießen die Filmemacher über ihr Ziel hinaus: Argumente für das umstrittene Verfahren bleiben im 1037. Tatort komplett außen vor und die Handlung ist dermaßen fernab der Realität, dass es mit fortlaufender Spielzeit immer schwerer fällt, diesen überambitionierten Öko-Thriller ernst zu nehmen.

Daran ändert auch der uninspiriert eingeflochtene Gastauftritt der Indie-Rockband AnnenMayKantereit wenig, der ansonsten fast zu den Lichtblicken in diesem auffallend farblos fotografierten Film zählt: Die soliden Leistungen der Schauspieler, die überzeugende Regiearbeit von Tatort-Debütantin Sabine Bernardi und einige ansprechende Kamerafahrten können die Schwächen des Drehbuchs unterm Strich nicht übertünchen.

Das neue Ermittlerteam, das mehr als eineinhalb Jahre auf seinen zweiten gemeinsamen Fall warten musste, holt die Kastanien jedenfalls (noch) nicht allein aus dem Feuer: Garantieren bei den fast immer überzeugenden Tatort-Folgen aus Dortmund, München oder Kiel bei einem schwächeren Skript schon die starken Figuren einen gewissen Unterhaltungswert, mangelt es vor allem Tatort-Neuling Grosz noch an Profil. Die zeigt sich nach ihrem sympathischen Debüt in Zorn Gottes zwar diesmal aktiver, wird aber auch in Böser Boden ausschließlich im Dienst gezeigt - und wirkt dabei (noch) sehr unterkühlt.

Bewertung: 4/10

Gott ist auch nur ein Mensch

Folge: 1036 | 19. November 2017 | Sender: WDR | Regie: Lars Jessen
Bild: WDR/Wolfgang Ennenbach
So war der Tatort:

Aktionskünstlerisch.

Denn in Gott ist auch nur ein Mensch ermitteln Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und seine Kollegin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) auf den Internationalen Skulpturtagen in Münster: Eine vorm Rathaus aufgestellte Clownsfigur entpuppt sich als Leiche eines ehemaligen Stadtrats, der vom Verdacht der Unzucht mit Kindern freigesprochen wurde. Hat sein Mörder Selbstjustiz geübt?

Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) und seine Assistentin Silke "Alberich" Haller (Christine Urspruch) finden Hinweise auf einen Serientäter – und spätestens, als dieser ein zweites Opfer zum Kunstwerk drapiert und öffentlich zur Schau stellt, ist die Jagd auf ihn eröffnet. Neben dem selbstverliebten Aktionskünstler Zoltan "G.O.D." Rajinovic (Aleksandar Jovanovic, Alles hat seinen Preis) rücken auch seine Kollegen Jan Christowski (Christian Jankowski) und Swantje Hölzel (Raphaela Möst) ins Visier der Ermittler. Kuratorin Klara Wenger (Victoria Mayer, Goldbach), deren Mutter Nika (Gertie Honeck) gut mit Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) bekannt ist, kommt die Publicity derweil nicht ungelegen, doch die Befragungen liefern wenig brauchbare Erkenntnisse.

Die spielen aber einmal mehr nur eine untergeordnete Rolle: Regisseur Lars Jessen (Feierstunde) und die Drehbuchautoren Christoph Silber und Thorsten Wettcke, die zuletzt die Münster-Krimis Schwanensee und Zwischen den Ohren konzipierten, setzen voll auf das langjährige westfälische Erfolgsrezept mit dem mal mehr, mal weniger originellen Dialogwitz, einem Kriminalfall ohne Anspruch auf Realitätsnähe und den gewohnten Frotzeleien der Figuren, die bei ihrem 32. Einsatz voll in ihrem Element sind.


BOERNE:
Alberich, Sie müssen mal über den Tellerrand hinausschauen. Ich mache Ihnen gern die Räuberleiter.


Tiefgang und Spannung bleiben vor allem in der ersten Filmhälfte auf der Strecke, aber die Fans von Thiel und Boerne kommen auf ihre Kosten: Der eitle Gerichtsmediziner neckt die tapfere Haller, der mürrische Kommissar moniert Klemms Nikotinsucht und auch "Vaddern" Herbert Thiel (Claus Dieter Clausnitzer) tut in Gott ist auch nur ein Mensch wieder das, was er am besten kann: Taxi fahren, Drogen konsumieren und seinen Sohn zur Weißglut treiben.

Das alles hat man im Tatort aus Münster schon etwa 32 Mal gesehen, und auch die Nebenfiguren bekommen traditionell wenig Platz zur Entfaltung: Die Stars und Stichwortgeber für den nächsten Gag sind wie immer die Ermittler.

