Alter Ego

Folge: 844 | 23. September 2012 | Sender: WDR | Regie: Thomas Jauch
Bild: WDR/Willi Weber
So war der Tatort:

Vierköpfig.

Denn zum ersten Mal in seiner 42-jährigen Geschichte schickt der Tatort gleich vier Kommissare in derselben Stadt ins Rennen: zwei männliche und zwei weibliche, wie es sich im Sinne der Gleichberechtigung für einen öffentlich-rechtlichen TV-Sender gehört.

In Alter Ego gehen der Hauptkommissar und unumstrittene Teamchef Peter Faber (Jörg Hartmann, Ein ganz normaler Fall), Hauptkommissarin Martina Bönisch (Anna Schudt, Familienbande), Oberkommissar Daniel Kossik (Stefan Konarske, Im Abseits) und Oberkommissarin Nora Dalay (Aylin Tezel, Wem Ehre gebührt) auf Mördersuche im Ruhrpott, jener deutschen Arbeiterregion also, in der sich Horst Schimanski (Götz George) als Duisburger Ermittler einst unsterblich machte – und in der ein Klischee-Taubenzüchter natürlich nicht fehlen darf.

Bis zur Unsterblichkeit, an der in der neuen Tatort-Stadt Dortmund im Jahr 2012 auch der zweifache Meistermacher Jürgen Klopp arbeitet, ist es ein weiter Weg – doch Peter Faber bringt all jene Ecken und Kanten mit, mit denen Schimanski in den 80er und 90er Jahren den angestaubten Sonntagskrimi neu belebte. Der Unterschied: Heute sind charismatische Eigenbrötler und mürrische Protagonisten, die keinen Wert auf die Sympathie von Kollegen und Mitmenschen legen, ein alter Hut.

Im Tatort-Kosmos ermitteln bereits Muffelköppe wie Klaus Borowski (Axel Milberg) oder Frank Steier (Joachim Król), und im US-Fernsehen gibt es mit dem Quotengaranten Dr. House gar einen Serienhelden, der verdächtig ähnlich tickt. Faber wirkt bei seinem Debüt noch wie sein wenig einfallsreiches, deutsches Krimi-Pendant: ein hochqualifizierter Fachmann, aber alles andere als ein pflegeleichter Zeitgenosse, der Pillen einschmeißt, gedankenverloren auf Schuldächern ausharrt und sich seinen neuen Kollegen am Leichenfundort nicht einmal vorstellt.


FABER:
Ich hab mir Ihre Personalakten angeguckt, Sie haben mich gegoogelt. Reicht doch.


Auch der ruhige Score und der auffällige Einsatz von blauen Farbfiltern verstärkt den Eindruck, dass der WDR sich hier dazu entschlossen hat, besser gut Dr. House zu kopieren, statt schlecht etwas Neues zu machen. Innovationspreise gewinnt das eingespielte Gespann um Regisseur Thomas Jauch und Drehbuchautor Jürgen Werner, die zuletzt gemeinsam die Köln/Leipzig-Doppelfolgen Ihr Kinderlein kommet und Kinderland realisierten, damit (noch) nicht.

Gut, dass es da noch drei weitere Kommissare gibt, deren Beziehung untereinander alles andere als klassisch ausfällt: Gleich in der ersten, von Jauch clever parallel montierten Sequenz des 844. Tatorts haben BVB-Fan Kossik ("Das kann doch nicht sein, dass dieses Sackgesicht da unser neuer Chef ist!"), der statt zum Lokalderby ins Schwulenlokal geschickt wird, und Dalay, mit 28 Jahren die jüngste Kommissarin aller Zeiten, leidenschaftlichen Sex. Ein mutiger Einstieg, der Konfliktpotenzial für die Zukunft des Dortmunder Krimis birgt.

Leider ließen sich die übrigen Dialoge der beiden Jungermittler, die man sich genauso gut in der Ex-RTL-Serie SK Babies hätte vorstellen können, problemlos in der nächsten GZSZ-Folge verwursten, und so ist es am Ende mit der undurchsichtigen Bönisch die unspektakulärste der vier Figuren, die gleich gesteigertes Interesse weckt. Für die Rahmenhandlung um drei Morde im Schwulenmilieu gilt das nur bedingt: Alter Ego ist ein typischer Erstling, bei dem der zu lösende Fall eindeutig hinter der Einführung der neuen Charaktere zurückstehen muss.

Für den neuen Tatort aus Dortmund wird das in den Jahren danach zum Erfolgsprinzip – bei der Gewichtung wird allerdings noch sehr gewinnbringend nachjustiert.

