Bombengeschäft

Folge: 1089 | 31. März 2019 | Sender: WDR | Regie: Thomas Stiller
Bild: WDR/Martin Valentin Menke
So war der Tatort:

Weit weniger explosiv, als es der Filmtitel nahelegt.

Die einleitende Detonation in Bombengeschäft wird von der Kamera nämlich nicht einmal eingefangen – authentische Pyro-Effekte kosten eben Geld und stehen bei den Millionen Fans der Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) ohnehin nicht sonderlich hoch im Kurs.

Im Krimi aus der Domstadt geht schon seit Jahren – Ausnahmen wie der vielgelobte 22-Uhr-Tatort Franziska oder der doppelbödige Vorgänger Weiter, immer weiter bestätigen die Regel – alles gemächlicher zu. Aufwändige Action überlässt der WDR lieber anderen Sendern.

So bietet sich am Rhein das übliche Bild: Weil der Kölner Sprengmeister Peter Krämer (Beat Marti, Borowski und das Land zwischen den Meeren) zu Beginn im Off in Stücke gerissen wird und Gerichtsmediziner Dr. Roth (Joe Bausch) Hinweise auf den Einsatz einer Handgranate findet, kommt die Mordkommission ins Spiel – und die besucht in Person von Ballauf und Schenk neben dem Kollegen in der Pathologie wie gewohnt auch den Arbeitsplatz des Toten und hört sich in dessen privatem Umfeld um. Das ergibt später ein halbes Dutzend Tatverdächtige, unter denen der Zuschauer den Mörder und die richtige Auflösung suchen darf – ein Whodunit wie aus dem Lehrbuch, wie ihn die Krimireihe zuvor über zwei Monate lang nicht geliefert hat (zuletzt in Der Pakt).

Vielschichtige Figuren gibt es in Bombengeschäft aber nur zwei: Während die Witwe Alena Krämer (charismatisch: Alessija Lause, Das goldene Band) im Bosnienkrieg ihre große Liebe gefunden und nun wieder verloren hat, hat der zynische Rollstuhlfahrer und Spielotheken-Stammgast Alexander Haug (köstlich: Sascha Alexander Geršak, Der kalte Fritte) bei einem Einsatz mit Krämer seinen Hodensack eingebüßt.


HAUG:
Glück im Spiel, Pech mit den Eiern.


Ansonsten erschöpft sich viel in Klischees: Da gibt es zum Beispiel den profitgierigen Immobilienhändler Raimond Gebel (Marco Hofschneider, Mit ruhiger Hand), der nicht etwa an der Lebenssituation, sondern nur am Kontostand und am polizeilichen Führungszeugnis möglicher Hauskäufer interessiert ist, den spielsüchtigen Kampfmittelbeseitiger Joachim Maiwald (Adrian Topol, Tödliche Ermittlungen), der seinem strengen Vater Maywald senior (Ralph Herforth, Kopfgeld) beweisen will, dass er zumindest an der Sprengkapsel kein Versager ist, und natürlich den gemütlich-sympathischen Assistenten Norbert Jütte (Roland Riebeling), der auch bei seinem vierten Einsatz im Präsidium vor allem an einer ungestörten Mittagspause, kalorienhaltigen Zwischenmahlzeiten und einem frühen Feierabend interessiert ist.

Nennenswerte Vielschichtigkeit gesteht Regisseur und Drehbuchautor Thomas Stiller (Frohe Ostern, Falke) den meisten Nebenfiguren im 1089. Tatort nicht zu – und so sind die Stippvisiten der Kommissare bei dem gehandicapten Haug fast schon das Unterhaltsamste, weil der seiner körperlichen Behinderung mit entwaffnendem Galgenhumor begegnet und in diesem Krimi fast jede Szene stiehlt.

Wer in der Hoffnung auf überraschende Wendungen, fesselnden Suspense oder einen verblüffenden Twist auf der Zielgeraden eingeschaltet hat, guckt ansonsten in die Röhre: Ballauf und Schenk fassen ihre Erkenntnisse nach den Befragungen regelmäßig beim Gang zum Oldtimer oder beim Plausch im Präsidium zusammen – angesichts der vielen Figuren könnten denkfaulere Zuschauer ja den Anschluss verlieren. Überraschungen liefert das dialoglastige Drehbuch wenige, dafür aber einen hoffnungslos überkonstruierten Showdown mit Bombe und Baugrube, bei dem sich die erhoffte Dramatik trotz des gut gemeinten Soundtracks nicht einstellt.

