Wenn Steine sprechen

Folge: 15 | 13. Februar 1972 | Sender: SWF | Regie: Erich Neureuther
Bild: SWR/Castagne
So war der Tatort:

Auf zeitgenössischer Rechtsauffassung fußend. Dass in den 1930er Jahren begangene Morde entgegen der Auffassung des Drehbuchautors im Jahr 1972 nicht verjährt sind, wird der Bundesgerichtshof nämlich erst 23 Jahre nach der Erstausstrahlung von Wenn Steine sprechen in einem Urteil gegen Erich Mielke feststellen.

Um eben einen solchen, vermeintlich verjährten Mord geht es im ersten SWF-Tatort in der Geschichte der Krimireihe: Beim Westwallbunkerbau am Rheinufer ist im Mai 1939 ein Mann namens Lothar getötet worden. Mehr kann der Baden-Badener Kommissar Horst Pflüger (Ernst Jacobi, Herzjagd) zunächst nicht in Kenntnis bringen, als er zu dem schwerverletzten Obdachlosen Franz Matysiak (Horst Beck, Blechschaden) ins Krankenhaus gerufen wird. Noch bevor er die Befragung fortsetzen kann, wird der Patient durch eine Luftinjektion getötet. 

Der Ermittler besucht seinen Münchner Tatort-Kollegen Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer, zuvor bereits in Der Boss und in Münchner Kindl zu sehen): Gemeinsam befragen sie Frau Windegger (Dora Altmann), deren Sohn sie als den Bunkertoten vermuten. Die Rentnerin übergibt den Kriminalen ein Foto, auf dem neben Matysiak und Lothar Windegger noch zwei weitere Männer zu sehen sind: Masseur Albert Pohl (Max Mairich, Acht Jahre später), dem Pflüger bereits in der Klinik begegnet war, und Bauunternehmer Wolfgang Bernbacher (Detlof Krüger).

Der Kommissar versucht nun, Zutritt zur vermeintlich besseren Gesellschaft des Kurorts zu bekommen, die ihre Zeit auf dem Tennisplatz, auf der Galopprennbahn in Iffezheim und im berühmten Spielcasino im Kurhaus verbringt. Die Tochter des Unternehmers, Didi Bernbacher (Dagmar Heller, Kressin stoppt den Nord-Express), versucht Pflüger sogar mit französischer Lyrik zu beeindrucken.


DIDI:
Die Priesterinnen, die Fackeln, die göttlichen Rufe drangen in die Täler zurück... äh... das Fest zerstreute sich.. Moment?

PFLÜGER:
Die Mysterien sind in den Schoß der Götter heimgekehrt.

DIDI:
Glauben Sie mir jetzt, dass ich in Ihren Gedichtband geschaut hab'?

PFLÜGER:
Freut mich, dass er Ihnen gefallen hat.

DIDI:
Sie irren, Herr Kommissar, ich find’s zu schwülstig.


Bruno Hampel liefert mit Wenn Steine sprechen nicht nur sein erstes Buch für einen Tatort, sondern feiert zugleich seine Premiere als Autor abendfüllender Fernsehfilme. Zuvor hatte er vor allem im Bereich der halbstündigen Vorabendserien reüssiert (etwa für die HR-Formate Kommissar Freytag oder Privatdetektiv Frank Kross), und es bleiben vor allem kürzere Formate, die in den Jahren danach routiniert aus seiner Feder fließen (allein 24 Folgen der ZDF-Serie Der Alte). 

Diese Spieldauervorliebe ist aber auch dem 15. Tatort anzumerken: Dass die grundsätzlich originelle Idee und Konstruktion der Geschichte einen Langfilm nicht richtig tragen, stellt sich als das entscheidende Manko der ersten Folge aus Baden-Baden heraus, die mit 81 Minuten auch knapp die Fernsehfilm-Messlatte reißt. Zu viele Zufälle helfen der Handlung weiter, Nebenstränge werden angedeutet, aber nicht weiter verfolgt. Zudem ist der Krimi von 1972 ein sehr frühes Beispiel für die später häufigere (und vielkritisierte) private Involviertheit eines Ermittlers. 

Auch Regisseur Erich Neureuther, für den diese Arbeit ebenfalls der erste Tatort ist (sechs Jahre später folgt noch der SWF-Tatort Der Mann auf dem Hochsitz), setzt in der Inszenierung keine besonderen Akzente. Die gemächliche Erzählweise der 70er Jahre versuchen weder Buch noch Regie zu durchbrechen; auch die für Kriminalfilme geradezu konstitutive Verfolgungsjagd bzw. Flucht wird routiniert abgeliefert. Zu einem wirklichen Schätzchen unter den frühen Tatorten wird Wenn Steine sprechen allerdings durch die musikalische Untermalung: Der Leiter des SWF-Tanzorchesters Rolf-Hans Müller akzentuiert gekonnt die Handlung. Das Hauptthema komponierte er in bester Tradition von Lalo Schifrins Shifting Gears aus dem Steve-McQueen-Klassiker Bullit von 1968.

Für Ernst Jacobi bleibt es bei diesem einen Einsatz als Tatort-Kommissar Pflüger, er ist damit die erste "Eintagsfliege" der Krimireihe. Im hellbraunen Cordanzug bleibt er Fremdkörper in der Schickeria, auf dem Tennis- und dem Reitplatz. Ruhig und beharrlich bleibt er dem Täter auf der Spur. Der Schauspieler kann seinen Rollencharakter allerdings nur schwer profilieren. Auf der einen Seite zu viele, zu plumpe Versuche, sich an die Gesellschaft von Arzt und Bauunternehmer anzuwanzen, auf der anderen Seite der Versuch, professionelle Distanz zu wahren. Das geht nicht gut. 

Leichter hat es da Detlof Krüger: Wo der Bauunternehmer Bernbacher steht, ist klar. Und dass er sich mit allen Mitteln gegen Ermittlungen und Verdächtigungen wehren wird, wird schon allein in seiner physischen Präsenz deutlich. Er ist für den Kommissar ein überlegener Gegner. Ein letztlich doch gelungen gezeichnetes Duell, dass diesen frühen Tatort durchaus sehenswert macht.

Bewertung: 6/10

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