Die dritte Haut

Folge: 1170 | 6. Juni 2021 | Sender: rbb | Regie: Norbert ter Hall
Bild: rbb/Gordon Muehle
So war der Tatort:

Maskenpflichtig.

Denn die Dreharbeiten zu Die dritte Haut fielen in die zweite Welle der Corona-Pandemie – und anders als im Bremer Tatort Neugeboren oder im Franken-Tatort Wo ist Mike?, die ebenfalls im Herbst 2020 entstanden, ist das im Film auch nicht zu übersehen. "Der Tatort erhält dadurch etwas fast Dokumentarisches, das mit dem Inszenierungsstil des Regisseurs Norbert ter Hall einhergeht", gab der rbb im Vorfeld bekannt – der Krimi werde so zu einem "ungewöhnlichen Zeitdokument, an dem die Zuschauer vieles wiedererkennen, das sie selbst durchlebten und momentan auch weiterhin leben müssen."

Also tragen die Berliner Hauptkommissare Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) tapfer Maske, sprechen durch Plexiglas und halten bei Befragungen Abstand – nur um sich dann vor und nach Feierabend näher zu kommen, als wir es je für möglich gehalten hätten. Der Start zu ihrem 13. (und drittletzten) Fall ist der Wake-Up-Call nach einer gemeinsamen Nacht, die zu Beginn für einen dicken Überraschungsmoment sorgt. Später gibt's einen wilden Quickie im Flur, der an Beckers erste Szene im Erstling Das Muli oder den Suff-Sex der Freiburger Kollegen Tobler und Berg im Skandal-Tatort Ich hab im Traum geweinet erinnert.

So ungezügelt kommt Die dritte Haut ansonsten aber selten daher, denn Drehbuchautorin Kathrin Bühlig (Im toten Winkel) widmet sich – ähnlich wie im Münchner Tatort Die Liebe, ein seltsames Spiel – in bedrückenden Bildern und konventionellen Erzählstrukturen einem ernsten Thema: dem außer Kontrolle geratenen Wohnungsmarkt, der in der Hauptstadt zu horrenden Mietpreisen, eklatanter Wohnungsnot und Verdrängung an allen Ecken und Enden geführt hat. Wer im Prenzlauer Berg eine Bleibe sucht, steht in der Besichtigungsschlange schon mal hinter 800 anderen Menschen.

Einer dieser Verdränger ist Cem Ceylan (Murat Dikenci), der ebenso wie seine Schwester Yeliz (Sesede Terziyan, Melinda) in der türkischen Immobilienfirma seiner Mutter Gülay (Özay Fecht, Brandwunden) arbeitet – doch anders als seine Verwandtschaft überlebt Ceylan den Krimi nicht und wird zu Beginn mit einem Whiskeyglas erschlagen, nachdem er Busfahrer Otto Wagner (Peter René Lüdicke) samt Familie aus seiner Wohnung geschmissen hat. Nächste Station: Notunterkunft.


WAGNER:
Ich hab mein ganzes Leben gearbeitet. Ich bin sogar systemrelevant. Und trotzdem kann ich mir keine Wohnung mehr in Berlin leisten. Ich meine, da stimmt doch was nicht.


Die dritte Haut, dessen kryptischer Titel auf die eigenen vier Wände anspielt und sich aus der ersten (= menschlichen) und der sprichwörtlichen zweiten Haut (= Kleidung) erklärt, geht auch unter die Haut und erinnert an Münchner Tatort Tote brauchen keine Wohnung von 1973 sowie an den vielgelobten Tatort Wie alle anderen auch, der im März 2020 zuvor ins Kölner Obdachlosenmilieu abtauchte. Anders als im noch deutlich beklemmender arrangierten Krimidrama aus der Domstadt bleiben Stammtischparolen an der Pommesbude aber aus.

Das bittere Schicksal der alleinerziehenden Jenny Nowack (stark: Berit Künnecke), die für eine bezahlbare Bleibe ihren Körper verkaufen muss, entfaltet auch so seine Wucht. Gleiches gilt für das ihres Ex-Mannes Micha Kowalski (Timo Jacobs, Das Muli), der wie Busfahrer Wagner keinen festen Wohnsitz (mehr) vorweisen kann und alles für eine Rückkehr zu Frau und Kindern tun würde. Solche Einzelschicksale, die Vermieter selten tangieren, lassen uns nicht kalt. Die Filmemacher streuen Salz in die Wunde deutscher Großstädte – da hätte es die recht beliebig in den Plot montierten Bilder von Obdachlosen und Notunterkunft-Bewohnern, die in Texteinblendungen aus ihren Wünschen und Träumen zitiert werden, als künstlichen Verstärker nicht zwingend gebraucht.