Auch den Gag um Haugs Hoden bemühen die Filmemacher mindestens einmal zu viel: Statt sich mal intensiv damit zu befassen, welch immenser psychischer Belastung ein Kampfmittelbeseitiger in seinem Arbeitsalltag standhalten muss, wird das Ganze meist ironisiert oder gleich ganz ausgeklammert. So geht es in Bombengeschäft am Ende doch nur wieder um die Liebe, ums liebe Geld und um teuren Wohnraum in Großstädten.

Und das sind nun wahrlich keine Themen, die man im Tatort noch nicht gesehen hätte.

Bewertung: 5/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Spieglein, Spieglein"

Spieglein, Spieglein

Folge: 1088 | 17. März 2019 | Sender: WDR | Regie: Matthias Tiefenbacher
Bild: WDR/Thomas Kost
So war der Tatort:

Nadeshdalos.

Denn Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) müssen in Spieglein, Spieglein erstmalig ohne die in Erkläre Chimäre zur Kommissarin beförderte Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) auskommen: Aufgrund von Kempters Babypause springt Aushilfskommissar Mirko Schrader (Björn Meyer, Borowski und das dunkle Netz) ein. Doch weht deshalb frischer Wind durch die beliebteste deutsche Tatort-Stadt?

Weit gefehlt: Der WDR lässt bei seinen populären Krimikomödien aus Westfalen nichts anbrennen und überlässt die Experimente lieber anderen Sendern. Zu beliebt sind die stets ähnlich ablaufenden Schmunzelgeschichten, zu eingespielt die Mechanismen zwischen den Figuren – und zu festgelegt ist die Erwartungshaltung des Publikums, das in Spieglein, Spieglein genau das Erhoffte serviert bekommt.

Regisseur Matthias Tiefenbacher (Herrenabend) und Drehbuchautor Benjamin Hessler (Treibjagd) reduzieren "den Neuen" nur auf eine nennenswerte Eigenschaft: Er kann hervorragend Kaffee kochen. Wie originell.

Hatte sich Krusenstern in den letzten Jahren zunehmend von Assistenztätigkeiten emanzipiert und häufig an Thiels Seite ermittelt, springt dort nicht etwa Schrader, sondern Boerne ein – dessen Assistentin Silke "Alberich" Haller (Christine Urspruch) und Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) hingegen fungieren als reine Stichwortgeber für die mal mehr, mal weniger amüsanten Dialoge, die sich zum Beispiel aus Klemms zum x-ten Mal thematisierter Nikotinsucht generieren.


THIEL:
Dann haben Sie also draußen gesessen und geraucht?


KLEMM:
Warum soll man sonst draußen sitzen?


Alles schon dutzende Male dagewesen, aber die Fans wird es nicht stören – ebenso wenig wie die Tatsache, dass Boerne Rechtsmediziner ist und bei der Vernehmung von Verdächtigen oder SEK-Einsätzen eigentlich nicht das Geringste verloren hat.

Durchaus überraschend aber: Selbst Thiel scheint im 1088. Tatort kein Problem damit zu haben, dass Boerne seine Autorität untergräbt und ihn wie selbstverständlich zu Außeneinsätzen begleitet. Fest zum Erfolgsrezept der Folgen aus Münster zählen schließlich die bissigen Frotzeleien den beiden – und ob die nun in der Leichenhalle, im Archiv des Präsidiums oder bei einer Stippvisite in der Haftanstalt vorgetragen werden, ist ja eigentlich zweitrangig.

Dementsprechend absurd fällt die Rahmenhandlung aus, die einmal mehr dazu dient, die erfolgserprobten Versatzstücke halbwegs plausibel aneinanderzureihen: In Spieglein, Spieglein nutzen die Filmemacher das in Kino und Fernsehen häufig genutzte Doppelgängermotiv (zum Beispiel in The Double oder Der talentierte Mr. Ripley), bei dem der Reihe nach optische Ebenbilder von Klemm, Alberich und Herbert "Vaddern" Thiel (Claus Dieter Clausnitzer) das Zeitliche segnen müssen. Eine Idee, aus der man viel hätte machen können – das Mordmotiv wirkt allerdings mehr als konstruiert und scheint allein dem Zwang zu unterliegen, den Fall am Ende in irgendeiner Auflösung gipfeln lassen zu müssen.