Bewertung: 6/10

Hochzeitsnacht

Folge: 843 | 16. September 2012 | Sender: Radio Bremen | Regie: Florian Baxmeyer

Bild: Radio Bremen/Jörg Landsberg
So war der Tatort:

G-g-g-ganz schön laut.

Beim 21. gemeinsamen Einsatz von Inga Lürsen (Sabine Postel) und Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) wird nämlich weniger ermittelt und fieberhaft nach Tätern gefahndet, sondern vor allem zweierlei: gestottert und gebrüllt.

Bei einer Hochzeitsfeier auf dem Land gerät die Bremer Hauptkommissarin samt Hochzeitsgesellschaft unverhofft in die Gewalt von Geiselnehmern – genauer gesagt in die Hände von Wolf (Denis Moschitto, Romeo und Julia) und seinem durchgeknallten Partner Simon (Sascha Reimann). Reimann, Crew-Mitglied der Party-Rapper Deichkind (Leider geil) und besser bekannt unter seinem Ex-Pseudonym Ferris MC (bekannt geworden durch den Rap-Hit Reimemonster), erinnert mit seiner eindrucksvollen schwarzen Maske ein wenig an den mächtigen Bane, der Batman im jüngsten Kino-Kracher The Dark Knight Rises schmerzhafte Lektionen erteilte.

Und macht seine Sache überraschend gut: Stets auf der Grenze zum Over-Acting wandelnd, braucht sich der extrovertierte Musiker eigentlich nur selbst zu spielen. Gut gebrüllt, Ferris – aber leider schlecht gebrüllt, Drehbuch. Autor Jochen Greve, der unter anderem auch das Script zum sehenswerten Stedefreund-Debüt Eine unscheinbare Frau beisteuerte, liefert mit Hochzeitsnacht ein erschreckend schwaches Drehbuch ab, bei dem ein Logikloch das nächste jagt und der Zuschauer bis zum Abspann vergeblich auf überraschende Momente hofft.

An Handynetz-Ausfälle hat man sich als leidgeprüfter Tatort-Zuschauer ja längst gewöhnt, dennoch seien – stellvertretend für unzählige – drei Beispiele genannt, die es spätestens nach einer knappen Stunde unzumutbar machen, sich weiter ernsthaft mit der hanebüchenen Geschichte, die Florian Baxmeyer (Der illegale Tod) inszenieren muss, auseinanderzusetzen.
  1. Lürsen schickt Stedefreund, der sich einleitend davongestohlen hat, um in Boxer-Shorts ihren Hund wiedereinzufangen, eine Bluetooth-Nachricht. Von der Toilette aus, über eine Distanz von rund 100 Metern, durch dicke Mauern hindurch. Klingt nach James Bond – im 843. Tatort schon heute Realität.

  2. Geiselnehmer Simon fordert lautstark einen Fluchtwagen, egal was für einen, "Hauptsache er fährt". Dass vor der Gaststätte zahlreiche vollgetankte Autos der gefangenen Geiseln praktisch abfahrbereit warten, übersieht er im Eifer des Gefechts.

  3. Die gut drei Dutzend Geiseln werden von zwei Geiselnehmern in Schach gehalten, die vorübergehend minutenlang den Raum verlassen. Absprachen? Fluchtversuche? Mitnichten. Brav wird gewartet, bis Wolf und Simon wiederkommen, wild herumbrüllen und Hochzeitstorten durch die Gegend werfen.
Derweil vegetiert draußen Stedefreund mit einer Handvoll Kollegen, die binnen Minuten eine mobile Einsatzzentrale in einem Zelt aufgebaut haben, vor sich hin und wartet seelenruhig auf Verstärkung.

Wie gut, dass die Zeit mit dem Verhör einer cleveren Zeugin ("So sieht doch kein Mörder aus."), die sich beim Ausführen ihres Hundes in die Einsatzzentrale verirrt, überbrückt werden kann.

Bewertung: 2/10

Borowski und der stille Gast

Folge: 842 | 9. September 2012 | Sender: NDR | Regie: Christian Alvart
Bild: NDR/Marion von der Mehden
So war der Tatort:

Heimlich, still und leise – aber manchmal auch ziemlich laut.