Als klassisch arrangierter Whodunit funktioniert der 1170. Tatort ebenfalls, wenngleich der Film im Mittelteil ziemlich spannungsarm dahinplätschert: Die Auflösung der Täterfrage ist zwar keine große Herausforderung, aber auch kein Kinderspiel. Über die Hänger der Handlung helfen die (einmal mehr) prächtig aufgelegten Kommissare hinweg und allein die grundlosen Sticheleien von SpuSi-Mitarbeiter Knut Jansen (Daniel Krauss), der Karow seit jeher auf dem Kieker hat, sind das Einschalten wert. Wirklich mitreißend ist Die dritte Haut aber selten: Thrill und Suspense müssen in diesem Themenkrimi ebenso wie das große Drama hinter der Sozialkritik hintenanstehen.

Und dann ist da noch eine Randnotiz, die am Ende vielleicht gar keine ist und in diesem Film zu köstlichem Bielefeld-Bashing führt: Kommissarsanwärterin Anna Feil (Carolyn Genzkow) hat der Spree nach ihrem letzten Auftritt im Tatort Ein paar Worte nach Mitternacht den Rücken gekehrt und sich mit über 200 Überstunden auf dem Buckel nach Ostwestfalen verabschiedet (mehr über Genzkows Tatort-Ausstieg erfährst du in unserem News-Artikel).


KAROW:
Nicht abgeholt, obwohl bestellt: Dieses Gefühl heißt Bielefeld.


Bewertung: 6/10


📝 So war der Vorgänger: Kritik zum Bremer Tatort "Neugeboren"

21 Kommentare:

  1. Den Tatort heute am 6.6.21 hätte man sich auch sparen können. Stattdessen wäre ne Wiederholung aus Münster 5x besser gewesen. Wer vergibt da 6 von 10 Punkten. Vielleicht 3 von 10, das war's aber auch achon.

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  2. Endlich mal wieder mitten aus dem wahren Leben gegriffen und keine Ansammlung von psychisch Kranken...
    Berührend und erschütternd, aber so ist halt heutzutage leider die Realität! Ich fand den Tatort gut!

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  3. Das Thema fand ich gut, aber warum muss die Kommissarin unbedingt einen Quickie mit ihrem Kollegen haben. Komplett unlogisch!!!!

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  4. Der Alltag ist geprägt von Corona Maßnahmen. Und jetzt Maskenpflicht im Tatort. Ich möchte einfach mal eine Zeit abschalten können,einfach nur einen guten Film sehen. Das war hier nicht möglich. Grausam,bin sehr enttäuscht

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  5. Wir haben Wohnungsnot, nicht nur in Berlin ! Aber muss man dieses Problem im Tatort breit treten? Ein Quickie unter Kollegen zum Stressabbau? Was für ein Blödsinn kommt demnächst? Tatort heißt eigentlich : es passiert eine Gewalttat, es wird gut und nachvollziehbar ermittelt und wir Zuschauer können für diese Zeit unsere Probleme beiseite schieben. Funktioniert aber bei den letzten Tatorten nicht, statt dessen kann man sich darüber ärgern, für was für einen Schwachsinn unsere Fernsehgebühren ausgegeben werden.
    Also mit einem Wort gesagt :
    SCHWACHSINN !

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  6. Mehr Dokudrama als Krimi aber trotzdem ein sehr guter Tatort. Die Auflösung ist Bitter und die Szene am Schluss, wo die alte Dame, zynisch als "Verwertungshemmnis" betitelt, sich im Zweibettzimmer im Altenheim wiederfindet, das ist megatraurig.

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  7. Das Maskengedöns glaubt eh keiner, schlecht gemacht.aber nichts neues im zwangsfinanzierten öffentlich rechtlichen Fernsehen. Lasst es einfach sein. Zudem schlechter Tatort, aber auch das seit einiger Zeit nichts Neues

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  8. Wenn man schon das Corona Thema aufgreift, dann auch bitte richtig.
    Mal wird Maske getragen, mal nicht. Also entweder ganz oder gar nicht. Als Vorbilder sollte man es doch richtig machen.
    Dann hätte man das Thema besser lassen sollen.

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  9. Warum müssen Tatort Kommissare miteinander Vögeln, sich danach noch siezen?!Und das Ende war auch für'n Arsch... 2 von 10 Punkten

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  10. Das ist definitiv mein letzter Berliner Tatort gewesen, den ich mir angesehen habe. Charaktere der Kommissare ermüdend, ordinär und oberflächlich. Das Thema schlecht ausgearbeitet und der Umgang mit den Masken nur zum Augenverdrehn. Max 1Stern für die Mühe

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  11. Unglaublich guter Tatort !! Endlich wurden mal wieder unsere aktuellen Themen aufgegriffen, von den Corona Schutzmaßnahmen über die immer wachsende Wohnungsnot, bis hin zur sexuellen Ausnutzung anderer Personen aufgrund von Wohnungsnot... wirklich wahnsinnig guter Tatort !

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  12. genauso langweilig wie alle neuen Tatort Krimis - ich schliesse mich einer vorherigen Meinung an -lieber Wiederholungen vom Münster Tatort oder von den Kölner

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  13. Selten habe ich mir gewünscht, dass es endlich vorbei sein möge. Die Handlung schleppte sich träge durch die Szenen und ein Spannungsbogen war auch mit viel Wohlwollen nicht erkennbar. Sozialkritisch hin, realitätsnah her - das war der vielleicht langweiligste Krimi, den ich je im TV gesehen habe.