Wenigstens einem Verdächtigen verleihen die Filmemacher aber Profil: Aleksandar Jovanovic gibt als überzeichneter Aktionskünstler G.O.D. ("Denken tun nur die Dummen!") Einblicke in seine exzentrische Künstlerseele und zugleich das Enfant Terrible, das den nicht minder ich-fixierten Hobbykünstler Boerne sofort fasziniert. Sicher: Ein Faible für Kunst und Künstler hätte Krusenstern oder Alberich genauso gut zu Gesicht gestanden, was mal für Abwechslung gesorgt hätte – in Münster frönt aber fast immer Boerne einer neuen Leidenschaft, die dann in irgendeinem Zusammenhang zum Mord steht (so auch im Vorgänger Fangschuss).

Auch andernorts häufen sich die Zufälle: Thiel und Kuratorin Wenger, nicht gerade im selben Alter, kennen sich angeblich aus der freizügigen Zeit ihrer Eltern in einer Kommune – dass Wenger diese wieder aufleben lassen möchte, wirkt mehr als bemüht und generiert keine einzige brauchbare Pointe. Deutlich origineller ist der Kriminalfall, der runder wirkt als in manch anderer Folge aus Münster: Dass der Mörder den in familienkompatibler Hannibal-Manier drapierten Leichen Botschaften mitgibt und sich aus diesen Puzzleteilen erst kurz vor dem Showdown ein schlüssiges Gesamtbild ergibt, animiert zum Miträtseln.

Wenngleich die Auflösung eingefleischten Tatort-Kennern nur ein müdes Lächeln abringen dürfte, wartet der 1036. Tatort doch noch mit einer überzeugenden Schlussviertelstunde auf, die ein Stück weit für die vielen Klischees, die ausgelutschten Erzählmuster und so manchen misslungenen Witz entschädigt. Wenn sich der verschlafene Thiel nämlich statt seines klingelnden Steinzeit-Handys, das seit 15 Jahren denselben Hans-Albers-Klingelton spielt, seine Fernbedienung ans Ohr hält und das Gespräch annehmen will, verkommt der Film vorübergehend zur Klamotte – deutlich gelungener ist da schon die an Pulp Fiction angelehnte Spielerei mit dem Inhalt eines Koffers, die diesen Schmunzelkrimi vom Reißbrett eigenwillig abrundet.


CHRISTOWSKI:
Und? War das jetzt Kunst? Entscheiden Sie selbst.


Bewertung: 5/10


Auge um Auge

Folge: 1035 | 12. November 2017 | Sender: MDR | Regie: Franziska Meletzky
Bild: MDR/Wiedemann & Berg/Gordon Muehle
So war der Tatort:

Digital nachbearbeitet.

Denn seinen ersten Aufreger hatte der Tatort Auge um Auge schon vor seiner TV-Premiere: Der taz war bei der Vorabsichtung des Krimis aufgefallen, dass in einer Filmsequenz drei PEGIDA-Anhänger einen lebensmüden Rollstuhlfahrer vor dem Unfalltod bewahren. Dessen Kommentar ("Ich dachte, wenn ihr jetzt das Volk seid, dann hau ich ab!") war dem Schnitt zum Opfer gefallen – und so rückten die rechten Retter in ein positiveres Licht, als es dem MDR lieb war. Der Sender ließ die Szene nachbearbeiten: Ein Aufnäher mit der Wirmer-Flagge und Sprüche wie "Verkohlt! Geschrödert! Ausgemerkelt!" wurden digital von den Shirts der Islamfeinde entfernt und die politische Note so eliminiert.

Sie wäre aber bei weitem nicht die einzige Anspielung auf die "besorgten Bürger" Dresdens und die Flüchtlingskrise gewesen: Regisseurin Franziska Meletzky (Die fette Hoppe) und die Drehbuchautoren Peter Probst (Totenstille) und Ralf Husmann (Der König der Gosse) ironisieren ein im Tatort schon sehr häufig erzähltes Thema (zuletzt in Am Ende geht man nackt und Wacht am Rhein), überzeugen damit aber ebenso wenig wie mit dem enttäuschenden Kriminalfall um die zweifelhafte Zahlungsmoral des fiktiven Versicherungskonzerns ALVA.

In dessen gläserner Zentrale finden Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) und die Oberkommissarinnen Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Henni Sieland (Alwara Höfels) die Leiche des erschossenen Abteilungsleiters Heiko Gebhardt (Alexander Schubert, Allmächtig): Sein Tod ist der Anlass für die drei, sich unter den Mitarbeitern des Versicherers und unter dessen Kunden umzuhören, die aufgrund der ausbleibenden Zahlungen gar nicht gut auf die ALVA zu sprechen sind. Was nicht heißt, dass Polizisten bei dem tatverdächtigen Fabian Rossbach (Sascha Göpel, Unter uns) willkommener wären:


ROSSBACH:
Was ich in meiner Freizeit mache, das ist Privatsache. Das geht die Versicherung nichts an und die Bullen auch nicht! Ähem, die Polizei auch nicht!