Während bei den ersten drei Leichen zusätzliche Schauspieler zum Einsatz kommen, dürfen die beiden Stars im Tatort aus Münster ihre Doppelgänger natürlich selbst spielen, geben dabei aber ein unterschiedliches Bild ab: Während Axel Prahl mit aufgeklebtem Schnurrbart und albernem Hut der Lächerlichkeit preisgegeben wird und nicht halb so authentisch wirkt wie als brummiger Kommissar, zählt Jan Josef Liefers' Auftritt bei Boernes vermeintlicher Begegnung mit sich selbst zu den besseren Sequenzen in diesem durchaus kurzweiligen Verwirrspiel.

Auch Klamauk und Slapstick sind (anders als im ebenfalls von Matthias Tiefenbacher inszenierten Das Wunder von Wolbeck oder im enttäuschen Krankenhauskrimi Mord ist die beste Medizin) nicht überdosiert – wer allerdings im Hinblick auf den tatverdächtigen Fahrkartenkontrolleur Markus Timoschek (Ronald Kukulies, Borowski und das Fest des Nordens), den kurz vor der Entlassung stehen Knacki Sascha Kröger (Arnd Klawitter, Auge um Auge) oder die für die Kfz-Zulassungsstelle tätige Birgit Brückner (Kathrin Angerer, Wahre Liebe) so etwas wie tiefergehende Charakterzeichnung erwartet, ist schief gewickelt.

Sämtliche Nebenfiguren sind Variablen eines Drehbuchs, das sich allein um Thiel und Boerne dreht – fast so, wie bei den beiden berühmten Figuren aus der Sesamstraße, die sogar wörtlich zitiert werden.


THIEL:
Gute Nacht, Bert.

BOERNE:
Gute Nacht, Ernie.


Bewertung: 5/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Für immer und dich"

Für immer und dich

Folge: 1087 | 10. März 2019 | Sender: SWR | Regie: Julia von Heinz
Bild: SWR/Benoit Linder
So war der Tatort:

Angelehnt an den realen Fall Maria Henselmann, die 2013 in Freiburg verschwand und fünf Jahre später gesund und munter wiederauftauchte – und zugleich angelehnt an den Tatort-Klassiker Reifezeugnis, der bis heute zu den skandalträchtigsten Folgen der Krimireihe zählt.

Brannte die 13-jährige Henselmann im realen Leben mit einem 40-jährigen Mann nach Italien durch, um mit dem Eintritt ihrer Volljährigkeit zu ihrer erleichterten Mutter in den Breisgau zurückzukehren, waren es im Tatort von 1977 die junge Schülerin Sina Wolf (Nastassja Kinski) und ihr Lehrer Helmut Fichte (Christian Quadflieg), die eine intime Beziehung miteinander eingingen, obwohl sie das natürlich nicht durften.

Ganz ähnlich liegt der Fall im vierten Schwarzwald-Tatort, in dem der beim Dreh des grandiosen Vorgängers Damian krankheitsbedingt ausgefallene Hauptdarsteller sein Comeback feiert: Friedemann Berg (wieder fit: Hans-Jochen Wagner) und Franziska Tobler (Eva Löbau) werden in Für immer und dich auf eine Fahrerflucht mit Todesfolge angesetzt.

Die dient allerdings in erster Linie dazu, die Hauptkommissare auf den Plan zu rufen und den Film damit in das diesmal eher schlecht als recht passende Krimikorsett zu quetschen: Im Zentrum der Geschichte steht weniger der getötete Autoknacker, als vielmehr der Roadtrip der 15-jährigen Emily Arnold (Meira Durand) mit ihrem über 30 Jahre älteren Liebhaber und pädophilen Ersatzvater Martin Nussbaum (Andreas Lust), der dabei die Sehnsüchte auslebt, die andere Männer sonst offenbar mit Vorliebe auf den einschlägigen Pornoseiten im Internet befriedigen.


TOBLER:
Ich find's zum Kotzen. Erwachsene Männer, die nackte Mädchen gucken.

BERG:
Jaja. Es gibt auch erwachsene Frauen, die nackte Jungs gucken, ne?


Drehbuchautor Magnus Vattrodt (Der traurige König) und Regisseurin Julia von Heinz, die Reifezeugnis offen als Vorbild für ihren ersten Tatort nennt, haben den Krimititel nicht von ungefähr gewählt: Eine der größten Stärken ihres Films ist der fantastische Soundtrack von Rio Reiser, dessen kraftvolle Ballade Für immer und dich sogar die eigentlich Abspannmusik ersetzt.