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  14. Schließe mich den Kommentaren an.
    War da nicht vorher der Herr Kommissar eher dem männlichen Geschlecht zugetan?? Na halt öffentlich rechtliches...schade ....wäre mal interessant einen homosexuellen Kommissar beim Tartort zu sehen.

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  15. Jetzt schon Masken im Tatort. Geht denn diese Gehirnwäsche ewig weiter? Ich musste nach 10 Minuten entnervt umschalten. Dann lieber Beethoven auf arte.

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  16. Mich hat der Tatort sehr berührt. Fannybella hat es gut zusammengefasst. Erneut bin ich dankbar, dass ich ein festes und geregeltes Einkommen und eine bezahlbare Wohnung in Frankfurt habe. Wer diesen als schlechten Tatort ansieht, hat noch kein Leid etlebt und empfindet kein Mitgefühl für Menschen, die auf der Strasse leben (müssen). MICH würde interessieren, ob die eingeblendet Statements wahr oder erfunden sind. Ich fand den Tatort vom Thema her gut. Über die Nebenkriegsschauplätze kann man allerdings fürwahr geteilter Meinung sein.

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  17. Das Genuschel unter den Masken ist kein Genuss,ich habe nach 10 Min. abgeschalten.

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  18. Zu kompliziert, zu trocken. Langweilig.

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  19. Sorry, das ein bundesweit brandakutelles Thema derart langatmig in einem Tatort intiniert wird. Gäääääh. Nach 10 Minuten: "Naja, kann ja vielleicht noch werden". Nach 19 Minuten: "Gähn. Doch lieber eine Quiz-Show?" 36 Minuten haben wir durchgehalten. Kommentar: "Meinst Du wirklich, dass der noch besser oder gar spannend wird????". Egebnis: weggezippt.

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  20. Dieser Tatort hat mir sehr gut gefallen.
    Obwohl der Film Spannung über weite Strecken missen lässt, fällt dieser Umstand aufgrund anderer enormer Qualitäten nicht so sehr ins Gewicht.
    Aus Sicht mehrerer Figuren mit nachvollziehbaren und realitätsnahen Einzelschicksalen werden nämlich gekonnt aus verschiedenen Perspektiven tiefe Wunden der deutschen Gesellschaft aufgearbeitet, meiner Meinung nach allgemein eine der großen Stärken des Formats “Tatort”. Ich finde, dass die eingestreuten Statements Betroffener die Wucht dieses Films weiter verstärken, da sie die Vielfalt an Einzelschicksalen, Ängsten und Nöten in der Bevölkerung hervorragend aufzeigen.
    Insgesamt spiegelt der Film – und das ist typisch für dieses Berliner Tatort-Team – Missstände in der deutschen Hauptstadt und darüber hinaus unglaublich authentisch und mitreißend wider. Dazu tragen auch die fantastischen Kommissare nicht unwesentlich bei. Sie treten in Bestform auf und vermögen mit ihren teils verstörenden oder komplett wahnsinnigen Aktionen – man denke etwa an Karows Re-enactment des Mordes, bei dem er Rubin einen ordentlichen Schrecken einjagt, oder den irritierenden Quickie – immer wieder zu überraschen und aus den sowieso schon vielschichtigen Charakteren neue Ebenen herauszuarbeiten.
    Einige wenige Schwächen muss der Zuschauer oder die Zuschauerin jedoch hinnehmen, vor allem die recht vorherbare Auflösung der Täterfrage.
    Pluspunkte bekommt der Film von mir aufgrund der erstmalig sehr gelungenen Einbeziehung der Pandemie in den Tatort. Ich bin der Auffassung, dass der Tatort ein Spiegel der Gesellschaft sein sollte und das Leben in der Pandemie für nachfolgende Generationen festhalten sollte. Auch im Hier und Jetzt könnte der Tatort auf Probleme, die von der Pandemie verstärkt wurden, aufmerksam machen. Deshalb ein großes DANKE an die Filmemacher, dass sie sich für den schweren Weg entschieden haben und die Pandemie einbeziehen – samt Masken. Anders als im Dortmunder Tatort “Heile Welt”, in dem der Umgang mit Masken lächerlich war, wird die Maskenregelung hier konsequent durchgezogen – sogar auf Kosten der Mimik, was meiner Ansicht die vollkommen richtige Entscheidung war! Geschickt wird die Maskenregelung manchmal umgangen: Dass die Kommissare die Maske zum Sprechen manchmal abnehmen, ist (leider) nur zu realistisch, und im Präsidium wird die Maske natürlich auch abgenommen. Kurz gesagt: Anders als andere Zuschauer_innen fühlte ich mich von dieser Entscheidung keineswegs gestört – im Gegenteil: Sie bringt diesen Film für mich von 7/10 auf knappe 8/10 Punkte!

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  21. Welche Schriftart wird bei den Texten verwendet?

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