SCHNABEL:
Wenn was passiert ist, geht uns alles was an. Deswegen sind wir auch keine Bullen, sondern Schweine. Schweine stecken ihre Nase auch überall rein. Auch in den größten Mist.


Die politische Debatte wird im 1035. Tatort direkt ins Präsidium verlagert: Sieland schimpft über Schnabel, weil ihr latent ausländerfeindlicher Chef gedanklich noch im letzten Jahrtausend steckt, und Schnabel schimpft über Sieland, weil die sich auf seine Kosten für Flüchtlinge engagiert.

"Ich mache mir massiv Sorgen um die Stadt und die Zustände hier", wettert der Stromberg-Verschnitt unverhohlen gegen Einwanderer – fast so, als würden sich Geflüchtete, Gutmenschen und Neonazis direkt vor seinem Bürofenster die Köpfe einschlagen. Die Kommissarinnen versuchen es statt mit Dramatisierung mit Humor: "Soweit ist es gekommen, du! Jetzt versauen die Türken den Deutschen schon ihre Alibis", witzelt Gorniak beim Abgleich einer Aussage des ebenfalls tatverdächtigen Gebhardt-Kollegen Rainer Ellgast (Arnd Klawitter, Fegefeuer) – der Sprengkraft dieses Reizthemas, das erheblich zum AfD-Erfolg bei der Bundestagswahl 2017 beigetragen hat, werden diese dünnen Witzchen aber kaum gerecht.

Statt der deutlich reizvolleren, aber oberflächlich abgefrühstückten Geschichte um die Profitgier des Versicherers und dem Kampf der abgezockten Opfer mehr Tiefgang zu verleihen, verheddern sich die Filmemacher recht unbeholfen in einem ironisch angehauchten Mischmasch aus platter Schwarz-Weiß-Malerei, ermüdenden Grabenkämpfen im Präsidium und einer herbeigeredeten Beziehungskrise: Spätestens, als Sieland mit ihrem Ex-Ex-Freund Ole Herzog (Franz Hartwig) am Telefon über Couscous und Küsse philosophiert, ist der Bogen hier deutlich überspannt.

Auch im Hinblick auf das Schicksal von Rollstuhlfahrer Harald Böhlert (Peter Schneider), seiner Frau Ines (Marie Leuenberger) und der radikalen Aktivistin Martina Scheuring (Henny Reents) kommt Auge um Auge über seine guten Ansätze nicht hinaus. Spannung will selten aufkommen, denn dramaturgisch liegt einiges im Argen: Dass die Auflösung der Whodunit-Konstruktion so knifflig ausfällt, liegt in erster Linie daran, dass der Zuschauer den fix aus dem Hut gezauberten Täter erst in den Schlussminuten wirklich kennenlernt – und einem Faktencheck würden dessen Behauptungen angesichts dieser GDV-Zahlen auch kaum standhalten.

Dass die Ermittlerinnen so spät auf die richtige Spur gelangen, wirkt ebenfalls konstruiert: Hätten sich Gorniak und Sieland bei ihren Besuchen im ALVA-Konzern etwas mehr Zeit für die Details genommen, statt sich im Präsidium in bemühten One-Linern und zwischenmenschlichen Bankrotterklärungen zu verlieren, wäre der Fall wohl schon nach einer halben Stunde gelöst gewesen.

Bewertung: 4/10

Der Fall Holdt

Folge: 1034 | 5. November 2017 | Sender: NDR | Regie: Anne Zohra Berrached
Bild: NDR/Marion von der Mehden
So war der Tatort:

Angelehnt an den realen Heidenheimer Kriminalfall Maria Bögerl – und mit aller Konsequenz zum bitteren Ende geführt.

Auch in der Nähe von Walsrode, auf halber Strecke zwischen Hannover und Hamburg also, gibt es in diesem Tatort einen undurchsichtigen Entführungsfall: Zwei maskierte Täter kidnappen einleitend die titelgebende Julia Holdt (Annika Martens) und fordern von ihrem Mann Frank (Aljoscha Stadelmann, Spiel auf Zeit) ein Lösegeld in Höhe von 300.000 Euro. Weil der die Summe als Filialleiter der ortsansässigen Volksbank nicht selbst aufbringen kann, kontaktiert er seine Schwiegereltern Christian (Ernst Stötzner, Allmächtig) und Gudrun Rebenow (Hedi Kriegeskotte, Der irre Iwan), die gegen seinen Willen die Polizei einschalten – und so muss LKA-Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) auf ausdrücklichen Wunsch ihres Chefs in die niedersächsische Provinz ausrücken, um mit der vor Ort zuständigen Kollegin Frauke Schäfer (Susanne Bormann, Schön ist anders) die Ermittlungen zu leiten.