Das erscheint angesichts des Krimititels Borowski und der stille Gast ein wenig paradox, doch die Kieler Hauptkommissarin Sarah Brandt (Sibel Kekilli) zeigt sich bei ihrem dritten Einsatz alles andere als zurückhaltend: Erst latscht ihr Kollege Klaus Borowski (Axel Milberg) bei der einleitenden Tatort-Besichtigung unaufmerksam durch einen 3D-Scan, kurz darauf bekommt sie ausgerechnet auf dem Flur des Präsidiums einen epileptischen Anfall. Und bettelt ihren Vorgesetzten anschließend vehement an, das frisch gelüftete Geheimnis um ihre Krankheit, das dem Zuschauer bei ihren ersten beiden Einsätzen in Borowski und die Frau am Fenster und Borowski und der coole Hund Rätsel aufgab, für sich zu behalten.

Er schweigt natürlich wie ein Grab, doch ansonsten steht der bis dato eher als besonnen bekannte Borowski seiner aufbrausenden Kollegin in Sachen Lautstärke diesmal in nichts nach. Erneut bietet er nämlich Kriminalrat Roland Schladitz (Thomas Kügel) Unterschlupf, der Borowskis Wohnung bereits im Vorgänger mit seinem spontanen Einzug zur Männer-WG umfunktionierte – und verliert glatt die Fassung, als ihn sein kochbegeisterter Interimsmitbewohner auf seine auffallend schlechte Laune anspricht.

Es ist eine der stärksten, intensivsten Szenen des Films, obwohl sie mit dem fesselnden Kriminalfall nur indirekt zu tun hat – und sie birgt sogar einen wunderbaren Verweis auf Psychologin Frieda Jung (Maren Eggert), die sich zweieinhalb Jahre zuvor in Tango für Borowski für lange Zeit aus dem Kieler Tatort verabschiedet.


BOROWSKI:
Ich hasse das! Ich wohne alleine, du kommst her, du willst immer kochen, du willst immer essen! Und deine Elke und der ganze Scheiß! Ich hab' seit Jahren mit meiner Tochter nicht gesprochen! Frau Jung ist verschollen, Frau Brandt ist krank, ich sehe jeden Tag Leichen, und Zerhacktes, und Hirn aufm Teppich!


Drehbuchautor Sascha Arango, der bereits bei seinen herausragenden Drehbüchern zu Der kalte Tod und Borowski und die Frau am Fenster auf das Whodunit-Prinzip verzichtete, stellt auch diesmal nicht die Täterfrage: Der Psychopath Kai Korthals (furchteinflößend: Lars Eidinger, Hauch des Todes) nimmt als Paketbote Kontakt zu seinen Opfern auf und nistet sich als titelgebender stiller Gast vor den Augen des Zuschauers in fremden Wohnungen ein.

Doch damit nicht genug: Korthals wühlt tief in der Privatsphäre seiner Opfer, liest ihre Briefe, schnüffelt an ihren Schuhen, wühlt in Tampondosen und benutzt sogar ihre Zahnbürsten – und immer, wenn es für ihn brenzlig wird, verschwindet er gespenstisch in den dunklen Ecken der Wohnungen. Spätestens, wenn der Postmann zweimal klingelt und dem Sohn der heroinsüchtigen Roswitha Kranz (Peri Baumeister) einen Lutscher schenkt, ahnt das Publikum Böses.

Arango und Regisseur Christian Alvart, der bereits bei Borowski und der coole Hund Regie führte, konfrontieren den Zuschauer gezielt mit seinen Urängsten und arrangieren ein zutiefst beunruhigendes Szenario, in dem die eigenen vier Wände keine Sicherheit mehr bieten. Eine schreckliche Vorstellung, und diese Erfahrung macht auch Brandt: Die aufbrausende Epileptikerin ("Fuck die Fakten!") bekommt im Rahmen einer hochspannenden Hommage an Alfred Hitchcocks Suspense-Meisterwerk Psycho ungebetenen Besuch in ihrem Badezimmer.

Es ist aber auch das geschickte Spiel mit den Konventionen der Krimireihe, die den 842. Tatort so großartig machen: Statt alles auf Brandts Rettung in letzter Sekunde zuzuspitzen, bringt Korthals ihr Tabletten ans Bett – ein nicht minder elektrisierender Moment, der sich trotz des glimpflichen Ausgangs viel spannender gestaltet als beispielsweise die vielen Rettungsaktionen von Tatort-Kollegin Lena Odenthal. Dieser Krimi ist schlichtweg nie auszurechnen und dabei beklemmend und erschütternd bis ins Mark. Die letzte Trumpfkarte hebt Arango sich für die Schlussminute auf.