Diese musikalische Variation steht aber exemplarisch für das, was auch für das Erzähltempo, die Dramaturgie und die Tonalität des Films gilt: Aus der 1087. Tatort-Folge ist weniger ein Krimi, als vielmehr ein Drama geworden, weil die Spannung auf Sparflamme köchelt und die Kommissare als Identifikationsfiguren für den Zuschauer weniger im Fokus stehen als üblich.

Auch das hat es im Tatort schon häufiger gegeben (zum Beispiel in Haie vor Helgoland), doch erweist sich Für immer und dich als deutlich zähere Angelegenheit: Während Tobler mit ihren Gedanken immer wieder bei einem positiven Schwangerschaftstest ist, widmet Berg sich pro forma der Fahrerflucht, die wir im Gegensatz zu ihm live miterleben. Das nimmt seinen Ermittlungen den Reiz, und auch der Twist im Hinblick auf Toblers Schwangerschaft ist sehr vorhersehbar.

So kommt der in sommerlicher Sepia-Ästhetik gehaltene Film als spannungsarme Kreuzung aus tragischem Roadmovie, klassischem Krimi und emotionalem Pädophiliedrama mit Coming-of-Age-Elementen daher – ein zweifellos mutiges Unterfangen, das trotz der tollen Leistungen von Tatort-Debütantin Meira Durand und Andreas Lust (Treibjagd) aber nicht vollends überzeugt.

Denn auch im Hinblick auf die Beziehung zwischen Emily und Martin bleibt das Drehbuch manches schuldig: Der Faszination der 15-Jährigen für den viel älteren Erwachsenen gehen die Filmemacher gar nicht erst auf den Grund – Toblers Besuch bei ihrer energischen Mutter Michaela (Kim Riedle, Am Ende des Tages) muss als Erklärung für Emilys Flucht schon ausreichen.

Aber auch im Hier und Jetzt wirkt einiges nicht stimmig: Verhält sich Emily in der Eröffnungssequenz wie ein frisch verliebter Teenager, der Nussbaum auch körperlich nah sein möchte, flirtet das Mädchen schon im nächsten Augenblick mit drei Truckern und wendet sich genervt ihrem Hund Luno zu, als Nussbaum sich oral an ihr vergeht.

Diese Ambivalenz ließe sich mit dem Hormonhaushalt eines viel zu früh sexualisierten Teenagers erklären, doch wirkt der Sinneswandel an anderer Stelle glaubwürdiger – zum Beispiel bei der aufkeimenden Freundschaft zur ausgeflippten Tankstellen-Aushilfe Jona (Luisa Céline Gaffron), die Emily vor Augen führt, dass das Leben noch mehr zu bieten hat als endlose Freizeit mit einem deutlich älteren Mann, dessen Niedertracht selbst vor seiner eigenen Mutter Luise (Ursula Werner, Money! Money!) nicht Halt macht.

Bewertung: 5/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Borowski und das Glück der Anderen" 




Borowski und das Glück der Anderen

Folge: 1086 | 3. März 2019 | Sender: NDR | Regie: Andreas Kleinert
Bild: NDR/Christine Schroeder
So war der Tatort:

Todunglücklich.

Denn Drehbuchautor Sascha Arango (Niedere Instinkte) widmet sich in Borowski und das Glück der Anderen dem Thema Sozialneid und macht in seiner Geschichte eine Frau zur Mörderin, die mit ihrem Leben neuerdings nicht mehr glücklich ist: Supermarktkassiererin Peggy Stresemann (Katrin Wichmann) schaut abends im Fernsehen die Ziehung der Lottozahlen und beobachtet dabei im Haus auf der anderen Straßenseite, wie ihre wohlhabenden Nachbarn Victoria (Sarah Hostettler) und Thomas Dell (Volkram Zschiesche, Freddy tanzt) mit einem Schein in der Hand in Jubel ausbrechen.

Als die Besserverdienerin von gegenüber am nächsten Tag Schampus an Peggy Kasse einkauft, ist der Fall klar: Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen! Doch anders als ihr genügsamer Ehemann Micha (Aljoscha Stadelmann, Der Fall Holdt) will Peggy das nicht länger tatenlos hinnehmen: Sie sucht im Haus der Dells nach dem Lottoschein, der noch nicht eingelöst wurde – und als sie von Thomas Dell auf frischer Tat dabei ertappt wird, streckt die Einbrecherin ihn kurzerhand mit sieben Schüssen nieder und lenkt den Verdacht auf seine Ehefrau.