Regisseurin Anne Zohra Berrached setzt bei ihrem Debüt für die Krimireihe auf geballte Frauenpower – was nicht nur ihre Hauptdarstellerin freuen dürfte, die sich ein paar Monate vor der TV-Premiere des Films in einem Spiegel-Interview über den ungerechten Umgang mit Frauen im deutschen Fernsehen beklagte. Schäfer entspricht erfreulicherweise auch nicht dem im Niedersachsen-Tatort häufig vorherrschenden Klischee vom überforderten Landei, das von der scharfsinnigeren LKA-Kommissarin auf links gebügelt wird – vielmehr gibt sie ihrer labilen Vorgesetzten, die einleitend von drei Männern beim Urinieren auf einem Parkplatz gefilmt und brutal niedergeschlagen wird, ordentlich Kontra und fällt ihr sogar in den Rücken.


SCHÄFER:
Ich hab' kein Problem damit, hier die zweite Geige zu spielen, ja. Aber ich werde nicht länger zusehen, wie diese Frau die Ermittlungen gegen die Wand fährt. Ich muss hier mal die Notbremse ziehen.


Der Fall Holdt ist ein gelungenes, weil stark gespieltes und toll fotografiertes Krimidrama, das nach den aufregenden letzten Wochen mit einem amüsanten Münchner Porno-Tatort (Hardcore), einem sperrigen Stuttgarter History-Krimi (Der rote Schatten), einer anstrengenden Bremer Psychokiste (Zurück ins Licht) und einem gescheiterten Frankfurter Horror-Experiment (Fürchte dich) angenehm bodenständig ausfällt.

Regisseurin Berrached und Drehbuchautor Jan Braren arrangieren eine strukturell zwar etwas ungewöhnliche, aber atmosphärisch dichte und durchweg spannende Kreuzung aus klassischem Krimi und emotionalen Familiendrama, der ein etwas geringerer Fokus auf die Gefühlswelt seiner Ermittlerin allerdings gut zu Gesicht gestanden hätte: Am Ende ist die 1034. Tatort-Ausgabe zugleich eine dieser Folgen aus Niedersachsen, bei denen das Seelenleben der LKA-Kommissarin mal wieder wichtiger zu sein scheint als alles andere.

Reizvoller als die Aufarbeitung des Lindholmschen Traumas, das man der sonst so toughen Polizeibeamtin angesichts ihrer jahrelangen Erfahrung an vorderster Front ohnehin kaum abkauft, wäre die konsequentere Zuspitzung der Konkurrenzsituation mit Schäfer gewesen, denn auch der regelmäßige Tadel ihres unter Druck stehenden Vorgesetzten Marc Kohlund (Stephan Grossmann, Amour fou) bringt kaum Brisanz in die Ermittlungsarbeit, weil dieser Konflikt im Tatort schon viel zu häufig erzählt wurde.

Anders als der unter dringendem Tatverdacht stehende Ehemann Frank kommt außerdem der Sohn der Entführten bei der Charakterzeichnung zu kurz: Jonas Holdt (Moritz Jahn) reist mit Verspätung an und darf dann vor allem apathisch aus der Wäsche schauen und ein paar Krokodilstränen in einer Videobotschaft an die Entführer verdrücken. Überhaupt schlägt das Herz dieses emotionalen Entführungsdramas direkt im Hause Holdt: Durch das kammerspielartige (und budgetschonende) Setting aus Wohnhaus und direkter Umgebung erinnert Der Fall Holdt inhaltlich wie ästhetisch an den fünf Wochen zurückliegenden Schwarzwald-Tatort Goldbach, in dem ebenfalls fast ausschließlich im Wald und in einem direkt angrenzenden Dörfchen nach einem vermissten Kind und einem Mörder gesucht wurde.

Im Hinblick auf die Auflösung ist der 25. Fall von Charlotte Lindholm aber nur mit wenigen Tatort-Folgen zu vergleichen: Nicht von ungefähr werden Erinnerungen an den rund ein Jahr zurückliegenden Münchner Ausnahmebeitrag Die Wahrheit wach, dessen Klasse Der Fall Holdt allerdings nicht ganz erreicht – was auch an seiner Vorhersehbarkeit liegt, die in erster Line aus dem sehr reduzierten Verdächtigenkreis und natürlich auch seiner realen Vorlage resultiert.

Bewertung: 7/10