Dass der Krimi mit kleineren Logiklöchern zu kämpfen hat, ist angesichts des immens hohen Unterhaltungswerts zu verschmerzen: Die Gewissheit der Kommissare, dass sie es mit einem gewieften und penibelst auf seine Tarnung bedachten Einbrecher zu tun haben, reift recht schnell, und warum das Handy des Flüchtenden nicht einfach geortet wird, leuchtet auch nicht recht ein.

Borowski und der stille Gast ist dennoch ein herausragender und hochspannender Tatort, ein Meilenstein der Krimireihe, dessen brillantes Drehbuch nahtlos an die Klasse des Vorvorgängers Borowski und die Frau am Fenster anknüpft – und der schon bald zum Kult-Krimi mit Kult-Killer wird, der in Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes sein Comeback gibt.

Bewertung: 10/10

Fette Hunde

Folge: 841 | 2. September 2012 | Sender: WDR | Regie: Andreas Kleinert
Bild: WDR/Erik Lee Steingroever
So war der Tatort:

Altbekannt.

Gut eineinhalb Jahre nach dem sehenswerten Tatort Heimatfront, in dem die später geschassten Saarbrücker Kollegen Kappl und Deininger traumatisierte Hindukusch-Heimkehrer zum Verhör baten, thematisiert Fette Hunde nämlich erneut die Rückkehr deutscher Soldaten aus Afghanistan – ein fast schon prädestiniertes Thema für den für seine Sozialkritik bekannten Kölner Tatort.

Drehbuchautor André Georgi (Der glückliche Tod) setzt bei seiner Geschichte aber einen anderen Schwerpunkt, macht den Drogenschmuggel aus Nahost zum Kern der Handlung und reißt die traumatischen Erfahrungen der Soldaten nur grob an. Viel mehr, als dass Krieg kein Zuckerschlecken ist, Verstümmelungen zur Folge haben kann und Fernbeziehungen eine ernste Belastungsprobe für Pärchen ist, hat er zum Kampfeinsatz in Afghanistan aber leider nicht zu sagen – was den Vorteil birgt, dass so zumindest die Rahmenhandlung um den getöteten Heroinschmuggler, der sage und schreibe sechzig drogengefüllte Kondome in seinem Darm durch den Zoll geschmuggelt hat, angemessen ausgearbeitet werden kann.

Dass die Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) erst nach einer halben Stunde am Leichenfundort aufkreuzen, hat zwei Gründe: Zum einen montiert Regisseur Andreas Kleinert, der bereits sechs Polizeiruf 110-Folgen, aber noch keinen Tatort inszeniert hat, die Vorgeschichte des Schmugglers und seiner weiblichen Begleitung Amina Rahimi (Maryam Zaree, Der illegale Tod) parallel zum Rest des Geschehens – zum anderen gibt es aber auch eine ausufernde Heimkehrerparty, nach der die beiden Ermittler zum Erstaunen ihrer Assistentin Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt) in einer köstlichen Sequenz auf derselben Matratze aufwachen.


LÜTTGENJOHANN:
Ihr habt zu zweit in einem Bett geschlafen? Das ist aber neu in eurer Beziehung, oder?

SCHENK:
Ich weiß nix mehr. Ich trink auch nix mehr.


Altbekannt ist der 841. Tatort aber auch, weil die beiden verkaterten Ermittler mit Ex-Sekretärin Lissy (Anna Loos) eine alte Bekannte auf dem Polizeipräsidium begrüßen dürfen, die dort natürlich prompt mit ihrer Nachfolgerin aneinander gerät. Schon nach wenigen Sätzen ist der Zickenkrieg aber wieder beendet und es herrscht – anders als in Afghanistan – wieder brav Waffenstillstand.

Schade: Ein bisschen mehr Zündstoff hätte Fette Hunde gut zu Gesicht gestanden, schlägt die Spannungskurve ansonsten doch höchstens bei Rahimis illegaler Odyssee durch die Kölner Innenstadt mal ein wenig nach oben aus.

Ansonsten haben die Filmemacher beim 55. Einsatz von Ballauf und Schenk wenig Neues zu erzählen und setzen das Kölner Tatort-Jahr 2012 gewissermaßen konsequent fort: Graues Mittelmaß ist angesagt. Verkaterte Ermittler sind beim Blick auf die Tatort-Gesamtreihe nämlich ebenfalls nichts Neues mehr: 2006 erwischte es unter anderem den Ludwigshafener Kollegen Mario Kopper (Andreas Hoppe), der seine Augenringe in Der Lippenstiftmörder nach einer durchzechten Nacht konsequent hinter einer schwarzen Sonnenbrille verbarg.

War auch ganz witzig.

Bewertung: 5/10