Wie so oft bei Arango, der in den vergangenen Jahren unter anderem die Kieler Tatort-Highlights Borowski und das Mädchen im Moor oder Borowski und der Engel konzipierte, weiß der Zuschauer es aber besser und darf im Anschluss dabei mitfiebern, ob es den Hauptkommissaren Klaus Borowski (Axel Milberg) und Mila Sahin (Almila Bagriacik) wohl gelingt, der pfiffigen Peggy das Handwerk zu legen. So ganz scheint deren Geschichte nämlich nicht zu stimmen – das offenbart sich Borowski schon beim Besuch in der Gerichtsmedizin, bei dem er mit der verdutzten Dr. Kroll (Anja Antonowicz) den möglichen Tathergang nachstellt und im Rahmen einer kurzen Impro-Einlage die typischen kleinen Konflikte des Ehealltags als Mordmotiv durchexerziert.


BOROWSKI:
Warum hast du auf mich geschossen, Liebling?

KROLL:
Ich hasse dich! Weil du nie die Zahnpastatube zumachst!


Der Verzicht auf das Whodunit-Prinzip, das bereits in den Vorwochen im tollen Franken-Tatort Ein Tag wie jeder andere und im Wiesbadener Meisterwerk Murot und das Murmeltier ausgehebelt wurde, ist typisch für Arangos Drehbücher, doch hat das dem hohen Unterhaltungswert seiner Krimis nie Abbruch getan.

Vielmehr sind es nicht zuletzt brüllend komische Szenen wie die genannte, die Borowski und das Glück der Anderen unter routinierter Regie von Andreas Kleinert (Freies Land) zu einer so ungemein kurzweiligen, wenn auch mit tragischem Unterton versehenen Krimikomödie machen: Der 1086. Tatort ist überraschend, witzig und schockierend zugleich. Neben den großartigen Dialogen bietet der Film viel schwarzen Humor, aberwitzige Situationskomik und viele pfiffige Wendungen – das macht ihn so originell und (fast) zu keinem Zeitpunkt ausrechenbar.

Nur in der Anfangsphase wirkt der zweite Einsatz von Borowski und Sahin, die beim Boxtraining ein dickes Veilchen davongetragen hat und sich daher den löchernden Fragen von Kripo-Chef Roland Schladitz (Thomas Kügel) stellen muss, wie eine Kopie des ebenfalls aus Arangos Feder stammenden Klassikers Borowski und die Frau am Fenster: Die Ausgangslage beider Tatort-Folgen gestaltet sich auffallend ähnlich, doch löst sich Borowski und das Glück der Anderen schnell von der Geschichte des vielgelobten Vorgängers und setzt eigene Akzente.

Auch das Spiel mit den Klischees meistern die Filmemacher mit Bravour – etwa bei Sahins getürkter Wohnungsbesichtigung im Hause junger Eltern, bei Peggys Shopping in einer Edelboutique oder im Hinblick auf ihre Kollegin Ilona Schmidt (Stefanie Reinsperger), die für die größte von unzähligen gelungenen Überraschungen in diesem Tatort sorgen darf.

Dabei verliert Arango den Blick für das Menschliche und die Leitmotive seiner Geschichte – das titelgebende Glück anderer Bürger, den daraus resultierenden Sozialneid und nicht zuletzt auch den Faktor Zufall – aber nie aus dem Blick: Wenn Borowski und Sahin einleitend einen international gesuchten Dealer nur deshalb aufspüren, weil sie sich in der Tür geirrt haben, illustriert das drastisch, wie nah Glück und Pech im Leben – oder in diesem Fall Leben und Tod – beieinander liegen können.

Auch die Schauspieler überzeugen auf ganzer Linie: Während der fantastischen Katrin Wichmann (Amour fou) in ihrer schrillen Schlüsselrolle die ganze Bandbreite an Emotionen abverlangt wird, mimt Sarah Hostettler (Wofür es sich zu leben lohnt) als eitle Witwe mit Herz den wunderbar unterkühlten Kontrapunkt.

Bewertung: 8/10

Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort "Ein Tag wie jeder andere"